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BERICHT/237: Zunehmende Finanzspekulation trägt zu globalem Hunger bei (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Das Brot der Spekulanten


von Markus Henn


Der wachsende Einfluss von Finanzspekulanten auf Rohstoffbörsen treibt die Preise und verzerrt sie. Dies verschärft den Hunger in der Welt. Eine stärkere Regulierung des Handels mit Agrarrohstoffen ist deshalb dringend nötig. In der EU gibt es derzeit Reformbemühungen, jedoch ist noch unklar, ob Spekulation dadurch eingedämmt werden kann.


Kein Preis ist so wichtig wie der von Nahrungsmitteln. Ein plötzlicher Preisanstieg kann Hunger für Millionen Menschen bedeuten. So trieben Preissteigerungen 2007/2008 geschätzte 115 Millionen Menschen weltweit zusätzlich in den Hunger, die jüngsten Preissteigerungen 44 Millionen Menschen.

Der so lebenswichtige Preis für Nahrungsmittel wird von vielen Faktoren beeinflusst. Steigende Nachfrage und Produktionsschwächen können zu Preisschwankungen beitragen. Biosprit ist insofern kritisch zu betrachten. Jedoch steigt die Weltbevölkerung schon lange, ohne dass dies immer mit Preissteigerungen einhergegangen wäre, im Gegenteil. Auf der Angebotsseite gab es bis 2007 sogar einige schwache Ernten beim Weizen. Aber im letzten Jahr war die Weizenernte insgesamt gut, und dennoch stiegen die Preise extrem. Diese Tatsache und der Preiseinbruch um 2009 werfen die Frage auf, ob nicht mehr als Angebot und Nachfrage hinter den Preisschwankungen steckt.


Futures - Forwards - Over-the-counter

Hier kommt der internationale Handel ins Spiel. Dabei muss man zum einen unterscheiden zwischen den physischen Märkten, an denen es natürlich zu Manipulationen kommen kann, vor allem weil wenige profitorientierte Agrarkonzerne den Weltmarkt beherrschen. Zum anderen gibt es Terminmärkte, wo in die Zukunft hinein gehandelt wird. Bauern und Bäuerinnen einerseits und Abnehmer andererseits können Agrarprodukte mit Termingeschäften vorab verkaufen beziehungsweise kaufen. So können sie sich gegen Preisschwankungen absichern. Wird der Terminhandel über eine Börse abgewickelt, spricht man von "Futures", außerhalb der Börse von "Forwards" oder "over-the-counter" (OTC)

Termingeschäfte müssen heute allerdings nicht mehr physisch eingelöst werden. Sie können in Geld beglichen werden. Sie werden dadurch zu so genannten Derivaten, weil sich ihr Wert nur noch vom Rohstoffpreis ableitet. Das Volumen der Derivate kann sich so von der realen Produktionsmenge des Rohstoffes lösen und unbegrenzt steigen. Dadurch können auch HändlerInnen aktiv werden, die selbst keine Rohstoffe haben oder kaufen wollen und nur als eine Art Zwischenhändler fungieren. Sie können in gewissem Maß dafür sorgen, dass MüllerInnen und Bauern und Bäuerinnen besser zusammenkommen, weil der Markt flüssiger ist. Diese spekulativen Händler ziehen ihren Gewinn aus Preisschwankungen, ihr Anteil an den Märkten war lange Zeit relativ klein.

In Europa ist der Terminhandel ohnehin, zumindest bei Weizen und Mais, nicht groß, weil die Gemeinsame Agrarpolitik ihn lange Zeit durch Eingriffe in die physischen Märkte überflüssig machte. In den USA ist er dagegen schon viele Jahrzehnte etabliert. Dort gab es seit den 30er Jahren klare Grenzen für Spekulanten, die nichts mit dem physischen Geschäft zu tun haben. Diese Grenzen wurden jedoch vor allem seit Anfang des Jahrtausends aufgehoben. Dadurch strömten Finanzspekulanten wie Banken, Pensionsfonds, Investmentfonds und Hedge Fonds in großer Zahl in den Markt. Besonders stark wuchsen dabei sogenannte Indexfonds. Diese investierten noch im Jahr 2003 ungefähr 15 Milliarden US-Dollar in Rohstoffe, im Jahr 2008 waren es dann ungefähr 200 Milliarden. Das veränderte das Verhältnis von US-Weizenfutures zur realen US-Weizenproduktion völlig: 2002 gab es das 11-fache an Futures; 2004 das 16-fache; 2007 das 30-fache. Ende 2010 sollen Finanzinvestoren sogar 360 Milliarden US-Dollar in Rohstoffgeschäfte investiert gehabt haben.


