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BERICHT/194: Der Haßbrief des KSK-Hauptmanns (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Der Hassbrief des KSK-Hauptmanns - Eine historische Einordnung für die Zukunft

Von Wolfram Wette


Als skurril und unzeitgemäß könnte man die Affäre abtun, gäbe es da nicht diese fatalen historischen Verbindungslinien. Wie der "Spiegel" (13/2008, 5. 24) dankenswerter Weise aufdeckte, attackierte unlängst ein aktiver Bundeswehr-Hauptmann einen ranghöheren Kameraden in einem hasserfüllten Brief und griff dabei auf den hohen Ton nationalistischen Heldentums zurück. "Es lebe das heilige Deutschland." Der junge Offizier scheint sich dadurch gedeckt zu fühlen, dass dies auch die letzten Worte des Widerstandskämpfers Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg waren. Hat er, so muss man sich jedoch fragen, nicht mitbekommen, dass die Zeiten sich geändert haben, dass Deutschland seit langem ein Teil der Europäischen Union ist und sich die vermeintliche Heiligkeit von Vaterländern heute kaum noch jemandem erschließt?

Aber der Mann versteht keinen Spaß. Er meint es ernst. Sonst hätte er sich nicht unter Nennung seines vollen Namens öffentlich exponiert: Hauptmann Daniel Kaufhold, Kommando Spezialstreitkräfte (KSK) in Calw. Was diesen Offizier aus der Reserve lockte, waren öffentliche Äußerungen des Oberstleutnants Jürgen Rose, der beim Wehrbereichskommando IV in München Dienst tut und als einer der Sprecher der kritischen Soldatenorganisation "Darmstädter Signal" von sich reden macht. Rose kritisiert die "Enttabuierung des Militärischen". Den Bundeswehreinsatz gegen Jugoslawien 1999 bezeichnet er als völkerrechtswidrige Aggression und den Einsatz in Afghanistan als ebenfalls nicht vom Völkerrecht gedeckten "Friedensverrat". Im Übrigen plädiert er für den Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung. Das heißt: Er zeigt immer wieder auf, dass es Alternativen zu der Politik weltweiter Militärinterventionen gibt. Zudem kann er auf die - durch viele Umfragen erhärtete - Tatsache verweisen, dass die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung es begrüßen würde, wenn sich Bundesregierung und Bundestag auf zivile Aufbauhilfe beschränkten.

Hauptmann Kaufhold fühlt sich massiv verunsichert, dass ausgerechnet ein aktiver Bundeswehr-Oberstleutnant immer wieder auf nicht-militärische Alternativen verweist. Diese bedrohen sein kriegerisches Weltbild: Da halten wir Elitesoldaten vom KSK in Afghanistan "die Knochen hin", und ein so genannter Kamerad sagt, es müssten nicht-militärische Wege gefunden werden, um mit solchen Konflikten umzugehen. Ein Soldat, der so denkt, ist für den soldatischen KSK-Mann nicht etwa ein zu tolerierender Andersdenkender, sondern ein Feind. Daher schrieb Kaufhold an Rose: "Ich beurteile Sie als Feind im Innern und werde mein Handeln danach ausrichten, diesen Feind im Schwerpunkt zu zerschlagen." Da hören wir den Originalton der rechtsradikalen Freikorpskämpfer aus den frühen Jahren der Weimarer Republik, die später durchweg bei der NSDAP und der SS landeten. Und da hört der Spaß nun endgültig auf.

Wer sich damals zu Demokratie und Pazifismus bekannte und das Militär kritisierte, wer gar aus den Reihen der ewigen Krieger ausscherte und beispielsweise etwas über die geheimen und illegalen Rüstungen ausplauderte, konnte seines Lebens nicht mehr sicher sein. Die damalige Hass-Parole lautete: "Verräter verfallen der Feme!" Mehr als 300 Menschen, die den rechtsradikalen Freikorpskämpfern als "innere Feinde" galten, wurden in den Jahren 1919 bis 1923 ermordet.

