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BERICHT/270: Ja! Jetzt atomwaffenfrei! (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2010
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Ja! Jetzt atomwaffenfrei!

Von Andreas Zumach


Vor 40 Jahren, am 5. März 1970, trat der "Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffen" (Non Proliferation Treaty - NPT) in Kraft. Der außer von Indien, Israel und Pakistan von allen anderen 189 Uno-Mitgliedern ratifizierte "Atomwaffensperrvertrag" gilt als das wichtigste multilaterale Rüstungskontrollabkommen der Miitärgeschichte. Welche Zukunft das Abkommen haben wird, entscheidet sich auf der überprüfungskonferenz vom 3. bis 28. Mai in New York.


Die Aushandlung des NPT wurde 1966 von Finnland und Irland angeregt aus Sorge über die Verbreitung der Atomwaffen. Nach den USA, die 1945 weltweit als erster Staat über atomare Massenvernichtungsmittel verfügten und diese im selben Jahr auch gegen die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki einsetzten, wurde 1949 auch die Sowjetunion zur Atomwaffenmacht. Großbritannien entwickelte Mitte der 1950er Jahre mit Hilfe der USA Atomwaffen und verschaffte sich damit nach dem Verlust seines kolonialen Weltreiches eine neue Rolle als Junior-Großmacht an der Seite Washingtons. 1957 führte Frankreich seine erste erfolgreiche atomare Testexplosion durch und erklärte sich wenig später zur vor allem von den USA "unabhängigen" Atommacht. 1965 folgte China.

Diese fünf Staaten, die auch ständige und mit Vetorecht ausgestattete Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates sind, haben seit der Unterzeichnung des NPT am 1. Juli 1968 den exklusiven Status als "offiziell anerkannte Atomwaffenmächte". Denn sie haben "vor dem 1. Januar 1967 eine Kernwaffe oder einen sonstigen Kernsprengkörper hergestellt und gezündet" (Artikel 9 NPT). Während die USA, Großbritannien und die Sowjetunion an den NPT-Verhandlungen beteiligt waren und das Abkommen auch umgehend ratifizierten, traten die Atomwaffenmächte Frankreich und China dem Vertrag erst 1992 bei.

Indien, Israel und Pakistan, die inzwischen ebenfalls zu Atomwaffenmächten geworden sind, haben ihre atomaren Testexplosionen seit Mitte der 1970er Jahre durchgeführt. Dem NPT könnten sie wegen der Bestimmung in Artikel 9 daher nur beitreten, wenn sie zuvor ihre Atomwaffen unter Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Organisation vernichten und sich von der IAEO den Status eines Nicht-Atomwaffenstaates bescheinigen lassen. Diesen Weg gingen Südafrika, das 1975 einen atomaren Sprengkopf getestet hatte, sowie - nach dem Zerfall der Sowjetunion - Weißrussland, die Ukraine und Kasachstan. Nordkorea hatte den Vertrag ursprünglich ratifiziert, nutzte 2003 aber die im Abkommen vorgesehene Möglichkeit zur Kündigung der Mitgliedschaft und führte 2006 einen Atomwaffentest durch. Ob das Land tatsächlich über einsatzfähige Atomwaffen verfügt, ist unter Experten umstritten. Iran, das in den letzten Jahren unter immer stärkeren Verdacht verbotener, bislang allerdings nicht eindeutig bewiesener Atomwaffenbestrebungen geraten ist, gehörte 1970 zu den ersten Staaten, die den NPT ratifizierten.

In Deutschland wird das Abkommen häufig "Atomsperrvertrag" genannt. Diese Bezeichnung benutzten die CDU-geführten Regierungen unter Adenauer, Erhard und Kiesinger, weil sie die Option auf eigene Atomwaffen für Deutschland nicht völlig aufgeben wollten. 1974 ratifizierte die sozial-liberale Bundesregierung unter Willy Brandt dann den "Vertrag zur Nichtverbreitung".


