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BERICHT/228: FIAN mitten in den ersten fünfzig Jahren (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

FIAN mitten in den ersten fünfzig Jahren
Quo vadis FIAN? Ein Blick nach vorne und zurück

Von Johannes Brandstäter


"Hunger tötet wie eine Kugel." Diese alte FIAN-Formulierung, die so prägnant wie unbarmherzig ist mit der Realität, hat sich vielen Menschen eingeprägt. Sie drückt aus, dass Hunger gemacht ist. Das Verhungernlassen war in den letzten fünfundzwanzig Jahren die mit Abstand am häufigsten begangene Menschenrechtsverletzung.


In diesen fünfundzwanzig Jahren, in denen der Ostblock zusammenbrach, ist der Kapitalismus immer mächtiger geworden. Die neoliberale Ideologie beflügelte weltweit die Zerstörung geschützter lokaler Ökonomien sowie den Rückbau sozialer Sicherungssysteme und drängte öffentliche Güter zugunsten von Privateigentum zurück. Die Kapitalbesitzer erlebten eine Befreiung von staatlich auferlegten Zwängen. Weltweit verlor die Politik in punkto Verteilung allen sittlichen Anstand. Die Freiheit, mit einem ausreichenden materiellen Standard zu leben, sich angemessen zu ernähren und mit der eigenen Arbeit ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, wurde Abermillionen Kleinbäuerinnen und -bauern, Arbeiterinnen und Arbeitern, Land losen und Kleingewerbetreibenden im Namen der wirtschaftlichen Liberalisierung geraubt. Der Milleniumsgipfel formulierte die Halbierung der Zahl der Hungernden bis 2015 als Ziel - doch sie wurden mehr.

Die Bilanz ist also stark ernüchternd. Gleichzeitig jedoch breitete sich der Geist der Menschenrechte bis fast in den letzten Winkel der Erde aus. Er wird sich nie wieder in die Flasche Zwängen lassen. FIAN hatte seinen Anteil daran, dass die Menschenrechte, vor allem das Recht sich zu ernähren, immer weiter ausformuliert und kodifiziert wurden. Jeder Mensch hat einen Anspruch darauf, frei von Hunger zu leben.

Menschenrechtsarbeit ist kein Rohrkrepierer. Sie setzt gleichzeitig auf den Staat und auf die Gesellschaft. Eine gestärkte Zivilgesellschaft soll dem neoliberal geschleiften Staat, der die Machtlosen der Gesellschaft ausgrenzt, auf die Sprünge helfen und ihn zu guter Regierungsführung nötigen. Das ist das Konzept. Menschenrechte zu verwirklichen fordert die Machtfrage heraus.


Blick in die Kugel

Eine Frage müssen wir uns in der Mitte unserer ersten fünfzig Jahre stellen: Warum sind wir nicht schon größer? Um eine globale Wende weg vom Verhungernlassen hinzukriegen, kommt FIAN nicht um hin als zu wachsen und stärker zu werden.

FIANs Stärke im vergangenen Vierteljahrhundert war das unerbittliche "Mit dem Finger auf die politischen Strukturentscheidungen zeigen", die das Hungern und Verhungernlassen von Millionen von Menschen nach sich zogen. Emotional rührt dieses Verhaften aus dem Gefühl des Zorns und der Entrüstung. FIAN bedient weniger das Gefühl des Mitleids, welches zu leicht den Willen zur Veränderung hemmt. FIAN ist kein Hilfswerk, sondern eine Menschenrechtsorganisation, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt. Hunger ist kein Schicksal, sondern wird gemacht. Der Zorn darüber wird Gefährte FIANs bleiben. Wir werden diesen Zorn weiterhin politisch zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus wird FIAN hoffentlich auch in seiner Öffentlichkeitsarbeit mehr die Zähne zeigen. In den Ruf nach Freiheit von Hunger müssten doch noch viel mehr Menschen einstimmen wollen, als diejenigen, die uns schon kennen und unterstützen. Um den Durst nach Freiheit und die Entrüstung über den Hunger zu vermitteln bedarf es Medienstrategien und nicht trockener Dokumentationen. Warum nicht einen blühenden Garten der Emotionen anlegen, der motiviert und Identität gibt.

Die Trockensavanne von Analyse und Dokumentation wird FIAN trotzdem nicht aufgeben. Im Gegenteil: Monitoring und Falldokumentation gehören zum Handwerk einer Menschenrechtsorganisation. Doch insbesondere bei der Falldokumentation müssen wir besser werden und unsere Instrumente schärfen. Das Recht sich zu ernähren ist ein Individualanspruch. Die einzelnen Kinder, Frauen und Männer müssen mehr in unseren Blick. Ohne genaues Hinschauen auf die oder den Einzelnen werden wir es auch nicht schaffen, einen vernünftigen Genderansatz hinzubekommen. Hunger wird gemacht, nicht nur mit dem Zutun oder Unterlassen von Weltbankgremien und PolitikerInnen, sondern auch mit dem von Gemeinderäten und Familienoberhäuptern. FIAN ist keine Entwicklungsorganisation, sondern ein Klub zur Verteidigung der Rechte von Menschen, die ihrer Freiheit ohne materielle Existenznot zu Leben, beraubt wurden.

Was zeigt der Blick in die Kugel in Hinsicht auf die Lokalgruppen? Soziale Menschenrechte sind auch in Deutschland mehr zum Thema geworden. Die Zahl der Lokalgruppen ist natürlich gewachsen und zu der Begleitung von Fallarbeit in Asien, Afrika und Lateinamerika ist der Blick auf Verletzungen von Rechten im eigenen Gemeinwesen gekommen.


Johannes Brandstäter ist Vorstandsvorsitzender von FIAN Deutschland e.V.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2011, April 2010, S. 9
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
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Abonnementpreis: Standardabo 15,- Euro,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2011