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BERICHT/277: Interessanter Sinneswandel - Das Ende der Wehrpflicht (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 27/28 - III+IV/2010
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Interessanter Sinneswandel
Das Ende der Wehrpflicht

Von Ulrich Finckh


In erstaunlich kurzer Zeit haben CDU und CSU ein Herzstück ihres militärfreundlichen Denkens aufgegeben, die Wehrpflicht. Es scheint nicht ganz freiwillig passiert zu sein, denn zu Beginn des Abschieds hat Verteidigungsminister zu Guttenberg beiläufig begründet, er wolle die Wehrpflicht aussetzen, ehe Gerichte ihn dazu zwingen. Ich vermute, dass er aus Karlsruhe einen diskreten Wink bekommen hat, unbegrenzt könne man die fehlende Wehrgerechtigkeit nicht hinnehmen. Doch das ist Spekulation, würde aber gut zu unserem ständigen Hinweis auf die derzeitige Ungerechtigkeit bei den Einberufungen und zu den Vorlagebeschlüssen von Verwaltungsgerichten passen.


Wehrpflicht war fortgesetztes Unrecht

Was sollen wir nun sagen? Wir hatten uns vorgenommen, gegen die Wehrpflicht zu arbeiten, weil sie auch nach dem Ende der schlimmsten Diffamierungen und Diskriminierungen immer noch für Kriegsdienstverweigerer ständiges Unrecht bedeutet. Verweigerer müssen für ihr Grundrecht einen Antrag stellen, ihn begründen und ihre Gewissensentscheidung beweisen. Der Staat nimmt für sich in Anspruch, das zu überprüfen und das im Grundgesetz garantierte Grundrecht zu versagen. Für Straftäter gilt "im Zweifel für den Angeklagten". Der Verweigerer, der sich auf ein Grundrecht beruft, wird aber bei Zweifeln "abgelehnt", verliert sein Grundrecht. Nur weil man den Ersatzdienst noch für den Erhalt der Wehrpflicht brauchte, war das seit einiger Zeit in der Praxis kein Problem.

Allerdings wird man damit rechnen müssen, dass das nach dem Ende der Wehrpflicht und des Zivildienstes anders wird, falls die Anerkennungsverfahren wieder der Bundeswehrverwaltung übertragen werden.

Ein weiterer Grund war für uns, dass radikale Verweigerer wegen der Wehrpflicht kriminalisiert wurden und werden, wenn sie sich darauf berufen, dass für sie jeder Kriegsdienst und alles, was dem dient, ein so schlimmes Verbrechen ist, dass sie dafür auch keinen Ersatzdienst leisten.

Mit Billigung des Bundesverfassungsgerichtes wurden sie trotz dieser Gewissensentscheidung nicht nach Artikel 4, 1 GG (Gewissensfreiheit) freigestellt, sondern wegen der Wehrpflicht als Straftäter behandelt. Einberufene, die sich weiter weigerten, wurden sogar mehrfach disziplinarisch bestraft.

Wer zum Ersatzdienst bereit ist, muss mit diesem helfen, die Wehrpflicht, die er ablehnt, aufrecht zu erhalten. Außerdem musste er früher mit längerer Dienstzeit, zuletzt mit häufigerer Einberufung rechnen. Die Wehrpflicht musste deshalb weg, und dazu haben wir mit unserer ständigen Kritik, vor allem dem Hinweis auf die fehlende Wehrgerechtigkeit, sicher beigetragen.

Was wir damit freilich auch verlieren, ist die ständige Erinnerung an Krieg und Kriegsdienstverweigerung durch die vielen Zivis. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, dass Kriegsdienstverweigerer schließlich positiv gesehen wurden.