Die drei Säulen des Vertrags: Nichtverbreitung, Recht auf "zivile" Nutzung und Abrüstung

Die ersten drei Artikel des Vertrages enthalten die Bestimmungen zur Nichtverbreitung von Atomwaffen. Die fünf offiziellen Atomwaffenmächte verpflichten sich, "Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber" nicht an andere Staaten weiterzugeben oder einen Nichtkernwaffen-Staat bei der Beschaffung oder Entwicklung von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu unterstützen (Art. 1).

Die Nichtkernwaffenstaaten verpflichten sich, keine Atomwaffen oder die Verfügungsgewalt darüber anzunehmen oder selber Atomwaffen zu entwickeln (Art. 2). Zur Überwachung der Einhaltung ihrer Verpflichtungen unterwerfen sich die Nichtnuklearstaaten Sicherungsmaßnahmen ("safeguards") der IAEO (durch Inspektionen und Kontrolle von Nukleareinrichtungen, nuklearen Brennstoffen etc.) (Art. 3). Die Einzelheiten dieser Sicherungsmaßnahmen werden in Abkommen zwischen der IAEO und den einzelnen Staaten geregelt. Die IAEO soll aber nicht nur durch Kontrollen sicherstellen, dass es keine Verbreitung von Atomwaffen oder von militärisch nutzbaren Nukleartechnologien gibt. Sie soll auch den ungehinderten Technologietransfer für die zivile Nutzung der Kernenergie zum Zwecke der Energiegewinnung sicherstellen. Die Kontroll- und Inspektionsrechte der IAEO sind auf vergangenen Überprüfungskonferenzen des NPT mehrfach erweitert worden. Um die Nichtverbreitung zu stärken, haben sich die 44 Staaten, die über Nukleartechnik zur Herstellung von Spaltmaterial verfügen, in der Gruppe nuklearer Lieferländer (Nuclear Supplier Group) zusammengetan, um ihre Exportpolitik zu harmonisieren.

Die Staaten ohne Atomwaffen erhielten im Gegenzug zu ihrem Verzicht auf die Anschaffung oder Entwicklung derartiger Massenvernichtungsmittel das "unveräußerliche Recht" garantiert "die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln" und zwar "unter Wahrung der Gleichbehandlung" (Art. 4). Alle Vertragsstaaten "verpflichten sich zum weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und sind berechtigt, daran teilzunehmen".

Teil des Kompromisses zwischen den fünf offiziell anerkannten Atomwaffenmächten und dem "Rest der Welt" war schließlich auch, dass sich die Fünf dazu verpflichteten, "in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle" (Art. 6).

Der 1970 in Kraft getretene NPT war das erste internationale Abkommen der Geschichte, dessen Unterzeichner - sämtlich zumindest formal gleichberechtigte Nationalstaaten und Mitglieder der Uno - in unterschiedlichen Kategorien aufgeteilt wurden: jene, die Atomwaffen legalerweise besitzen dürfen, und diejenigen, denen das nicht erlaubt ist. Wegen dieses völkerrechtlichen Novums wurde die Gültigkeit des Vertrags ursprünglich auf 25 Jahre begrenzt. Während der regelmäßig alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen musste deshalb auf der fünften Konferenz im Jahre 1995 entschieden werden, wie es mit dem dem Vertrag weitergehen sollte.

Die drei westlichen Atomwaffenmächte USA, Großbritannien und Frankreich sowie ihre Nato-Verbündeten drängten massiv auf eine unbegrenzte, bedingungslose Verlängerung. Auch Russland und China warben für dieses Ziel. Dagegen stand zunächst die starke Kritik einer großen Mehrheit der Vertrags staaten an der völlig unzureichenden Umsetzung der Abrüstungsverpflichtungen der fünf Atomwaffenmächte. Schließlich wurde der Vertrag bedingungslos auf unbegrenzte Zeit verlängert. Dies gelang nur mit einem diplomatischen Trick. Gefragt wurde, ob Mitgliedstaaten gegen eine solche Verlängerung ihr Veto einlegen würden. Als dies nicht der Fall war, wurde auf eine formale Abstimmung verzichtet. Die unbegrenzte Verlängerung galt als beschlossen.

