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FRAGEN/010: Den Dialog entwickeln zwischen Friedensbewegung und Friedenswissenschaft (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 / 2018
Magazin der DFG-VK

Den Dialog wieder entwickeln zwischen Friedensbewegung und Friedenswissenschaft

Interview mit dem DFG-VK-Aktivisten David Scheuing, der den Christiane-Rajewsky-Preis 2018 erhalten hat


Du hast gerade den Christiane-Rajewsky-Preis der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet dir dieser Preis?

Vielen Dank. In der Tat hab ich mich sehr geehrt gefühlt, diesen Preis zu erhalten und für die eingereichte Arbeit ausgezeichnet zu werden. Es ist ein tolle Anerkennung, wenn dein Ansatz, deine Ideen, deine Arbeit von anderen auch gut gefunden wird - Kritik ist auch nötig, natürlich, aber es ist immer auch erneut motivierend, wenn es anderen auch lobenswert erscheint. Viel wichtiger ist aber, dass ich dank des Preises auch noch stärker "ins Feld" zurückgeben kann - den Organisationen, die mich vor Ort unterstützt haben, die mir Kontakte vermittelt haben, die viel genauer Bescheid wussten als ich. Außer meinem Dank und meiner Freundschaft habe ich bislang wenig zurückgeben können - nun zumindest einzelne Projekte mit unterstützen zu können ist ein gutes Gefühl.

Mit dem Christiane-Rajewsky-Preis werden jüngere WissenschaftlerInnen gefördert, die einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben. Wofür ist dir der Preis verliehen worden?

Das mit dem herausragend, da bin ich ja viel zu schüchtern, mir das einzugestehen. Ich denke immer, aus meinem Freundeskreis hätten das viele Menschen auch verdient gehabt, denn ihre Arbeiten sind auch wichtig, gut geschrieben und "praxisrelevant". Das von uns gemeinsam organisierte Kolloquium hat es überhaupt erst möglich gemacht, in Reflexion und kollegialer Beratung mit dieser Arbeit auch zurande zu kommen, insofern haben auch einige andere Menschen den Preis mit bekommen. Ausgezeichnet worden bin ich für meine Masterarbeit mit dem Titel "The Balkan-Route-Corridor: Actors and Placemaking in the (fY)RoM 2014-2016" [(fY)RoM = Former Yugoslav Republic of Macedonia].

Ich habe mir in dieser Arbeit angeschaut, wie der sogenannte "Balkanrouten-Korridor" hat entstehen können. Die bislang stark hervorgehobene These war, dass es vor allem ein staatliches Projekt war, das auf internationaler Ebene verhandelt wurde - der Korridor reichte ja über die Territorien von mindestens fünf Staaten hinweg als eine Art transnationaler Grenzraum. Was mir aber im Rahmen der Recherche zu diesem Thema immer wieder auffiel, war, wie unterschiedlich stark staatliche Akteure de facto an der Umsetzung und Institutionalisierung eigentlich beteiligt waren.

Gleichzeitig stellte sich hier auch eine methodische und innerwissenschaftliche Frage nach der Leerstelle, die meines Erachtens bleibt, wo die Rolle(n) von "intermediären Akteuren" oft ausgeblendet werden - also dem Block an Akteuren, die nicht selbst flüchtende Menschen sind oder als staatliche Akteure gelten. Das führt hier zu weit, aber im Kern blieb mir die Beobachtung: "Hey, was machen eigentlich diese intermediären Akteure und welche gewichtige oder weniger gewichtige Rolle spielen sie dabei, den Korridor so entstehen zu lassen, wie er zustande kam?"

Das habe ich mir dann sehr akribisch für den Kontext der (ehemaligen jugoslawischen) Republik Mazedonien angeschaut - denn diese Akteure handeln, organisieren sich und schaffen Zugänge vor allem auf der nationalen Ebene, obwohl das, was sie mit hervorbringen helfen, transnationale Organisationsformen trug.

Im Kern ist das Fazit der Arbeit, dass es vor allem problematisch ist, humanitäre nichtstaatliche Akteure aus der Gleichung zu oft außen vor zu lassen, denn sie haben eine große Rolle gespielt.

