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OFFENER BRIEF/054: Büchel ist überall! - Offener Brief an Merkel, Obama und Stoltenberg (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Büchel ist überall!: Offener Brief an Merkel, Obama und Stoltenberg

Von Reto Thumiger, 25. März 2016


Die Initianten der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt" wenden sich in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel, den amerikanischen Präsidenten Barack Obama und den NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg mit der Mahnung, dass die jüngere Geschichte lehrt, dass Atomwaffen keine Kriege verhindern können. Ihr Besitz erhöht stattdessen die Gefahr, dass diese Massenvernichtungswaffen wieder zum Einsatz kommen.

Weiter fordern sie:
• Stopp der nuklearen Aufrüstung in Deutschland
• Abzug der Atomwaffen aus Büchel
• Verbot der Atomwaffen


Im Folgenden der Brief im vollen Wortlaut:

KAMPAGNE BÜCHEL IST ÜBERALL
Wera Straße 10
70182 Stuttgart

Im März 2016

Offener Brief an:
- Die Bundeskanzlerin
- den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika
- den Generalsekretar der NATO

Sehr geehrte Frau Dr. Angela Merkel, Herr Barack Obama und Herr Jens Stoltenberg,

in Büchel lagern noch immer US-Atomwaffen. Die Bundeswehr stellt Tornados und Soldaten für ihren Abwurf zur Verfügung. Die jetzigen Atombomben sollen ersetzt werden durch neue "modernisierte" B 61-12-Atombomben.

Aus einfachen ungesteuerten Bomben sollen lenkbare Präzisionswaffen werden. Das sind Waffen mit neuen Fähigkeiten und damit ein qualitativer Aufrüstungsschritt.


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,

im Atomwaffensperrvertrag hat Deutschland sich verpflichtet, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen. Im 2+4-Vertrag hat Deutschland den Atomwaffenverzicht ausdrücklich bekräftigt. Die nukleare Teilhabe widerspricht diesen Verpflichtungen.

Im Koalitionsvertrag von 2009 haben Sie zusammen mit ihrem Koalitionspartner FDP versprochen, sich "im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden."

Doch Sie haben sich, nicht mit dem notwendigen Nachdruck um eine Umsetzung bemüht. Vielmehr haben Sie laut Medienberichten den Außenminister in seinen Bemühungen nicht unterstützt. Die Atomwaffen blieben in Büchel - bis heute.

Obwohl der Bundestag im Jahr 2010 in seinem Beschluss parteiübergreifend die Bundesregierung aufforderte sich dafür einzusetzen, dass die Atomwaffen aus Büchel abgezogen werden und dass die Bundesregierung sich aktiv für Verhandlungen zum Verbot aller Atomwaffen einsetzt , unterstützte sie die von den USA geplante "Modernisierung" der taktischen Atomwaffen und damit einen qualitativen Aufrüstungsschritt , der für die Atomwaffen in Deutschland geplant ist.

Nach Informationen von Monitor ergibt sich aus einem Bericht des US-amerikanischen Rechnungshofes (GAO): "Das US-Verteidigungsministerium und die NATO-Verbündeten einigten sich 2010 auf die zentralen militärischen Merkmale der Bombe". Dabei wurde laut US-Rechnungshof auch über Details wie die »Sprengkraft«, und die »Treffsicherheit« der neuen Waffen gesprochen.

Mit der "Humanitären Initiative" zur nuklearen Abrüstung wurde die Debatte innerhalb der Vereinten Nationen um eine wichtige Dimension, die der katastrophalen Folgen des absichtlichen oder versehentlichen Einsatzes von Atomwaffen, erweitert.

Doch nicht nur bei der einseitig möglichen Abrüstung durch den Abzug der Atombomben aus Büchel, auch bei den Bemühungen um ein weltweites Verbot verweigert sich die deutsche Regierung Abrüstungsinitiativen.