Die kritischen Fragen an die Freiwilligenarmee bleiben

Kommen wir nun mit der Freiwilligenarmee aus dem Regen in die Traufe? Ist eine Profiarmee aus Freiwilligen nicht höchst gefährlich? Natürlich kann man sagen, dass die Bundeswehr schon längst eine Armee im "Einsatz" (so heißen kriegerische Interventionen verharmlosend) ist, die nur ihre länger dienenden und besser ausgebildeten Freiwilligen und Berufssoldat(inn)en in diese Einsätze schickt. Insofern ändert sich kaum mehr etwas. Aber das ist ein schwacher Trost. Denn tatsächlich hat die politische Führung der Bundeswehr seit Minister Rühe verteidigungspolitische Richtlinien ausgegeben, die der Bundeswehr auch den Schutz des freien Welthandels und weltweiter freier Kommunikation sowie den freien Zugang zu wichtigen Ressourcen als Aufgabe zuschreibt. Der Erfinder der Verteidigung am Hindukusch, Verteidigungsminister Struck (SPD), hat das praktisch übernommen, Verteidigungsminister Jung es im Weißbuch wiederholt, Verteidigungsminister zu Guttenherg es als selbstverständlich erwähnt. Wer vom Völkerrecht, vom Friedensgebot der Uno und vom Friedensauftrag des Grundgesetzes her denkt, kann da nur radikal widersprechen.

Außerdem ist die Bundeswehr bzw. ihre politische Führung dabei, auch völkerrechtswidrige Kriege zu führen oder zu unterstützen. Im zweiten Krieg gegen den Irak, der mit der Lüge von Atom- und Chemiewaffen Saddam Husseins begründet worden war, wurden amerikanische Wachmannschaften abgelöst, damit sie in den Krieg ziehen konnten, wurden deutsche Flugplätze und Überflugrechte zur Verfügung gestellt und die offizielle Erklärung, man mache da nicht mit, wurde praktisch zur Irreführung genutzt.

Schlimmer war es dann beim Krieg gegen Jugoslawien zu Gunsten der gewalttätig gewordenen separatistischen Kosovoalbaner. Da machte die Bundeswehr voll mit. Der Krieg wurde ohne UN-Mandat geführt, war ein Angriffskrieg, als Luftkrieg vor allem gegen die Zivilbevölkerung gerichtet, und wieder mit Lügen begründet. Der Verteidigungsminister Scharping erfand einen serbischen Hufeisenplan zur Vernichtung der albanischen Bevölkerung, und der Außenminister Fischer suggerierte, es gehe darum, ein neues Auschwitz zu verhindern. Trotzdem haben einige Profis, Piloten, die die Wirklichkeit sehen konnten, den Einsatz verweigert. Wir tun manchmal so, als würden freiwillige Soldaten kein Gewissen mehr haben. Das wurde von den mindestens acht Piloten eindrucksvoll widerlegt, die sich daraufhin als Kriegsdienstverweigerer gemeldet haben und erhebliche Schwierigkeiten bekamen. Freiwilligen Soldat(inn)en zu helfen, die ihr Tun bereuen und sich eines Besseren besinnen, ist weiterhin eine wichtige Aufgabe.

Natürlich bleiben die kritischen Fragen, ob eine Freiwilligenarmee leichter einsetzbar ist und wie es mit ihrer demokratischen Zuverlässigkeit steht. Als Schreckbild wird gern an die Weimarer Zeit erinnert, als die Reichswehr wirklich nicht demokratisch war und heimlich schon den nächsten Krieg vorplante, woran Hitler nahtlos anknüpfen konnte. Aber undemokratisch waren nicht nur die Soldaten, sondern weite Teile der Bevölkerung, was sich bei den Wahlerfolgen der Harzburger Front aus Rechtsradikalen und Rechten deutlich zeigte.

Sind denn Wehrpflichtarmeen wirklich weniger kriegsbereit? Beide Weltkriege wurden mit Wehrpflichtarmeen angefangen und bis zum bitteren Ende geführt. Hitler brauchte die Wehrpflicht, um den Zweiten Weltkrieg anzufangen. Die Wehrpflicht hat auch nicht verhindert, dass im Krieg schrecklichste, bis dahin unvorstellbare Verbrechen mit erheblicher Mitwirkung des Militärs verübt wurden. Und die Wehrpflicht der BRD wie der DDR war Teil des Kalten Krieges. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gab es keinen Zweifel, dass die Wehrpflichtarmeen kämpfen würden, obwohl jeder sich ausrechnen konnte, dass dabei beide Deutschlands auf das Schlimmste verwüstet würden.

Für die demokratische Zuverlässigkeit ist immerhin in unserm Land einiges erfreulich geregelt. Die Bundeswehr untersteht politisch verantwortlicher Führung, im Frieden dem Verteidigungsminister, im Krieg dem Bundeskanzler. Der Wehrbeauftragte des Bundestages hat wichtige Kontrollrechte. Der Verteidigungsausschuss kann sich jederzeit in einen Untersuchungsausschuss verwandeln, und die Innere Führung der "Bürger in Uniform" ist dazu da, in der Bundeswehr für demokratisches Denken zu sorgen.