Es waren junge Offiziere der kaiserlichen Kriegsmarine, die am 15. Januar 1919 die beiden charismatischen Spitzenpolitiker der radikalen Linken, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, in Berlin umbrachten. An dem Offizierskomplott unter der Leitung von Hauptmann im Generalstab Waldemar Pabst beteiligten sich der Leutnant zur See Hermann W. Souchon - ein Neffe des Kieler Gouverneurs, Admiral Souchon -, Kapitänleutnant Horst von Pflugk-Harttung, Hauptmann Heinz von Pflugk-Harttung, Oberleutnant a.D. Kurt Vogel; weiterhin Leutnant zur See Bruno Schulze, Leutnant zur See Heinrich Stiege, Oberleutnant zur See Ulrich von Ritgen, Hauptmann Rühle von Linienstern. Verwickelt war auch Kapitänleutnant Wilhelm Canaris. Diese Offiziere gehörten der Marinebrigade Ehrhardt an, die der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) unter dem Generalleutnant Heinrich von Hoffmann unterstellt war. Die Offiziere mordeten und die Richter deckten sie.

Der Erste Generalstabsoffizier der Berliner Garde-Kavallerie-Schützen-Division, Hauptmann Waldemar Pabst, war es, der den Befehl zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erteilte: "Ich habe die beiden richten lassen", rühmte sich der "kleine Napoleon" später. Pabst, ein umtriebiger und skrupelloser rechtsradikaler Militär, war in den kommenden Jahren überall zu finden, wo ein Militärputsch gegen die Republik vorbereitet oder durchgeführt wurde. Im Kapp-Lüttwitz-Putsch von 1920 spielte er ebenso eine wichtige Rolle wie der General Walther Freiherr v. Lüttwitz, Oberst Max Bauer und Kapitän Hermann Ehrhardt, während sich Ludendorff eher abwartend im Hintergrund hielt.

Ein Offizier namens Arco Graf Valley ermordete im Januar 1918 in München den jüdischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (USPD) auf offener Straße. Reichswehrsoldaten schossen im Mai 1919 in einer als "Nachkrieg" empfundenen Gewaltaktion die Münchener Räterepublik zusammen und ermordetem dabei 161 Menschen. Es war das Reichswehrmilieu, in dem der Weltkriegsgefreite Adolf Hitler im Jahre 1919 als Redner über "jüdischen Bolschewismus" seine politische Karriere begann.

Anfang 1920 wurde Reichsfinanzminister Matthias Erzberger durch einen Anschlag, den der zwanzigjährige Fähnrich Oltwig von Hirschfeld auf ihn verübte, erheblich verletzt. Wenige Monate später, im Mai 1920, warf ein Attentäter während einer Wahlveranstaltung in der württembergischen Stadt Esslingen eine Handgranate auf den prominenten Zentrumspolitiker. Den dritten Anschlag, der am 26. August 1921 erfolgte, überlebte Erzberger nicht. Zwei Attentäter ermordeten ihn durch eine Reihe von Revolverschüssen während eines Spazierganges, den er am Kniebis im Schwarzwald in Begleitung des Zentrumsabgeordneten Karl Diez unternahm.

Bei den Mördern handelte es sich um zwei ehemalige Offiziere, nämlich den früheren Kapitänleutnant Heinrich Tillessen (geb. 1884) und seinen Kameraden Heinrich Schulz (geb. 1893). Beide kamen aus der Marinebrigade Ehrhardt. Den Befehl zur Ausführung der Mordtat erhielten sie von einem anderen Marineoffizier, nämlich dem früheren Kapitänleutnant Manfred von Killinger, der in besagter Marinebrigade Chef der "Sturmkompanie Killinger" gewesen war.

Erzberger musste sterben, weil er die Friedensresolution von 1917 unterstützt und dann im November 1918 im Auftrage der Reichsregierung den Waffenstillstand von Compiègne unterzeichnet hatte. Ebenso lasteten die Rechtsradikalen ihm an, dass er für die Annahme des Versailler Friedensvertrages und für einen Ausgleich mit den Siegermächten eingetreten war. Der antisemitische Marineoffizier und führende "Organisation Consul"-Mann Manfred von Killinger (1886-1944) hatte den Erzberger-Mord befohlen. Vom rechtsradikalen Freikorpskämpfer ging sein Weg in die NSDAP und in die SA und von dort aus in die oberen Etagen der NS-Politik.

