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BERICHT/243: Die Kampagne "Schritte zur Abrüstung" - Theorie und Praxis (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 21 - I/2009
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Die DFG-VK-Kampagne Schritte zur Abrüstung
Theorie und Praxis einer friedenspolitischen Kampagne

Von Tommy Rödl


"Schritte zur Abrüstung" sollte eine Plattform für die friedenspolitische Arbeit der DFG-VK, aber auch für eine strukturierte Zusammenarbeit in der Friedensbewegung sein. Zentrales Element ist ein kurzer Einführungstext und eine Reihe von friedenspolitischen Forderungen, die in der Friedensbewegung Konsens sein und in der politischen Öffentlichkeit auf Zustimmung stoßen sollten. Einleitungstext und Forderungen sollten prägnant genug sein, um für eine Unterschriftensammlung zu taugen. Über einen längeren Zeitraum hinweg sollten Unterschriften unter den Forderungskatalog gesammelt, die Kampagne und das Schlagwort "Schritte..." und ein zugehöriges Logo bekannt gemacht, die Unterstützer des Forderungskatalogs als Förderer und Mitmacher gewonnen und zu einzelnen oder mehreren Forderungen Aktionen entwickelt werden, um neue Unterstützer und Förderer zu finden, um auf breiterer Basis neue öffentliche Aktionen durchführen zu können. Die Kampagne sollte unabhängig von aktuellen Anlässen die Forderungen bzw. angesprochenen Themen in die Öffentlichkeit bringen.

Ziel der Kampagne ist, die benannten Abrüstungsschritte tatsächlich durchzusetzen. Offensichtlich ist dies angesichts der politischen Verhältnisse, Denkgewohnheiten und Traditionen eine sehr langfristige Aufgabe. Eine Unterschriftensammlung wie schon viele vorher im Sande verlaufene wird dazu nicht ausreichen. Wer die genannten Ziele durchsetzten will, muss erst einmal die gesellschaftliche Zustimmung zur genannten Veränderung der Politik deutlich machen und die strukturellen Voraussetzungen für eine effektive politische Lobbyarbeit schaffen, und wiederum als Voraussetzung dafür die Friedensorganisation stärken, die diesen Prozess betreiben will.

Adressat der Forderungen ist die Bundesregierung bzw. die politischen Entscheidungsträger in der BRD, und eine politisch interessierte Öffentlichkeit als Unterstützer bzw. gesellschaftlicher Träger für eine andere Friedenspolitik.

Unabhängig von der Perspektive der Durchsetzung der einzelnen Forderungen ist die gesamte Stoßrichtung der Kampagne, deutsche militaristische Außenpolitik politisch und materiell unmöglich zu machen, zumindest zu delegitimieren, Alternativen zur Militärpolitik aufzuzeigen und staatliche Mittel für zivile Konfliktbearbeitung zu mobilisieren; und darüber hinaus: über eine Verkleinerung der Bundeswehr und eine kontinuierliche Senkung der Rüstungsausgaben zu einem Abrüstungsprozess zu kommen und die Perspektive auf die Abschaffung von Militär im Allgemeinen und der Bundeswehr im Besonderen zu öffnen.

Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Kampagne: Am Anfang stand eine kritische Einschätzung der Arbeit der Friedensbewegung der 90-er Jahre: Die Organisationsstrukturen, die die Aktivitäten der 80er Jahre ermöglicht hatten, waren weggebrochen (der DDR-finanzierte Apparat von DKP und DFU, Teile der Gewerkschaften, kirchliche Gruppen, Teile der Grünen, die "1.000 Friedensinitiativen" etc.). Die Friedensbewegung machte (und macht) eine Vielzahl von Veranstaltungen, meist auf lokaler Ebene zu den traditionellen Terminen (Ostermarsch, Hiroshima-Gedenktag, Antikriegstag, Friedenswochen) und zu aktuellen Themen (Krieg in Jugoslawien, Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr, Widerstand gegen aktuelle Projekte wie Eurofighter), meist ohne von den Massenmedien wahrgenommen oder von "der Politik" ernst genommen zu werden.

