Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSBRIGADEN

MITTELAMERIKA/112: Das Comité Cerezo - Einsatz für politische Gefangene in Mexiko


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 03/08

Das Comité Cerezo - Einsatz für politische Gefangene in Mexiko

Von Johanna Stöppler


Am 8. August 2001 explodierten in Mexiko-Stadt Bomben in drei Filialen der Bank "Banamex". Daraufhin wurden am 13. August die Studenten und Geschwister Héctor, Alejandro und Antonio Cerezo Contreras unter Misshandlungen festgenommen. Man beschuldigte sie, die Anschläge verübt zu haben. Die übrigen Geschwister sowie Freunde der Cerezo-Brüder beschlossen daraufhin, das Comité Cerezo zu gründen, um sich für die Freiheit der Verurteilten einzusetzen. Von März bis Juli 2008 waren zwei Mitglieder des Komitees, Elisabeth Martínez und David Hernández, in Europa unterwegs, um über ihre Organisation und die andauernden Ungerechtigkeiten gegenüber den Verhafteten zu berichten.


Ein Prozess als eine Farce

Mit den drei Brüdern wurden noch zwei weitere Männer verhaftet, Pablo Alvarado Flores und Sergio Galicia Max. Die Anklage lautete bei allen fünf gleich: Verübung von terroristischen Anschlägen in den Filialen von Banamex sowie Mitgliedschaft in einer gemeinsamen kriminellen und terroristischen Vereinigung. Dabei hatten sich die Angeklagten noch nie zuvor gesehen. Dies und die Tatsache, dass sich die Organisation Fuerzas Armadas Revolucionarias del Pueblo (FARP, übersetzt: "Revolutionäre bewaffnete Kräfte des Volkes") zu den Anschlägen bekannte, wurde ebenso wenig beachtet wie das Fehlen von Beweismitteln. Gleich nach den Verhaftungen wurden die fünf mutmaßlichen Täter in den Medien als gefasste Terroristen betitelt, ohne jeglichen Zweifel an ihrer Schuldigkeit.

Im Dezember 2001 wurden die fünf trotz fehlender Beweise und somit ohne nachweisliche Schuld zu 13 Jahren und drei Monaten Haft im Hochsicherheitsgefängnis La Palma in Mexiko-Stadt verurteilt. 2005 wurde Alejandro nach einem dreijährigen und sechsmonatigen Prozess frühzeitig freigelassen und nachträglich freigesprochen, allerdings ohne jegliche Entschädigung.

Bei seinen beiden Brüdern bleibt die Anklage nach wie vor bestehen. Zwar geht es nicht mehr um die Anschläge in den Banken, aber die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wird ihnen weiterhin vorgeworfen. "Es handelt sich um erfundene Anklagepunkte und angebliche Beweise", sagt dazu Elisabeth. Die Freilassung Alejandros ist ihrer Meinung nach völlig willkürlich und nur für die Öffentlichkeit bestimmt. Damit soll der Eindruck erweckt werden, man nähme sich des Ganzen ernsthaft an. Pablo Alvarado Flores kam 2006 frei, Sergio Galicia Max verließ im gleichen Jahr wie Alejandro das Gefängnis, allerdings durch eine für ihn bezahlte Kaution.


Die Kriminalisierung sozialer Bewegungen

Die Anklage auf kriminelle Vereinigung ist in Mexiko keine Seltenheit, wenn es darum geht, soziale Organisationen zu stoppen. Diese sozialen Organisationen sind Teil des "Movimiento Social", der "sozialen Bewegung", es gibt hierbei verschiedene Ausrichtungen wie Landrechte, Arbeitsrechte, Kinder- und Frauenrechte sowie allgemeine Menschenrechte. Oftmals werden die Mitglieder solcher Bewegungen beschuldigt, im Drogenhandel oder bei Entführungen mitzuwirken. Héctor, Antonio und Alejandro waren nicht einmal Mitglieder in einer Organisation. Sie waren Studenten, die sich für die Probleme der ländlichen und indigenen Bevölkerung interessierten, in deren Gemeinden gearbeitet und dazu Artikel und kleine Broschüren veröffentlicht haben. Dieses Verhalten passte zu dem Bild, das die Staatsgewalt hatte, als es darum ging, Verantwortliche für die Anschläge zu finden und sie den Medien zu präsentieren. "Das ist ein gutes Beispiel, wie die Medien benutzt werden, um soziale Bewegungen zu kriminalisieren und wie die Justiz missbraucht wird, um Angehörige dieser Bewegungen anzuklagen und einzusperren", sagt Elisabeth.


