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BERICHT/207: Internationale jüdische Opposition gegen Angriff auf Iran (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 19 - III/2008
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Internationale jüdische Opposition gegen einen Angriff auf Iran
Druck auf israelische und US-Regierung bleibt nötig

Von Clemens Ronnefeldt


Am 18. Juli veröffentlichte der israelische Historiker Benny Morris in der "New York Times" einen Artikel, in dem er u.a. schrieb: "Die Iraner werden - sei es aus ideologischen Gründen oder aus Angst vor einem nuklearen Präventivschlag der Israelis - jede von ihnen gebaute Bombe einsetzen. Darum ist ein israelischer Nuklearschlag, der die Iraner an ihren letzten Schritten zu einer Bombe hindert, wahrscheinlich. Die Alternative wäre, es zuzulassen, dass Teheran seine Bombe hat. So oder so wäre in jedem der beiden Fälle ein mittelöstlicher Nuklear-Holocaust vorherbestimmt."
(http.//nytimes.com/2008/07/18/opinion/18morris.html; dt. Übersetzung: Ellen Rohlfs)

Diesen Artikel nahm eine internationale jüdische Gruppe von 113 UnterzeichnerInnen aus 14 Staaten, darunter Prominente wie Professor Noam Chomsky oder die Berliner Professorin Dr. Fanny-Michaela Reisin von der Organisation "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Mittleren Osten" (www.juedische-stimme.de) zum Anlass, scharf gegen einen Angriff auf Iran zu protestieren.

In einer Stellungnahme, die auf Arabisch, Deutsch, Englisch und Französisch am 11. August verbreitet wurde, heißt es:

"Bemühungen, die Kriegstrommeln für einen Angriff auf Irans Kernkraftanlagen zu rühren, bestimmen das derzeitige Geschehen sowohl in den USA als auch in Israel. Nicht zuletzt die in der New York Times am 18. Juli veröffentlichte Auffassung des israelischen Historikers Benny Morris ist geeignet, jene politischen Kräfte zu stützen. (...)

Die Werbung mit dem Argument der Unvermeidbarkeit spielt auf die jüdische und israelische Erinnerung an den Nazi-Holocaust an. Damit soll jede Unterstützung für einen israelischen Militärschlag gegen den Iran mobilisiert und so eine Reaktion provoziert werden, die, indem die USA hineingezogen werden, zu einem weiteren Krieg führt. Dies ist umso beklagenswerter, als immerhin 16 Geheimdienstagenturen der USA zu dem Schluss gekommen sind, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm nicht hat und auch in den vergangenen fünf Jahren nicht hatte.

Wir feiern den heldenhaften Mut des israelischen Atom-Informanten Mordechai Vanunu und unterstützen, indem wir mit unserer Stimme seine Verurteilung des illegalen Kernwaffenarsenals Israels verstärken, den Aufruf für einen atomwaffenfreien Mittleren Osten.

Die Geisteshaltung, die den Rufen nach einem gegenseitigen Vernichtungskrieg als Lösung von Sicherheitsproblemen zugrunde liegt, ist erstaunlich widersprüchlich. Nur die Erfindung einer Nazi-ähnlichen Bedrohung vermag für die Glaubwürdigkeit eines solchen Aufrufs zum Krieg herzuhalten, was mit jener Begründung für die Besatzung vergleichbar ist, die eine palästinensische Verschwörung ausmacht, die Juden ins Meer zu treiben. Auch die Anspielung auf die iranische Ideologie (Islam) als Ursache der Konfrontation hält keiner Prüfung stand. Zumal die politische Kampfansage an Israel durch den iranischen Präsidenten, Mahmoud Ah-madinejad, selbst ungeachtet aller Falschübersetzungen, nicht ein Aufruf zur Vernichtung ist.

Wir streben Sicherheit für alle Betroffenen an, indem wir ein Recht auf Sicherheit für alle bejahen. Obgleich wir der Perspektive eines unvermeidbaren Konflikts keinen Glauben schenken, protestieren wir gegen die Hysterie der Iran-Bashers (Draufschläger), die nunmehr an ihren wiederholten Fehlstarts verzweifeln, einen weiteren unnötigen Krieg anzuzetteln. Der Versuch, den Iran zu zwingen, den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu entsprechen, ist rechtlich, diplomatisch und politisch kraftlos, solange die Vereinigten Staaten und Israel jede UN-Diplomatie und ebenso sämtliche Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs in Sachen Palästina durchweg ignorieren.

Wir rufen alle auf, die gegen einen Militärschlag auf den Iran sind, Repräsentanten ihrer Regierungen anzuschreiben und aufzufordern, dass der Staat Israel, anstelle der Verkündung von Kriegsdrohungen seine Atomeinrichtungen der internationalen Inspektion zugänglich macht und in gleicher Weise, wie es der Iran schon getan hat, den Nichtverbreitungsvertrag (Non-Proliferation Treaty) unterzeichnet." (dt. Übersetzung: Ellen Rohlfs)

Bei Stanley Heller (www.TheStruggle.org; mail @TheStruggle.org), Connecticut, USA, unterzeichnen seither weitere UnterstützerInnen diese Erklärung.

Am 21. August berichtete die israelische Zeitung "Haaretz" (www.haaretz.com/hasen/spages/1013735.html), dass der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak bei seinem USA-Besuch Anfang August um Tankflugzeuge des Typs Boeing 767 gebeten habe, damit die lediglich sieben im Besitz der israelischen Luftwaffe sich befindenden betankbaren Kampfflugzeuge bei Fern-Operationen in der Luft betankt werden könnten - und damit ihre Reichweite bis nach Iran und zurück nach Israel reichen würde.

Die US-Regierung verweigerte den Kauf, weil sie - so Haaretz - "fürchtete, solch eine Transaktion könnte als Unterstützung für einen israelischen Angriff auf Iran interpretiert werden".

Es gilt, weltweit den Druck auf die US- wie auch die israelische Regierung hoch zu halten und gerade angesichts der jüngsten Ereignisse in Georgien und des Aufflammens eines neuen Kalten Krieges jeden weiteren Waffengang im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern.


Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim Versöhnungsbund.


*


Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 19, III/2008, S. 6 - 7
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2008