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BERICHT/260: Internationale Friedenskonferenz - Kontrapunkt zur Münchner Sicherheitskonferenz (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 1 - Januar/Februar 2010
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Die globale Bandbreite von Friedensarbeit
Internationale Friedenskonferenz - Kontrapunkt zur Münchner Sicherheitskonferenz

Von Tommy Rödl


Zum bereits achten Mal fand am ersten Februarwochenende in München die internationale Friedenskonferenz als inhaltliche Gegenveranstaltung zur Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik statt. Während in den Medien viel die Rede war von neuer Politik und einem neuen Stil in der Sicherheitskonferenz, die sich zu einem wichtigen Forum für internationalen Dialog entwickelt habe, betonte der Trägerkreis der Friedenskonferenz, dass sich bisher nur die Rhetorik, nicht aber die tatsächliche Politik verändert habe. Real würden weiter Kriege geführt und Menschen getötet - und die dafür verantwortlichen Politiker seien auch auf der Sicherheitskonferenz zu finden. Also sei die Demonstration auf der Straße genauso nötig wie die Präsentation von zivilen Konzepten für Frieden und Abrüstung.

Die Konferenz begann mit einem Multimediavortrag von Peter Bürger über "Kriegspropaganda durch Hollywood & Co", in dem er ausführlich und fundiert die Propagandamechanismen der Unterhaltungsindustrie aufzeigte und die Verflechtung zwischen Unterhaltungsindustrie, Rüstungswirtschaft und Militär offenlegte. Jenseits seiner Thesen zeigten die Kriegsbilder in den Filmbeispielen eindringlich die Notwendigkeit unseres Engagements und die Notwendigkeit unserer Friedenskonferenz.

Für den zweiten Abend hatten wir das Thema "Afghanistan - Wege aus der Sackgasse" gewählt. Dabei sollten zivile Konzepte zur Diskussion gestellt werden, die zu einem Waffenstillstand, einem Friedensprozess und schließlich zu einem Abzug der fremden Truppen führen. In der inhaltlichen Vorbereitung hatte der Trägerkreis bewusst als wichtigstes Kriterium für eine zivile Lösung "die Sicherheit und die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen" formuliert. Derzeit scheint es eine Vorgabe in der Antikriegsbewegung zu geben, die Hauptforderung müsse der sofortige Abzug von Bundeswehr und Nato sein und nicht etwa ein Waffenstillstand mit nachfolgendem Friedensprozess.

Christoph Hörstel, Autor der Bücher "Sprengsatz Afghanistan" und "Brandherd Pakistan", Herbert Sahlmann, Ex-Beauftragter des Bundesministeriums für Zusammenarbeit für Kundus, und Jürgen Rose, Bundeswehroffizier und Autor des Buchs "Ernstfall Angriffskrieg", legten zunächst dar, welche vielschichtigen Konflikte es in Afghanistan gibt, welche Interessen die "global players" USA, China und Russland verfolgen, und dass alle Nachbarstaaten sich in Afghanistan einmischen, und wie die Bundesrepublik ihre Interessen in Afghanistan definiert: Mit Hilfe der Nato auf Seiten der USA, solange Deutschland oder die EU noch nicht alleine intervenieren können.

In der zweiten Runde stellte Christoph Hörstel sein Befriedungskonzept vor. Am Anfang habe ein Waffenstillstand zu stehen, dann sollten die herkömmlichen Selbstverwaltungsstrukturen gestärkt und durch Wahlen der Provinzgouverneure ergänzt werden. Parallel dazu sollten Vermittlungsinstanzen zur Bearbeitung der Konflikte auf lokaler und regionaler Ebene aufgebaut werden. Gleichzeitig sollen die ausländischen Truppen schrittweise reduziert werden. Dieser Friedensprozess solle zunächst in einigen Provinzen beginnen und dann schrittweise auf ganz Afghanistan ausgeweitet werden. Die sukzessive Rückkehr zur Souveränität solle auch das Motiv für bewaffnete politische Gruppen sein, einen Waffenstillstand auszuhandeln und zu respektieren. Sicherlich kein einfaches Konzept - und das Haupthindernis: die imperialen Interessen der USA und ihrer alliierten Kolonialmächte, die in Afghanistan eine dauerhafte Militärbasis errichten wollen, die den "Krieg gegen den Terror" als Vorwand brauchen und den Terrorismus gleichzeitig fördern und finanzieren - "Terrormanagement", wie Hörstel das bezeichnete.

Die Diskussionsrunde bot den etwa 100 BesucherInnen eine Fülle von Fakten und Argumenten. Wie nicht anders zu erwarten gab es kontroverse, aber friedlich vorgetragene Kommentare aus dem Publikum.


Entfeindung ist möglich

Höhepunkt der Friedenskonferenz war das internationale Forum am Samstag im Saal des Alten Rathauses der Stadt München. Etwa 300 BesucherInnen waren gekommen, um drei Beiträge zur Frage "Frieden und Gerechtigkeit gestalten" zu hören. Michael Henderson aus Großbritannien, Alejandra Londono aus Kolumbien und Cynthia McKinney aus den USA waren unserer Einladung gefolgt. Damit hatten wir ein internationales und farbiges Podium.

