Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

BERICHT/149: "Eine schallende Ohrfeige" (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 11 - III/2006
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

"Eine schallende Ohrfeige"
Anmerkungen zum Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 30.03.2006

Von Günter Werner


Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betrifft eine nicht geringe Anzahl von Offizieren der Bundeswehr, die sich - meist vor dem Hintergrund zunehmender Auslandseinsätze der Bundeswehr - nicht mehr in der Lage sehen, den Dienst weiter zu versehen, und daher einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt haben. Werden sie nach Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus der Bundeswehr entlassen, fordert die Bundeswehr in pauschalen Beträgen Ausbildungskosten zurück.

In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall geht es um zwei Piloten der Luftwaffe, die im Jahre 1990 ihren Dienst in der Bundeswehr angetreten hatten und im Jahre 1998 als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurden. Die Bundeswehr forderte von ihnen pauschal einen Betrag von 185.000 DM (= 94.589 Euro) Ausbildungskosten zurück. Rechtsgrundlage dieser Rückforderung ist Paragraf 56 Soldatengesetz.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil in zwei wichtigen Punkten Klarheit geschaffen:


1. Die Rückforderung von Ausbildungskosten ist mit Art. 4 Abs. 3 GG nicht vereinbar, wenn mit der Rückforderung das Ziel verfolgt wird, den betreffenden Soldaten von einem Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer abzuschrecken.

In den vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen war klar ersichtlich, dass die Rückforderung jedenfalls auch den Sinn hatte, in künftigen Fällen "präventive Wirkung" zu entfalten. In anderen noch anhängigen Fällen wird offen davon gesprochen, die Rückzahlungsverpflichtung diene dem "Schutz der Personalplanung der Bundeswehr". Teilweise wird dies auch von Verwaltungsgerichten so gesehen.

Solchen Auffassungen hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil von 30.03.2006 eine klare Absage erteilt. Die Rückforderung von Ausbildungskosten darf nicht das Ziel verfolgen, den Soldaten wegen der damit verbundenen existenziellen Zwangslage davon abzuhalten, seinem Gewissen zu folgen und einen KDV-Antrag zu stellen.

Damit stellt sich die Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht als deutliche Stärkung des Grundrechts auf KDV auch für Berufs- und Zeitsoldaten dar. Auch bei der Frage der Rückforderung von Ausbildungskosten ist die grundlegende Bedeutung des Grundrechts aus Art 4 Abs. 3 GG zu beachten. Aus dem Verteidigungsministerium war den verweigernden Offizieren - vor allem Piloten der Luftwaffe - teilweise offen unterstellt worden, sie hätten sich durch die Kriegsdienstverweigerung einen "eleganten Abgang" aus der Bundeswehr verschaffen wollen, den sie auf anderem Weg nicht hätten erreichen können. Diesen Unterstellungen sahen sich die betroffenen Soldaten ausgesetzt, obwohl sie förmlich als Kriegsdienstverweigerer anerkannt waren und in dem entsprechenden Verfahren festgestellt wurde, dass sie aus Gewissensgründen gehindert sind, weiter Dienst in der Bundeswehr zu tun.


2. Zum anderen bedeuten die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgericht eine klare Absage an die Art und Weise, wie das Verteidigungsministerium konkret mit der Höhe der Rückforderung umgegangen ist.

Nach der Vorschrift des Paragrafen 56 Abs. 4 Satz 3 SG ist der Dienstherr verpflichtet, im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Ausbildungskosten zu entscheiden, wenn die Rückforderung für den betroffenen Soldaten eine besondere Härte bedeuten würde. Das Bundesverwaltungsgericht hat klar entschieden, dass eine besondere Härtesituation gegeben ist, wenn ein Zeit- oder Berufssoldat eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe getroffen hat und sich andererseits einer Rückzahlungsverpflichtung in erheblichem Umfang ausgesetzt sieht. Dabei ist nicht vorausgesetzt, dass "außergewöhnliche Umstände des Einzelfalles" die Anwendung der Härteklausel rechtfertigen. Vielmehr greift die Härtefallregelung bereits "auf Grund einer verfassungsrechtlich gebotenen Korrektivfunktion" ein. Auch hier zeigt sich, dass das Bundesverwaltungsgericht der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG bereits dadurch Geltung verschaffen will, dass der Dienstherr in Fällen des Ausscheidens aus der Bundeswehr infolge der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer grundsätzlich von einer besonderen Härte ausgehen muss. Auch dies ist in dieser Form bislang jedenfalls in dieser Deutlichkeit nicht so entschieden worden.

