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FREE GAZA/131: Palästinensischer Menschenrechtsrat verurteilt Israels Überfall auf Hilfsflottille (Al-Haq)


Al-Haq - Pressemitteilung vom 31. Mai 2010

Palästinensischer Menschenrechtsrat verurteilt Israels unrechtmäßigen und gewaltsamen Überfall auf internationale humanitäre Hilfsflottille


Der Palästinensische Menschenrechtsrat verurteilt den unrechtmäßigen und gewaltsamen Überfall der israelischen Marine heute morgen auf eine Flottille internationaler Schiffe, die mit Hilfe für Gaza unterwegs war. Der Überfall ist ohne Beispiel und nach internationalem Recht illegal.

Die UN-Seerechtskonvention wird als internationales Gewohnheitsrecht anerkannt. Artikel 88 der Konvention besagt, daß die Hohe See lediglich friedlichen Zwecken zu dienen hat, und Artikel 110 sieht vor, daß ein Kriegsschiff ein fremdes Schiff, das ihm auf hoher See begegnet, nur dann entern darf, wenn vernünftige Gründe vorliegen anzunehmen, daß es sich an illegalen Aktivitäten wie Piraterie oder Sklavenhandel beteiligt. Die Gaza-Flottille bestand aus zivilen Schiffen, die humanitäre Hilfsgüter transportierten. Es lagen keine vernünftigen Gründe vor, das Schiff zu entern, geschweige denn, Zivilisten an Bord zu töten.

Im Falle echter Sicherheitsbedenken hätte Israel sich mit den jeweiligen Staaten, unter deren Flagge die Schiffe fahren, in Verbindung setzen sollen, um seine Sorge über die Flottille zum Ausdruck zu bringen und den Rückzug der Schiffe zu fordern. Was den Gebrauch von Gewalt angeht, so hätten sich Israels Aktionen darauf beschränken müssen, die Flottille bei Erreichen der territorialen Gewässer umzuleiten. Sogar in diesem Fall hätte Israel als die Besatzungsmacht in Gaza die Verpflichtung gehabt, nachdem es sichergestellt hat, daß die Flottille nur humanitäre Güter transportiert, die Passage zu ermöglichen. Das Schiff auf Hoher See abzufangen und zu entern, stellt eine eklatante Verletzung des internationalen Gewohnheitsrechts durch Israel dar.

Darüber hinaus ist der Einsatz scharfer Munition, um Zivilisten an Bord zu töten und zu verletzen, auch dann, wenn es ein gewisses Maß an Widerstand gegen die Übernahme des Schiffes gegeben haben mag, eine unverhältnismäßige Reaktion auf die Situation und eine Verletzung des angeborenen Rechts von Zivilisten auf Leben, wie in Artikel 6(1) des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte festgehalten.

Letztendlich hat Israel nicht aus Selbstverteidigung gehandelt, als es die Flottille angegriffen hat, die für Israel - den Worten israelischer Militärs zufolge - keine weitere Bedrohung darstellte, als eine 'Provokation, um Israel ins Unrecht zu setzen'. [1] In einer Ansprache vor dem Überfall auf die Flottille erwähnte Yigal Palmor, ein Sprecher des Außenministeriums, Israels Public Relations-Bedenken: "Wenn wir zulassen, daß sie mit Eiern nach uns werfen, erscheinen wir wie Idioten mit Ei im Gesicht. Wenn wir versuchen, sie mit Gewalt zu hindern, sieht man uns als brutale Gewalttäter."[2] Es ist Staaten ganz eindeutig nicht gestattet, gewaltsame und unverhältnismäßige Überfälle auf zivile Schiffe auf Hoher See durchzuführen, aufgrund von Bedenken, die eigene Legitimität könnte in Zweifel gezogen werden. Israel hat von vornherein die Entscheidung getroffen, gewaltsam gegen die Flottille vorzugehen, ohne auch nur vorzugeben, die Menschenrechte oder internationales Recht zu achten.


Israels Pflicht, humanitäre Hilfe für Gaza in die Wege zu leiten

Israels Blockade des Gazastreifens, die jetzt das dritte Jahr besteht, hat eine humanitäre Krise großen Ausmaßes geschaffen. Die Blockade wird im Goldstone-Report mit Kollektivbestrafung gleichgesetzt und ist eine Verletzung der Verpflichtung Israels als Besatzungsmacht, unter der Vierten Genfer Konvention sicherzustellen, daß die Befriedigung der humanitären Bedürfnisse der Menschen in Gaza im höchstmöglichen Maße gewährleistet ist. Der Überfall auf die Gaza-Flottille, von der ausführlich berichtet wurde, daß sie elementare Hilfsgüter nach Gaza bringt, verstößt gegen Israels Verpflichtung, die Passage humanitärer Hilfe zum Territorium, das es besetzt hält, zu ermöglichen.

Mit abwertenden Erklärungen von offizieller israelischer Seite wurde der Versuch unternommen, die Flottille zu diskreditieren. Vizeaußenminister Danny Ayalon nannte sie eine "Armada des Hasses" [3], und Außenminister Avigdor Lieberman stellte fest: "Es gibt keine humanitäre Krise im Gazastreifen". [4] In Zusammenhang mit der humanitären Krise in Gaza scheint die Unterlassung und Blockade humanitärer Hilfe in Verbindung mit Vorwürfen gegen jene, die versuchen Hilfe zu bringen, auf eine israelische Regierung hinzudeuten, die sich die Verwüstung von Gaza auf die Fahne geschrieben hat.

Der Palästinensische Menschenrechtsrat grüßt die Besatzungen der Schiffe und dankt in hoher Anerkennung für das Opfer, das in dem Versuch gebracht wurde, dem Recht Geltung zu verschaffen und die Achtung der allgemeinen Menschenrechte durch Brechen der illegalen Gaza-Blockade Israels durchzusetzen. Der Einsatz der Flottille angesichts des Versagens der internationalen Gemeinschaft, die Notlage Gazas zu lindern oder Rechenschaft von Israel für seine internationalen Verbrechen zu verlangen ist lobenswert. Angesichts der erklärten Absicht Israels, die Belagerung Gazas und seine hartnäckige Verletzung palästinensischer Rechte fortzusetzen, muß die internationale Gemeinschaft unverzüglich handeln, um diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die sowohl für den Überfall auf die Flottille als auch die unrechtmäßige Belagerung Gazas verantwortlich sind.


Der Palästinensische Menschenrechtsrat fordert, die folgenden Schritte zu unternehmen:

Die Hohen Vertragsparteien der Genfer Konventionen sowie die internationale Gemeinschaft als ganzes müssen gewährleisten, daß Israel die Genfer Konventionen achtet, indem Sanktionen gegen Israel verhängt werden, bis die Gaza-Blockade und die Besetzung palästinensischen Territoriums aufgehoben ist;
die EU muß ihr Assoziationsabkommen mit Israel zeitweilig außer Kraft setzen oder kündigen, weil Israel seit langem Artikel 2 des Abkommens nicht erfüllt, der festlegt, daß sich dieses auf die Achtung der Menschenrechte durch die Vertragsparteien gründet;
Israel muß allen, die es gefangengenommen und unter seine Rechtsprechung gestellt hat, ihre vollen Menschenrechte zubilligen und alle Schiffe, ihre Mannschaften und Passagiere, die unrechtmäßiger Gewalt und Verhaftung auf Hoher See ausgesetzt wurden, müssen unverzüglich freikommen;
Die UNO muß sofort handeln und die Empfehlungen des Goldstone-Berichts umsetzen. Verbrechen wie die heute erlebten sind nur möglich in der vorherrschenden Atmosphäre der Straflosigkeit, in der Israel für seine widerrechtlichen Aktionen nicht zur Verantwortung gezogen wird.


Liste der Unterzeichner

Addameer Prisoner Support and Human Rights Association
Al Dameer Association for Human Rights
Al-Haq
Al Mezan Center for Human Rights - Gaza
Defence for Children International - Palestine Section
Ensan Center for Human Rights and Democracy
Jerusalem Legal Aid Center
Ramallah Center for Human Rights Studies
Women's Center for Legal Aid and Counselling


[1] See http://edition.cnn.com/2010/WORLD/meast/05/31/gaza.protest/index.html
[2] See http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2010/05/201052791958545391.html
[3] See http://news.bbc.co.uk/2/hi/middle_east/10195838.stm
[4] See http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/hamas-flotilla-shows-whole-world-opposes-gaza-siege-1.292789


Anmerkungen der Redaktion Schattenblick:

Al-Haq ist eine unabhängige palästinensische Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Ramallah in der Westbank und besteht seit 1979. Sie widmet sich der Umsetzung der Menschenrechte und dem Schutz der Rechtsordnung im besetzten palästinensischen Territorium und besitzt speziellen Beraterstatus im Wirtschafts- und Sozialrat der UNO. Al-Haq ist der Kommission Internationaler Juristen in Genf angeschlossen, Mitglied des "Euro-Mediterranean Human Rights Network" (EMHRN), der Weltorganisation gegen Folter (OMCT), der Internationalen Föderation für Menschenrechte (FIDH), der Habitat International Coalition (HIC) und des Netzwerks Palästinensischer Nichtregierungsorganisationen (PNGO).

Originaltext: http://www.alhaq.org/etemplate.php?id=526


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Quelle:
Al-Haq
Pressemitteilung 100/2010, 31.05.2010
P.O.Box: 1413
Ramallah - West Bank, Palästina
Fax.: + 970 (0)2 2954903
Internet: www.alhaq.org
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2010