Und: Es ist notwendig, komplexere Beziehungen zwischen einer Vielzahl an Netzwerkakteuren in den Blick zu nehmen - einfache Aufstellungen "Gut/Böse" helfen in konfliktiven Situationen oft nicht weiter. Damit stelle ich mich in eine Tradition der kritischen Grenzregimeforschung. In der Laudatio wurde dann vor allem der theoretische Ansatz oder Zugang zur Fragestellung gelobt: eine Schnittstelle zwischen handlungszentrierter Humangeographie und akteurszentrierter Friedens- und Konfliktforschung, und die Auseinandersetzung mit der Entstehung räumlicher Ordnung in konfliktiven Situationen.

Welche Bedeutung hat für dich die Verbindung von Theorie und Praxis, also von Engagement in Friedensbewegung, DFG-VK, War Resisters' International und Friedensforschung?

Na, wenn man das jetzt so hört, wie ich über meine Arbeit erzähle, dann hat das erst mal gefühlt keinen praktischen Bezug. Auf der Ebene der praktischen Arbeit von humanitären Akteuren allerdings ging es mir durchaus um die Behandlung der Schwierigkeiten, prinzipientreu zu handeln und sich dabei nicht von staatlicher Sicherheitslogik kooptieren zu lassen - und dann auch die Organisationen kritisieren zu dürfen, die sich an einer Ausweitung des Arrestkomplexes nach dem Ende des Korridors weiter beteiligen, obwohl es auch in Widerspruch zu ihren eigenen Handlungsprämissen steht. Da hatte ich schon ganz praktische Interessen.

Mir ist wichtig, dass Theorie und Praxis keine Widersprüche sind. Es gibt zwei Systeme, die vermeintlich voneinander getrennt "Wissen" erzeugen: Wissenschaft und "Praxis". Theorie nutzen beide und Praxis haben beide - das aber sehr verschieden voneinander. Die Erkenntnisinteressen sind oft sehr unterschiedlich gelagert. Ich selbst mag es gerne, wenn ich meine erworbenen Privilegien der "wissenschaftlichen Qualifikation" dafür nutzen kann, sie explizit friedenswissenschaftlichen Erkenntnissen zukommen zu lassen.

Welche Ansätze siehst du dafür, in die Praxis der DFG-VK friedenswissenschaftliche Erkenntnisse stärker einfließen zu lassen?

Da sehe ich viele verschiedene Wege und Möglichkeiten, für jedes Thema und jede Zielvorstellung die sich innerhalb der DFG-VK finden lassen - ob diese allerdings genutzt werden (können), ist für mich fraglich.

Das hat ja auch eine historische Entwicklung: In den 1970er Jahren war mit der kritischen Friedensforschung ein ganzer Zweig der Friedensforschung deutlich näher an Friedensbewegung dran als heute; ob immer mit den richtigen Zugängen, darüber kann gestritten werden, aber mensch hat sich "verstanden".

Heute ist die gegenseitige Rezeption von Ergebnissen und Erkenntnissen oft nicht so stark gegeben. Friedensforschung liest nicht oder nur wenig, was Friedensbewegung schreibt und umgekehrt (mit allen Ausnahmen, die sich jetzt nicht dieser Pauschalisierung zurechnen lassen). Das liegt am Zugang (Wissenschaftliche Publikationen sind oft teuer und nicht öffentlich zugänglich, was ich für den eigentlichen Skandal halte), an Lebenswelten (Worum geht es eigentlich?) und an der Sprache.

Gleichzeitig gibt es via Suttner-Stiftung, IFGK (Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung), der Zeitschrift "Wissenschaft und Frieden" und anderen sogenannten "praxisnahen" Forschungsinstitutionen, Publikationen oder Förderungsorganen auch Möglichkeiten, sich aus einer Sicht der Friedensbewegung diese Erkenntnisse wieder stärker anzueignen.

Ich sähe die Hauptaufgabe darin, sich wieder stärker (auch unter Zuhilfenahme der jüngeren, oft akademisch ausgebildeten Friedensaktivistinnen) an einem Dialog zu versuchen: Dazu gehört eine systematische Fortbildung der Mitglieder (öffentliche Veranstaltungen, Vorträge, Workshops, Teach-Ins, wie auch immer), eine gegenseitige Wertschätzung und Kritik (warum kommen oft sogenannte Friedens-Praktiker*innen auf wissenschaftliche Tagungen, aber nur selten umgekehrt?) und der Versuch, die eigenen Positionen auch dank wissenschaftlicher Erkenntnisse fortzubilden und zu verfeinern. Da ist aber auch "Wissenschaft" als System gefragt, sich diesem Dialog zu stellen und mitzumachen; das ist aber selten für die eigene Karriere relevant oder interessant ...