Zuvor hatten die fünf offiziell anerkannten Atomwaffenmächte noch einmal das Ziel bekräftigt, nuklear abrüsten zu wollen. Zudem stimmten sie einem Dokument zu, in dem Prinzipien und Ziele der künftigen Nichtverbreitungs- und Rüstungskontrollpolitik festgehalten wurden. Sie verpflichteten sich erneut politisch verbindlich, Atomwaffen nur gegen solche Nichtnuklear-Staaten einzusetzen, die im Bündnis mit einer Atomwaffenmacht einen Nuklearstaat, dessen Truppen oder Verbündete angreifen. Diese politisch, allerdings völkerrechtlich nicht verbindliche Erklärung ist als "negative Sicherheitsgarantie" bekannt.

Bei der sechsten Überprüfungskonferenz im Jahre 2000 wurde erneut Kritik an der mangelnden Abrüstungsbereitschaft der Atomwaffenstaaten laut. Erstmals machte zudem die Mehrheit der Vertragsmitglieder, die in der Bewegung der Nicht-Paktgebundenen zusammenarbeitet, deutlich, dass sie die in der Nato praktizierte nukleare Teilhabe für einen Verstoß gegen den Vertrag hält. Darunter fällt die Regelung, wonach in Deutschland stationierte US-Atombomben im Kriegsfall in deutschen Kampfflugzeugen zum Einsatz gebracht werden sollen.

Um das Scheitern der Überprüfungskonferenz 2000 zu verhindern, erklärten sich die fünf offiziellen Atomwaffenstaaten schließlich in einem Aktionsplan mit 13 Punkten zu weiterer Abrüstung bereit, darunter zu einem "uneingeschränkten Bemühen" zur "völligen Eliminierung ihrer nuklearen Arsenale".

Da diesem Versprechen aber in den folgenden fünf Jahren keinerlei konkrete Schritte folgten, gelang 2005 bei der siebten Überprüfungskonferenz erstmals keine gemeinsame Abschlusserklärung mehr. Zum Scheitern der Konferenz trug damals auch der Streit um das iranische Atomprogramm bei. Der Streit war eskaliert, nachdem das EU-Trio - Deutschland, Frankreich, Großbritannien - und die USA den Iran im Frühjahr. 2005 ultimativ aufgefordert hatten, sämtliche Aktivitäten zur Anreicherung von Uran einzustellen. Nicht nur die iranische Führung, sondern auch viele andere Regierungen hielten - und halten bis heute - diese Forderung für diskriminierend und für unvereinbar mit dem im NPT garantieren "unveräußerlichten Recht" auf die zivile Nutzung der Atomenergie.


Obamas Bekenntnis zur Atomwaffenfreiheit - Garantie für den Erfolg der Überprüfungskonferenz?

In seiner Prager Rede im April 2009 bekannte sich US-Präsident Barack Obama als erster Präsident der US-Geschichte zumindest rhetorisch zur Vision einer atomwaffenfreien Welt. Als erste konkrete Schritte auf dem Weg zur Verwirklichung dieser Vision versprach Obama den baldigen Abschluss eines Start-Nachfolgeabkommens mit Russland. "Start" steht für Strategic Arms Reduction Treaty, also Vertrag zur Verringerung der strategischen Waffen. Der erste Vertrag - Start I - wurde 1991 zwischen George Bush sen. und Michail Gorbatschow vereinbart, der wegen des Zerfalls der Sowjetunion allerdings erst 1994 in Kraft trat. Nach der Kündigung des Anti-Ballistic-Missile-Vertrags 2002 durch die USA wurde Start II hinfällig. Der "New Start" genannte Vertrag wurde Anfang April zwischen Obama und dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew unterzeichnet. Darin verpflichten sich die USA und Russland, die Zahl ihrer atomaren Sprengköpfe innerhalb der nächsten sieben Jahre von je 2.200 auf je 1.500 zu reduzieren und die Zahl der Trägersysteme auf jeweils 800 zu halbieren. (Siehe den Beitrag zu "Start" auf Seite 9 in diesem Heft. [Im Schattenblick zu finden unter: www.schattenblick.de -> Infopool -> Bürger/Gesellschaft -> Friedensgesellschaft -> BERICHT/267: Start-Vertrag - Kosmetik statt Fortschritt (ZivilCourage)])