Überregional gab es (und gibt es) eine "friedliche Koexistenz" von verschiedenen Kampagnen, die meist keine breitere Öffentlichkeit erreichen und im Sande verlaufen, bzw. Teile der Bewegung spezialisieren sich auf einzelne Themen, z.B. ZFD, Rüstungsexporte, Atomwaffen. Die Friedensbewegung führte keine strategische Diskussion, welche Ziele mit welchen Mitteln erreicht werden sollen. Wer denkt, dass das alles so sein muss ("... so sind eben die Bewegungen."), verzichtet auf die Perspektive, Politik tatsächlich verändern zu wollen. Das Loblied auf die "Vielfalt" und "Buntheit" der Bewegungen wird auch von denen gesungen, die längst straffere Parteistrukturen haben oder schon immer hatten. Wer die Kritik an Methoden und Resonanz der Friedensbewegung nicht teilt, kann auch gar nicht verstehen, wie dringend wir neue Formen der Friedensarbeit, eben eine richtige Kampagnenkonzeption brauchen. (Vgl. Interview mit mir in "ZivilCourage" Nr. 4/2004: "Die alten Rituale helfen uns nicht weiter")


Bedeutung für die DFG-VK

Auch in der DFG-VK gab es ein unverbundenes Nebeneinander und Aufeinander von "Kampagnen" und Aktionen. Der Verband verzettelt(e) sich in einer Vielzahl von Themen, es gab kein Konzept für die Arbeit der Hauptamtlichen. Nach der strukturellen und programmatischen Neuorientierung Anfang der neunzigerjahre unterstützten Teile der DFG-VK die "BoA-Kampagne" (BRD ohne Armee). Die entsprechende Forderung war ins neue Grundsatzprogramm aufgenommen worden - was aber nicht bedeutete, dass alle diese Forderung auch als erfolgversprechenden Aufhänger für Friedensarbeit betrachteten. (Als Anmerkung: "Die DFG-VK betreibt und unterstützt eine kontinuierliche und langfristig angelegte Öffentlichkeitsarbeit für einseitige Abrüstung der BRD, die dem Militär die Nützlichkeit hinsichtlich der Lösung der real zu erwartenden Konflikte abspricht sowie die moralische Legitimität des Soldatenhandwerks bestreitet." Positionspapier "Europäische Abrüstungspolitik", beschlossen beim Kongress in Kassel 1993, weitgehend von mir verfasst, nach dem Kongress nicht veröffentlicht, schnell wieder vergessen und außerhalb der BoA-Kampagne kaum genutzt.)

Andere arbeiteten weiter in den traditionellen bzw. an politischen Aktualitäten orientierten Formen der Friedensbewegung. Eine strategische Diskussion ("Welche Ziele verfolgen wir, welche Mittel sind dafür verfügbar?") wurde nicht geführt.

Die BoA-Kampagne steckte Ende der 90er Jahre in der Sackgasse. Politisch: Wir müssen einen Weg aufzeigen zur Abschaffung von Militär, eine Antwort auf die Frage geben "wie Militär abschaffen". Strukturell: Wir brauchen einen hauptamtlichen Kampagnenarbeiter auf Bundesebene, der die Kampagne zentral anschiebt, koordiniert und auf Bundesebene Bündnispolitik macht; und natürlich mehr Geld für Öffentlichkeitsarbeit.

Der DFG-VK-Bundeskongress 1997 beschloss das Konzept "Fünf für Frieden", das den Ansatz beinhaltet, jährlich die Rüstungsausgaben um 5 % zu senken. Das kam etwas überraschend, weil das Konzept und der Antrag vor dem Kongress nicht bekannt waren, das Konzept wurde m.E. dann aber nicht weiter diskutiert und auf Gruppenebene nicht akzeptiert.

1998 entstand in der bundesweiten BoA-Arbeitsgruppe ein Papier "Weichenstellung für Entmilitarisierung" (nachzulesen noch im Faltblatt "Sicherheit vor Terror" auf der Homepage www.schritte-zur-abruestung.de), das auf konkrete Veränderungen durch eine rot-grüne Koalition zielte. Die Frage der Auslandseinsätze der Bundeswehr wurde in diesem Papier bewusst ausgeklammert. Bekanntlich war diese neue Regierung noch nicht wirklich im Amt, als die Weichen in die andere Richtung - für den Krieg gegen Jugoslawien - gestellt wurden. Durch diesen Krieg war das Vertrauen weg, dass Rot-Grün tatsächlich Schritte in Richtung Entmilitarisierung gehen würde. Aus dem "Weichenstellung"-Papier entstand in mehreren Text-Vereinfachungs-Schritten der erste Schritte-zur-Abrüstung-Forderungskatalog.

