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BERICHT/034: Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden - pbi Rundbrief 01/06

Shirin Ebadi

Iranische Friedensnobelpreisträgerin klagt die Menschenrechte ein


Im Jahr 2003 erhielt die Iranerin Dr. Shirin Ebadi als erste muslimische Frau den Friedensnobelpreis. Mit dem Preis wurde ihr Einsatz für Menschenrechte, insbesondere für die Rechte von Frauen und Kindern, und ihre Arbeit für die Demokratisierung des Iran gewürdigt. SUHELA BEHBOUD aus der pbi-Geschäftsstelle hat SHIRIN EBADI mehrfach getroffen, zuletzt bei einer Veranstaltung im September 2006 im KörberForum in Hamburg. Sie schildert im folgenden Artikel das andauernde Engagement der Preisträgerin für die Menschenrechte.


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Schon vor der islamischen Revolution von 1979 begann Shirin Ebadis Einsatz für die Rechte der Frauen im Iran. Vor allem wurde sie seitdem als Anwältin bekannt, die Regimekritiker und -kritikerinnen sowie Verfolgte verteidigte. Im Sommer 2004 vertrat sie beispielsweise den Fall der Journalistin Zahra Kazemi, die laut ai 2003 durch Folter der iranischen Behörden gestorben war.

In ihren öffentlichen Stellungnahmen, so auch bei ihrem Vortrag im September in der Körber-Stiftung in Hamburg, hebt sie hervor, dass sie keinen Gegensatz zwischen der Religion des Islam und den grundlegenden Menschenrechten sehe. Die schiitische Muslimin setzt sich für eine Interpretation der islamischen Texte ein, die den Notwendigkeiten der Gesellschaft und der Zeitumstände entspricht. Damit repräsentiert sie einen reformierten Islam - sie kämpft für eine neue Auslegung des islamischen Rechts, die mit Menschenrechten und demokratischen Prinzipien, Gleichheit vor dem Gesetz und Glaubens- und Redefreiheit in Einklang stehen soll. Insbesondere möchte sie muslimische Frauen überall auf der Welt ermutigen, mehr Eigenständigkeit zu gewinnen und für ihre Rechte zu kämpfen.

In vielen Reden und Vorträgen legt Shirin Ebadi Wert auf die Feststellung, dass die Diskriminierung von Frauen in islamischen Staaten keineswegs im Islam begründet sei, sondern in einer patriarchal dominierten Kultur, wie sie auch in nicht-islamischen Ländern gefunden werden kann. Besorgt sei sie, so betont sie, dass der Fundamentalismus nicht nur in islamischen Ländern, sondern auf der ganzen Welt im Vormarsch sei. Einen wesentlichen Grund dafür sieht sie im wirtschaftlichen Nutzen, den sich die Menschen vom Fundamentalismus versprechen. "In den islamischen Staaten setzen die Regierungen jede Kritik an der Regierung mit Kritik am Islam gleich. Und auf diese Art und Weise lassen sie keine Diskussionen unter den Muslimen zu. Die Redefreiheit wird massiv eingeschränkt. Die Regierungen in den islamischen Staaten wissen offensichtlich, dass sie ihre eigenen Grundfesten ins Wanken bringen, wenn sie eine freie Diskussion gestatten würden."


'Menschenrechte sind universell'

Zur Frage, ob die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen ein geschichtliches Ergebnis der westlich-christlichen Kultur sei, meint sie: "Das wäre eine falsche Behauptung. Die Menschenrechtserklärung geht auf verschiedene Kulturen und Zivilisationen zurück. Bei dem Entwurf dieser Erklärung hat sogar ein muslimischer Jurist aus dem Libanon mitgewirkt. Die Menschenrechte sind ein universeller Standard für das Wohl der gesamten Weltbevölkerung, sie haben mit einer bestimmten Zivilisation nichts zu tun. Keine Religion befürwortet Folter, Erniedrigung und die Tötung von unschuldigen Menschen. Ungerechtigkeit, Plünderung des Volksvermögens und Diskriminierungen sind in allen Glaubensrichtungen und Ideologien verpönt. Diejenigen, die unter dem Vorwand des Kulturrelativismus Menschenrechte verletzen, verstecken sich hinter einer Maske, um im Namen der kulturellen Andersartigkeit, der Religion oder nationaler Interessen die Verletzung der Rechte des eigenen Volkes zu rechtfertigen."

Mit dem Ziel, die Gesetzgebung für Kinder zu verbessern, gründete Shirin Ebadi mit anderen Iranerinnen im Jahre 1994 die 'Vereinigung zum Schutze der Rechte der Kinder im Iran', eine der wenigen Nichtregierungsorganisationen im Land. Die Organisation setzt sich unter anderem gegen die Hinrichtung von Minderjährigen ein. Aufgrund ihres jahrelangen Einsatzes im iranischen Kindschaftsrecht konnte eine wichtige Reform auf den Weg gebracht werden: Seit Ende 2003 können geschiedene Frauen das Sorgerecht auch für ihre kleinen Söhne bis zum siebten Lebensjahr erhalten, die sie davor im Alter von zwei Jahren dem Vater überlassen mussten.


