Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

BERICHT/318: Auf Achse für Frieden und Abrüstung (Zivilcourage)


ZivilCourage Nr. 4 - November 2014
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Auf Achse für Frieden und Abrüstung
Friedens-Fahrrad-Sternfahrt der DFG-VK nach Berlin

Von Johanna Pfeffer und Thomas Rödl



Die erfolgreiche Friedensfahrradtour der DFG-VK Bayern war in diesem Jahr zum ersten Mal eine bundesweite Sternfahrt mit "Strahlen" aus Süd, West und Nord. Die gemeinsame Abschlussaktion war am 16. August in Berlin beim dortigen Friedensfestival. Die Erwartung war, mit einer größeren Aktion in Berlin, am Sitz der Regierung, im Kriegsgedenkjahr 1914-2014 pazifistische Positionen in die Medien bringen zu können. Rückblickend auf die Rückblicke lässt sich wohl sagen, dass das aktuelle Kriegsgeschehen 2014 doch sehr viel prickelnder war als pathetische und heuchlerische Gedenkinszenierungen, bei denen vielen Menschen dämmern könnte, dass die Herrschenden nichts dazugelernt haben.

Die Friedenserklärung

Die Formulierungen drücken das Gefühl vieler Menschen aus. Die Erklärung lehnt sich natürlich an die Grundsatzerklärung der War Resisters' International (WRI) an, erweitert mit konkreten und aktuellen Forderungen. Die Erklärung ist kurz gehalten, so dass Menschen sich schnell eine Meinung bilden und zustimmen können. "Willst du die Friedenserklärung unterschreiben?" Diese Frage und die Erläuterung, was wir damit vorhatten war der Aufhänger, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und ihr Interesse zu wecken.

Wir hatten 15.000 Faltblätter gedruckt mit der Friedenserklärung in Deutsch, Polnisch und Russisch, zum Abtrennen und dafür geeignet, an einen Luftballon gehängt zu werden.

Friedenserklärung
Vor 100 Jahren wurde der Krieg
erklärt. Heute erklären wir den
Frieden! Wir weigern uns, Feinde zu
sein und andere Menschen zu töten.
Wenn unsere Regierung Krieg führt,
dann nicht in unserem Namen!
Ich setze mich ein für
- die Beachtung der Charta der Vereinten Nationen,
- die Beendigung der Rüstungsexporte,
- die Beendigung der Kriegseinsätze der Bundeswehr,
- die Abschaffung von Bundeswehr und Militär.
Jeder Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit!

1000 Friedenserklärungen wollten wir in Berlin steigen lassen. 250 hatten wir beim Start in Bamberg bereits im Gepäck. Vor allem an den Infoständen in Bamberg, Kronach, Jena, Naumburg, Leipzig, Wittenberg und Berlin kamen neue dazu - vielfach animiert durch die ebenso überzeugenden wie kurzweiligen Erläuterungen unseres Landessprechers Tommy Rödl. Einige Unterschriften konnten sogar quasi "vom Rad runter" eingesammelt werden. Da schließlich auch die Sternfahrt-TeilnehmerInnen aus Nordrhein-Westfalen fleißig gesammelt haben, hatten wir am Ende der Tour mit ca. 1300 Erklärungen unser Ziel deutlich übertroffen, und die 1000 vorhandenen Luftballons reichten nicht aus.

Auf Achse für Frieden in Berlin

Die mehrstündige Fahrraddemo vom Olympiazentrum zum Friedensfestival am Alexanderplatz hielt an insgesamt neun Botschaften, am Verteidigungsministerium und am Brandenburger Tor.

Wir hatten die Friedenserklärung in die Sprachen der kriegführenden Mächte von 1914 übersetzt und als kleines Plakat ausgedruckt.

Die Botschaften hatten wir vorab angeschrieben, daher wurde die Friedenserklärung immerhin von den Botschaften Italiens, Frankreichs und der Russischen Föderation "offiziell" in Empfang genommen. Andere hatten gar nicht reagiert oder freundlich mitgeteilt, dass sie am Samstag nicht arbeiten. So haben wir das Plakat mit der Erklärung an der polnischen, serbischen, türkischen und österreichischen Botschaft einfach an das Tor gebunden. Die Berliner Polizisten vor der US-Botschaft am Pariser Platz haben verhindert, dass eine Delegation der FahrradfahrerInnen überhaupt zum Tor der Botschaft gelangen konnten; das von uns per Kaugummi und Kordel am Sicherheitspoller befestigte Plakat haben sie umgehend wieder beseitigt.

Längere Gespräche und ein gewisser Menschenauflauf ergaben sich an der russischen Botschaft dank der MitradlerInnen aus Russland bzw. Weißrussland. Eine Mitarbeiterin und ein Beauftragter des Botschafters nahmen "offiziell" die Erklärung entgegen und betonten die Wichtigkeit einer solchen Aktion. Die vielen Fotos, die bei dieser Gelegenheit entstanden, waren sämtlich fürs eigene digitale Poesiealbum, MedienvertreterInnen wurden nicht gesichtet.