Weiterhin war die Entwicklung der DFG-VK negativ, die organisatorische Basis der DFG-VK schwand dahin - seit Jahren abnehmende Mitgliederzahl und daher weniger Mittel für politische Arbeit. "Schritte zur Abrüstung" sollte die bundesweite gemeinsame Kampagne der DFG-VK sein - aber auch der Schwerpunkt der Arbeit. In den Forderungen waren unterschiedliche Themen und Handlungsbereiche der DFG-VK zusammengefasst. Mit ihr wollte/sollte die DFG-VK auch den Versuch unternehmen, wieder deutlicher friedenspolitisch in Erscheinung zu treten, eine Kampagne für die gesamte Friedensbewegung anzubieten, um langfristig wieder tatsächlich friedenspolitisch wirken zu können.


DFG-VK und Bündnisarbeit

Eine weitere Grundeinsicht war: Wir werden die Ziele nicht allein durchsetzen können - also muss "Schritte" ein Angebot für die Friedensbewegung sein, auf der Grundlage des kurzen Textes und des Forderungskataloges zusammenzuarbeiten. Wie geht das?

Die Kampagne (bzw. die Materialien und die Homepage) sollte so gestaltet werden, dass InteressentInnen an der Kampagne auch an die pazifistische Programmatik (z.B. allgemeine und vollständige Abrüstung, Abschaffung der Bundeswehr, Beseitigung der Kriegsursachen...) und an die Organisation DFG-VK herangeführt werden, diese Kampagne also auch der Gewinnung neuer Mitglieder dient.

Die Kampagnenarbeit musste sich also der Frage stellen, wie wir an neue Unterstützer, Aktive, Mitglieder und Gelder kommen. So war die Kampagne einerseits so anzulegen, dass sie offen war für die Mitarbeit von Menschen, die nicht Mitglied der DFG-VK sind oder (aus welchen Gründen auch immer) auch nicht werden wollen, aber bereit sind, bei einzelnen Themen oder Aktionen mitzumachen und sie mitzufinanzieren. Sie sollte aber auch offen sein für die Zusammenarbeit mit Organisationen, die entweder auch pazifistisch orientiert sind, aber sich aus weltanschaulichen Gründen anders organisieren (wie z.B. Pax Christi), oder Friedensgruppen oder Zusammenschlüsse, die zwar "gegen den Krieg" sind, aber die pazifistischen Grundsätze der DFG-VK (Verzicht auf verletzende und tötende Gewalt, Zielsetzung allgemeine und vollständige Abrüstung) dezidiert nicht teilen.


Gestaltung der Elemente einer Kampagne

Wer definiert das genauere Konzept einer Kampagne? Aussagen zum Konzept gibt es z.B. im Schritte-Faltblatt, in welchem die Kampagne allgemein vorgestellt und begründet wird, in der Kampagnenbeschreibung auf der Homepage, in Beiträgen zu Diskussionen beim DFG-VK-Bundesausschuss. (Vgl. Kap. 3.1)

Die Zielsetzung, die politischen Forderungen, die zentrale Losung, das Logo mit dem Bildmotiv, wurden bereits benannt.

Weiterhin gehören zu den Elementen einer Kampagne die Gestaltung von Medien (Printmedien wie Info-Faltblätter, Aktions-Materialien wie z.B. Protestpostkarten, Aufkleber und andere Werbematerialien; Konzeption und Gestaltung eines Internetauftritts, ein elektronischer Newsletter und ein regelmäßiger Informationsbrief), die Organisation eines Sekretariats für die Verschickung von Materialien und Beantwortung von Anfragen, für die Verwaltung von InteressentInnenadressen aus Brief oder eMail-Kontakten, und last not least die Entwicklung von öffentlich wirksamen Aktivitäten zum Bekanntmachen der Kampagnen, die Nutzung von verfügbaren Medien und Kanälen zu potenziellen Zielgruppen.

Wie machen wir Zustimmung deutlich? Wie gewinnen wir Unterstützer (Unterzeichner) und Bündnispartner? Wie motivieren wir Menschen als aktive Unterstützer für konkrete einzelne Aktionen - präziser: für Aktionen zu Themen und Forderungen, die nicht tagesaktuell sind und über Antikriegsprotest hinausgehen? Und zuallererst die Aktiven in der DFG-VK?

Genügend wichtige Fragen - die Gestaltung der angesprochenen Medien, die seit einigen Jahren real (bzw. im Internet) vorliegen, enthält vorläufige Antworten.

Es gibt keinen Konsens über die meisten gestalterischen Fragen (Schriftzug, Logo, Faltblätter, Homepage...), was uns nicht daran gehindert hat, die strukturellen Voraussetzung aufzubauen, viele Materialien zu produzieren, viele praktische Aktionen zu entwickeln, und gewisse Resonanz zu erzielen.