Michael Henderson ist Fernseh-Journalist, der in mehr als 20 Ländern gearbeitet und längere Zeit auch in Deutschland und den USA gelebt hat. Wir sind auf ihn aufmerksam geworden durch sein Buch "Die Macht der Vergebung", herausgegeben vom Bund für Soziale Verteidigung. Er hat eine Reihe von Prozessen der Versöhnung und Entfeindung nach Kriegen oder Bürgerkriegen untersucht. So berichtete er in seinem Vortrag über die deutsch-französische Verständigung nach dem Zweiten Weltkrieg, über den Friedensprozess in Nordirland, über die Versöhnung in Südafrika nach dem Ende der Apartheid sowie über Beispiele für Verständigung und Begegnung zwischen muslimischen und christlichen Extremisten in Nigeria. Zentral für einen Prozess der Entfeindung ist die Fähigkeit zur Vergebung und zum Dialog. Selbstverständlich sind Versöhnung und Entfeindung keine schnellen Veränderungen, sondern lange dauernde Prozesse im Bewusstsein von Menschen, die Teile eines Konfliktes oder Krieges waren und sich als Feinde betrachteten.

Henderson: "Gandhi predigte gewaltfreien Widerstand, und diese Botschaft ist heute genau so gültig wie damals. Gewaltfreier Widerstand braucht vielleicht lange Zeit, um zu gedeihen. Aber eines ist sicher: Gewalt bringt nie Erfolg. Es gibt keine Friedens-Straßenkarte. Meine Beispiele sind nicht notwendigerweise Erfolgsgeschichten sondern sind ein Beweis, dass Entfeindung möglich ist. Es gibt keine schnelle Lösung. Man muss bereit sein, einen langfristigen Prozess zu begleiten."

Alejandra Londono kommt aus Medellin in Kolumbien, ist 26 Jahre und studiert Geschichte. Seit ihrem 17. Lebensjahr ist sie im Jugendnetzwerk "red juvenil" aktiv (Das spanische "red" bedeutet "Netz", nicht "rot"). Dieses Netzwerk hat sich den War Resisters' International angeschlossen, denen auch die DFG-VK angehört. Meinen Vorschlag, eine Vertreterin dieser Bewegung einzuladen, hat der Trägerkreis der Konferenz gerne aufgegriffen. Das "Jugendnetzwerk" ist als Reaktion auf den Bürgerkrieg in Kolumbien entstanden. Der Bürgerkrieg wiederum hat seine Wurzeln in der Konzentration des Reichtums in den Händen einer kleinen gesellschaftlichen Elite, während andererseits große Teile der Bevölkerung in Armut leben und der Staatsapparat den politischen Veränderungswillen unterdrückt. Doch der bewaffnete Bürgerkrieg steckt seit Jahren in einer Sackgasse. Die linke Guerilla (Farc) kontrolliert einen Teil des Landes, hat aber keine Chance, die Staatsgewalt zu übernehmen angesichts der Überlegenheit der regulären Streitkräfte und der rechten Guerilla (ELN). Zur Aufrechterhaltung ihrer Macht und Kontrolle über Teile des Landes hat die Farc militärische Strukturen entwickelt und zu kriminellen Methoden gegriffen, um ihren Apparat finanzieren zu können. Red Juvenil will die Einsicht verbreiten, dass der soziale Konflikt in Kolumbien nicht mit Waffengewalt zu lösen ist. Die Aktivisten verweigern den Kriegsdienst bei der kolumbianischen Armee, sie weigern sich aber auch, zu einer anderen bewaffneten Gruppe zu gehen. In Medellin und anderen Städten versuchen sie, die Jugendlichen mit ihrer Idee der Gewaltfreiheit zu erreichen. Sie veranstalten Konzerte oder andere kulturelle Happenings, sie entwickeln Bildungsprogramme und vielfältige Angebote, um ihre Altersgenossen von der Notwendigkeit der Abkehr vom Militarismus und der Möglichkeit der Entwicklung einer Kultur der Gewaltfreiheit zu überzeugen.

Zielsetzung sei, so Alejandra Londono, wieder in der politischen Sphäre über den bewaffneten Konflikt verhandeln zu können und mit gewaltfreien Methoden und Mitteln des zivilen Widerstandes und Ungehorsams für eine Veränderung der sozialen Verhältnisse zu arbeiten. Ihr Vortrag entfaltete eher die politisch-philosophische Konzeption hinter der Arbeit von red juvenil, das sich sehr selbstbewusst in die Geschichte von Krieg und Frieden im 20. und 21. Jahrhundert einordnet und den Konflikt in Kolumbien in einen internationalen, historischen machtpolitischen und gesellschaftspolitischen Kontext einordnet. Das klingt "heavy" - und das war es auch; der temperamentvolle und flotte Vortrag wurde zur echten Herausforderung für unser Übersetzungsteam.