Außerdem hatte Obama in Prag die Ratifizierung des bereits seit 1996 vorliegenden Vertrages über das umfassende Verbot von Atomwaffentests (CTBT) angekündigt, eine neue US-Atomwaffendoktrin sowie eine neue multilaterale Initiative zur besseren Kontrolle militärisch nutzbarer Spaltmaterialien (hochangereichertes Uran und wiederaufgearbeitetes Plutonium). All diese Schritte wollte Obama rechtzeitig vor der NPT-Überprüfungskonferenz umsetzen, deren Erfolg er in seiner Prager Rede als zunächst wichtigstes Zwischenziel auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt markierte.

Die Bilanz 13 Monate nach der Prager Rede ist ziemlich enttäuschend. Die Verhandlungen mit Russland über das Start-Abkommen waren mühsamer und dauerten viel länger als erwartet. Das nun unterzeichnete Ergebnis ist ein viel zu geringer Abrüstungsschritt, zumal die ausgemusterten Sprengköpfe nicht verschrottet werden müssen, wie Nicht-Nuklearstaaten seit Jahren immer wieder gefordert haben, sondern weiter in den Arsenalen der beiden Atommächte verbleiben dürfen. Daher dürfte "New Start" von der Mehrheit der NPT-Vertragsstaaten auf der Überprüfungskonferenz kaum als ausreichende Umsetzung der Abrüstungsverpflichtungen aus Artikel 6 des Vertrages gewertet werden.

Es kommt hinzu, dass derzeit völlig unsicher ist, ob und wann der US-Senat das Abkommen mit Russland ratifizieren wird. Denn für die dazu erforderliche Zweidrittelmehrheit benötigt Obama die Unterstützung von mindestens acht SenatorInnen der Republikaner. Die aber fahren eine totale Konfrontations- und Obstruktionsstrategie und verweigern dem Präsidenten bei ausnahmslos all seinen außen- wie innenpolitischen Zielen jegliche Unterstützung Aus diesem Grund ist Obama auch mit seinem Ziel der Ratifizierung des CTBT gescheitert. Solange die USA dem Vertrag nicht beitreten, ratifiziert auch China nicht. Die Ratifikation durch diese beiden Atomwaffenmächte wäre ein wichtiges Signal für die NPT-Überprüfungskonferenz gewesen.

Mit der ebenfalls im April veröffentlichten neuen Atomwaffendoktrin der USA wollte Obama der Welt dennoch signalisieren, dass "der atomare Abrüstungsprozess weitergeht" und die USA nicht nur die Zahl ihrer atomaren Massenvernichtungsmittel verringern, sondern auch die Rolle der Atomwaffen in ihrer Sicherheitspolitik herabstufen wollen. Hauptadressaten von Obamas Signal waren die Regierungen Irans, Nordkoreas und anderer Staaten, die - tatsächlich oder vermeintlich - die Entwicklung eigener Atomwaffen anstreben oder gar waffenfähiges Spaltmaterial an Terroristen weitergeben. Obamas Vorgänger George W. Bush hatte diesen Staaten in seiner, ein Jahr nach den Anschlägen des 11. September 2001 veröffentlichten US-Sicherheitsdoktrin ausdrücklich mit "präventiven" Militärschlägen gedroht, notfalls auch mit atomaren Waffen. Die Obama-Regierung hat diese ausdrückliche Drohung zurückgenommen. Hauptrolle ("fundamental role") der amerikanischen Atomwaffen soll künftig die Abschreckung atomarer Angriffe anderer Staaten auf die USA sein. Der Präsident wollte die Rolle der Atomwaffen ursprünglich sogar ausschließlich auf diese Aufgabe beschränken ("sole role"), konnte sich damit aber gegenüber dem Pentagon nicht durchsetzen.