In der über Jahre hinweg geführten "Konzeptdiskussion" - sie scheint zum Bestandteil der Kampagne geworden zu sein - dominierten aber ganz andere Fragen: Sollen wir wirklich einen Schwerpunkt für die Arbeit der DFG-VK setzen? Oder doch mehrere? Und was bedeutet das in Arbeitszeit und Haushaltsziffern? Was ist eigentlich eine Kampagne? Ist es dann keine Kampagne, wenn es keinen definierten Endzeitpunkt gibt? Sollen wir es lieber Plattform nennen statt Kampagne? Sollen wir immer wieder neue Forderungen aufnehmen, "Schritte" an aktuelle Entwicklungen anpassen?


Übersicht über Aktionen seit 2003
Themen
Zahl der Aktionen
Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr:
Kürzung der Rüstungsausgaben um mindestens 5 Prozent jährlich:
Abzug aller Atomwaffen aus der BRD:
Entmilitarisierung der Europäischen Union:
Stopp aller Rüstungsexporte:
22
14
13
11
8

Oktober 2003: Postkartenaktion "Rüstungshaushalt senken". Auflage 150.000, davon 100.000 Beilage in Zeitschriften/Zeitungen.

November 2003: Protestmailaktion an die Vorsitzenden der zuständigen Ausschüsse: "Rüstungshaushalt senken!"

Juni 2004: Friedensfahrradtour "für Abrüstung und für ein soziales Europa ohne Armee" von Oberndorf über Calw, Stuttgart, Ulm, Donauwörth nach Manching

August bis Oktober 2004: Rüstungshaushalt senken - verstärkte Protestaktion mit 170.000 gedruckten Postkarten, die an Kanzler Schröder zu schicken waren.

September bis Oktober 2004: Mail-Aktion Rüstungshaushalt senken

18.-20. Oktober 2004: "Rüstungshaushalt senken", Aktionstage in Berlin

Oktober 2004: Mail-Aktion an alle Staats- und Regierungschefs gegen EU-Militarisierung

8. Mai 2005: Zeitungsanzeige zum 8. Mai "8. Mai 1945 - 8. Mai 2005. 60. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus: Kriege ächten - zivil handeln - abrüsten!" in FR, ND, taz, addierte Auflagen ca. 500.000.

25.-28. Mai 2005: Evangelischer Kirchentag - Infostand und Ausstellung; Videopräsentation zur Kampagne; Kirchentagsresolution "Rüstungshaushalt Senken" mit über 3.400 Unterschriften erreicht.

29. Juli bis 6. August 2005: Friedensfahrradtour zu Standorten von Militär und Rüstungsindustrie von Amberg über Regensburg, EADS-Standorte, Tübingen nach Stuttgart (Eucom 6.8.05 - 60 Jahre Hiroshima) - Mahnwachen, Infostände, Infoblätter an die Bevölkerung verteilen, Unterschriften sammeln, Besuche bei den "Bürgermeistern für den Frieden".

März/April 2006: Protest-Mail-Aktion "Rüstungshaushalt senken!" an die Bundestagsabgeordneten im Haushalts- und Verteidigungsausschuss

Mai 2006: Öffentliche Aktion "Rüstungshaushalt Senken" am Brandenburger Tor, Berlin, mit Tausenden Protestpostkarten, (von 70.000 bundesweit verteilten) die an uns zurückgeschickt wurden.

28. Juli bis 6. August 2006: Aktions-Fahrradtour "Auf Achse für Frieden, Abrüstung und ein ziviles Europa!" von München über Friedrichshafen, Oberndorf nach Ludwigsburg

5. August 2006: 2. Pacemakers-Radmarathon von Büchel/Eifel nach Ludwigsburg bei Stuttgart über 346 Kilometer November 2006: Mail-Aktion zur OEF-Abstimmung an Wahlkreisabgeordnete.

Februar 2007: Mail-Aktion zur Entsendung deutscher "Tornados" nach Afghanistan. 1.329 Personen und Gruppen haben sich beteiligt und dabei über 13.000 Mails an die Abgeordneten geschickt (größte Mail-Aktion der Schritte-Kampagne). Unser Protest hat Wirkung gezeigt. 405 Abgeordnete stimmten mit Ja, 157 Parlamentarier lehnten die Mission ab - die bisher größte Anzahl an Gegenstimmen beim Beschluss eines Auslandseinsatzes. 11 enthielten sich. Die Mehrheit für den geplanten Afghanistan-Einsatz deutscher "Tornados" galt als sicher - trotz Kritik auch aus den Reihen der Großen Koalition. Allein 69 (!) Abgeordnete der SPD haben mit Nein gestimmt. Der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer und der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler reichten unmittelbar nach dem Beschluss beim Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen den Einsatz ein.