Die Fahrraddemo bekam durch die beachtliche TeilnehmerInnenzahl (über 70 Radler, davon viele mit Pace- oder DFGVK-Fahnen) und nicht zuletzt durch unser "Musikfahrrad" viel Aufmerksamkeit.

Zwischendrin machte die Fahrraddemo Halt am Verteidigungsministerium, die mitstrampelnden StraßenkünstlerInnen konnten in aller Ruhe ein Friedenszeichen auf den Asphalt malen. Am Brandenburger Tor wurde die Demo von Monty Schädel, dem Politischen Geschäftsführer der DFGVK begrüßt.

Happening am Alexanderplatz

Seit Jahren gibt es ein internationales Friedenskulturfestival in Berlin. Davon hatten wir gehört und Kontakt aufgenommen. Die VeranstalterInnen fanden die Idee toll, unsere Sternfahrt in Berlin beim Festival enden zu lassen. Wir versprachen uns ein aufgeschlossenes Publikum und wollten die Szene nutzen, um für Frieden durch Abrüstung und Gewaltfreiheit zu werben. Durch den Start der Luftballons und die vorherige Aufführung unserer Antikriegsperformance wollten wir natürlich auch die DFG-VK bekannt machen und schöne Bilder für die Medien liefern.

In zwei kurzen Redebeiträgen konnten Joachim Schramm aus Nordrhein-Westfalen und Tommy Rödl aus Bayern die Fahrradtour und die DFG-VK vorstellen. Es gelang trotz improvisierten Arbeitsbedingungen, wechselndem Wetter an diesem Nachmittag und trotz fehlenden Ballonventilen, alle Ballons aufzublasen und die Zettel zu befestigen. Der Start verlief bedingt durch starken Wind und Gewitter außerplanmäßig in zwei Portionen.

Beim improvisierten Abschlussspektakel unter dräuender Gewitterwolke wurde die Friedenserklärung in vielen Sprachen verlesen: deutsch, englisch, französisch, russisch, türkisch und spontan auch noch in persisch. Wegen des einsetzenden Wolkenbruchs mussten die Abschluss-Performance und die geplanten Ansprachen leider ausfallen.

Die Planung des Ablaufs in Berlin, die Koordination mit dem Festival-Programm, die Organisation der technischen Voraussetzung für die Ballonbefüllung, Sorgen für Aktionsfläche, Infostand, Stellplatz für Transporter, Transfer der FriedensradlerInnen zum Hostel etc. erforderte viele zusätzliche Absprachen und gelang nur mit Hilfe der Festivalleitung und der FreundInnen in der Berliner DFG-VK. Zuletzt lief dann vieles anders als geplant...

Gysi und die Waffenlieferungen

Wir hatten im Vorfeld den Linke-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Gregor Gysi angefragt, ob er die Friedensradler beim Berliner Friedensfestival begrüßen wolle. Dahinter stand die Erwartung, dass eine Rede eines prominenten Politikers, der im Großen und Ganzen unsere Positionen vertritt, uns mehr Publikum und mehr Medienresonanz bringen würde.

Dann wurden wir über das Interview mit Gysi in der taz am 11. August (www.taz.de/!143996/) informiert, in dem er die Bewaffnung der Kurden gegen die sogenannte Terrormiliz IS gefordert hatte und dies auch ausführlich mit dem Recht der Kurden auf Landesverteidigung begründete. Die bei der Fahrradtour anwesenden Mitglieder des bayerischen DFG-VK-Landessprecherkreises beschlossen nach der Lektüre des Interviews, ihn wieder auszuladen - "Ihre Forderung nach Waffenlieferungen nach Kurdistan widerspricht den Zielen und den Aussagen unserer Friedensfahrradtour. Daher möchten wir kurzfristig auf das Grußwort verzichten. Waffenlieferungen führen zu weiterer Militarisierung der Konflikte in der Region. Die Situation im Irak wird sich nur durch Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien stabilisieren lassen. Gerne würden wir mit Ihnen über unsere unterschiedlichen Positionen diskutieren. Das ist im gegebenen Rahmen leider nicht möglich." (Mail von Tommy Rödl an Gregor Gysi vom 13. August)

Der Südstrahl der Sternfahrt

Start war in diesem Jahr am 9. August in Bamberg. Dort gab es eine verlassene US-Kaserne und ein Bundeswehr-Karrierezentrum zu besuchen. In den nächsten Tagen lagen keine Militärstandorte oder Rüstungsbetriebe auf der Strecke. Schwerpunkt war daher in diesem Jahr die Aufführung der Antikriegsperformance - in Bamberg, Kronach, Jena, Naumburg, Leipzig, Wittenberg und Potsdam - und die Sammlung von Friedenserklärungen.

Die Performance besteht aus einer statischen Szenerie mit Soldaten, Ölfässern, Leichen und "BürgerInnen", die sich vom Geschehen abwenden. Dazu kreischt das Lied der Gruppe "Pur" "Kein Krieg ist heilig" aus den Lautsprechern. Weitere Mitwirkende heben Texttafeln zeitgleich mit dem Refrain des Liedes über die Kulisse.

