Kritische Juden, Jüdinnen und Israelis - 20. Juni 2011
Linke Israelis kritisieren die Partei DIE LINKE.
In einem Offenen Brief an die Fraktionsmitglieder der Partei DIE LINKE. kritisieren mehr als 100 israelische Aktivist_innen den Fraktionsbeschluss vom 7. Juni. Die Parteimitglieder sind aufgefordert, stattdessen die globale Solidaritätsbewegung für die Rechte der Palästinenser_innen zu unterstützen, zu der sich auch die unterzeichnenden Aktivist_innen zählen.
Die Unterzeichner_innen machen darauf aufmerksam, dass die Solidarität mit dem palästinensischen Kampf für Unabhängigkeit und Gerechtigkeit auch im Interesse israelischer Staatsbürger_innen und aller jüdischen Menschen weltweit sei. Zu Unrecht stelle sich das israelische Establishment als einziger weltweiter Vertreter der Jüdinnen und Juden dar. Dies würde von der israelischen Regierung instrumentalisiert, Kritik an ihrer Politik als antisemitisch gleichzusetzen.
Der Offene Brief endet mit der Forderung, Solidarität mit Palästinenser_innen zu zeigen: "Bekennt Euch zu einer offenen Diskussion über die verschiedenen Formen des Widerstands des Aktivismus und der Solidarität ".
Unter den Unterzeichner_innen, die in Dutzenden verschiedenen Organisationen und Initativen aktiv sind, sind die Professoren Gadi Elgazi und Sami Shalom Chetrit, die Filmregisseure Udi Aloni und Eyal Sivan, feministische Aktivist_innen der israelischen Frauenkoalition für Frieden wie Eilat Maoz und Dalit Baum, die Begründerin der Organisation ,,Physicians for Human Rights" Ruchama Marton, Kriegdienstsverweiger_innen wie Matan Kaminer und Shimri Zameret, die zwei Jahren lang inhaftiert waren, und bekannte Aktivist_innen des gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung wie Adar Grayevsky und Ezra Nawi.
*
An die Fraktionsmitglieder der Partei DIE LINKE.
Wir, Linksaktivist_innen von verschiedenen Organisationen und Zusammenhängen aus Israel, kritisieren Euren Fraktionsbeschluss vom 7. Juli. In diesem Beschluss werden zwei grundverschiedene Themen vermischt, die demgegenüber dringend voneinander unterschieden werden müssen, um Antisemitismus in Deutschland und weltweit bekämpfen zu können. Darüber hinaus erhebt der Beschluss ungeheuerliche Anschuldigungen gegen die Zivilgesellschaft in Israel-Palästina und die internationale Solidaritätsbewegungen, die einen gerechten Frieden in unserer Region unterstützen.
Wir sind uns bewusst, dass Antisemitismus, ebenso wie Islamophobie und andere Formen von Rassismus, Sexismus und Homophobie, auch in der europäischen Linken verbreitet sind. Als Mitglieder der Partei DIE LINKE. ist es dringend notwendig, dass Ihr eine klare Stellung zu diesem Thema bezieht und wir unterstützen Eure eindeutige Verurteilung rassistischer und anti-jüdischer Aktivitäten, Ideologien und Diskurse.
Wir vertreten unterschiedliche Meinungen zu offenen Fragen und Strategien im israelisch-palästinensischen Konflikt; auch bezüglich jener Punkte, die Teil Eures Beschlusses sind: Die Ein-Staat-Lösung, die Kampagne für Boykott/ Desinvestitionen/ Sanktionen (BDS) und die unterschiedlichen Solidaritätsaktionen zur Durchbrechung der Belagerung des Gaza-Streifens, darunter die "Gaza-Flotilla".
Nichtsdestotrotz sind wir überzeugt, dass keine dieser Aktionen oder Positionen grundsätzlich etwas mit Antisemitismus zu tun haben. Zu unterstellen - wie in Eurem Beschluss geschehen - dass eine offene Diskussion über diese Themen antisemitisch sei, ist ein Affront gegenüber einer globalen anti-rassistischen Bewegung, die sich gegen die illegale und brutale Politik des Staates Israel gegen die Palästinenser_innen in seinen anerkannten Grenzen, in den besetzten Gebieten und in der Diaspora wendet. Wir zählen uns selbst mit Stolz zu dieser Bewegung.
