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LATEINAMERIKA/065: Interview - die Folgen des Sojabooms in Paraguay (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

INTERVIEW
"Vertrieben, vergiftet, verwüstet"

Interview mit Regine Kretschmer und Steffi Holz zu den Folgen des Sojabooms in Paraguay


Anlässlich der Vortragsreihe "Vertrieben, vergiftet, verwüstet - Sojaanbau in Paraguay" sprach Anton Pieper mit den beiden Ethnologinnen Regine Kretschmer, die seit 13 Jahren in Paraguay lebt, und Steffi Holz, die als freie Journalistin zu Paraguay arbeitet, über Landkonflikte, die Auswirkungen und die Ursachen des Sojabooms in Paraguay.


Die wachsende Nachfrage nach Soja als Tierfutter und Agrarkraftstoff treibt die Preise für die "Wunderbohne" Soja weltweit in die Hohe und macht den Anbau profitabel. Das kleine Land Paraguay im Herzen Südamerikas stieg in den letzten Jahren zum weltweit viertgrößten Sojaexporteur auf. Doch das genetisch veränderte Soja wird in riesigen Monokulturen angebaut, was nicht nur die Umwelt zerstört und die Landbevölkerung vergiftet. Die Ausweitung der Sojaanbauflächen bedroht auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft und verschärft den Landkonflikt. Der Kampf der Bauern gegen das internationale Agrarbusiness scheint ein Kampf Davids gegen Goliath.


ANTON PIEPER: Mit welcher Motivation und vor welchem Hintergrund habt Ihr die Tour "Vertrieben, vergiftet, verwüstet" geplant?

REGINE KRETSCHMER: Die Motivation war einerseits, die deutsche Bevölkerung darüber zu informieren, wie Soja angebaut wird, welche Massen von Pestiziden angewandt werden und wie es den Bauern und den Indianern die Lebensgrundlage entzieht. Andererseits, was es für Konsequenzen an Landvertreibung, Gewalt, an Menschenrechtsverletzungen mit sich bringt. Wir wollen ganz speziell für Paraguay zeigen, was die neoliberale Umstrukturierung des ländlichen Raumes bedeutet und welche Rolle das Agrarbusiness dabei spielt.

ANTON PIEPER: Was ist so besonders am Fall von Paraguay?

REGINE KRETSCHMER: In Paraguay lebt noch über die Hälfte der Bevölkerung auf dem Land. Im Mai wurde der Ausnahmezustand ausgerufen und ein Anti-Terrorgesetz vom Parlament verabschiedet. Die Kriminalisierung nimmt stark zu und das heißt auch, dass wir leider in nächster Zeit wahrscheinlich mehr Leute im Gefängnis vorfinden werden, politisch Verfolgte praktisch. Es gibt in Paraguay einen klaren Zusammenhang zwischen dem zunehmenden Anbau von Soja und einer steigenden Tendenz von Menschenrechtsverletzungen auf dem Land.

ANTON PIEPER: Was ist so schlimm daran, dass viel Soja angebaut wird?

REGINE KRETSCHMER: Die Landbevölkerung wird von ihrem Land vertrieben. Soja breitet sich aus, weit die Leute unter den Pestiziden leiden, ihre Ernten gehen kaputt und ihre Tiere sterben. Wenn die Leute nicht "freiwillig" gehen, weit sie es nicht mehr aushalten, werden sie eben mittels Gewalt vertrieben. Es kommt immer wieder zu Polizei-, Militär- oder Paramilitäreinsätzen, bei denen Kleinbauern erschossen werden.

ANTON PIEPER: Inwieweit wird durch den Sojaanbau das Recht auf Nahrung in Paraguay verletzt?

REGINE KRETSCHMER: Eine Bauernführerin sagte mir erst kürzlich: "Wir sind nicht nur Landlose, wir sind auch Samenlose." Entweder die Kleinbauern verlieren ihre Ernte aufgrund der Pestizideinsätze auf benachbarten Feldern, oder sie bauen selbst Soja an, können dann aber nicht mehr eigenes Saatgut produzieren und geraten in die Abhängigkeit von Konzernen wie Monsanto und Cargill.

ANTON PIEPER: Was haben diese tragischen Auswirkungen des Sojaanbaus mit uns in Europa zu tun?

STEFFI HOLZ: Wir konsumieren Soja indirekt in Form von Fleisch, Milchprodukten und Eiern. Die EU importiert jährlich 35.000 bis 40.000 Tonnen Soja, was in erster Linie als Sojafutter in die Massenbetriebe geht. Das heißt, dass es mittlerweile im Agrarhandel kaum noch Futter ohne gentechnisch verändertes Soja und veränderten Mais zu kaufen gibt. Die Futtermittelwirtschaft erzählt den Bauern und den Kleinbauern, die es noch gibt und die auch mit dem Überleben zu kämpfen haben, dass es gar nicht mehr ohne Gentechnik gehe. Dieses Monopol, das Agrarbusiness, stellt sich von der Herstellung und Erforschung von Saatgut und Pestiziden und deren Patentierung, deren Vertrieb über den Anbau bis hin zur Exportwirtschaft, zur Lebensmittelindustrie und zu Dienstleistungsunternehmen in einer riesigen Kette dar. Und jedes Glied dieser Kette profitiert davon, dass Paraguay als viertgrößter Exporteur weltweit von Soja platt gemacht wird. Und das nur um den Sojabedarf der Massentierhaltung unter anderem in der EU zu decken.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2010, November 2010, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2011