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RECHT/074: Stellungnahme zur geplanten Einführung des "Warnschussarrestes" für Jugendliche


Pressemitteilung der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union,
vereinigt mit der Gustav Heinemann-Initiative - Berlin, 23. Mai 2012

Falsch und Falsch ergibt Falsch
Humanistische Union legt Stellungnahme zur geplanten Einführung des "Warnschussarrestes" für Jugendliche vor.



Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages führt am heutigen Mittwoch (23. Mai), eine Anhörung mit Sachverständigen zum sogenannten Warnschussarrest durch. Zur Debatte steht der "Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten" (BT-Drs. 17/9389). Mit ihm will die Regierungskoalition im Jugendstrafrecht die Möglichkeit schaffen, neben einer zur Bewährung ausgesetzten Strafe auch Jugendarrest anordnen zu können.

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union (HU) lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Jens Puschke vom Bundesvorstand der HU, fasst die Kritik zusammen: "Schon der 'normale' Jugendarrest ist äußerst fragwürdig, als Warnschussarrest würde er erzieherisch wertlos oder gar kontraproduktiv." Der Jugendarrest weise eine höhere Rückfallquote auf als Jugendstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Ein Warnschussarrest könne noch weniger erzieherisch wirken - für eine nachhaltige Einflussnahme sei die maximale Arrestdauer von 4 Wochen schlicht zu kurz, so Puschke. "Deshalb wird diese Form des Arrests bei den Jugendlichen eher zu einem Gewöhnungseffekt führen - nach dem Motto: 'Der Freiheitsentzug war gar nicht so schlimm!' Wie eine mäßig erfolgreiche Sanktion (der Arrest) durch die Zugabe einer weiteren, schlechter wirkenden Sanktion (dem Warnschuss) verbessert werden soll, kann niemand vernünftig erklären."

Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf haben sich offensichtlich die Befürworter einer symbolischen Law-and-Order-Kriminalpolitik in der Koalition durchgesetzt. Seit Jahren verfolgen sie - gegen den Widerstand aus Strafrechtspraxis und Kriminalwissenschaft - die Einführung des sog. Warnschussarrestes. Dagegen sieht die Humanistische Union den Gesetzgeber in Sachen Jugendstrafrecht ganz anders gefordert: "Schon die gegenwärtigen Regelungen zum Jugendarrest sind verfassungsrechtlich fragwürdig. Die mit dem Arrest verbundenen Sanktionen werden im bisherigen Gesetz nicht hinreichend bestimmt, seine erzieherische Konzeption stammt erkennbar noch aus der Zeit des Nationalsozialismus. Bevor der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Jugendarrests ausweitet, wäre er deshalb besser beraten, zunächst einmal dessen rechtsstaatliche Grundlagen und seine erzieherischen Absichten klarzustellen."

Die Stellungnahme der Humanistischen Union finden Sie in der Online-Version dieser Mitteilung auf unserer Webseite unter http://www.humanistische-union.de/presse/2012/ und im Anhang:


Stellungnahme der Humanistischen Union zum "Warnschussarrest" im Jugendstrafrecht anlässlich der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags zum "Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten" (BT-Drs. 17/9389)

Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf haben sich offensichtlich die Voodoo-Kriminalpolitiker in der Koalition durchgesetzt. Seit Jahren verfolgen sie - gegen den Widerstand aus Strafrechtspraxis und Kriminalwissenschaft - die Einführung des sog. Warnschussarrestes. Gemeint ist die Möglichkeit, neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe auch Jugendarrest anordnen zu können. Diese Kombination schließt das Jugendstrafrecht bislang aus guten Gründen aus. Als Beleg für die angebliche Erforderlichkeit des Warnschussarrestes erzählen dessen Befürworter gerne den Mythos vom Freispruch zweiter Klasse: junge Menschen, die zu einer zur Bewährung auszusetzenden Jugendstrafe verurteilt werden, würde diese nicht als Strafe, sondern als Freispruch zweiter Klasse empfinden - und dann weitermachen wie vorher. Eine echte Tatsachengrundlage hat diese Erzählung nicht - vielmehr handelt es sich dabei um ein modernes justizpolitisches Märchen ähnlich dem von der Spinne in der Yucca-Palme.