Mit der neuen Doktrin verzichten die USA erstmals ausdrücklich auf den Einsatz von Atomwaffen für den Fall, dass sie lediglich mit konventionellen, chemischen oder biologischen Waffen angegriffen werden. Diese in der Rüstungskontrollsprache so bezeichnete "negativen Sicherheitsgarantie" ist allerdings keine völkerrechtlich verbindliche Garantie. Und sie gilt nur "gegenüber Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert haben und sich an ihre vertraglichen Verpflichtungen halten". Mit dieser Einschränkung sind Iran, Nordkorea und alle anderen aktuellen oder für die mittelfristige Zukunft befürchteten Möchtegern-Atomwaffenstaaten (Ägypten, Syrien u.a.) von den atomaren Nichtangriffsgarantien ausgenommen. Damit behalten die USA in der Substanz gegenüber diesen Staaten auch künftig alle bisherigen militärischen Optionen. Daher ist unwahrscheinlich, dass Obamas positives Signal bei den Regierungen dieser Staaten ankommt und die von ihm erhoffte Wirkung einer veränderten Politik haben wird.

Das gilt auch für den in der neuen Nukleardoktrin angekündigten Verzicht auf die "Entwicklung neuer atomarer Waffensysteme". Das ist zwar grundsätzlich ein wichtiger Schritt. Doch das einzige von diesem Verzicht betroffene konkrete Projekt ist die unter Präsident Bush in Auftrag gegebene Entwicklung so genannter "Mini"-Nukes. Diese vom Pentagon einst als neue "Wunderwaffe" gegen "Schurkenstaaten" gepriesenen "kleinen" Atombomben sollten mit einer Sprengkraft von maximal einer Kilotonne in der Lage sein, unterirdische Bunker ohne Freisetzung nuklearer Strahlung zu zerstören. Da bei der bisherigen Entwicklung riesige technische Probleme auftraten, war die Einstellung dieses Projektes ohnehin schon längst beschlossene Sache. Die im ersten Militärhaushalt der Obama-Regierung - dem größten in der Geschichte der USA - vorgesehenen Ausgaben für die Wartung und Instandhaltung des atomaren Waffenarsenals sind deutlich höher als in den letzten Jahren unter Bush. Amerikanische Rüstungskontrollexperten befürchten, dass ein Teil dieser Mittel doch zur Entwicklung neuer Sprengköpfe verwendet werden könnte.

Erschwerend kommt hinzu, dass die zumindest rhetorische Deeskalation bei der US-Atomwaffendoktrin von der Regierung kompensiert wurde durch die Ankündigung einer mit massiver Aufrüstung verbundenen neuen konventionellen Kriegsführungstrategie des "Global prompt strike". In wenigen Jahren wollen die USA in der Lage sein, von ihrem eigenen Territorium aus jeden Punkt der Erde innerhalb von zehn Minuten mit hochpräzisen konventionellen Waffen zu zerstören. Auf diese Weise will Washington künftige Konflikte "unterhalb der atomaren Schwelle" halten. Doch im Ergebnis könnte diese neue globale konventionelle Kriegsführungsstrategie in manchen Ländern Bedrohungswahrnehmungen und dann auch eigene Atomwaffenambitionen verstärken.

Als "großen Erfolg" im Vorfeld der Überprüfungskonferenz verkaufte Obama sein Washingtoner Gipfeltreffen zur Verhinderung von "Nuklearterrorismus". Die eintägige Zusammenkunft von 47 Staats- und Regierungschefs Mitte April werde "die Welt sicherer machen", verkündete der US-Präsident.

Doch das muss sich erst noch zeigen. Zunächst sind die im Abschlusskommunique verkündeten Maßnahmen mit dem Ziel, innerhalb von vier Jahren alles militärisch nutzbare Nuklearmaterial dieser Erde entweder zu vernichten oder unter Kontrolle "verlässlicher" Staaten beziehungsweise der Internationalen Atomenergie Organisation zu bringen, nur unverbindliche Absichtserklärungen. Und die konkreten Schritte, die anlässlich des Gipfels verkündet wurden - zum Beispiel die Auslagerung von 90 Kilogramm hochangereicherten Urans aus der Ukraine nach Russland - waren ohnehin geplant.