Das Komitee und sein Einsatz

Mittlerweile gilt die Haftstrafe für Antonio und Héctor nur noch sieben Jahre und sechs Monate, am 13. August 2009 sollen sie freigelassen werden. Das Komitee will sich auch nach der Freilassung weiter für politisch Gefangene einsetzen.

2002 entstand eine Initiative, die einen Gesetzesentwurf entwickelte. Er enthält ein landesweites Amnestiegesetz, mit welchem 696 politische Gefangene in Mexiko frei kommen könnten. Dieser Gesetzesentwurf liegt mittlerweile schon der juristischen Kammer der Regierung vor. Das Komitee hat seit zwei Jahren eine Internetseite, auf der diese Gefangenen aufgeführt sind. Sie alle gehörten sozialen Bewegungen oder Organisationen an und wurden aufgrund von angeblichen Terrorismus und Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung inhaftiert ."Wir vermuten allerdings, dass es mehr sind", gibt David zu bedenken.

Das Komitee selber besteht aus 14 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Sie klären über die Situation der politischen Gefangenen auf und veranstalten Seminare und Workshops. Außerdem führen sie ein kleines Cafe, dessen Erlös dem Komitee zugute kommt. Ihren persönlichen Lebensunterhalt verdienen sie allerdings hauptsächlich durch andere Jobs. Auf nationaler Ebene ist das Komitee die einzige Organisation, die sich speziell für politische Gefangene einsetzt und so stark auf dieses Problem aufmerksam macht.


Begleitung durch pbi

Die Geschwister der Gefangenen, Emiliana und Francisco, werden seit 2002 von pbi Mexiko begleitet, seit 2005 auch Alejandro. "Seit der Gründung unseres Komitees haben sie Morddrohungen erhalten und wurden verfolgt", erzählt Elisabeth." Neben den Bedrohungen für das ganze Komitee betreffen die wirklich gefährlichen die Geschwister." Diese Bedrohungen finden schriftlich und in Form von anonymen Telefonanrufen statt. Das Komitee setzt sich nicht nur für politische Gefangene ein, sondern veranstaltet auch Seminare und Workshops für Mitglieder von anderen sozialen Organisationen. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Menschenrechtsbildung und auf Sicherheitsvorkehrungen für die MenschenrechtsverteidigerInnen. pbi-Sicherheitsworkshops dienten dabei als Vorbild.


Rückblick und Zukunftspläne

Auf ihrer Reise durch Europa ging es Elisabeth und David hauptsächlich darum, ihr Komitee international bekannt zu machen und auf diesem Wege auch internationale Unterstützung zu bekommen. Sie haben mit verschiedenen Organisationen und ParlamentarierInnen gesprochen und öffentliche Vorträge gehalten. Daraus haben sich viele neue und wichtige Kontakte gebildet." Diese Reise hat uns sehr viele Türen geöffnet und uns neue Möglichkeiten aufgezeigt", sagt David. Und Elisabeth ergänzt: "Die Kontakte, die wir hier geknüpft haben, sind sehr wichtig für unsere Organisation."

pbi und allen anderen hinterlassen sie die Botschaft, dass die Solidarität und Unterstützung weitergehen muss, solange die Bedrohungen weitergehen. "Es ist wichtig, dass alle, die wir hier kennen gelernt haben, diese Problematik weiter ansprechen und öffentlich machen", betont Elisabeth. David fügt noch hinzu: " Ich bin sehr motiviert, nach Mexiko zurück zu gehen, um weiter zu arbeiten. Danke für Eure Solidarität! pbi ist sehr wichtig für das Komitee."



*


Quelle:
pbi Rundbrief 03/08, S. 13 - 14
Herausgeber: pbi-Deutscher Zweig e.V.
Bahrenfelder Strasse 79, 22765 Hamburg
Tel.: 040/380 69 03, Fax: 040/386 94 17
E-Mail: info@pbi-deutschland.de,
Internet: www.pbi-deutschland.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2009