Wir glauben, dass die Solidarität mit dem palästinensischen Kampf für Unabhängigkeit und Gerechtigkeit nicht nur ein moralischer Imperativ, sondern auch im besten Interesse israelischer Staatsbürger_innen und aller jüdischen Menschen weltweit ist. Das israelische Establishment versucht, sich weltweit als einziger legitimer Vertreter der Jüdinnen und Juden darzustellen. Dieser Anspruch wird in Deutschland und Europa leider meist unhinterfragt akzeptiert. In den letzten Jahren bezeichnete die israelische Regierung zunehmend jede Kritik an ihrer Politik als antisemitisch und instrumentalisierte diese falsche Gleichsetzung, um jegliche politische Auseinandersetzung um die Besatzung zu unterbinden.
Wir bestehen darauf, dass Ihr auch zukünftig Eure klare Opposition zu Antisemitismus ausdrückt und fordern, dass Ihr Solidarität mit den Palästinenser_innen zeigt. Bekennt Euch zu einer offenen Diskussion über die verschiedenen Formen des Widerstands, des Aktivismus und der Solidarität und über die Vorschläge zur möglichen Beendigung des Konflikts, die auf Menschenrechten und Demokratie basieren! Wir glauben, dass sich diese Positionen in keiner Weise widersprechen sondern sich vielmehr zur besten und wirksamsten linken Perspektive zum Konflikt ergänzen.
Wir werden weiter unsere Opposition zu allen Formen von Rassismus und Unterdrückung ausdrücken und hoffen, dass Ihr Euren Beschluss überdenkt - damit wir gemeinsam für einen gerechten Frieden im Nahen- Osten arbeiten können.
Mit solidarischen Grüßen
Noa Abend
Gadi Algazi Udi Aloni Roey Angel Eli Aronof Daniel Atai Nitzan Aviv Daphne Banai Yossi Bartal Ilil Bartana Roi Basha Elisha Baskin Dalit Baum Yoav Beirach Ronnen Ben-Arie Tamar Berger Eitan Bronstein Eleanor Cantor Sami Shalom Chetrit Hila Fanya Chipman Alex Cohn Sharona Cooperman Adi Dagan Maayan Dak Yossi David Uri Davis Daniel Dukarevich Shiri Eisner Dror Feiler Tamar Freed Neta Golan Basi Goldstein Uri Gordon Chaya Glazer |
Adar Grayevsky
Ofir Raul Graizer Benjamin Greisman Anat Guthman Amos Gvirtz Connie Hackbarth Ran HaCohen Yasmine Halevi Yuval Halperin Sarrie Handel Iris Hefetz Shir Hever Yael Kahn Matan Kaminer Liad Kantarowicz Assaf Kedar Tal King Yana Knopova Felicia Langer Moshe Langer Carmi Lecker Gerardo Leibner Yael Lerer Adi Liraz Gabi Litman Michal Livne Kaiser Orit Loytar Eilat Maoz Ruchama Marton Anat Matar Abraham Melzer Esti Micenmacher Nuria Montserrat Regev Nathansohn |
Ezra Yitzhak Nawi
Ofer Neiman David Nir Norah Orlow Hava Oz Leiser Peles Shachaf Polakow Yael Politi Einat Pudjarny Yisrael Puterman Hili Razinsky Moshe Robas Ben Ronen Yael Ronen Yehoshua Rosin Timna Rose Assaf Ronel Dana Rubin Assaf Segal Daniel Sheinfeld Yonatan Shapira Mati Shemoelof Eyal Sivan Kobi Snitz Bilha Sündermann Golan Meira Tamir Lotner Roy Wagner Michael Warschawsky Yossi Wolfson Rotem Yaniv Sergio Yahni Kim Yuval Shimri Zameret Yahav Zohar |
*
Quelle:
Kritische JüdInnen und Israelis, Berlin
E-Mail: kritischeisraelis@googlemail.com
veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2011