In der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurden am 8. Dezember 2015 mit großer Mehrheit vier Resolutionen verabschiedet, die ein Verbot von Atomwaffen vorantreiben sollen.

Die Bundesregierung enthielt sich in zwei Fällen, in den anderen beiden Fällen stimmte sie gegen die Resolutionen.

Dies ist enttäuschend, da die Bundesregierung durch eine Zustimmung zu allen Resolutionen ihr Bekenntnis zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt bekräftigt hätte. Darüber hinaus hat dieses Verhalten dazu beigetragen, dass sich viele engagierte Befürworter einer atomaren Abrüstung nicht ernst genommen fühlen.

Die Bundesregierung vertritt nicht die Interessen der deutschen Bevölkerung, die mit großer Mehrheit den Abzug der in Deutschland stationierten Atomwaffen verlangt.

Daher sehen wir uns gezwungen in Büchel und in unserem jeweiligen Umfeld aktiv zu werden, um die Aufrüstung in Büchel zu verhindern und auf ein Verbot der Atomwaffen hinzuwirken.


Sehr geehrter Herr Präsident Barack Obama,

in Ihrer Prager Rede haben Sie im am 5.4.2009 erklärt, eine Welt ohne Atomwaffen sei möglich. Sie haben versprochen, in den USA konkrete Schritte einleiten, um zu einer Welt ohne Atomwaffen zu gelangen.

Aber was haben Sie konkret getan? Sie haben ihr Versprechen nicht gehalten. Sie haben einem "Modernisierungsprogramm" des US-amerikanischen Atomwaffenarsenals und der zugehörigen Infrastruktur zugestimmt, um den neuen START-Vertrag zu ermöglichen. Dies ist kein Beitrag um den Weg zu einem weltweiten Verbot von Atomwaffen zu ebnen. Aber nicht nur Ihr Land, auch die meisten anderen Atomwaffenstaaten rüsten ihre Arsenale technisch auf. Das widerspricht dem Artikel VI, dem zwingenden Abrüstungsgebot, des Atomwaffensperrvertrags. Wir rechnen damit, dass der Internationale Gerichtshof auf die Klage der Marschall Inseln den Bruch des Völkerrechts durch die Atomwaffenstaaten feststellt.

Bei uns in Deutschland sollen in Büchel neue Atomwaffen vom Typ B 61-12 stationiert werden. Diesen qualitativen Aufrüstungsschritt wollen wir - als einen Schritt zu einer atomwaffenfreien Welt - verhindern Sie haben in Prag erklärt, dass es Geduld und Beharrlichkeit erfordert, dieses Ziel zu erreichen.

Diese vermissen wir in der Politik der US-Regierung. Sie haben in Prag an die Kraft des gewaltfreien Widerstandes erinnert, der zum Ende des kalten Krieges beitrug.

Wir werden uns mit Geduld, Beharrlichkeit und gewaltfrei für ein Verbot aller Atomwaffen einsetzen.


Sehr geehrter Herr Generalsekretär Jens Stoltenberg,

die nukleare Politik der NATO ist widersprüchlich. Einerseits wird betont "Solange es Kernwaffen gibt, wird die NATO ein nukleares Bündnis bleiben. Der oberste Garant für die Sicherheit der Bündnispartner sind die strategischen nuklearen Kräfte des Bündnisses." Andererseits wird in der auf dem NATO-Gipfel in Chicago beschlossenen "Defense and Posture Review" aber auch erklärt, dass das Bündnis entschlossen sei, "eine sichere Welt für alle anzustreben" und die "Bedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen".

Hinsichtlich der in Europa gelagerten Atomwaffen sollen die Bedingungen für eine weitere Reduzierung geschaffen werden. Das war 2012.

US Atombomben sind noch immer in Belgien, den Niederlanden, Italien der Türkei und Deutschland stationiert.

Statt am Abzug dieser Waffen arbeitet die NATO an der qualitativen Aufrüstung dieser Waffen. Auch Frankreich und das Vereinigte Königreich von Großbritannien tun dies mit ihren Atomwaffen.

