STANDPUNKT/051: Offener Brief - Das Völkerrecht kennt keine Staatsräson
Pressemitteilung der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union e.V. vom
17. März 2025 - Gemeinsame Erklärung
Das Völkerrecht kennt keine Staatsräson!
Offener Brief an CDU/CSU & SPD anlässlich der Koalitionsverhandlungen
Seit mehr als 17 Monaten erleben wir eine erschütternde Eskalation an
Gewalt, Leid und Rechtlosigkeit in ganz Palästina, in Gaza und im
Westjordanland, im Libanon, in Syrien und in Israel. Wir erleben zugleich,
dass die politische Debatte in Deutschland sowie politische Entscheidungen
zu einer fundamentalen Erosion völkerrechtlicher Standards beitragen und
die von politischen Entscheidungsträger:innen angewandten Doppelstandards
im Umgang mit den Rechtsbrüchen Israels zu einer nachhaltigen Schwächung
der Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik in der Welt führen. Im Kontext
der Palästina-Solidarität erleben wir darüber hinaus Polizeigewalt sowie
massive Eingriffe in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, eine
problematische Politisierung der Antisemitismusdebatte und eine
Kriminalisierung von legitimen Protesten.
Als Organisationen und Initiativen, die sich für einen gerechten Frieden in
Palästina und in Israel einsetzen, wenden wir uns an Sie als
Verhandler:innen eines möglichen Koalitionsvertrags und appellieren in
aller Dringlichkeit, im Koalitionsvertrag zentrale völker- und
menschenrechtliche Leitplanken mit Blick auf Palästina und Israel
festzuschreiben.
Als Organisationen der Zivilgesellschaft werden wir diese Anliegen und
Forderungen auch in der kommenden Legislaturperiode in die Öffentlichkeit
und auf die Straße tragen.
Völker- und menschenrechtliche Leitplanken in den Koalitionsvertrag:
- Bekennen Sie sich uneingeschränkt zur grundgesetzlich verankerten Geltung des internationalen Rechts und seiner Institutionen, vor allem des Internationalen Gerichtshofs (IGH) und des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), und bekennen Sie sich dazu, deren Entscheidungen, Urteile, Haftbefehle und andere Maßnahmen vollständig und unverzüglich umzusetzen.
- Respektieren Sie das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 19. Juli 2024 und die zugehörige Resolution der VN-Generalversammlung und verpflichten Sie sich im Koalitionsvertrag konkret, auf ein unverzügliches Ende der illegalen Besatzung, des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus und der Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland einschließlich Ostjerusalem hinzuarbeiten.
- Verankern Sie im Koalitionsvertrag explizit die Anerkennung des Rechts auf kollektive Selbstbestimmung, und zwar nicht nur für Jüd:innen, sondern auch für die Palästinenser:innen. Dieses Recht stellt ein zentrales Prinzip und Fundament des Völkerrechts dar. Versuchen, das kollektive Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser:innen zu negieren, muss die Bundesregierung entschlossen entgegentreten.
- Bekennen Sie sich zur Unterstützung der deutschen Bundesregierung für Organisationen der palästinensischen und israelischen Zivilgesellschaft (NGOs), die sich für Menschenrechte, das internationale Recht und für einen gerechten Frieden einsetzen. Die deutsche Bundesregierung muss Bestrebungen der Kriminalisierung, der Diskreditierung und der unzulässigen Einschränkung der Spielräume dieser Organisationen durch die israelische Regierung und auch durch die palästinensischen Behörden entschlossen entgegentreten. Sie darf diese nicht durch das Vorenthalten von außenpolitischen Unbedenklichkeitsbescheinigungen oder durch die Streichung öffentlicher Mittel mittragen.
- Verankern Sie im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zur Unterstützung der Vereinten Nationen einschließlich des VN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Die Arbeit der UNRWA in Palästina, im Libanon, in Jordanien und in Syrien ist unverzichtbar. Den seit Jahren andauernden Versuchen israelischer Regierungen, die Arbeit der UNRWA, aber auch der Vereinten Nationen insgesamt zu diskreditieren, zu behindern und schließlich zu verbieten, muss sich Deutschland mit einem klaren Bekenntnis zu den VN entgegenstellen.
- Verpflichten Sie sich, auch bei allen Verträgen und Kooperationsvereinbarungen mit Israel, sowohl bilateral als auch auf EU-Ebene, die Einhaltung von Menschenrechten und völkerrechtlichen Standards einzufordern.
- Verpflichten Sie sich, sämtliche - direkten und indirekten - Transfers von Waffen, Munition und anderer militärischer Ausrüstung an Israel einzustellen, weil das eindeutige Risiko besteht, dass sie zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, einschließlich Völkerrechtsverbrechen, beitragen.
Einschränkungen von Meinungsfreiheit klar entgegentreten
Wir erleben seit geraumer Zeit ein erschütterndes und nicht hinnehmbares
Maß an Diskreditierung und pauschaler Kriminalisierung
Palästina-solidarischer Akteure und Äußerungen und damit einhergehend einen
immer enger werdenden Raum für eine kritische Auseinandersetzung mit
israelischer Regierungspolitik und insbesondere für eine klare Benennung
und Verurteilung von Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen durch
Israel.
Wir appellieren in aller Dringlichkeit an Sie:
- Verankern Sie im Koalitionsvertrag das Bekenntnis, zivilgesellschaftliche, wissenschaftliche und künstlerische Räume für kritische Meinungsäußerungen offen zu halten und zu schützen. Die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit müssen gewahrt bleiben, auch und gerade, wenn Themen gesellschaftlich und politisch divers und kontrovers diskutiert werden.
- Legen Sie im Koalitionsvertrag den Grundstein dafür, den Einsatz gegen Rassismus, Antisemitismus und alle Formen von Diskriminierung zu verstärken. Sorgen Sie dafür, dass dieses wichtige politische Ziel nicht dazu benutzt wird, Minderheiten gegeneinander auszuspielen und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einzuschränken. Eine Strafrechtsverschärfung, die zur politischen Verfolgung von Palästina-solidarischen Stimmen missbraucht werden kann, darf nicht eingeführt werden.
Unterzeichnende Organisationen:
Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaft (KriSol) · Amnesty
International Deutschland · Arbeitskreis Palästina Brühl-Battir · Bremer
Friedensforum · Bundesweite Arbeitsgruppe Globalisierung und Krieg ·
Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (BIP) · Café
Palestine Colonia · ChanceMaker Foundation · Deutsch-Palästinensische
Gesellschaft (DPG) · EYE4PALESTINE - Palästina Stimme · Flüchtlingskinder
im Libanon e. V. · Frauen wagen Frieden · Freunde von Sabeel Deutschland ·
Humanistische Union · Internationale der Kriegsdienstgegner*innen (IDK) ·
Israelisches Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD) · Lebenshaus
Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und
Ökologie · medico international · Nahostgruppe Mannheim · Netzwerk
Friedenskooperative · 4neukoellnplusberlin e. V. · Palästina Initiative
Region Hannover · Partnerschaftsverein Bonn-Ramallah · pax christi,
Deutsche Sektion · pax christi - Kommission Nahost · Pegah
Wuppertal e. V. · SALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina-Israel e.V. München ·
Terre des Hommes Deutschland · Wuppertaler Friedensforum
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Quelle:
Humanistische Union e.V.
- Bundesgeschäftsstelle -
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
Telefon: 030 - 204 502 56, Fax: 030 - 204 502 57
E-Mail: info@humanistische-union.de
Internet: www.humanistische-union.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 21. März 2025
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