So schön das ist, wird die Freiwilligenarmee ideologisch Probleme machen. Es ist unvermeidlich, dass sie künftig viel mehr um Freiwillige werben muss, wenn nicht mehr die lästige Alternative Wehrpflicht da ist. Schon jetzt hat das Verteidigungsministerium Verträge mit einigen Bundesländern geschlossen, um mit den Jugendoffizieren leichten Zugang zu Schulen und Lehrerbildung/- fortbildung zu bekommen. Trotzdem: Ernster ist die Frage nach den kriegerischen Einsätzen.


Die Substanz der Kriegsdienstverweigerung

Die Frage, die wir jetzt stellen müssen, ist deshalb nicht mehr die Frage nach Wehrpflicht oder Freiwilligenarmee. Jetzt geht es in der Substanz um die Kriegsdienstverweigerung.

Was ist denn Krieg? Massenmord mit übelsten heimtückischen Mitteln, mit Bomben und Raketen, mit Minen und Napalm, mit Flächenbrand- und -splitterbomben, im Extremfall mit A-, B-, C-"Waffen", die nur noch Massenvernichtung sind und trotz aller Verbote von wichtigen Staaten noch bereitgehalten werden. Wie wenig Völkerrecht gilt, haben wir bei unserem mächtigsten Verbündeten, den USA, gesehen in Guantanamo und Abu Graib.

Seit einiger Zeit hören wir von "erfolgreichen" Drohnen, die auf vermutete terroristische Anführer zielen und mit Raketen diese Zivilisten und alle, die sich gerade bei ihnen aufhalten, umbringen. Auf Zivilisten darf man nach Kriegsrecht nur schießen, falls sie sich unmittelbar an Kämpfen beteiligen. Sonst darf man sie lediglich verhaften und vor Gericht stellen. Das ist natürlich schwierig, zumal im Guerillakrieg wie derzeit in Afghanistan, aber es ist geltendes Recht. Schließlich haben die Staaten vereinbart, dass sie durch Uniformen kennzeichnen, welche ihrer Staatsbürger sie zum Abschuss freigeben. Die dürfen dafür auch selber schießen. Angriffe auf Zivilisten sind Kriegsverbrechen. Außerdem sind die Angriffe auf Führungsleute kontraproduktiv, weil diese als Partner für Verhandlungen ausfallen und für jeden Ermordeten noch Feindseligere nachrücken.

Es ist an der Zeit, dass wir deutlich machen und offensiv vertreten, dass die Institution Krieg nicht mehr verantwortbar ist. Die Menschheit hat es fertig gebracht, andere, früher selbstverständliche Institutionen abzuschaffen. Sklaverei, Rassismus, Kolonialismus, Gottesurteile, Inquisition waren lange Zeit übliche Praxis. Heute sind sie allgemein geächtet. Andere, auch lange Zeit übliche bösartige Institutionen sind zumindest in zivilisierten Staaten verboten: Todesstrafe und Folter. Die grausamste Institution aber, die mit heutigen Mitteln ganze Länder unbewohnbar machen kann und in den Weltkriegen viele Millionen Menschen umgebracht, noch mehr zu Krüppeln, zu Waisen, zu Witwen gemacht hat und regelmäßig Verbrechen wie Vergewaltigungen und Vertreibungen mit sich bringt, den Krieg, bekämpft die Menschheit nur halbherzig.


Den Krieg ächten

Dabei gibt es wichtige Ansätze, Krieg vollends zu ächten. Die Vereinten Nationen haben Krieg mit nur zwei begrenzten Ausnahmen verboten. Die Ausnahmen sind das Selbstverteidigungsrecht der Staaten, bis der Sicherheitsrat eingreift, und vom Sicherheitsrat beschlossene Interventionen. Auch die zunehmende Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung ist ein wichtiger Ansatzpunkt, Krieg zu ächten. Hilfreich gegen den schnellen Einsatz von Gewalt sind auch internationale Konventionen und Gerichte sowie regionale Institutionen wie die OSZE. Deshalb ist es nicht so aussichtslos, wie es manchmal scheint, Krieg radikal zu verdammen und über das Bemühen um die Anerkennung individueller Verweigerer hinaus klar zu machen, dass Krieg geächtet werden muss wie Sklaverei oder Folter. Kurz gesagt: Zur Würde des Menschen gehört nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, das Töten zu verweigern. Damit sind wir nach allem pragmatischen Eintreten für unfair behandelte Kriegsdienstverweigerer wieder bei der eigentlichen Frage nach dem radikalen Nein zum Krieg und zu jeder Kriegsvorbereitung. Dass die Satzung der Zentralstelle KDV die Werbung für Kriegsdienstverweigerung verbietet, heißt nicht, dass das auch für ihre Mitgliedsverbände gilt.