Im Ergebnis kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass die von dem ausscheidenden Soldaten zu erstattenden Ausbildungskosten auf den Betrag beschränkt werden müssen, den der Soldat durch den Erwerb von Spezialkenntnissen und Fähigkeiten, die ihm in seinem weiteren Berufsleben von Nutzen sind, erspart hat. Mit anderen Worten: Die Obergrenze dessen, was zurückgefordert werden kann, wird bestimmt durch die entsprechenden Ausbildungskosten in der zivilen Pilotenausbildung.

Um diese zu ermitteln, müssen die der Bundeswehr tatsächlich entstandenen Kosten und die vergleichbaren zivilen Ausbildungskosten ermittelt werden. In den vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen waren im Laufe des Verfahren immer wieder entsprechende Beweise dafür angeboten worden, dass die vergleichbaren zivilen Ausbildungskosten erheblich niedriger sind als der verlangte Betrag von 185.000 DM. jedoch haben weder das Verwaltungsgericht erster Instanz (VG Hannover), noch das Berufungsgericht (OVG Lüneburg) es für nötig befunden, die angebotenen Beweise zu erheben.

Vor allem das OVG Lüneburg hat sich dabei in unerträglicher Weise einseitig an den Interessen der Bundeswehr orientiert und jede konkrete Ermittlung sowohl der tatsächlichen Kosten der Bundeswehr als auch der vergleichbaren zivilen Ausbildungskosten abgelehnt. In dem betreffenden Berufungsurteil des OVG Lüneburg vom 14.12.2004 ist nachzulesen, dass die der Bundeswehr entstehenden Kosten "aus wehrmachtsspezifischen Gründen" bekanntermaßen deutlich höher liegen als die Kosten einer entsprechenden Ausbildung im zivilen Bereich.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte bereits in einem Beschluss aus dem Jahre 1996 - wenn auch kurz - entschieden, dass die Härteklausel des Paragrafen 56 Abs. 4 SG eine Begrenzung der Erstattungspflicht auf solche Kosten gebietet, die im zivilen Leben für die entsprechende Ausbildung hätten aufgewendet werden müssen. Das OVG Lüneburg hat in seinem Berufungsurteil vom 14.12.2004 kurzerhand entschieden, dass der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1996 insoweit unmaßgeblich ist.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist daher im Ergebnis eine schallende Ohrfeige nicht nur für das Verteidigungsministerium, dessen Strategie "Abschreckung durch Rückforderung" damit nachhaltig gescheitert ist. Sie sind zugleich eine schallende Ohrfeige für die Gerichte der unteren Instanzen, vor allem des OVG Lüneburg, das sich entgegen seiner Verpflichtung weder mit der Bedeutung der Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG noch mit der Ermittlung der tatsächlich entstandenen und zu berücksichtigenden fiktiven Ausbildungskosten ernsthaft befasst hat.

Es bleibt abzuwarten, wie sich Verteidigungsministerium und das OVG Lüneburg, das nun erneut über die Sache zu entscheiden hat, mit den deutlichen Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts auseinandersetzen.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist bemerkenswert vor allem vor dem Hintergrund der inzwischen nahezu grenzenlosen Einsatzmöglichkeiten und auch tatsächlichen Einsätze der Bundeswehr in aller Welt. Nicht wenige Berufs- oder Zeitsoldaten sind gerade wegen der grenzenlosen Einsätze der Bundeswehr, von denen bei Dienstantritt der Betroffenen noch nicht die Rede war, in Gewissenskonflikte geraten. Auch in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen waren für die betroffenen Soldaten der Einsatz im Rahmen des Konflikts im früheren Jugoslawien der Anstoß für die Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe.


Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein mehr als sechsjähriger Prozessmarathon vorausgegangen. Weder das Verwaltungsgericht Hannover noch das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hatten es für nötig befunden, Rechtsmittel gegen die eigenen negativen Entscheidungen zuzulassen. Umso bedeutsamer erscheint unter diesen Umständen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.


Günter Werner ist Rechtsanwalt in Bremen und hat die besprochene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erstritten.


*


Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 11, III/2006, S. 28-30
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
Redaktion: Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel.: 040/18 05 82 83, Fax: 01212-571 94 60 95
E-Mail: Redaktion@Forum-Pazifismus.de
Internet: www.forum-pazifismus.de


veröffentlicht im Schattenblick am 2. Februar 2007