Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSBRIGADEN

BERICHT/053: 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 03/08

60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Menschenrechte zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Von Felix Jaitner und Adam Muminovic


Der 10. Dezember 1948 ist der Beginn einer neuen Ära. Noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges kam es mit der Annahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen zu einem Schulterschluss aller Nationen. Zum ersten Mal in der Geschichte verabschiedete die internationale Gemeinschaft ein Dokument, das als "gemeinsamer Standard für alle Völker und Nationen", so die Präambel der Erklärung, weltweite Gültigkeit haben sollte.


Der Text wurde von einer achtzehnköpfigen Kommission unter dem Vorsitz von Eleanor Roosevelt, der Witwe des früheren US-Präsidenten, unter Einbeziehung der Reaktionen der Mitgliedsstaaten entworfen und der Generalversammlung vorgelegt. Praktisch über jedes Wort und jeden Satz wurde diskutiert und abgestimmt, insgesamt 1400 Mal. Nach unzähligen Debatten wurde die Erklärung einstimmig bei acht Enthaltungen angenommen.

Bis heute bildet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte die wichtigste Grundlage des internationalen Menschenrechtsschutzes. Sie dient als Vorbild für viele internationale Verträge und Erklärungen und ist Bestandteil vieler Verfassungen und nationaler Gesetze. Auch wenn das Dokument rechtlich nicht bindend für die Unterzeichnerstaaten ist, hat es vielen Staaten erheblich bei ihrem Kampf für die Menschenrechte geholfen.


Universelle Gültigkeit

Die Allgemeine Erklärung schreibt die Menschenrechte in 30 klaren und knappen Artikeln fest. Grundlage der Erklärung ist ihre universelle Gültigkeit. Jeder Mensch ist Träger der Menschenrechte. Sie können ihm weder verliehen noch aberkannt werden, sondern stehen ihm allein auf Grund seines Menschseins zu.

Kritische Stimmen, vor allem aus einigen muslimischen Ländern und aus der Volksrepublik China, protestieren heute gegen den universellen Anspruch der Menschenrechte mit dem Hinweis darauf, die Erklärung verkörpere weitestgehend nur Wertvorstellungen der westlichen Welt. Die Menschenrechte würden dabei als Ausdruck eines individualistischen Menschenbildes angesehen, die die Rechte Einzelner auf Kosten der Gemeinschaft schützten. In anderen Kulturen sei aber das Funktionieren des Gemeinwesens von vorrangiger Bedeutung.

Diese Argumente entsprechen aber kaum den historischen Tatsachen. Aus einigen westlichen Ländern kam 1948 massiver Widerspruch. Die ehemaligen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich wehrten sich gegen die Formulierung eines Menschenrechts auf freie Selbstbestimmung, und die USA standen der Erklärung aus Angst vor Rassenunruhen von Anfang an kritisch gegenüber.

Eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Kommission war der chinesische Philosoph und Politiker Peng-Chun Chang. Er hat entscheidend zu einer kulturübergreifenden Formulierung der Menschenrechte beigetragen. Denn er stellte immer wieder heraus, dass grundlegende Fragen der menschlichen Natur und der sozialen Organisation in verschiedenen Kulturen ähnlich beantwortet würden. Vor diesem Hintergrund wird die chinesische Kritik zur Polemik. Aber nicht nur die Chinesen haben an der Abfassung der Erklärung entscheidend mitgewirkt, ebenso wesentliche Anteile hatten beispielsweise der chilenische Jurist Alvaro Alvarez sowie der aus dem Libanon stammende Politiker und Philosoph Charles Malik.

Darüber hinaus schließt die Allgemeine Erklärung inhaltlich kategorisch aus, dass Menschenrechtsschutz Einzelner auf Kosten Anderer geschieht. Denn durch die Menschenrechte werden nicht nur die eigenen Rechte geachtet und geschützt, sondern immer auch gleichzeitig die Rechte Anderer. Die Menschenrechte stehen somit im Dienst eines freien und gleichberechtigten Miteinander der Menschen und sind als solche tragende Bausteine einer solidarischen Gesellschaftsordnung.


Menschenrechte zwischen Anspruch und Realität

Wie aber sieht es mit der Umsetzung der Menschenrechte in die Lebenswirklichkeit aus? Bis heute fällt die Bilanz eher ernüchternd aus. Obwohl es seit der Unterzeichnung der AEMR vor 60 Jahren deutliche Fortschritte gegeben hat, leiden noch heute Millionen von Menschen unter Menschenrechtsverletzungen. Ungerechtigkeit, Ungleichheit vor dem Gesetz und Straflosigkeit bei begangener Straftat bestimmen in vielen Ländern den Alltag. Bestehen also die AEMR und weitere in der Folge formulierte Menschenrechte und -konventionen nur aus schönen Worten, die keinen Einfluss auf die politischen Gegebenheiten haben?