Aber sich damit aus Sicht der Friedensbewegung rauszureden, wäre für mich auch keine Antwort - wir müssen schon dranbleiben ...

Für die Friedensarbeit und jede neue Kampagne könnte darüber hinaus gelten: gut recherchiertes Infomaterial allen Mitgliedern zur Verfügung stellen und systematisch vermitteln, Kontakte zur "Konfliktforschung" im weiteren Sinne aufbauen, um das Thema auch wissenschaftlich zu begleiten - Masterstudierende freuen sich oft über Anregungen für Themen - und die Bereitschaft, sich auch über den Verlauf der Kampagne mit weiteren Ergebnissen auseinanderzusetzen. Woher diese kommen, ist dabei relativ egal - als ob die Friedensbewegung nicht methodologisch sauber arbeiten könnte...

Viele derjenigen, die bisher den Christiane-Rajewsky-Preis erhielten, haben später Karriere gemacht und bekleiden heute Professuren an einer Hochschule. Muss die DFG-VK damit rechnen, dich als Aktivisten bald an den Wissenschaftsbetrieb zu verlieren?

Was heißt denn verlieren? Ich habe mich seit Beginn meines Studiums als aktiven Pazifisten verstanden. Das hat sich auch in diesen Jahren nicht verändert. Wenn ich Karriere in der Wissenschaft machen wollen würde, wäre ich vor einigen Jahren fertig geworden mit meinem Master und inzwischen mit der Dissertation halb durch. Sieht also nicht so gut aus ...

Aber im Ernst: Mir ist es wichtig, dass ich mein Engagement nicht vergesse und hinten anstelle, nur weil eine Stelle winkt. Daran mag ich mich selbst messen - und ja, bitte messt ihr anderen mich auch daran. Manchmal ist es gut, auf die Finger geklopft zu bekommen.

Gleichzeitig finde ich die Frage schwierig, weil sie die Trennung, die wir vorhin schon mal diskutiert hatten, erneut aufmacht: da Wissenschaft, hier Aktivismus. Das weise ich zurück. Dieses Risiko sehe ich auf struktureller Ebene von den Ansprüchen der Systemlogiken, ja, aber individuell weise ich das zurück.

Und wo du die Ausgezeichneten der letzten Jahre ansprichst: Ich kenne einige darunter, die auch immer noch eher die Aktivistinnen unter den Forscher*innen sind.

Ihr verliert mich nicht, und ich hoffe, dass ich die Friedensbewegung nicht verliere - uneingeschränkte Solidarität oder Identifikation mit einer Organisation wirst du mir aber nicht abringen können; ebenso verliere ich meine wissenschaftliche Ausbildung nicht einfach plötzlich, und Wissenschaft verliert mich auch hoffentlich nicht. Ich bin da mit Blick auf neuere Bewegungsforschung, partizipative Forschungsmethoden und reflexivere Zugänge zu Positionalität, Privilegien und postkolonialer Forschung auch ganz zuversichtlich, dass sich diese Dualität auch im deutschsprachigen Forschungskontext langsam aber sicher auflösen wird.

Die Fragen stellte ZivilCourage-Chefredakteur Stefan Philipp.


Der Christiane-Rajewsky-Preis der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) wird seit 1993 jährlich als Nachwuchspreis an junge WissenschaftlerInnen verliehen, die einen herausragenden Beitrag zur Friedens- und Konfliktforschung geleistet haben. Er ist dem Andenken an die Friedensforscherin Prof. Christiane Rajewsky (1935-1993) gewidmet und mit 2.500 Euro dotiert.

Der diesjährige Preisträger David Scheuing ist seit November 2017 Vertreter der DFG-VK bei der War Resisters' International.

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Simone Wisotzki, Vorsitzende der AFK-Preiskommission, mit David Scheuing

- Veranstaltungsplakat des Zentrums für Konfliktforschung der Uni Marburg zum Thema der prämierten Arbeit

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Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 3 / 2018, S. 30 - 32
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
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E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: fünf Mal jährlich
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Einzelheft: 2,80 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2018

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