Der sozialdemokratische Arbeiterführer Philipp Scheidemann, der im Jahre 1919 als erster Reichsministerpräsident der Republik amtiert hatte, stand ebenfalls auf der Abschussliste der rechtsradikalen Militärs, da er mehrfach antirepublikanische und antisemitische Tendenzen in den Kasernen angeprangert hatte. Scheidemann sollte am 4. Juni 1922 in Kassel durch ein Blausäureattentat ermordet werden. Durch glückliche Umstände kam er mit dem Leben davon. Dieser politische Terroranschlag gegen einen führenden Politiker der Weimarer Republik wurde ausgeführt von zwei ehemaligen Weltkriegssoldaten, Hans Hustert (geb. 1900) und Karl Oehlschläger (geb. 1893). Die beiden völkischen Nationalisten lernten sich 1919 beim Oberschlesischen Selbstschutz kennen. Seit 1920 gehörten sie der "Sturmkompagnie Killinger" an, die ein Teil der Marinebrigade Ehrhardt war. Dann gingen sie in die geheime "Organisation Consul", von der auch der Befehl ausging, Scheidemann zu ermorden.

Walther Rathenau, wie Erzberger ein Spitzenpolitiker der Weimarer Republik, sollte das nächste prominente Opfer der Desperados werden. Rathenau, ein jüdischer Großbürger, Schriftsteller und Industrieller, der während des Krieges als Leiter des Kriegsrohstoffamtes fungiert hatte, wurde nach dem Kriege wegen seiner Politik der Verständigung und des Ausgleichs mit den alliierten Siegermächten des Weltkrieges als "Erfüllungspolitiker" diffamiert und zum Feindbild der "Potsdam-Deutschen". Im Jahre 1921 berichtete Rathenau einem englischen Offizier, wie gefährlich er lebe: "In einigen Teilen meines Landes marschieren Kompanien von Männern im Rhythmus der Worte: 'Schlagt tot den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!'" Tatsächlich wurde diese Mordparole seit April 1921 in oberschlesischen Freikorps gesungen. Am 24. Juni 1922 wurde Rathenau durch preußische Militärs, spätere Freikorps-Offiziere, ermordet. Sie benutzten eine Maschinenpistole aus Heeresbeständen und eine Eierhandgranate. Die Mörder waren die ehemaligen Seeoffiziere Erwin Kern (geb. 1898), Sohn eines Verwaltungsdirektors aus Breslau, erst 1921 aus der Marine entlassen, und Hermann Fischer (geb. 1896), Sohn eines Professors und Kunstmalers aus Dresden, also beide, wie die anderen rechtsradikalen Terroristen aus der ehemaligen Marinebrigade Ehrhardt auch, aus gutbürgerlichen Familien stammend.

Die Erinnerung an die rechtsradikale Vorstellungswelt der 20er Jahre - der "Feind im Innern" und die mörderischen Konsequenzen - kommt unweigerlich hoch, wenn man in dem Brief des KSK-Hauptmanns K. an Oberstleutnant Rose den drohenden Satz liest: "Sie werden beobachtet, nein nicht von impotenten instrumentalisierten Diensten, sondern von Offizieren einer neuen Generation, die handeln werden, wenn es die Zeit erforderlich macht." Um so mehr überrascht es, dass die militärischen Vorgesetzten den Fall niedrig hängten und den durchgeknallten Freikorps-Adepten mit einer geringfügigen Disziplinarmaßnahme mehr deckten als bestraften.

Folgten sie damit der Vorgabe des Heeresinspekteurs General Hans-Otto Budde, der schon seit Jahren den "archaischen Kämpfer" fordert? Man erinnert sich auch an den Brigadegeneral Reinhard Günzel, der als Kommandeur des KSK abgelöst wurde, weil er antisemitische Äußerungen des später aus der CDU ausgeschlossenen Abgeordneten Martin Hohmann bejubelt hatte. Haben er und seinesgleichen diese "Offiziere einer neuen Generation" herangezogen, die einen rechtsradikalen Gesinnungsmilitarismus wiederbeleben möchten? Die unter dem Mantel der "Neuen Normalität" und der "gewachsenen internationalen Verantwortung" legitimierte Politik der weltweiten Bundeswehreinsätze hat, wie man sieht, einen hohen Preis. Großes Unbehagen muss die Vorstellung hervorrufen, Offiziere wie dieser KSK-Hauptmann könnten bei einem Einsatz der Bundeswehr im Innern beteiligt sein. Er sähe sich ja unzähligen "inneren Feinden" gegenüber, die eine andere Politik wünschen.


Wolfram Wette ist DFG-VK-Mitglied und Geschichts-Professor an der Universität in Freiburg im Breisgau.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2008, S. 10-11
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2008