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APPELL/003: Offener Brief an die Verantwortlichen der Hamburger Polizeieinsätze gegen G20-Proteste


Pressemitteilung der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union
Berlin, 6. Juli 2017

Chance bisher vertan: Humanistische Union wendet sich mit Offenen Brief an die Verantwortlichen der Hamburger Polizeieinsätze gegen G20-Proteste


Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union hat sich mit einem Offenen Brief an den Innensenator der Stadt Hamburg sowie den zuständigen Polizeieinsatzleiter gewandt. Nach den überzogenen und zum Teil rechtswidrigen Polizeieinsätzen der letzten Tage fordert sie beide dazu auf, die Versammlungsfreiheit in der Hansestadt zu gewährleisten, die gerichtlichen Entscheidungen zu achten sowie mit den Protestierenden und ihren Anwält/innen rechtsstaatlich und fair umzugehen.

Dazu erklärt Anja Heinrich vom Bundesvorstand der HU: "Es ist Sinn und Zweck der Versammlungsfreiheit, das Protest sicht- und hörbar werden kann - auch wenn es um hochrangigen Besuch geht. Bisher haben die Hamburger Innenbehörde und die Polizei leider kein Vorbild einer demokratisch offenen und rechtsstaatlich agierenden Behörde abgegeben. Mit ihrer Missachtung von Gerichtsurteilen, der überzogenen Auflösung von Protestcamps und der Verunglimpfung engagierter Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gibt die Hamburger Innenbehörde gerade ein Negativbeispiel dafür ab, wie mit dem Protest gegen solche Treffen umgegangen werden kann. Dabei wäre es eine gute Werbemöglichkeit für die Offenheit der Demokratie und des Rechtsstaats gewesen, wenn ein Protestcamp bei gleichzeitiger Anwesenheit der G20- Vertreter zugelassen wird."

Die Humanistische Union engagiert sich gemeinsam mit zahlreichen weiteren Organisationen und Einzelpersonen für die Verteidigung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch während des G20-Treffens. Sie ist Mitinitiatorin des Bündnisses "Grundrechte verteidigen" und lehnt großflächige Demonstrationsverbotszonen und pauschale Einschränkungen der Versammlungsfreiheit ab. Sie fordert ihre Mitglieder sowie alle Sympathisant/innen dazu auf, den entsprechenden Aufruf für die Versammlungsfreiheit zu unterzeichnen:
http://grundrechte-verteidigen.hamburg/.

Den Offenen Brief an die beiden zuständigen Behördenleiter finden Sie im Anhang.

*

Behörde für Inneres und Sport
Herrn Senator Andy Grote
Johanniswall 4
20095 Hamburg
Fax: 040 4273 1139 0

Polizei Hamburg
Herrn Polizeidirektor Hartmut Dudde
Bruno-Georges-Platz 1
22297 Hamburg
Fax: 040 4286 5611 0

Berlin, 06.07.2017

Gewährleistung der Versammlungsfreiheit, der Gewaltenteilung sowie rechtsstaatlicher Verfahren im Umgang mit den G20-Protesten

Sehr geehrter Herr Innensenator Grote,
sehr geehrter Herr Polizeidirektor Dudde,

mit Sorge beobachten wir die Polizeieinsätze gegen Protestgruppen in der Hamburger Innenstadt sowie Ihre öffentlichen Verlautbarungen hierzu. Wir verstehen, dass die Absicherung eines Großereignisses wie dem G20-Gipfel für alle Beteiligten eine besondere Herausforderung und eine enorme Belastung für die Einsatzkräfte bedeutet. Dennoch möchten wir Sie daran erinnern, dass der Maßstab für Ihr Handeln nicht allein darin bestehen kann, ob der G20-Gipfel störungsfrei abläuft und es zu keinen Gewalttaten oder anderen sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt. Als zuständige Sicherheitsbehörde haben Sie auch Sorge dafür zu tragen, dass die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in der Stadt Hamburg gewährleistet, die Grundsätze rechtsstaatlicher Verfahren eingehalten und bei notwendigen Polizeieinsätzen Augenmaß bewahrt werden.

Dies vermissen wir in besonderer Weise bei der Räumung eines zu diesem Zeitpunkt gerichtlich zugelassenen Camps in Entenwerder am vergangenen Sonntag (2.7.), die klar rechtswidrig war. Die gezielte Beschlagnahmung und Zerstörung der gerichtlich zugelassenen Zelte verletzt nicht nur die Versammlungsfreiheit in erheblichem Maße, sondern setzt sich in selbstherrlicher Weise über gerichtliche Entscheidungen und damit über den Grundsatz der Gewaltenteilung hinweg. Dieser Einsatz verfolgte offenkundig das Anliegen, die Infrastruktur für einen demokratischen, längerfristigen Protest gegen das G20-Treffen zu verhindern. Sie haben damit zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. Dabei wäre es ein besonderer Ausdruck demokratischer und rechtsstaatlicher Offenheit, ein solches Camp bei gleichzeitiger Anwesenheit der G20-Vertreter vor aller Weltöffentlichkeit zuzulassen und auszuhalten....

Nicht weniger problematisch finden wir die Argumentation der Innenbehörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren um die Zulässigkeit der Allgemeinverfügung über ein Versammlungsverbot am 7./8. Juli, in dem von Ihrer Seite damit argumentiert wurde, die Gefährlichkeit der Kläger/innen zeige sich u.a. darin, dass ihre Prozessbevollmächtigten im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) organisiert seien. Wenn Sie die grundrechtlich geschützte Mandatsentscheidung der Beschwerdeführer/innen zum Gegenstand polizeilicher Gefahrenprognosen machen, verstößt das nicht nur gegen das Prinzip der freien Anwaltswahl, sondern offenbart auch ein seltsames Verständnis organisierten zivilgesellschaftlichen und juristischen Protestes. Wir kennen und schätzen die Kolleginnen und Kollegen des RAV seit Jahren als engagierte Verfechterinnen rechtsstaatlicher Garantien und sind sehr froh, dass von ihrer Seite ein anwaltlicher Notdienst für Hamburg organisiert wurde. Wir finden es höchst bedenklich, wenn organisierter zivilgesellschaftlicher Protest bzw. organisierte juristische Infrastruktur kriminalisiert werden und als Gefahrenprognose für anscheinend unliebsame Versammlungen herhalten müssen

In der Hoffnung, dass Sie in den nächsten Tagen zu besonneneren und rechtsstaatlicheren Entscheidungen zurückfinden werden, verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

Werner Koep-Kerstin
Humanistische Union e.V.
- Bundesvorsitzender -

*

Quelle:
Humanistische Union e.V.
- Bundesgeschäftsstelle -
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
Telefon: 030 - 204 502 56, Fax: 030 - 204 502 57
E-Mail: info@humanistische-union.de
Internet: www.humanistische-union.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2017

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