'Ich bin gegen eine Atombombe'

Auch die Frage des Atomprogramms der iranischen Regierung sieht Shirin Ebadi im Kontext der Menschenrechte. Vehement weist sie darauf hin, dass die jahrelange Diskussion in der Weltöffentlichkeit um das iranische Atomprogramm von dem zentraleren Thema ablenke. Schließlich sei "die Einhaltung der Menschenrechte wichtiger als alles andere". "Ich bin gegen eine Atombombe", so sagt sie, "sowohl im Iran wie auch in jedem anderen Land! Ich bin der Überzeugung, dass man eine internationale Bewegung für den Kampf gegen die atomare Bewaffnung ins Leben rufen müsste. Diese Bewegung sollte jetzt beginnen! In einer Welt, in der Millionen Menschen nicht einmal Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, muss man sich fragen, warum überhaupt Ausgaben für Atomenergie und Militär getätigt werden." Entschieden lehnt sie aber eine ausländische Einmischung im Iran ab und warnt eindringlich vor einer militärischen Intervention. "Die iranische Bevölkerung kritisiert die iranische Regierung wegen der Menschenrechtsverletzungen. Wenn jedoch mein Land wegen der Atomfrage angegriffen wird, dann werden die Menschen ihre Kritik an der Regierung hintenan stellen. Sie werden ihre Heimat verteidigen."

Doch fordert Ebadi auch, dass unabhängig von wirtschaftlichen Interessen klarere Worte gegen Menschenrechtsverletzungen gefunden werden: "Was wir von den Menschen auf der ganzen Welt erwarten, ist, dass sie mehr auf Menschenrechtsverletzungen achten und sensibel sind gegenüber diesen Verletzungen im Iran." Eine Isolierung des Iran, so Ebadi, würde nur dem iranischen Volk schaden. Sie schlägt der internationalen Staatengemeinschaft andere Druckmittel vor, zum Beispiel die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die diplomatischen Beziehungen zu begrenzen. Der Dialog mit dem Iran müsse auf der Grundlage der Verletzung der Menschenrechte im Iran stattfinden. Sie wies darauf hin, dass der Iran die Menschenrechtskonvention unterzeichnet habe und daher auch verpflichtet sei, diese einzuhalten.

Aber es geht Shirin Ebadi nicht nur um die Menschenrechte im Iran. Andere Länder kommen ebenfalls ins Visier ihrer Kritik. Und sie warnt davor, unter dem Vorwand des 11. September und des Terrorismus Menschenrechte zu beschneiden: "In den vergangenen zwei Jahren haben etliche Staaten die universellen Prinzipien und Gesetze der Menschenrechte verletzt - unter dem Vorwand der Ereignisse des 11. September und der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Alle Staaten müssen bei jeder Maßnahme zur Bekämpfung des Terrorismus sicherstellen, dass sie ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und internationale Menschenrechte und humanitäre Gesetze einhalten."


Menschenrechte nicht durch Bomben!

Unablässig setzt sich die Friedensnobelpreisträgerin für Gewaltfreiheit und Dialog zwischen Kulturen und Religionen ein: "Man darf die Demokratie nicht zum Vorwand nehmen und ein Land angreifen. Menschenrechte kann man den Menschen gewiss nicht durch Bomben bringen. Es darf auch nicht sein, dass man den Kampf gegen eine Diktatur zum Vorwand nimmt, um die Bodenschätze einer Nation zu rauben. Demokratie und Menschenrechte können nur mit dem Willen der Menschen verwirklicht werden, nicht gegen sie. Freiheitsliebende Menschen müssen den Kampf gegen die Diktatur selbst aufnehmen. Nur auf diese Art und Weise kommt eine Gesellschaft zur Ruhe und kann einen dauerhaften Frieden erreichen. Die Vereinten Nationen sollten neue Methoden und Ideen fördern, die es auch den Ländern im Süden ermöglichen, Menschenrechte und Demokratie zu genießen - unter Beibehaltung ihrer politischen Unabhängigkeit und ihrer territorialen Integrität. Wenn sich das 21. Jahrhundert wünscht, den Kreislauf von Gewalt, Terrorhandlungen und Kriegen zu durchbrechen, wird die Welt nur dann zu Ruhe kommen und der Frieden wird nur dann dauerhaft sein, wenn die Menschenrechte umfassend und universell sind."

Im Jahre 2002 hatte Shirin Ebadi mit anderen das 'Zentrum für Menschenrechtsverteidigung' gegründet - ein Zentrum, das sich für Minderheitenrechte einsetzt und juristischen Beistand anbietet. Das iranische Innenministerium verbot diese Organisation am 5. August 2006. Ebadi hat öffentlich dagegen protestiert und Rechtsmittel eingelegt, denn das Zentrum habe im Rahmen der iranischen Gesetze gearbeitet, und für zivilgesellschaftliche Arbeit bedürfe es keiner Genehmigung -"solange sie die gesellschaftliche Ordnung nicht störe." Bis Ende November 2006 (Redaktionsschluss) konnte das Zentrum seine Arbeit nicht wieder aufnehmen.

Shirin Ebadis beständiger Einsatz für Demokratie und Menschenrechte erfordert großen Mut. Der Friedensnobelpreisträgerin gebührt unser Dank und Respekt! - pbi


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Geboren 1947 in Hamadan, Iran, studierte SHIRIN EBADI in Teheran Jura und wurde 1975 als erste Frau zur Präsidentin und Richterin des Stadtgerichts von Teheran ernannt. Nach der islamischen Revolution von 1979 wurde sie gezwungen, ihr Amt aufzugeben. In den folgenden Jahren arbeitete sie als Anwältin, sowie als Dozentin an der Juristischen Fakultät der Teheraner Universität. Sie gilt als Sprachrohr der iranischen Frauen, zugleich setzt sie sich für die Öffnung des Systems, für Demokratisierung, für Einhaltung der Menschenrechte und für einen reformierten Islam ein. Damit zählt sie zu den prominentesten Kritikerinnen des orthodoxen iranischen Regimes - trotz Morddrohungen und Repressalien. Sie wurde verhaftet, bekam Berufsverbot, aber ihre Zielstrebigkeit ist unerschüttert im Konflikt mit dem konservativen Klerus um die Gültigkeit der Menschenrechte.


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/06, Seite 16
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den 10. Januar 2007