8. Mai 2007: Zeitungsanzeige "8. Mai 1945 - 8. Mai 2007: Verhandeln statt schießen. Afghanistan-Einsatz beenden!" in der FR, ca. 400.000 tägliche LeserInnen.

7.-9. Juni 2007: Evangelischer Kirchentag in Köln. Resolution "Verhandeln statt schießen. Afghanistan-Krieg beenden" angenommen mit über 3.000 Unterschriften.

28. Juli bis 4. August 2007: Friedensfahrradtour "Auf Achse für Frieden und Abrüstung" vom Truppenübungsplatz Grafenwöhr/Oberpfalz über Nürnberg, Ansbach, Heidelberg und Mannheim zur US-Basis Ramstein.

4. August 2007: 3. Pace-Makers-Radmarathon für eine friedliche und gerechte Welt ohne Atomwaffen von Heilbronn über Mannheim, Ramstein, Neustadt an der Weinstrasse, Bretten nach Ludwigsburg. Start der Kampagne "unsere zukunft - atomwaffenfrei".

März bis Oktober 2007: Petition "Kein Mandat für den Krieg in Afghanistan". Mitwirkung an der Unterschriftensammlung, 48.000 Unterschriften werden übergeben.

15. September 2007 in Berlin: Demonstration "Frieden für Afghanistan - Keine Verlängerung der Bundeswehreinsätze!" mit knapp 10.000 TeilnehmerInnen (Mobilisierung zur Demo über die Strukturen der Kampagne)

11. Oktober 2007: Zeitungsanzeige in der taz "Verhandeln statt schießen. Afghanistan-Einsatz beenden".

Oktober/November 2007: Aktionstage "Kein Krieg in Afghanistan - "Anti-Terror"-Einsatz der Bundeswehr beenden!". Briefe an alle Bundestagsabgeordneten, Briefe an die Delegierten des SPD-Parteitags, Mail-Aktion an alle Abgeordneten, Aufruf zu "call in"-days.

März bis September 2008: Unterstützung der Unterschriftensammlung der Friedensbewegung unter eine neue Petition an den Bundestag "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan". Übergabe von ca. 23.000 Unterschriften.

April 2008: Unterstützung einer Mail-Kampagne gegen den EU-Reformvertrag.

Frühjahr 2008: Aktionen (Mahnwachen, Demos und andere Inszenierungen) bei den Parteitagen von B90/Grüne und SPD unter dem Motto "Verhandeln statt schießen - Afghanistan-Krieg beenden".

1.-9. Mai 2008: Aktionswoche "Verhandeln statt schießen - Afghanistan-Krieg beenden" mit Saalveranstaltungen (u.a. den Journalisten Hörstel und Zumach), Infoständen und Aktionen.

8. Mai 2008: Zeitungsanzeige "Verhandeln statt schießen - Afghanistan-Krieg beenden" zum 8.5., dem Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, Erstunterstützer u.a. Johan Galtung, Roger Willemsen, Prof. Andreas Buro und Konstantin Wecker, in der FR (Leserschaft 400.000) Mai 2008: Mail-Kampagne an den Bundesrat zur Ablehnung des EU-Reformvertrags.

2. August 2008: 4. Pace-Makers-Radmarathon für eine friedliche und gerechte Welt ohne Atomwaffen von Bretten über Heilbronn, Mannheim, Ramstein, Neustadt an der Weinstrasse nach Bretten.

2.-9. August 2008: "Auf Achse für Frieden"-Aktionsradtour von Ulm über Donauwörth, Manching, Regensburg nach Brdy/Tschechien (Standort der geplanten US-Radarstation).

23.-30. August 2008: "Vor der eigenen Türe kehren", bundesweite Aktionen incl. Demonstration mit 2.000 Teilnehmerinnen und Pacemakers-Rundkurs am Atomwaffenlager Büchel.

20. September 2008: Mobilisierung zu den Großkundgebungen mit insgesamt knapp 10.000 TeilnehmerInnen gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan.

7.-16. Oktober 2008: Kontakttage "Verhandeln statt schießen - den Afghanistan-Krieg beenden! Keine Mandatsverlängerung für den Einsatz der Bundeswehr!" mit Mail-Aktion, Briefen, Anrufen.

