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VERBAND/031: Gemeinsame Zukunft zweier Bürgerrechtsorganisationen? (Mitteilungen)


MITTEILUNGEN Nr. 201, II - Juni 2008
Humanistische Union für Aufklärung und Bürgerrechte

Gemeinsame Zukunft zweier Bürgerrechtsorganisationen?
Gustav Heinemann-Initiative und Humanistische Union diskutieren über Fusion

Von Sven Lüders


Bürgerrechte sind Minderheitenrechte. Dieser Satz gilt leider nicht nur mit Blick auf diejenigen, deren Freiheiten eingeschränkt werden. Auch jene, die die Achtung der Bürger- und Menschenrechte einfordern und sich für eine freiheitliche Gesellschaft einsetzen, befinden sich allzu oft in der Minderheit. Sie dringen als Einzelorganisationen im heutigen Medienmarkt mit ihren Stellungnahmen immer weniger durch. Aus diesen Erfahrungen wollen die Humanistische Union und die Gustav Heinemann-Initiative (GHI) praktisch-politische Schlüsse ziehen und durch ein Zusammengehen beider Organisationen die Voraussetzungen öffentlicher Wirkung verbessern. Die GHI, 1977 unter dem Eindruck des "Deutschen Herbstes" in Rastatt gegründet, engagiert sich seit Jahren - wie die Humanistische Union - für die Bewahrung der Freiheitsrechte. Anders als in der HU, die in den vergangenen drei Jahren 300 neue Mitglieder gewinnen konnte, stagnieren bei der GHI die Mitgliederzahlen seit Jahren. Auch der 2004 gestartete Versuch, mit einer kleinen Berliner Geschäftsstelle den Verband wieder populärer zu machen und dadurch neue Mitstreiter zu gewinnen, brachte wenig Erfolg. Nach einer intensiven Diskussion über mögliche Zukunftsoptionen sprach sich der Vorstand der GHI mehrheitlich für eine gemeinsame Zukunft mit der HU aus. Inzwischen hat eine Mitgliederversammlung der GHI am 23. Mai den neu gewählten Vorstand beauftragt, mit der HU über eine mögliche Fusion zu verhandeln.


Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Dass die GHI bei der Suche nach einem künftigen Partner zu aller erst an die HU denkt, kommt nicht von ungefähr: Beide Organisationen verbindet bereits eine Vielzahl gemeinsamer Projekte. Seit 1983 geben wir gemeinsam die "vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik" heraus. Ebenso gehört die GHI von Anfang an zu den Mitherausgebern des Grundrechte-Reports. Gemeinsam haben wir uns in den vergangenen Jahren immer wieder gegen eine repressive Sicherheitspolitik engagiert, etwa mit innenpolitischen Forderungen an die erste rot-grüne Bundesregierung, mit Stellungnahmen zur Terrorismusgesetzgebung oder bei der Lobbyarbeit innerhalb des Forum Menschenrechte. Darüber hinaus verbinden HU und GHI zahlreiche weitere Anliegen, so die Forderungen nach einem freien Zugang zu Bildungschancen (Tagung und Memorandum 2003) oder die gemeinsame Kritik an der zunehmenden Militarisierung der deutschen Außenpolitik, die im Weißbuch 2006 der Bundeswehr besonders deutlich wurde.

Die enge Verbindung von HU und GHI tritt vor allem an der Zeitschrift vorgänge zutage. Die Zeitschrift, 1961 von Gerhard Szczesny als "Kulturpolitische Korrespondenz" begründet, hat sich über die Jahrzehnte zu einem bedeutenden bürgerrechtlichen Periodikum etabliert. Die Wirkung der vorgänge besteht dabei vor allem nach Außen: Sie werden nicht nur von den "üblichen Verdächtigen" innerhalb der Herausgeberorganisationen, sondern vor allem in einer breiteren, politisch interessierten Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Sicherung der Zeitschrift wird deshalb von HU wie GHI gleichermaßen hoch eingeschätzt. Beide Herausgeber finanzieren die vorgänge durch einen jährlichen Zuschuss in Höhe von 2.000 EUR, daneben erhalten alle Mitglieder der GHI die Zeitschrift in einem Abonnement, welches aus Vereinsmitteln finanziert wird. Die Frage nach der Zukunft der GHI stellt sich deshalb auch als eine Frage nach der Zukunft der vorgänge.

Die Zusammenarbeit zwischen HU und GHI findet jedoch nicht nur "im Großen" und zu bundespolitischen Themen statt, sondern wird besonders in Berlin auf einer ganz alltäglichen Ebene praktiziert: So bestreiten HU und GHI gemeinsam das OneWorld-Festival mit menschenrechtlichen Filmen, wir besuchen gemeinsam Veranstaltungen oder treten - wie im Forum Menschenrechte - gemeinsam auf. Und nicht zuletzt teilen sich HU und GHI seit 2004 ein Büro.

Bei allen Gemeinsamkeiten sollten jedoch die Unterschiede in Herkunft und Hintergrund der Mitglieder von HU und GHI nicht übersehen werden: Für viele Mitglieder der Humanistischen Union ist die Forderungen nach einer strikten Trennung von Staat und Kirche, ein konsequentes Verständnis von Religion als Privatangelegenheit, ein zentrales Anliegen. In der HU finden sich deshalb neben Christen und nicht religiös gebundenen auch viele überzeugte atheistische Mitglieder. Dagegen verortet sich die Mehrheit der GHI-Mitglieder in einem linksliberalen, protestantischem Bürgertum.


Wie geht es weiter?

Eine engere Kooperation der beiden Verbände könnte helfen, die politischen und personellen Ressourcen zu bündeln: Während sich die Arbeit der HU in den letzten Jahren vor allem auf Fragen der Innen- und Rechtspolitik sowie des Datenschutzes konzentriert, sind unter den aktiven GHI-Mitgliedern andere Themen, die traditionell auch Anliegen der HU sind, stärker vertreten. Die letzten Tagungen der GHI widmeten sich Themen wie den sozialen Grundrechten, der Integration und der Friedenspolitik sowie Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung.

Der Bundesvorstand der Humanistischen Union war deshalb sehr erfreut, als er vom Interesse der GHI an einer gemeinsamen Zukunft erfuhr. Auf seiner Sitzung im März diesen Jahres diskutierte er mit dem Sprecher der GHI, Werner Koep-Kerstin, über mögliche Fusionsmodelle. Die Vereinigung von HU und GHI soll jedoch nicht nach dem Modell des deutsch-deutschen Einigungsvertrages ("Anschluss") stattfinden, vielmehr wird eine möglichst breite verbandsinterne Diskussion über das Für und Wider angestrebt. Auch die HU sollte den Zusammenschluss als eine Chance nutzen, um ihre verbandspolitische Aufstellung, ihre Agenda und ihren Namen zu prüfen.

Mit einem Zusammengehen der beiden Vereine wäre zunächst einmal der Bestand der vorgänge gesichert. Nachdem die HU ein Abonnement für alle ihre Mitglieder vor zwei Jahren aus finanziellen Gründen ablehnen musste (es entstünden jährliche Kosten von ca. 20.000 EUR für die HU), wurde im Rahmen der Vorgespräche vereinbart, nach einer Fusion die bisherigen vorgänge-Abonnements für GHI-Mitglieder beizubehalten. Alle HU-Mitglieder sollen die Möglichkeit erhalten, die Zeitschrift optional über den Verein abonnieren zu können.

Welche weitergehende Bedeutung die Fusion auch für die HU bekommt, hängt unter anderem davon ab, wie die bisher noch offenen Fragen einer Fusion beantwortet werden:

• Welchen Namen trägt die neue Organisation? Mitglieder der HU wie der GHI teilen - wenn auch aus verschiedenen Gründen - ein gewisses Unbehagen an ihrem Verbandsnamen. Die Humanistische Union sieht sich häufig mit weltanschaulichen Verbänden (wie dem Humanistischen Verband) oder sektiererischen Gruppen (wie der Humanistischen Partei) verwechselt, was insbesondere ihre Positionen zur Trennung von Staat und Kirche in einem falschen Licht erscheinen lässt. Dagegen können jüngere Menschen kaum etwas mit dem Namen Gustav Heinemanns verbinden, dass sie zu politischem Engagement anstiftet. Die Fusion wäre deshalb eine gute Gelegenheit, für die gemeinsame Organisation einen neuen Namen zu finden. Dieser könnte sich an den englischen Namenszusatz der HU - German Civil Liberties Union - anlehnen. Allerdings gibt es sowohl in der HU wie der GHI viele Mitglieder, die sich mit den bisherigen Namen identifizieren. Und nicht zuletzt sollte auch der Aufwand, der mit der Etablierung eines neuen Namens verbunden ist, nicht unterschätzt werden. Deshalb wurde bereits angeregt, die bisherigen Bezeichnungen als Namenszusätze beizubehalten.

• In welcher Weise kann sichergestellt werden, dass Vertreter/innen der GHI in dem gemeinsamen Verein hinreichend repräsentiert sind? Zur Diskussion steht hier ein Quorum für ehemalige GHI-Mitglieder in den ersten beiden Vorstandsperioden.

• Wie wird mit den unterschiedlichen Mitgliedsbeiträgen in HU und GHI verfahren? Der jährliche Normalbeitrag bei der GHI beträgt derzeit 55,- EUR, während die HU einen Normalbeitrag von 90,- EUR/Jahr vorsieht. Hier wurde vorgeschlagen, die Beiträge der GHI-Mitglieder zumindest für eine Übergangszeit in ihrer derzeitigen Höhe zu belassen.


Diese und weitere mit einer Fusion auftretende Fragen sollen nun in Verhandlungen zwischen den Vorständen geklärt werden. Der HU-Vorstand hat Till Müller-Heidelberg gebeten, die Verhandlungen von Seiten der HU zu führen - er hat dieses Mandat übernommen. Die Fusionsverhandlungen sollen bis Anfang nächsten Jahres abgeschlossen werden. Die Ergebnisse stünden dann auf getrennten Mitgliederversammlungen (GHI) bzw. Delegiertenkonferenzen/Mitgliederversammlungen (je nach Ausgang der Urabstimmung in der HU - siehe Seite 30) zur Abstimmung, das Zusammengehen beider Vereine könnte im Herbst 2009 vollzogen werden.


Sven Lüders ist Geschäftsführer der Humanistischen Union

Weiterführende Informationen:

Einen Überblick zu den Arbeitsschwerpunkten der GHI gibt deren Webseite:
www.gustav-heinemann-initiative.de.

Dieter Wunder: Perspektiven der Gustav Heinemann-Initiative. Eine kritische Selbstbesinnung. vorgänge Nr. (Heft 2/2002), S. 140 - 145

Gustav Heinemann-Initiative, Humanistische Union und Komitee für Grundrechte und Demokratie: Gemeinsame Erklärung zu den "vorgängen". vorgänge Nr. 62/63 (Heft 2-3/1983), S. 19 - 21

Alexander Cammann: Zur Zukunft der vorgänge, Mitteilungen Nr. 190 (Heft 3/2005), S. 17


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Quelle:
Mitteilungen der Humanistischen Union e.V.
Nr. 201, II - Juni 2008, S. 25-26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2008