Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSBRIGADEN

ASIEN/035: Kritischer Blick auf Vergangenheit und Zukunft Nepals


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden - pbi Rundbrief 01/06

Nepal auf neuen Wegen

Das jüngste pbi-Projekt schaut kritisch auf Vergangenheit und Zukunft Nepals


Friedensvertrag, Abgabe der Waffen der Konfliktparteien, Regierungsbeteiligung der Maoisten, Verfassungsreform - die Nachrichten, die seit Mitte des Jahres aus Nepal eintreffen, klingen hoffnungsvoll, aber auch verwirrend. pbi ist - nach zwei Erkundungen in 2004/05 - nunmehr seit Januar 2006 dauerhaft im Land zwischen Indien und China, und begleitet MenschenrechtsaktivistInnen, die sich um die Opfer des zehnjährigen Bürgerkriegs kümmern. RAPHAEL HAMPF von der pbi-Nepal-AG sprach mit den GründerInnen des Projekts über die politische Situation und die Perspektiven der Menschenrechtsarbeit in Nepal.

Das Einzige, was bleibt, ist die Veränderung - so lässt sich das Gefühl beschreiben, das entsteht, wer im Abstand einiger Wochen mit Jenny Brav, Peter Leblanc oder Lucy Carver vom Nepal-Projekt spricht. Seit Beginn der Arbeit vor etwas mehr als zwei Jahren veränderten sich die politischen Verhältnisse mehrmals so tiefgreifend, dass die Arbeit immer wieder neu ausgerichtet werden muss. Auch wenn die Lage im Herbst 2006 relativ positiv erscheint, so sind die Folgen von zehn Jahren Bürgerkrieg unübersehbar: Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt.

Als maoistische Rebellen 1996 einen Volkskrieg ausriefen, war ihr erstes Ziel die Beseitigung der Armut und der ihr zugrunde liegenden Ursachen. Wegen der äußerst dünnen Infrastruktur Nepals fiel es Militär und Polizei aber schwer, die Ausbreitung des Einflusses der Maoisten zu verhindern. Nepal liegt wie eine durch steile Täler zerfurchte Rampe am Südhang des Himalaja. Im Süden fällt es zur Gangesebene ab, der tiefste Punkt des Landes liegt nur wenig über dem Meeresspiegel, im Norden dagegen steigt es bis auf über 8000 Meter zu den höchsten Gipfeln der Erde auf. In der südlichen Tiefebene, dem Terai, leben fast 50 % der Bevölkerung, und hier liegen auch die meisten der durch die Landflucht rasch wachsenden Städte.


Erste Sicherheits-Workshops

Nachdem aus Nepal erste Bitten an pbi um Unterstützung eintrafen, machte sich im August 2004 ein Erkundungsteam nach Kathmandu, der Hauptstadt des Landes, und in einige westliche Provinzen auf. Diente die erste Erkundung dazu, mit den Begleiteten Kontakt aufzunehmen, so erkundete eine zweite Mission im Frühjahr 2005 in Gesprächen mit der nepalesischen Regierung und Diplomatischem Korps die Voraussetzungen für eine dauerhafte Anwesenheit von pbi im Land. Bereits im Juli 2005 konnte pbi so in Zusammenarbeit mit der Internationalen Kommission für JuristInnen einige Sicherheits- Workshops für bedrohte MenschenrechtsverteidigerInnen in Nepal durchführen. Sie dienten dazu, der Bevölkerung Wege aufzuzeigen, wie sie sich gevvaltlos und ohne unnötige Gefahren bewaffneten Kräften widersetzen könnte. Die Kontakte, die sich bei dieser Arbeit ergaben, stärkten nicht nur das Selbstvertrauen der ländlichen Bevölkerung, sondern machten auch pbi und die Idee der gewaltlosen Konfliktbearbeitung bekannt.

Durch die Unterzeichnung eines Abkommens ('general agreement') mit dem 'Social Welfare Council' erreichte pbi die Erlaubnis zu dauerhafter Präsenz. Schon im Januar 2006, bei Ankunft des ersten pbi-Freiwilligen-Teams, standen unruhige Zeiten bevor, denn im Februar jährte sich der Putsch des Königs Gyanendra. Er hatte ein Jahr zuvor, im Februar 2005, die Regierung entlassen und sich zum Alleinherrscher für drei Jahre eingesetzt. Jenny Brav, die Gründerin des Projektteams, berichtete im Januar von einer gespannten Ruhe auf den Straßen der Hauptstadt. Zusammen mit Andrew Miller kümmerte sie sich zu diesem Zeitpunkt um die Ankunft der ersten Freiwilligen. Geeignete Unterkünfte mussten gesucht werden. Vor allem aber mussten Registrierung und Arbeitserlaubnis als Internationale Menschenrechtsorganisation erreicht und Kontakte geknüpft werden zu relevanten Organisationen und Einzelpersonen, die sich der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen widmeten. Schließlich mussten auch Fördergelder bei Botschaften und Regierungsstellen beschafft werden.

Anfang April beschloss die Siebenparteienallianz (SPA), die stärkste Fraktion des seit 2002 aufgelösten Parlaments, einen landesweiten Generalstreik. Die sofortige Wiedereinsetzung des Parlaments wurde gefordert. hier und da gab es auch erste offene Rufe nach der Abdankung des Königs. Nach mehr als zwei Wochen Generalstreik mit täglichen landesweiten Demonstrationen hunderttausender Menschen mehrten sich die Zeichen, dass die Tage des Königs gezählt sein dürften. Wegen der andauernden Proteste und auf internationalen Druck hin gab der König am 24. April die Wiedereinsetzung des Parlaments bekannt. Die Opposition erklärte daraufhin den Generalstreik für beendet.

Am 18. Mai beschloss das Parlament: Der König verliert den Oberbefehl über das Militär und nimmt in Zukunft nur noch repräsentative Aufgaben wahr; er kann keinen Einfluss mehr auf die Staatsgeschäfte ausüben. Mehrere hundert Rebellen wurden aus der Haft entlassen, und die meisten Beschränkungen für Medien, JuristInnen und Nichtregierungsorganisationen wurden abgeschafft.

Am 26. Mai nahm die neue Regierung unter Premierminister Koirala Friedensgespräche mit den maoistischen Rebellen auf. Eine Atmosphäre des Aufatmens breitete sich aus. Es schien, als habe das Land den Weg zurück zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gefunden. Dennoch blieb vieles unsicher, denn die zukünftigen Machtverhältnisse zwischen Parlament, Königshaus und Militär waren noch weitgehend ungeklärt. Im November 2006 schließlich wurde ein Kompromiss mit allen Seiten möglich. So sollen etwa die Waffen der Maoisten in von den Vereinten Nationen bewachten Depots abgelegt werden, doch dieser Prozeß steht noch aus.


Aufarbeitung einer blutigen Vergangenheit

Ebenfalls noch völlig offen ist, wie sich der geplante Prozess einer Verfassungsreform entwickeln wird. So sind der zukünftige Einfluss des Königshauses auf die Politik, die Befehlsgewalt über die Streitkräfte, sowie der Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in der jüngeren Vergangenheit ungelöste und konfliktträchtige Fragen. Eine neue Situation - ein neues Konzept! Alle Beteiligten schätzen die Lage vorsichtig als optimistisch ein. Doch bleibt zu vermerken, wie der Projektkoordinator Peter Leblanc betont, dass die Zahl der Ermordeten und Verschwundenen aus der jüngsten Vergangenheit in die Tausende geht. Mehrere Nichtregierungsorganisationen und zahlreiche Anwalts- und Juristenverbände widmen sich der Dokumentation und Aufarbeitung dieser Fälle. Viele von ihnen klagen über andauernde Einschüchterungen und Repression von Polizei und Militär, aber auch von maoistischer Seite. Dass die Bedenken nicht aus der Luft gegriffen sind, belegt die traurige Tatsache, dass trotz aller hoffnungsvollen Zeichen nach wie vor Verschleppung, Einschüchterung und Mord an der Tagesordnung sind.

Für das Projektteam in Kathmandu und für das Nepal-Projektbüro in Vancouver (Kanada) wird die nahe Zukunft viel Arbeit mit sich bringen: Im Januar soll das nächste Freiwilligentraining in Indien stattfinden, und die Frage muss geklärt werden, ob und wann ein zweites Projektteam im Westen des Landes eingesetzt werden kann. Hierzu wird nun auchlein sog. Projektabkommen ('project agreement') mit der Regierung vorbereitet, welches die Ausstellung mehrerer unbegrenzter Arbeitsvisa vorsieht, damit ein pbi-Team ganzjährig anwesend sein kann. In Kürze werden weitere 'Fact-Finding-Missions' in die westlichen und östlichen Provinzen folgen, um die Auswirkungen der jüngsten politischen Entwicklungen auch in den ländlichen Regionen einschätzen zu können. Seit Juli 2006 ist ein Koordinator für Sicherheitsfragen in Kathmandu, im September fanden weitere Trainings statt. Das Freiwilligen-Team ist mittlerweile auf fünf Personen angewachsen, und seit Oktober ist die erste deutsche Freiwillige dabei. - pbi


*


Quelle:
pbi Rundbrief 01/06, Seite 20-21
Herausgeber: pbi-Deutscher Zweig e.V.
Bahrenfelder Strasse 79, 22765 Hamburg
Tel.: 040/380 69 03, Fax: 040/386 94 17
E-Mail: info@pbi-deutschland.de,
Internet: www.pbi-deutschland.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2007