Seit 2007: Unterstützung der "Waldkircher Erklärung" zum Rüstungsexport "Skandal ohne Grenzen - den Waffenlieferungen muss Einhalt geboten werden!"


Bilanz

Einige Zahlen: Protestpostkarte "Rüstungshaushalt Senken", 2004 bis 2006 ca. 390.000 Stück; alle Themen- und Aktions-Faltblätter, addierte Druckauflagen 2001 bis 2008 ca. 250.000; Leserschaften der Zeitungsanzeigen (theoretisch) 1,2 Millionen; Zugriffe auf die Internet-Seite: 65.000 im Jahr 2008; UnterstützerInnen der Schritte-Forderungen auf Papier und auf der Homepage: ca. 2.000; AbonnentInnen des Newsletters: ca. 2.400 (Stand März 2009); Adressen von UnterstützerInnen und InteressentInnen: ca. 5.000

Diese ausgewählten Zahlen zeigen, dass im Rahmen der Kampagne durchaus beachtliche Mengen an Materialien gestreut und sehr viele Menschen erreicht worden sein dürften - mit einer Zeitungsanzeige, einer beigelegten Protestpostkarte, einem verteilten Flugblatt, einer Aufforderung, eine Resolution zu unterschreiben etc.

Neben der tabellarischen Übersicht stellen sich viele Fragen. Wie viele Menschen wurden mit der jeweiligen Aktion tatsächlich erreicht? Wie viele haben sich tatsächlich beteiligt? Wie viele Personen und Gruppen nutzen die Materialien der Kampagne? Wie war die Resonanz - hat uns die jeweilige Aktion tatsächlich neue Interessenten und Unterstützer gebracht? Wie waren die Aktionen und Materialien tatsächlich gestaltet, wie war die Erkennbarkeit der Schritte-Kampagne in den einzelnen Aktionsmaterialien, in der Umsetzung der Aktionen, in der evtl. gegebenen Medienresonanz?

Unbefriedigend bleibt die geringe Zahl der UnterstützerInnen der Schritte-Forderungen. Es ist nicht gelungen, den Aktiven der DFG-VK, den wichtigsten Trägern der Kampagne, die Rolle und die Bedeutung der Unterschriftensammlung zu vermitteln bzw. das auf der Homepage oder in den Materialien zu leisten. Nicht einmal die Mitglieder der DFG-VK haben ihre Zustimmung bekundet - das könnte auch ein Hinweis darauf sein, wie wenig Einfluss Beschlüsse von Kongressen und Artikel in den Verbandsmedien auf unsere Mitgliedschaft haben.

Die Kampagnen-Arbeitsgruppe hat einzelne Aktionen quantitativ und qualitativ ausgewertet. Eine Tendenz dabei: Die Unterschriftensammlung unter die Forderungen ist mehr und mehr in den Hintergrund getreten, neue UnterstützerInnen kommen spärlich und quasi als "Abfallprodukt" der Materialverteilung dazu. Einzelne Schwerpunktaktionen wie z.B. zum Thema Afghanistan-Einsatz entwickeln sich zu eigenen "Kampagnen", die die erarbeiteten Strukturen und UnterstützerInnen nutzen. Ob und in welchem Umfang die intendierte Rückkopplung und Verstärkung durch einzelne Aktionen erfolgt ist, ist fraglich. Alle Aktionen und Aktionsideen, die die "Schritte" insgesamt bekannt machen sollten, sind mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Die Aktionsformen waren, mit Ausnahme der Pace-Makers- und der Friedens-Fahrrad-Touren, mehr oder weniger klassisch-traditionelle Aktionsformen der Friedensbewegung. Die Aktionen gegen den Afghanistan-Einsatz haben gezeigt, dass konkrete Aktionen oder Veranstaltungen bis auf wenige Ausnahmen nur da stattfanden, wo die hauptamtlichen Geschäftsführer der DFG-VK auf Landes- oder Bundesebene das auch organisieren.

In der Umsetzung und Ausgestaltung einzelner Aktionen zeigen sich die nicht ausdiskutierten konzeptionellen Probleme.


Hintergründige Verwicklungen

Nun kann mensch mit Recht die Frage stellen, ob wir "so blöd" sind oder ob unsere Strukturen so ineffektiv sind, dass wir in all den Jahren nicht mehr erreicht haben? Um diese Frage näher zu beleuchten, müsste die Geschichte der "Kampagne" in einigen Details, unter Nennung von konkreten Vorgängen und Personen, aufgearbeitet werden. (Dies habe ich aus meiner Perspektive versucht; nachzulesen in der langen Fassung dieses Artikels, auf Anfrage beim Autor erhältlich.)