Jugendarrest ist nicht erzieherisch hilfreich, sondern schädlich:

Der Jugendarrest weist eine höhere Rückfallquote auf als eine Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird (64-70% gegenüber 60-62%). Da es sich bei der Jugendstrafe um die schwerere Sanktion handelt und die Zielgruppen beider Sanktionen weitgehend deckungsgleich sein dürften, kann dieser Unterschied nicht auf einen sog. Selektionseffekt zurückgeführt werden, sondern muss der Sanktion zugeschrieben werden. Wie aber eine mäßig erfolgreiche Sanktion durch die Zugabe einer schlechter wirkenden Sanktion verbessert werden soll, kann mit herkömmlichen Denkgesetzen nicht erklärt werden.

Vermutlich führt Jugendarrest eher zu einem Gewöhnungs- als zu einem Abschreckungseffekt: statt in ihnen nachhaltige Angst vor einer zukünftigen Jugendstrafe zu wecken, haben die jungen Menschen nun die Erfahrung gemacht, Freiheitsentzug ausgehalten zu haben, ohne dass sich in ihrem Leben viel geändert hat.

Der Jugendarrest ist erzieherisch nicht nachhaltig. Zwar werden im Jugendarrest mittlerweile viele pädagogisch gute Angebote vorgehalten, für nachhaltige Einflussnahme ist die verfügbare Zeit (max. 4 Wochen) jedoch zu kurz, eine nachgehende Betreuung findet nicht statt. Bewährung und Jugendarrest zugleich sind widersprüchlich und deshalb erzieherisch kontraproduktiv. Es ist wenig plausibel, dem verurteilten jungen Menschen einerseits durch die Aussetzung zur Bewährung zu attestieren, dass er voraussichtlich auch ohne Vollstreckung der Jugendstrafe zukünftig ein straffreies Leben führen werde und ihn andererseits durch die Arrestvollstreckung Misstrauen an dieser Sozialprognose kundzutun.

Es gibt überzeugendere Alternativen:

Das Jugendstrafrecht bietet ausreichende Möglichkeiten, den Verurteilten durch Auflagen und Weisungen während einer Bewährung zu stabilisieren und ihm auch zu verdeutlichen, dass er zu einer schweren Sanktion verurteilt worden ist. Ein echtes Bedürfnis, das Sanktionsspektrum darüber hinaus zu erweitern besteht nicht.

Sollten nachhaltigere erzieherische Prozesse erforderlich sein, ist es sinnvoller, die Strukturen der Jugendhilfe zu aktivieren. Erziehungshilfen sind nach dem SGB VIII auch für junge Erwachsene bis zu einem Alter von 27 Jahren möglich. Sollte es in der Praxis Schwierigkeiten im Zugang zu solchen Leistungen geben, ließen sich diese durch eine Kostenübernahme durch die Justiz bzw. eine direkte Beauftragung von Freien Jugendhilfeträgern reduzieren.

Schon die gegenwärtigen Regelungen zum Jugendarrest sind verfassungsrechtlich fragwürdig, denn das JGG enthält keine tragfähige inhaltliche Definition dieser Sanktion. Vorgegeben wird einerseits der zeitliche Rahmen, andererseits eine noch aus der Nazi-Zeit stammende, völlig überholte erzieherische Konzeption. Solange nicht eine mit den heutigen Erziehungswissenschaften halbwegs vereinbare und plausible Konzeption bundesrechtlich festgeschrieben wird, besteht keinerlei Veranlassung, den Anwendungsbereich weiter auszuweiten.

Offenbar hat die Bundesregierung selbst (ein bisschen) ein schlechtes Gewissen, doch die von ihr vorgesehenen Einschränkungen verleihen dem Warnschussarrest kein stringentes erzieherisches Konzept, noch werden sie dessen Anwendung in der Praxis tatsächlich wirksam beschränken, noch können sie sonst den Bedenken wirksam entgegen treten.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 23. Mai 2012
Humanistische Union e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2012