Hedge Fonds kaufte Kakaobörse leer

Einige Finanzspekulanten versuchen gigantische Wetten zu machen - so kaufte ein einziger Hedge Fonds im letzten Jahr die gesamte Kakaobörse in London leer. Einige treiben mit Computerprogrammen, die im Nanosekundenbereich handeln, die Ausnutzung von Preistrends auf die Spitze. Viele handeln aber sogar aus Gründen, die mit dem physischen Markt gar nichts zu tun haben, zum Beispiel um sich gegen Risiken in Aktienmärkten abzusichern.

Oft wird gesagt, die Spekulation hätte keinen Einfluss auf die Preise, vor allem keinen negativen. Aber es gibt gute Argumente dafür, dass diese Spekulation die Preise verändert und Probleme mit sich bringt. Die pure Geldmasse muss zumindest zeitweise einen Einfluss auf die Preisbildung haben. Es ist auch anzunehmen, dass ein Preisanstieg auf die physischen Märkte durchschlägt. Denn der Terminmarkt soll gerade den Preis auf den physischen Märkten vorhersagen, und beide Märkte gleichen sich über Handelsaktivitäten an. Inzwischen finden auch immer mehr wissenschaftliche Studien einen starken Einfluss der Finanzspekulation auf die Preise. Sie zeigen unter anderem, dass die Rohstoffmärkte (beispielsweise Erdöl und Agrarrohstoffe) untereinander und mit den Finanzmärkten stärker korrelieren als früher, und somit Angebot und Nachfrage nicht mehr so entscheidend sind. Wohl können Finanzspekulanten den Einfluss von Angebot und Nachfrage nicht völlig außer Kraft setzen. Aber kurz- bis mittelfristige Preisblasen und - schwankungen sind wie bei jedem Finanzmarkt möglich - aus Sicht der Allgemeinheit schlimm genug.

Wenn man überhaupt mit Terminmärkten die Landwirtschaft gestalten will sind klare Grenzen für Nahrungsmittelspekulation zwingend notwendig. Der Handel muss über regulierte und transparente Handelsplätze erfolgen. Der Anteil von Spekulanten muss über Markt- und Positionslimits stark beschränkt und einige Anlageformen wie Indexfonds müssen verboten werden. Generell ist eine Abgrenzung der Rohstoff-Terminmärkte, besonders der für Agrarprodukte, gegenüber Finanzmärkten notwendig, auch mit einer Spezialbehörde wie in den USA. Die USA haben mit ihrem Reformgesetz vom Juli 2010 aus den Fehlern der letzten Jahre gelernt und wollen die Finanzspekulation wieder stark beschränken.


Spekulation und Marktmissbrauch muss begrenzt werden

In der EU werden zwar wie erwähnt weniger Agrarrohstoffe groß gehandelt, dennoch sind vor allem die Börsen in London und Paris von Bedeutung. Zudem könnte die schärfere US-Regulierung Spekulanten auf europäische Börsen ausweichen lassen. In der EU läuft gerade auch eine intensive Reformdebatte. Es wird ein neues Gesetz für außerbörsliche Derivate geben, das für transparenteren und zentraler abgewickelten Handel sorgt. Dies wird aber nicht ausreichen. Daneben müsste durch die Überarbeitung einiger Finanzmarktrichtlinien exzessive Spekulation und Marktmissbrauch begrenzt werden. Dies könnte durch klare Obergrenzen (Positionslimits) oder Verbote für bestimmte Handelsformen geschehen und wäre dringend nötig, damit Finanzspekulanten nicht von Hunger profitieren können.


Literaturhinweise:

- UNCTAD (2011): Priceformation infinancialized commodity markets: the role of Information, Genf
http://www.unctad.org/en/docs/gds20111_en.pdf

- Henn, Markus (2011): The speculator's bread. What is behind rising food prices?
http://www2. weed-online.org/uploads/henn_2011_speculators_bread_embo.pdf


Markus Henn ist Politikwissenschaftler und Referent für Finanzmärkte bei der Organisation Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED) in Berlin.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2011, August 2011, S. 6-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2011