Zusammenfassend: Bis Mitte des Jahres 2007 ist es nicht gelungen, dass ein Geschäftsführer der DFG-VK tatsächlich für eine Kampagne arbeitet, die mehrere Bundeskongresse als Schwerpunkt beschlossen hatten.


Konzeptdiskussion ohne Ende und Ergebnis

Das vorläufige Ergebnis der Konzept-Diskussion zeigt der Antrag des Landesverbands Bayern beim DFG-VK-Bundeskongreß 2007, der rechtzeitig vorlag und einen inhaltlichen Gegenantrag des BSK zur Folge hatte, der genau alle intendierten Festlegungen ablehnte.

Antrag (1): "Die Schritte-Kampagne umfaßt einen Teilbereich der Programmatik der DFG-VK - 7 Forderungen und 7 Schwerpunkte. Andere Themen sollen ... unabhängig davon betrieben werden." Der Gegenantrag: "Andere Themen ... können aufgenommen oder gestrichen werden"

Antrag (2): "Die Forderungen sollen über Jahre hinweg gleich bleiben". Der Gegenantrag: "Die Forderungen sollen ... aktuellen politischen Entwicklungen angepasst werden"

Antrag (4): "Die Forderungen beziehen sich auf die Politik der BRD und richten sich an die wesentlichen Entscheidungsinstanzen ... des Staates. Kampagnen mit anderem Ansatz - Verbraucherboykott, Zielrichtung Management, Aktionäre oder internationale Akteure - sollten damit nicht vermischt werden." Gegenantrag: Streichung dieses Satzes.

Antrag (6): "Die Schwerpunktsetzung auf eine Kampagne ist in der derzeitigen Situation des Verbandes notwendig - sie muss sich in der Zuteilung von Ressourcen - Finanzmittel, hauptamtliche Arbeitszeit - deutlich ausdrücken." Der Gegenantrag: "Die DFG-VK steht für die Weiterentwicklung der pazifistischen Inhalte und Methoden. Der Bundeskongress bestätigt die zunehmend stabilisierte und konsolidierte Kampagnenlandschaft der DFG-VK, die sich bewährt hat. Die vier bisherigen Schwerpunkte der Schritte-Kampagne werden fortgeführt. Der Umfang der finanziellen Zuwendungen bleibt erhalten. Damit garantiert der Bundeskongress die erfolgreiche Weiterentwicklung der laufenden Kampagnenarbeit, die DFG-VK zeigt sich als verlässlicher Bündnispartner der Friedensbewegung."

Das ist eine geballte Ladung Politprosa - die Kampagnenlandschaft der DFG-VK, wow! Der reale Inhalt umgekehrt proportional zum Wortgeschwalle. Von wem kam dieser Gegenantrag? Vom Bundessprecherkreis! Niemand sonst aus der DFG-VK oder von außerhalb hat je die Meinung vertreten, die Kampagne wäre besser, wenn wir die Forderungen ständig verändern, alle möglichen Adressaten gleichzeitig ansprechen usw. usf. Damit war aber auch die Konfliktlinie endlich deutlich geworden: Der Bundessprecherkreis einerseits gegen meine Person und Teile der Kampagnen-Arbeitsgruppe andererseits (auch in der Schritte-AG gibt es unterschiedliche Vorstellungen zum Konzept).

Zur Vermeidung eines Konflikts beim Kongress (und um der Öffentlichkeit die oben zitierte Politprosa zu ersparen) haben wir unseren Antrag zum Konzept zurückgezogen.

Fazit einer etwa fünfjährigen Konzeptdiskussion: Es gibt keine Festlegungen, wir betreiben einfach mehrere thematische Schwerpunkte nebeneinander.


DFG-VK-Aspekte

Nach all den Jahren drängt sich für Außenstehende natürlich die Deutung auf, die Kampagne sei vom Konzept her verfehlt, und/oder unsere Strukturen ineffektiv.

Aber wie viel Arbeitskapazität stand wirklich für die Kampagne zur Verfügung, wie viel Zeit musste für Anträge, Konzeptpapiere und Diskussionen verwendet werden, die nichts als Scheingefechte waren, weil eigentlich konkurrierende politische Vorstellungen aufeinandertreffen, diese aber nicht offen dargelegt und diskutiert wurden und werden?

