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BERICHT/239: Bestandsaufnahme der Europäisch-Afrikanischen Wirtschaftsabkommen (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

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Eine Bestandsaufnahme der Europäisch-Afrikanischen Wirtschaftsabkommen

von Judith Klingen/Torsten Schneider


Die europäische Außenhandelspolitik mit Staaten Afrikas, der Karibik und dem Pazifik (AKP) verfolgt seit 1964 das nicht ganz uneigennützige Ziel, durch bevorzugte Handelsbeziehungen die Entwicklung ihrer ehemaligen Kolonien zu fördern. Eingebettet in das Abkommen von Cotonou aus dem Jahr 2000 sollten bis 2008 insgesamt sieben regionale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements - EPAs) abgeschlossen werden. Diese sollten den Handel in beide Richtungen liberalisieren und erstmals auch ein Konzept für die Bekämpfung der Armut integrieren.


Nachdem die Verhandlungen in sechs der sieben Regionen bis Ende 2007 zu keinem Ergebnis führten und eine Verlängerung der Verhandlungen (unter alten Handelspräferenzen) von der Europäischen Kommission abgelehnt wurde, ging man dazu über, bilaterale Interim-EPAs mit einzelnen Staaten zu schließen.

Westafrika ist die einzige Wirtschaftsregion Afrikas, die über 40 Prozent ihres gesamten Außenhandels mit der EU bestreitet. Hier haben nur Ghana und die Elfenbeinküste ein Interims-EPA unterzeichnet, wobei jenes mit Ghana noch nicht parlamentarisch legitimiert ist. Obwohl zwei Drittel der Bevölkerung Westafrikas im Agrarsektor beschäftigt sind, bleiben landwirtschaftliche Exporte der Region auf einige wenige Produkte und Konzerne konzentriert. Die meisten Bauern und Bäuerinnen produzieren bis heute ausschließlich für lokale Märkte, sodass eine konsequente Bekämpfung von Armut hier ansetzen müsste und der besondere Schutz, gar die Stärkung dieser lokalen Märkte im Zentrum einer auf Hungerbekämpfung ausgerichteten Partnerschaft stehen sollte. Schaut man sich die aktuellen Streitpunkte an, ist eine solche Ausrichtung seitens der EU nicht erkennbar. Trotz der sehr unterschiedlichen Regelungen der beiden Interim-EPAs mit Ghana und der Elfenbeinküste gibt es grundlegende Konflikte in drei Bereichen:

- Die Europäischen Subventionen: Durch die voranschreitende Umlagerung europäischer Subventionen von Direktzahlungen an Bauern und Bäuerinnen hin zu WTO-konformen Ausgaben, zum Beispiel in Forschung und Entwicklung, ist erkennbar, dass die EU die komplizierten Ausnahmen der WTO mit am besten zu nutzen weiß, und gleichzeitig den alten Kurs der Stützung europäischer Produzenten beibehält. Im Falle des "Freihandels" ein Vorteil, unter dem die lokalen ProduzentInnen in Afrika zu leiden haben.

- Der Grad der Liberalisierung: Westafrika sah ursprünglich eine Liberalisierung für 60 Prozent des Handels in 25 Jahren vor, während die EU auf 80 Prozent in 15 Jahren besteht. Abkommen mit anderen Staaten wie beispielsweise Mexiko zeigen, dass niedrigere Regelungen möglich sind.

- Die Stillstandsklausel: Wie bei allen Interim-EPAs hat die EU auch in den Abkommen mit Ghana und der Elfenbeinküste eine sogenannte Stillstandsklausel durchgesetzt. Sie schreibt vor, die Zölle auf dem Stand, der vor Beginn des Abkommens vorlag, einzufrieren. Problematisch wird dies insbesondere, wenn sensible heimische Produkte durch eine plötzliche Importflut von Konkurrenzprodukten aus der EU bedroht werden.

Auch wenn sie nur als Übergangsabkommen deklariert sind, so ist dennoch erkennbar, dass diese bilateralen Interim-EPAs weit über die rahmensetzenden Anforderungen der Welthandelsorganisation WTO hinausgehen und neben den problematischen direkten Folgen auch die regionale Integration eher behindern. Und obwohl mittlerweile vielfach belegt ist, dass Importfluten von subventionierten Produkten aus der EU lokale Produzenten verdrängen und so das Recht auf Nahrung verletzen (vgl. beispielsweise FIAN et al. 2008 Verheerende Fluten), scheint die EU nicht von ihrer Ideologie der umfassenden Liberalisierung abzuweichen. So ist der Ansatz, ein fertiges Abkommen zu Handelsliberalisierung und Deregulierung mit Aspekten der Armutsreduzierung zu kombinieren, grundsätzlich zu hinterfragen.

FIAN ist Mitträger der Kampagne stopEPA (www.stopepa.de).


Torsten Schneider ist Diplom-Soziologe und Judith Klingen studiert Politikwissenschaften und VWL. Beide sind aktiv im FIAN-Arbeitskreis Agrar.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2011, August 2011, S. 12
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2011