Das ist mitnichten so. Welche Bedeutung die AEMR beispielsweise für die Arbeit von pbi hat, macht Astrid Hake, Koordinatorin von pbi Deutschland, deutlich: "Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist zwar weder juristisch bindend für die Staaten, noch gibt es eine über den Staaten stehende Gewalt, die die Einhaltung der Menschenrechte durchsetzen könnte, trotzdem hat sie politisch und moralisch ein sehr großes Gewicht." Auf dieser moralischen Basis finden die Gespräche der pbi-Freiwilligen mit Regierungsstellen, Polizei und Militär statt, wenn es darum geht, auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und die Umsetzung der Menschenrechtserklärung einzufordern.

Anja Justen, ehemalige Freiwillige in Indonesien, betont, dass die Idee der Erklärung ihr als "Motivation und Orientierung" für die Arbeit diene. Ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit im Hochland von Papua bestand darin, die Menschenrechte bei den von pbi begleiteten oder pbi nahestehenden Organisationen bekannt zu machen. In Gesprächen mit den verschiedenen Organisationen dienen die Menschenrechte als gemeinsame Wertegrundlage, aber auch als Hoffnungsspender. Zudem sind sie bei der Bearbeitung konkreter Fälle von Menschenrechtsverletzungen für die NGOs von zentraler Bedeutung.

Menschenrechtsverletzungen geschehen aber nicht nur in fernen Ländern, sondern auch direkt vor unserer Haustür. Sowohl das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR), als auch der Europakommissar für Menschenrechte, Thomas Hammarberg, übten im vergangenen Jahr massive Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik, die in vielfacher Hinsicht nicht im Einklang mit den Menschenrechten sei. So wurde u.a. angeprangert, dass selbst in Deutschland anerkannte Flüchtlinge mit einem Aufenthaltsstatus kein Recht auf eine freie Wahl ihres Wohnsitzes haben, solange sie Sozialleistungen beziehen. Diese Auflage verstößt nicht nur gegen Artikel 13 der AEMR ("Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen."), sondern auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen EU-Recht.


Menschenrechtserziehung

Ein entscheidende Rolle, um eine "Kultur der Menschenrechte" zu erreichen, wird zunehmend der Menschenrechtserziehung zugesprochen. Würde sie in allen Ländern zentraler Bestandteil der Erziehung, so wäre viel erreicht. Aber auch hier gilt es nicht, auf Andere zu zeigen, sondern vor der eigenen Haustür zu kehren. Laut einer aktuellen Umfrage von amnesty international können 42 % der Deutschen kein einziges Menschen- oder Grundrecht nennen.

Für pbi ist Menschenrechtserziehung ein wichtiger Bestandteil der Arbeit im In- und Ausland. Regelmäßige Workshops mit Partnerorganisationen in Krisen- und Konfliktgebieten gehören ebenso dazu wie das Programm "Menschenrechte lernen und leben", mit dem pbi in Deutschland seit 2004 tätig ist. Der Kerngedanke des Programms besteht darin, dass ehemalige pbi-Freiwillige nach ihrer Rückkehr ihre Expertise in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit einbringen. Sie versorgen einerseits Jugendliche mit praxisnahen Informationen zu Themen wie Menschenrechte und gewaltfreie Konfliktbearbeitung und machen deutlich, wie das Konsumverhalten mit Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern zusammenhängt. Zudem werden den Jugendlichen Möglichkeiten für persönliches Engagement aufgezeigt und Unterstützung bei der Durchführung ihrer Projekte angeboten.

Wir sind noch weit von einer Kultur der Menschenrechte entfernt. Doch gerade die globalen Zusammenhänge, die vielfach Ungerechtigkeiten verursachen, tragen andererseits auch dazu bei, dass Menschenrechtsverletzungen immer sichtbarer werden. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist bis heute das Ideal, für das wir uns einsetzen.


*


Quelle:
pbi Rundbrief 03/08, S. 3
Herausgeber: pbi-Deutscher Zweig e.V.
Bahrenfelder Strasse 79, 22765 Hamburg
Tel.: 040/380 69 03, Fax: 040/386 94 17
E-Mail: info@pbi-deutschland.de,
Internet: www.pbi-deutschland.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2009