Welche Anforderungen an eine "Kampagne" wurden da nicht erfunden: Ein "Zeithorizont", "definierbare Ziele" gar eine "Dramaturgie", "Erfolgskriterien", "konzeptionelle Ziele jenseits der politischen Forderung". Das klingt schrecklich beeindruckend.

Gleichzeitig werden immer wieder "Kampagnen" erfunden, ohne dass diese Fragen gestellt werden: eine "Afghanistan-Kampagne", eine "Kleinwaffenkampagne", jüngst eine "Nato-Kampagne".

Noch gravierender: Über all die Jahre gab es keine wirkliche Kommunikation mit der Mehrheit der Aktiven über vorgeschlagenen Aktivitäten bzw. Konzepte. Mögliche andere Vorbehalte - zu wenig "Bundeswehr abschaffen" oder zuviel davon werden nicht diskutiert.

In der jüngsten Zeit wird eine inhaltsleere, formalistische Mitgliederwerbung betrieben - überall muss jetzt fett draufstehen "DFG-VK" in Form und Farbe des "corporate design". Jetzt steht als subtile Drohung im Raum: Willst du etwa keine Mitgliederwerbung machen? Die für die Konstruktion der Kampagne grundlegende Erkenntnis wird wieder über Bord geworfen, dass wir eine Plattform auch für Nicht-DFG-VK-Mitglieder bieten müssen, die Zusammenarbeit mit anderen brauchen, um die fraglichen Ziele durchsetzen zu können.


Kampagne und Friedensbündnis

Vielleicht wäre die Kampagne mehr unterstützt worden, wenn Materialien und Homepage nicht von gleich als solche der DFG-VK identifizierbar wären? Anders herum: Bündnis-Arbeit für die Kampagne ist im Wesentlichen nicht erfolgt - eine Einladung an reale und potenzielle Bündnispartner, auf der Grundlage der Plattform gemeinsame Aktionen zu entwickeln. Das erfordert einen Geschäftsführer, der das tatsächlich will, im Bewusstsein mit den PartnerInnen diskutiert, dass es anderswo auch keine erfolgreichen Konzepte gibt, und den Nerv hat, andere Ansprüche aus dem Bündnis abprallen zu lassen. Derzeit ist es umgekehrt - der Geschäftsführer vertritt ein (anonymes) Friedensbündnis bei der DFG-VK, der Anspruch ist, bei allen Zusammenschlüssen und Dachverbänden irgendwie dabei zu sein. Eine Verzettelung und Zersplitterung der beschränkten Kräfte ist vorprogrammiert. Dieselbe Situation wie bei der Analyse der Lage der 90-er Jahre.


Ausblick

Ungeklärte, aber lebenswichtige Fragen: Wie kommen wir zu einer friedenspolitischen Öffentlichkeitsarbeit, die die Medien und die Politik erreicht? Wie kommen wir zu diesbezüglichen konzeptionellen Festlegungen, zu einem tatsächlichen Konsens? Wie kommen wir zu einer tatsächlichen Schwerpunktsetzung? Wie mobilisieren wir mehr Ressourcen, Personal und Finanzen für eine Kampagne? Wie können wir die Zustimmung zu unserer Politik deutlich machen und wirklich Ziele durchsetzen?

Darauf habe ich natürlich keine endgültigen Antworten. Aber über Jahre hinweg habe ich gute Gründe für das Konzept einer Kampagne vorgebracht, die immer noch richtig und stichhaltig sind. Trotz demokratischer Legitimation durch Kongressbeschlüsse konnte ich die praktischen Konsequenzen für die Arbeit des Verbandes nicht durchsetzen.

Nach wie vor bestimmen Traditionen und Rituale die politische Öffentlichkeitsarbeit der DFG-VK. Die real existierenden Politiken in der Friedensbewegung und in der DFG-VK stellen sich keinen strategischen und konzeptionellen Fragen.


Tommy Rödl ist Sprecher des DFG-VK-Landesverbands Bayern und Sprecher der bundesweiten "Schritte zur Abrüstung"-Arbeitsgruppe.


*


Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 21, I/2009, S. 34 - 39
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
Redaktion: Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel.: 040/18 05 82 83, Fax: 03212-10 28 255
E-Mail: Redaktion@Forum-Pazifismus.de
Internet: www.forum-pazifismus.de

Erscheinungsweise: in der Regel vierteljährlich
in der zweiten Quartalshälfte.
Forum Pazifismus kann nur im Abonnement erworben
werden. Die Bezugsgebühr für ein volles
Kalenderjahr (4 Hefte) beträgt 20, Euro
zzgl. 2,- Euro für Porto und Verpackung.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2009