Als großer Fehler könnte sich erweisen, dass der US-Präsident just die Staaten mit erwiesenen oder mutmaßlichen Atomwaffenambitionen wie Nordkorea und Iran nicht zu dem Gipfel eingeladen hatte. Stattdessen nutzten Obama, Merkel und Sarkozy die Veranstaltung, um die längst gescheiterte und kontraproduktive Sanktionspolitik gegen Teheran noch weiter zu verschärfen.


Stärkung der IAEO-Kompetenzen unwahrscheinlich

Auf der New Yorker Überprüfungskonferenz verfolgen die drei westlichen Atomwaffenmächte USA, Frankreich und Großbritannien mit Unterstützung ihrer Nato-Verbündeten in erster Linie das Ziel, die Kompetenzen, Inspektions- und Kontrollrechte der Internationalen Atomenergie Organisation in Wien bei der Überwachung der Einhaltung des Sperrvertrages zu stärken.

Allerdings stehen die Aussichten bislang nicht gut, dass diese Vorschläge mehrheitliche Unterstützung finden oder gar im Konsens verabschiedet werden. Zu groß ist das Misstrauen vieler Nicht-Atomwaffenstaaten, die vorgeschlagenen Maßnahmen könnten ihre Möglichkeiten zur uneingeschränkten zivilen Nutzung der Atomenergie einschränken.

Hinzu kommt die weit verbreitete Unzufriedenheit mit den bisherigen Abrüstungsmaßnahmen der fünf offiziellen Atommächte. Diese Unzufriedenheit wird noch verstärkt durch den Umstand, dass zumindest die USA, Großbritannien und Frankreich mit Rücksicht auf die Atomwaffenmacht Israel die von Ägypten und anderen Ländern vorgelegte Initiative für eine von Massenvernichtungsmitteln aller Art freie Zone im Nahen und Mittleren Osten ausdrücklich ablehnen.

Die Gefahr, dass die Überprüfungskonferenz ebenso scheitert wie die letzte 2005, wird noch größer, sollten die USA oder andere Staaten die Konferenz als Bühne für Kritik am iranischen Nuklearprogramm nutzen oder sollte der Uno-Sicherheitsrat noch während der Konferenz neue Sanktionen gegen Teheran verhängen.



Essener Erklärung

Jetzt den Weg ebenen für die vollständige Beseitigung aller Atomwaffen

Der Kongress "Friedenskultur.2010 - Unsere Zukunft atomwaffenfrei" ist der Beitrag der Friedensbewegung zur Gestaltung der Kulturhauptstadt Europas Essen 2010. Hier haben international renommierte Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Publizistik gemeinsam mit engagierten BürgerInnen Handlungsperspektiven zur atomaren Abrüstung beraten. Von weltweiter Bedeutung ist der nächste Schritt zur Verwirklichung der nuklearen Abrüstung. Im Mai tagt in New York die 7. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages. Auf dieser Konferenz wird sich entscheiden, ob der Atomwaffensperrvertrag tragfähig bleibt und neue Initiativen zur Abschaffung aller Atomwaffen eine Perspektive haben. Scheitert die Konferenz, wäre der Weg offen für ein atomares Wettrüsten von immer mehr Atomwaffenstaaten.

Angesichts der Gefahr durch die Existenz zigtausender Atomwaffen in den Arsenalen der Atommächte und der Drohung der ungebremsten Verbreitung dieser Massenvernichtungswaffen, aber auch mit der Hoffnung auf internationale Umkehr aus der atomaren Sackgasse lautet unsere Botschaft aus der europäischen Kulturhauptstadt 2010:

Das durch US-Präsident Obama formulierte Ziel einer Welt ohne Atomwaffen muss konsequent verfolgt werden.
Alle Staaten der Erde sind in die völkerrechtliche Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung einzubinden.
Den Staaten ohne Atomwaffen muss durch verbindliche Verträge der Verzicht auf einen Angriff mit Atomwaffen zugesichert werden.
Die Nato-Mitglieder, Russland und die anderen Atommächte müssen auf die Politik der nuklearen Abschreckung verzichten und so den Nichtatomwaffenstaaten ein glaubwürdiges Zeichen geben.
Die Beseitigung der nuklearen Gefahr muss einhergehen mit dem Abbau auch der konventionellen Militärarsenale und unter Gewährleistung der Sicherheit aller Staaten.
Die atomare Abrüstung ist ein entscheidender Schritt zu einer Kultur des Friedens, die auf der "Verpflichtung zur friedlichen Beilegung von Konflikten" sowie auf den "Anstrengungen zur Befriedigung der Bedürfnisse der heutigen und der kommenden Generationen auf dem Gebiet der Entwicklung und der Umwelt" beruht (aus der Erklärung der UN-Generalversammlung vom 13.9.1999).

Von den in New York sich versammelnden Vertragsstaaten des Atomwaffensperrvertrages erwarten wir als konkrete erste Schritte auf dem Weg zur atomwaffenfreien Welt,
- alle Modernisierungsvorhaben zu stoppen und auf Ersteinsatzplanungen zu verzichten;
- den Atomteststoppvertrag zu ratifizieren und zu unterzeichnen;
- Verhandlungen über eine atomwaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten den Weg zu ebnen;
- Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention mit dem Ziel des Verbots aller Atomwaffen zu vereinbaren.

Von der deutschen Regierung fordern wir,
- auf den Abzug der letzten US-Atomwaffen in Deutschland hinzuwirken;
- die nukleare Teilhabe Deutschlands zu beenden;
- Ersteinsatzplanungen von Nato oder anderen Bündnispartnern zurückzuweisen;
- ein atomwaffenfreies Europa anzustreben.

Wir rufen die Zivilgesellschaft auf:
Tragen Sie dazu bei, über die Gefahren eines Atomkrieges aufzuklären!
Beteiligen Sie sich an den nationalen und internationalen Kampagnen für die Abschaffung aller Atomwaffen und gegen jegliche Atomkriegsplanungen.

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Kern-, Nuklear-, Atomwaffen?

Weg mit den Tarnwörtern

Atomwaffen waren einigen Experten zu ungenau, da es die Atomkerne seien, auf die es ankomme. Also sagten sie Kernwaffen, mit der kuriosen Wirkung, dass uns zum Kern statt des Atoms auch die Pflaume einfallen könnte (aber so weit dachte keiner). Da dieser Kern auf Lateinisch und englisch nucleus heißt, wurden daraus die nuklearen Waffen, die zugleich der Adjektivitis und der Lust an der vielsilbigen Blähung entgegenkamen, ebenso wie die atomaren Waffen, die das bisschen Genauigkeit wieder aufheben, doch dieselbe Lust befriedigen. Atomwaffen, Atombomben, Atomraketen und Atomkraftwerke: das ist die deutsche Sprache und nichts sonst. Mit Steinobst haben "Kernkraftwerke" nichts zu tun.

Die Kernkraftwerke legen den Verdacht nahe, dass die Vorsilbe Kern-, mag sie zunächst auch um der scheinbaren Genauigkeit willen eingeführt worden sein, inzwischen nicht ungern zur Tarnung und Beschwichtigung verwendet werden. Wer sollte etwas gegen Kerne haben? Ein Grund mehr, von "Atomkraftwerken" zu sprechen und nur von ihnen.

Aus Wolf Schneider: Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil (16. Auflage, München 2001, Seite 61 f.)


Andreas Zumach ist DFG-VK-Mitglied und Journalist. Er arbeitet im Palais des Nations, dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf als Korrespondent u. a. für "die tageszeitung". Er ist Autor der Bücher "Die kommenden Kriege: Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinn - Präventivkrieg als Dauerzustand?" (Köln 2005), "Irak - Chronik eines gewollten Krieges" (gemeinsam mit Hans-C. Graf Sponeck; Köln 2003) und "rororo special: Vereinte Nationen" (Reinbek bei Hamburg 1995). Im letzten Jahr erhielt er den Göttinger Friedenspreis.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2010, S. 4-8
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2010