Beim Diskussionsforum mit den ReferentInnen am Sonntagvormittag nutzte Alejandra die Gelegenheit, anschaulicher und konkreter über einzelne Aktionen, Kampagnen und die Situation der Kriegsdienstverweigerer zu berichten.


Die Hoffnung nicht aufgeben

Der Glanzpunkt des internationalen Forums war die Rede von Cynthia McKinney. Sie war die erste Afro-Amerikanerin, die 1992 aus dem Bundesstaat Georgia in das US-Repräsentantenhaus gewählt wurde. Schon während der Regierungszeit von Präsident Clinton stimmte sie häufig gegen die Linie der demokratischen Partei. Sie wandte sich gegen die hohen Militärausgaben, setzte sich ein gegen Rassendiskriminierung und für die Interessen der Vietnamkriegsveteranen. Sie stimmte gegen die Kriege in Irak und Afghanistan und erhob Anklage gegen Präsident Bush, Verteidigungsminister Cheney und Beraterin Rice. Sie hat sich auch für die Rechte der Palästinenser eingesetzt und an Protestaktionen in Palästina teilgenommen. Die pro-israelische Lobby in Washington habe, so sagte sie in ihrem Vortrag, alle Hebel der Macht genutzt, um sie aus dem Kongress hinauszuwerfen. Sie wurde dann bei den Vorwahlen der demokratischen Partei nicht mehr aufgestellt und wechselte zur grünen Partei, für die sie 2008 für die Präsidentschaft kandidierte.

Schwarze und Latino-Amerikaner seien die eigentlichen Verlierer der Finanzkrise, so McKinney, sie hätten mit ihren Zinszahlungen die Banken gefüttert. Ausführlich ging sie auf die soziale und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung in den USA ein. Neben den Verlierern gäbe es auch Gewinner in den USA, die Freundeskreise, die "Basis" von Präsident Bush, der die US-Amerikaner ausgeraubt habe. Daher müsse "der Zweck der politischen Aktivitäten sein, den groß angelegten Diebstahl einer Nation unter der Maske von "Hoffung", "Wandel" und "Yes we can" zu vereiteln.

Ausführlich, lebhaft und rhetorisch-routiniert erzählte sie von ihren vielfältigen Aktivitäten im Kongress und außerparlamentarisch. Leider ging sie nicht auf die Frage ein, ob unter Obama tatsächlich Abrüstung zu erwarten sei. Sie gab die Antwort aber indirekt, indem sie mehrfach ansprach, dass es neben, hinter oder über den Politikern die eigentlichen Drahtzieher und Gewinner der Krise und der Kriege gäbe. Trotzdem sprach sie uns Mut zu - wir dürften die Hoffnung nicht aufgeben, dass Menschen aus der Konformität ausbrechen und immer mehr die Priorität auf Frieden setzten.

"Schließlich brauchen wir einen Wählerblock, der Frieden und die Haushaltsprioritäten für Frieden und für die Bedürfnisse der Menschen über alle anderen Spezialinteressen stellt. Dieser Wählerblock wird keinen Kandidaten der Kriegspartei unterstützen. Weil es jedermann, der sich um den Frieden sorgt, kristallklar sein sollte, dass wir nicht von hier nach dort kommen können, wo wir hinwollen, indem wir das tun, was diejenigen, die für diesen Durcheinander verantwortlich sind, von uns erwarten. Wir müssen etwas anderes tun, um unser Land zurückzubringen und unser Land besser zu machen."

Für VeranstalterInnen und BesucherInnen repräsentierte das Podium an diesem Abend, für einige Stunden und schlaglichtartig, die inhaltliche und globale Bandbreite von Friedensarbeit.

Das Munich American Peace Committee verlieh Cynthia Mc Kinney anschließend den Friedenspreis "peace through conviction" - Friede durch Überzeugung.

Das Diskussionsforum am Sonntagvormittag war leider schwach besucht. Alle drei ReferentInnen argumentierten bzw. plädierten für Gewaltfreiheit. Die Argumente erreichen weder die etablierten Medien - eine dünne, aber immerhin korrekte Berichterstattung gab es in der Süddeutschen Zeitung -, noch die "antiimperialistischen", "autonomen" oder wie immer "linken" politischen Diskussionszirkel und Che-Guevara-Fanclubs in diesem Lande, die immer noch an den gerechten revolutionären Krieg glauben; Parole bei der Demo gegen die Sicherheitskonferenz: "No War but Class War" (Kein Krieg außer Klassenkrieg).

Alle Beiträge zur Friedenskonferenz sind auf der Homepage
http://www.friedenskonferenz.info nachzulesen.


Tommy Rödl ist Sprecher des DFG-VK-Landesverbands Bayern, Geschäftsführer des Helmut-Michael-Vogel-Bildungswerkes der bayerischen DFG-VK und Hauptorganisator der Friedenskonferenz.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 1 - Januar/Februar 2010, S. 14-15
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2010