Wenn auch unzureichend, so wurde auf dem NATO-Gipfel von Chicago doch die Bedeutung von Atomwaffen reduziert. Wir hoffen, dass die NATO die Rolle der Atomwaffen in der gegenwärtigen Krisensituation nicht erneut erhöht, sondern auf eine Politik der Abrüstung und des Dialoges setzt.

Wir lehnen die nukleare Teilhabe als einen klaren Bruch des Atomwaffensperrvertrages und in Deutschland auch gegen den Geist des 2+4-Vertrages ab. Wir wollen dazu beitragen, die neuen Aufrüstungsschritte zu verhindern. Wir werden uns in Büchel, dem deutschen Atomwaffenstandort, mit direkten gewaltfreien Aktionen dieser Atomwaffenmodernisierung aktiv widersetzen und sind solidarisch mit den Menschen, die sich in anderen Ländern für die gleichen Ziele einsetzen.


Sehr geehrte Frau Dr. Angela Merkel, Herr Barack Obama und Herr Jens Stoltenberg,

die jüngere Geschichte lehrt, dass Atomwaffen keine Kriege verhindern können. Ihr Besitz erhöht stattdessen die Gefahr, dass diese Massenvernichtungswaffen wieder zum Einsatz kommen.

Die jüngere Geschichte lehrt auch, dass man auch unter schwierigen Voraussetzungen Fortschritte in der nuklearen Abrüstung erreichen kann, wie dies der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen über das iranisch e Atomprogramm gezeigt hat.

Ein abgestimmter Vorschlag aller europäischen NATO - Stationierungsstaaten könnte die Debatte über den Abzug der amerikanischen Nuklearwaffen aus Europa wieder beleben.

Aber Apelle und Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern haben sich als nicht ausreichend erwiesen.

Wir fordern,
• Stopp der nuklearen Aufrüstung in Deutschland
• Abzug der Atomwaffen aus Büchel
• Verbot der Atomwaffen

Mit direkten Aktionen vor Ort am Atomwaffenstandort Büchel wollen wir Druck auf unsere Politiker ausüben und darauf hinwirken, dass die dort gelagerten Atomwaffen abgezogen werden und endlich konkrete Schritte zu einem weltweiten Verbot aller Atomwaffen unter strikter internationaler Kontrolle vereinbart werden.

Wir werden gewaltfreie Aktionen in Büchel durchführen, bis alle Atomwaffen aus Büchel abgezogen sind.

Wir setzen unsere Aktionen erst aus, wenn der Abzug glaubhaft angekündigt wird und ein verbindlicher Zeitplan dafür veröffentlicht worden ist.

Mit freundlichen Grüßen

Liste der Erstunterzeichner siehe unter [1].


[1] Offener Brief mit Erstunterzeichnern:
http://www.atomwaffenfrei.de/fileadmin/user_upload/pdf_Dateien/ImBlick_mrz_2016.pdf

Weitere Informationen:
http://www.atomwaffenfrei.de/


Über den Autor

Seit über 25 Jahren ist der gebürtige Schweizer und gelernte Kaufmann Reto Thumiger Aktivist des Neuen-Humanismus. Seine Anliegen, wie kulturelle Vielfalt, gleiche Rechte und Möglichkeiten für alle Menschen sowie eine innere und äußere Revolution - basierend auf der aktiven Gewaltfreiheit, führte ihn in sehr unterschiedliche Länder, wie Ungarn, Spanien, Togo und Sierra Leone. Mit seiner freiwilligen Tätigkeit in Pressenza Berlin möchte er der neuen Sensibilität und dem neuen Bewusstsein ein Sprachrohr verleihen und mit seinem Engagement bei der Organisation Begegnung der Kulturen von einem multikulturellen Nebeneinander zu einer weltweiten menschlichen Nation gelangen.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2016

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