Meist geht diese Szene den ZuschauerInnen "unter die Haut". Der Wunsch der Menschen, die Grausamkeit von Kriegen endlich zu beenden, ist allgegenwärtig spürbar - aber bei vielen herrscht ein beinahe versteinerter Glaube an die Unausweichlichkeit von Kriegen vor.

In Bamberg und Kronach wurde mit einem Bild von der Performance in der Lokalpresse berichtet, an den anderen Orten nicht, obwohl in Wittenberg und Potsdam Medienvertreter anwesend waren. Begrüßungen durch Bürgermeister bzw. deren VertreterInnen gab es in Bamberg, Jena, Naumburg, Leipzig, und Potsdam, deren Bürgermeister Mitglied bei den "Mayors for Peace" sind.

Beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr

"Einsätze der Bundeswehr - ... werden ... vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in ... Geltow bei Potsdam geplant und geführt. Die Aufstellung des Kommandos im Sommer 2001 war zentrales Element der grundlegenden Erneuerung der Bundeswehr durch den Bundesminister der Verteidigung." So auf der Internetseite der Bundeswehr zu lesen. Sehr viel mehr ist dort auch nicht zu erfahren. Das Einsatzführungskommando ist quasi das neue Oberkommando der Wehrmacht, pardon, der Generalstab der Bundeswehr. (Zu Zeiten des Kalten Krieges konnte die Bundeswehr nur im Rahmen der Nato-Befehlsstrukturen Krieg führen.) Das Einsatzführungskommando war das wichtigste Bundeswehr-Objekt an der Strecke des Südstrahls. Eben weil die Ausführungen der Bundeswehr zur konkreten Tätigkeit an diesem Standort sehr dürftig sind, hatten wir per E-Mail angefragt, ob uns jemand vor Ort informieren könnte.

Für unsere Mini-Mahnwache mit integrierter Brotzeit hatte uns die Polizei ein Areal auf einer nicht genutzten Stichstraße zugewiesen. Dann wollte ich also an die gegenüberliegende Kaserneneinfahrt, um nochmal nachzufragen, ob uns jemand was erzählen könnte. Die uns betreuenden Polizisten waren ja zunächst ganz nett, so erzählte ich dem Obersheriff dass ich jetzt da rübergehen würde. "Nur in meiner Begleitung!" "Ja warum? Ich kann wohl alleine über die Straße gehen", so meine Reaktion. "Die Bundeswehr will nicht, dass jemand vor die Zufahrt zur Kaserne kommt!" Na ja, was glauben die, dass ich vor den Augen von Dutzend PolizistInnen und Soldaten irgendwelche Kamikaze-Aktionen unternehme. Na gut, ich komme zum Pfortenhäuschen und frage nochmal. Nach einer Minute kam ein Oberleutnant. "Was machen Sie eigentlich hier in der Kaserne?" "Das kann ich Ihnen nicht sagen." "Aber Sie müssen doch in der Birne haben, was hier geschieht!?" "Nein!"

Nun hatten wir im Vorfeld schon die tolle Idee, vor der Kasernenzufahrt ein Friedenszeichen mit Kreide auf den Asphalt zu malen. Dummerweise hat ein Mitradler dieses Vorhaben einem der Polizisten erzählt, worauf die nichts Besseres zu tun hatten, als beim Standortkommandanten nachzufragen, ob der einverstanden sei. Nein, das beeinträchtige die Sicherheitsbelange der Bundeswehr. Das wollte ich auch gerne genauer wissen; und außerdem: Die Bundeswehr habe weder ihm, dem Herrn Polizisten, noch mir als Zivilisten irgendwelche Anweisungen zu erteilen. Während wir die Argumente wiederholten, hatte ein biologisch orientierter Mitradler die geniale Idee, das Friedenszeichen aus dem Rasenschnitt auf der angrenzenden Grünfläche zu formen. Das war dann auch mit 20 fleißigen Händen flott erledigt, ohne dass wir weiterhin die Sicherheitsbelange der Bundeswehr erörtern konnten. Die Infos zum Einsatzführungskommando gab ich dann selber, wegen dürftiger Informationslage auch das schnell erledigt.

Als alle schon abgefahren waren, drückt ein Feldjäger der Bundeswehr einem Polizisten einen Besen in die Hand. Der Polizist war sich nicht zu blöde, das Friedenszeichen aus Heu wieder zu zerstören. So war der "Frieden vor der Kaserne" wieder hergestellt!


Johanna Pfeffer und Thomas Rödl sind aktiv im DFG-VK-Landesverband Bayern.

*

Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - November 2014, S. 16-18
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart, Telefon 0711/5189 2626
Redaktion: ZivilCourage, Am Angelweiher 6, 77974 Meißenheim
Telefon: 07824/664 67 94, Telefax: 03212/102 82 55
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang