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OFFENER BRIEF/013: Linke Israelis kritisieren die Partei DIE LINKE. (Kritische JüdInnen und Israelis)


Kritische Juden, Jüdinnen und Israelis - 20. Juni 2011

Linke Israelis kritisieren die Partei DIE LINKE.


In einem Offenen Brief an die Fraktionsmitglieder der Partei DIE LINKE. kritisieren mehr als 100 israelische Aktivist_innen den Fraktionsbeschluss vom 7. Juni. Die Parteimitglieder sind aufgefordert, stattdessen die globale Solidaritätsbewegung für die Rechte der Palästinenser_innen zu unterstützen, zu der sich auch die unterzeichnenden Aktivist_innen zählen.

Die Unterzeichner_innen machen darauf aufmerksam, dass die Solidarität mit dem palästinensischen Kampf für Unabhängigkeit und Gerechtigkeit auch im Interesse israelischer Staatsbürger_innen und aller jüdischen Menschen weltweit sei. Zu Unrecht stelle sich das israelische Establishment als einziger weltweiter Vertreter der Jüdinnen und Juden dar. Dies würde von der israelischen Regierung instrumentalisiert, Kritik an ihrer Politik als antisemitisch gleichzusetzen.

Der Offene Brief endet mit der Forderung, Solidarität mit Palästinenser_innen zu zeigen: "Bekennt Euch zu einer offenen Diskussion über die verschiedenen Formen des Widerstands des Aktivismus und der Solidarität ".

Unter den Unterzeichner_innen, die in Dutzenden verschiedenen Organisationen und Initativen aktiv sind, sind die Professoren Gadi Elgazi und Sami Shalom Chetrit, die Filmregisseure Udi Aloni und Eyal Sivan, feministische Aktivist_innen der israelischen Frauenkoalition für Frieden wie Eilat Maoz und Dalit Baum, die Begründerin der Organisation ,,Physicians for Human Rights" Ruchama Marton, Kriegdienstsverweiger_innen wie Matan Kaminer und Shimri Zameret, die zwei Jahren lang inhaftiert waren, und bekannte Aktivist_innen des gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung wie Adar Grayevsky und Ezra Nawi.


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An die Fraktionsmitglieder der Partei DIE LINKE.


Wir, Linksaktivist_innen von verschiedenen Organisationen und Zusammenhängen aus Israel, kritisieren Euren Fraktionsbeschluss vom 7. Juli. In diesem Beschluss werden zwei grundverschiedene Themen vermischt, die demgegenüber dringend voneinander unterschieden werden müssen, um Antisemitismus in Deutschland und weltweit bekämpfen zu können. Darüber hinaus erhebt der Beschluss ungeheuerliche Anschuldigungen gegen die Zivilgesellschaft in Israel-Palästina und die internationale Solidaritätsbewegungen, die einen gerechten Frieden in unserer Region unterstützen.

Wir sind uns bewusst, dass Antisemitismus, ebenso wie Islamophobie und andere Formen von Rassismus, Sexismus und Homophobie, auch in der europäischen Linken verbreitet sind. Als Mitglieder der Partei DIE LINKE. ist es dringend notwendig, dass Ihr eine klare Stellung zu diesem Thema bezieht und wir unterstützen Eure eindeutige Verurteilung rassistischer und anti-jüdischer Aktivitäten, Ideologien und Diskurse.

Wir vertreten unterschiedliche Meinungen zu offenen Fragen und Strategien im israelisch-palästinensischen Konflikt; auch bezüglich jener Punkte, die Teil Eures Beschlusses sind: Die Ein-Staat-Lösung, die Kampagne für Boykott/ Desinvestitionen/ Sanktionen (BDS) und die unterschiedlichen Solidaritätsaktionen zur Durchbrechung der Belagerung des Gaza-Streifens, darunter die "Gaza-Flotilla".

Nichtsdestotrotz sind wir überzeugt, dass keine dieser Aktionen oder Positionen grundsätzlich etwas mit Antisemitismus zu tun haben. Zu unterstellen - wie in Eurem Beschluss geschehen - dass eine offene Diskussion über diese Themen antisemitisch sei, ist ein Affront gegenüber einer globalen anti-rassistischen Bewegung, die sich gegen die illegale und brutale Politik des Staates Israel gegen die Palästinenser_innen in seinen anerkannten Grenzen, in den besetzten Gebieten und in der Diaspora wendet. Wir zählen uns selbst mit Stolz zu dieser Bewegung.

Wir glauben, dass die Solidarität mit dem palästinensischen Kampf für Unabhängigkeit und Gerechtigkeit nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern auch im besten Interesse israelischer Staatsbürger_innen und aller jüdischen Menschen weltweit ist. Das israelische Establishment versucht, sich weltweit als einziger legitimer Vertreter der Jüdinnen und Juden darzustellen. Dieser Anspruch wird in Deutschland und Europa leider meist unhinterfragt akzeptiert. In den letzten Jahren bezeichnete die israelische Regierung zunehmend jede Kritik an ihrer Politik als antisemitisch und instrumentalisierte diese falsche Gleichsetzung, um jegliche politische Auseinandersetzung um die Besatzung zu unterbinden.

Wir bestehen darauf, dass Ihr auch zukünftig Eure klare Opposition zu Antisemitismus ausdrückt und fordern, dass Ihr Solidarität mit den Palästinenser_innen zeigt. Bekennt Euch zu einer offenen Diskussion über die verschiedenen Formen des Widerstands, des Aktivismus und der Solidarität und über die Vorschläge zur möglichen Beendigung des Konflikts, die auf Menschenrechten und Demokratie basieren! Wir glauben, dass sich diese Positionen in keiner Weise widersprechen sondern sich vielmehr zur besten und wirksamsten linken Perspektive zum Konflikt ergänzen.

Wir werden weiter unsere Opposition zu allen Formen von Rassismus und Unterdrückung ausdrücken und hoffen, dass Ihr Euren Beschluss überdenkt - damit wir gemeinsam für einen gerechten Frieden im Nahen- Osten arbeiten können.

Mit solidarischen Grüßen

Noa Abend
Gadi Algazi
Udi Aloni
Roey Angel
Eli Aronof
Daniel Atai
Nitzan Aviv
Daphne Banai
Yossi Bartal
Ilil Bartana
Roi Basha
Elisha Baskin
Dalit Baum
Yoav Beirach
Ronnen Ben-Arie
Tamar Berger
Eitan Bronstein
Eleanor Cantor
Sami Shalom Chetrit
Hila Fanya Chipman
Alex Cohn
Sharona Cooperman
Adi Dagan
Maayan Dak
Yossi David
Uri Davis
Daniel Dukarevich
Shiri Eisner
Dror Feiler
Tamar Freed
Neta Golan
Basi Goldstein
Uri Gordon
Chaya Glazer
Adar Grayevsky
Ofir Raul Graizer
Benjamin Greisman
Anat Guthman
Amos Gvirtz
Connie Hackbarth
Ran HaCohen
Yasmine Halevi
Yuval Halperin
Sarrie Handel
Iris Hefetz
Shir Hever
Yael Kahn
Matan Kaminer
Liad Kantarowicz
Assaf Kedar
Tal King
Yana Knopova
Felicia Langer
Moshe Langer
Carmi Lecker
Gerardo Leibner
Yael Lerer
Adi Liraz
Gabi Litman
Michal Livne Kaiser
Orit Loytar
Eilat Maoz
Ruchama Marton
Anat Matar
Abraham Melzer
Esti Micenmacher
Nuria Montserrat
Regev Nathansohn
Ezra Yitzhak Nawi
Ofer Neiman
David Nir
Norah Orlow
Hava Oz
Leiser Peles
Shachaf Polakow
Yael Politi
Einat Pudjarny
Yisrael Puterman
Hili Razinsky
Moshe Robas
Ben Ronen
Yael Ronen
Yehoshua Rosin
Timna Rose
Assaf Ronel
Dana Rubin
Assaf Segal
Daniel Sheinfeld
Yonatan Shapira
Mati Shemoelof
Eyal Sivan
Kobi Snitz
Bilha Sündermann Golan
Meira Tamir Lotner
Roy Wagner
Michael Warschawsky
Yossi Wolfson
Rotem Yaniv
Sergio Yahni
Kim Yuval
Shimri Zameret
Yahav Zohar

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Quelle:
Kritische JüdInnen und Israelis, Berlin
E-Mail: kritischeisraelis@googlemail.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2011