Das Ende der Ersatzdienste

Mehr am Rande gehört zu den Veränderungen, die das Aussetzen der Wehrpflicht bringt, das Ende der Ersatzdienste. Für den Zivildienst ist das einfach. Er endet zum 1. Juli 2011. Der Versuch der Familienministerin, dafür einen neuen Freiwilligendienst aufzubauen, dürfte scheitern. Der Bund hat in den Bereichen, in denen die Zivis tätig waren, keine Kompetenz. Der Zivildienst war als Institution des Bundes nur zulässig, weil er der Erfüllung der Wehrpflicht diente. Einen neuen Dienst zu erfinden, damit das Bundesamt für den Zivildienst weiterhin bleiben kann und/oder die Medizinkonzerne weiterhin billige Hilfskräfte bekommen, um ihre Gewinne zu steigern, ist bestenfalls als Fürsorge für die Mitarbeiter des BAZ gut gemeint aber verfassungswidrig und schlechtestenfalls ein neuer Versuch von Klientelpolitik.

Andere Dienste, die an Stelle von Wehr- und Ersatzdienst gesetzlich vorgesehen waren, dürften es schwerer haben. DRK und ASB, Malteser-Hilfsdienst und Johanniter-Unfallhilfe, THW und DLRG, nicht zuletzt die freiwilligen Feuerwehren haben einen Teil ihrer freiwilligen Helfer deshalb leicht bekommen, weil junge Männer damit der Bundeswehr ausweichen konnten. Diese Organisationen können nicht einfach wie der Zivildienst aufhören, sondern müssen ihre Leute jetzt als wirklich Freiwillige gewinnen. Das wird einige Anstrengungen verlangen, aber den Organisationen gut tun, weil sie nun auf ihre Leute mehr eingehen müssen. Ähnliches gilt für die internationalen Hilfs- und Friedensdienste.

Bleiben schließlich die Freiwilligendienste, die in der letzten Zeit auch an Stelle des Ersatzdienstesgewählt werden konnten: Freiwilliges soziales und ökologisches Jahr. Da gilt auch, dass der Anreiz, an Stelle des Wehrdienstes mitzumachen, wegfällt. Aber bei ihnen sind die meisten sowieso echt freiwillig dabei, wenn auch manche nur, weil das besser ist, als arbeitslos herumzuhängen. Das Übergewicht der jungen Frauen könnte sich ändern, wenn der Zivildienst für die jungen Männer wegfällt. Doch ist bei der Bereitschaft junger Männer zu freiwilligen Diensten Skepsis geboten, denn als Berlin noch von der Wehrpflicht ausgenommen war, gab es dort im FSJ etwa 90 Prozent junge Frauen, nur 10 Prozent junge Männer. Wichtig ist: FSJ und FÖJ haben den Vorteil, dass sie als Lerndienst geregelt sind. Ihre Einplanung als Ersatz für den Zivildienst ist also nur zulässig, wo eine sinnvolle Praxiseinführung und -begleitung gegeben ist. Diese Dienste dürfen nicht als Reservoir billiger Arbeitskräfte gewertet werden.


Ein wichtiger Teilerfolg ist erreicht

Summa summarum: Unsere Forderung, die Zwangsdienste zu beenden und auf Freiwilligkeit zu setzen, ist endlich erfüllt. Unsere Verweigerung von Krieg und Kriegsdienst bleibt als wichtige Aufgabe, wenn die Menschheit überleben soll.


Ulrich Finckh war mehr als drei Jahrzehnte lang bis 2003 Vorsitzender der Zentralstelle KDV.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 27/28 - III+IV/2010, S. 3 - 5
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2011