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BERICHT/045: Afghanistan - Mit Theater gegen den Krieg?


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 02/07

Mit Theater gegen den Krieg?

Erste Erfahrungen zum Versuch einer Friedensarbeit in Afghanistan


Seit geraumer Zeit schon steht Afghanistan im Zentrum der deutschen Medien. Meistens geht es dabei um Entführungen, um Waffen, Drogen und die Grenzen des deutschen Engagements im Ausland. Dass es auch anders geht, dass auch in einem so zerrütteten Land wie Afghanistan etwas so Zerbrechliches wie Friedenserziehung, Theaterarbeit und nicht zuletzt Völkerverständigung möglich sind, zeigt der Artikel eines ehemaligen pbi-Praktikanten. JORGE ARTEAGA ist seit einigen Monaten mit einer deutschen Entwicklungshilfe-Organisation in der afghanischen Hauptstadt Kabul, um Friedenserziehung zu betreiben. Er arbeitet nach einem Konzept, das auch während seiner Tätigkeit mit den 'Friedensfunken' in Deutschland erfolgreich war. Der Autor setzt dabei auf 'partizipatives' Theater, d.h. er ermuntert die Teilnehmenden zum aktiven Mitspielen. Dabei sollen sie sich hineindenken in die Situation anderer und die Grenzen der eigenen Perspektive erkennen. Mit welchen Erfolgen und Schwierigkeiten dieses Projekt verbunden ist, schildert der folgende Beitrag.


In Afghanistan herrscht seit fast 30 Jahren ununterbrochen Krieg, mehr als eine Generation. Kinder, Eltern und Großeltern haben niemals etwas anderes gesehen als Gewalt, Armut und Zerstörung. Das Land ist bekannt für seine Opium-Produktion, seine äußerst fragwürdige Behandlung von Frauen, seine hierarchische Gesellschaftsordnung und schließlich auch für die Taliban, Mullah Omar und Osama bin Laden. Auf der anderen Seite ist Afghanistan ein traumhaft schönes Land mit dem sagenumwobenen Hindukusch. Afghanistan ist ein Land, dem in der Vergangenheit weder die Engländer noch die Rote Armee haben Paroli bieten können. Heute beißen sich die USA und die NATO daran die Zähne aus. Es ist ein Land, das für seine großzügige Gastfreundschaft bekannt ist und während etlicher Jahre Tausenden von Hippies auf ihrer Suche nach einer neuen Welt viel grünen Tee und auch eine Herberge bot. Es ist ein Land voller Widersprüche, das eine objektive Annäherung fast unmöglich macht. Ist das die richtige Umgebung für 'partizipative' Theaterarbeit - nämlich für eine friedensfördernde, sehr spezielle Form des Theaters, die sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen dazu zu bewegen, sich jeglicher Form von Unterdrückung zu widersetzen?

Die Vorzeichen für unser Projekt waren keineswegs günstig. Afghanistan schien mit Hindernissen und kulturellen Eigenheiten nur schwer zugänglich. War es eine Mission für unverbesserliche Idealisten? Glücklicherweise nicht ganz.

Die anfänglichen Befürchtungen, dass partizipative Theatermethoden in Afghanistan möglicherweise auf taube Ohren stoßen würden, waren unbegründet. Bereits nach kurzer Zeit hatte sich herausgestellt, dass viele Afghanen und Afghaninnen es regelrecht genießen, sich auf die Ausdrucksform des Theaters einzulassen. Mehr noch, die große Mehrheit der Teilnehmenden war geradezu mit Begeisterung bei den Workshops dabei. Gerade die spielerische Natur einiger Übungen sorgte immer wieder für lautes Gelächter und entspannte Gesichter. Das ist wichtig in einem Umfeld, in dem viele Generationen niemals die Möglichkeit hatten, spielerisch tätig zu sein, da sie zum größten Teil niemals erfahren konnten, was Kindheit bedeutet.

Das Spielerische nahm also in unserer Arbeit alters- und geschlechterübergreifend eine große und wichtige Rolle ein. Es wird auch von den Teilnehmern und den Teilnehmerinnen immer wieder als das Wichtigste genannt.


Jahrzehnte gewaltsamer Konflikte lassen verstummen - Gelächter befreit

Gerade diese Konzentration auf das Spielerische macht es allerdings schwer, den Übergang zu ernsteren Themen zu gestalten. Sobald es nämlich darum geht, Problemsituationen in der Form des Spiels zu thematisieren, fällt es vielen immer wieder schwer, mit Konzentration bei der Sache zu bleiben. Und es fällt ihnen schwer, gemeinsam mit der Gruppe ihre individuellen und kollektiven Situationen anzusprechen und zu bearbeiten. Das hängt wohl zum großen Teil damit zusammen, dass es in Afghanistan nicht üblich ist, offen über persönliche Probleme zu sprechen. Es ist aber auch möglich, dass die vielen Jahrzehnte gewaltsamer Konfliktaustragung die Menschen einfach haben verstummen lassen. Das wiederum könnte dazu beigetragen haben, dass für viele die Anwendung von Gewalt das einzige Mittel der Konfliktbearbeitung zu sein scheint.

Darüber hinaus kommt es immer wieder zu Verständigungsschwierigkeiten wegen der großen Anzahl an Sprachen, die im Lande gesprochen werden. Neben den offiziellen Sprachen Dari und Paschtu gibt es noch eine Reihe anderer Sprachen und Dialekte, die je nach Region und Volksgruppe verwendet werden. Dabei wird Dari, verwandt mit dem Persischen, im allgemeinen als die Sprache anerkannt, die von den meisten gesprochen wird. Und sie überwiegt in Radio und Fernsehen. Englisch wird nur selten gesprochen, und für ausländische ExpertInnen ist besonders für den Arbeitsalltag eine Übersetzung notwendig. Aber da es kaum gut ausgebildete und erfahrene Übersetzer und Übersetzerinnen gibt, sind Verständigungsschwierigkeiten an der Tagesordnung. Erschwerend kommt sicher auch hinzu, dass die meisten aus dem Ausland kaum davon überzeugt werden können, sich in einer der beiden Amtssprachen wenigsten einen Grundwortschatz anzueignen. Frustrationen sind so an der Tagesordnung, bei den Einheimischen und bei den AusländerInnen.

Eine der Folgen ist dabei, dass sich viele Einheimische zunehmend fragen, ob sie den ausländischen internationalen Organisationen vertrauen können und welches deren wahre Interessen seien.

Diese Vertrauenslücke - zusammen mit der stärker werdenden Hoffnungslosigkeit über die wirtschaftliche Zukunft des Landes und die nicht enden wollende Spirale der Gewalt - sorgt dafür, dass sich die ehemals vorhandene Freude über die Anwesenheit ausländischer Helfer und Helferinnen in offene Ablehnung verwandeln könnte. Die Folgen können dann nicht nur die Sicherheit des Landes bedrohen sondern würden auch die Risiken für einen Bürgerkrieg beträchtlich erhöhen.

Sollte es so weit kommen, stellt sich naturgemäß die Frage, ob eine politisch orientierte Theaterarbeit überhaupt eine Chance hat, gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Macht es wirklich Sinn, Prozesse in Gang zu setzen, über denen das Damoklesschwert der Unsicherheit schwebt? Die Antwort steht noch aus. - pbi


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Quelle:
pbi Rundbrief 02/07, S. 3-4
Herausgeber: pbi-Deutscher Zweig e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2007