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OFFENER BRIEF/080: Keine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür (AK Vorrat)


Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 30.10.2018

Zivilgesellschaft zu ePrivacy: Keine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür!


16 Organisationen und Verbände warnen die Bundesregierung in einem Offenen Brief[1] davor, die laufende ePrivacy-Reform "als Instrument zur Erweiterung der polizeilichen Befugnisse und zur Aushebelung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs" zur Vorratsdatenspeicherung zu nutzen und die Reform auf die lange Bank zu schieben.

"Im Zuge der geplanten ePrivacy-Verordnung wollen verschiedene Regierungen ihre grundrechtswidrigen Gesetze zur verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung retten und den Europäischen Gerichtshof für unzuständig erklären", kritisiert Uli Breuer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.

"Außerdem soll die ePrivacy-Verordnung den Telekommunikationsunternehmen zur 'Netzwerksicherheit', 'Fehlererkennung' oder 'Betrugserkennung' eine vorsorgliche freiwillige Vorratsdatenspeicherung erlauben, auf die auch der Staat Zugriff nehmen kann. Noch während eine Verfassungsbeschwerde gegen die siebentägige freiwillige Vorratsdatenspeicherung durch deutsche Internetanbieter anhängig ist (Az. 1 BvR 2370/14), soll die hochproblematische Speichererlaubnis über die EU sogar ausgeweitet werden. Die freiwillige Vorratsdatenspeicherung ist verantwortlich für die massenhafte Überwachung von Demonstranten mithilfe von Funkzellenabfragen und für Massenabmahnungen gegen Verbraucher. Wir fordern ihr endlich ein Ende zu setzen!"

Hintergrund

Aus Sicht der im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammengeschlossenen Datenschützer, Bürgerrechtler und Internetnutzer ist eine verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten für viele Bereiche der Gesellschaft höchst schädlich: Sie beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation in Bereichen, in denen Menschen auf Vertraulichkeit angewiesen sind (z.B. Kontakte zu Psychotherapeuten, Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Eheberatern, Kinderwunschzentren, Drogenmissbrauchsberatern und sonstigen Beratungsstellen) und gefährdet damit die körperliche und psychische Gesundheit von Menschen, die Hilfe benötigen, aber auch der Menschen aus ihrem Umfeld. Wenn Journalisten Informationen elektronisch nur noch überrückverfolgbare Kanäle entgegen nehmen können, gefährdet dies die Pressefreiheit und beeinträchtigt damit elementare Funktionsbedingungen einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft. Die verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung schafft Risiken des Missbrauchs und des Verlusts vertraulicher Informationen über unsere persönlichen Kontakte, Bewegungen und Interessen. Telekommunikationsdaten sind außerdem besonders anfällig dafür, von Geheimdiensten ausgespäht zu werden und Unschuldige ungerechtfertigt strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen.

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OFFENER BRIEF

Bundesminister für Wirtschaft und Energie
Herrn Peter Altmaier
11019 Berlin
27. Oktober 2018

Unternehmen und Bürger brauchen starken Schutz elektronischer Kommunikation

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

die unterzeichnenden Organisationen möchten ihre Unterstützung für die laufenden und dringend erforderlichen Bemühungen zur Reform der europäischen Datenschutzgesetzgebung für elektronische Kommunikation (ePrivacy-Verordnung) bekräftigen. Mehr als 600 Tage nach der Vorlage des Vorschlags durch die Europäische Kommission hat sich der Rat nicht auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt, die mit dem Europäischen Parlament verhandelt werden kann. Wir sind der Ansicht, dass der Abschluss der Reform bis Anfang des Jahres 2019 ein großer Schritt zur Stärkung des Rechts des Einzelnen auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit in der gesamten EU, zur Stärkung des Vertrauens in Online-Dienste und zur Schaffung von Rechtssicherheit für Unternehmen und Einzelpersonen wäre. Die ePrivacy-Verordnung bietet die Chance zur Konkretisierung der Datenschutzgrundverordnung für einen Kernbereich heutiger Datenverarbeitung.

Wir möchten Ihnen einige unserer wichtigsten Empfehlungen für eine umfassende Gesetzesreform mitteilen:

• Deutschland muss seine Arbeit intensivieren, gegen die aufdringlichen und missbräuchlichen Praktiken auf dem digitalen Markt vorzugehen, die das Recht auf Privatsphäre, Meinungsfreiheit und Datenschutz verletzen und zudem Vertrauen, Innovation und die Nutzung neuer Dienste beeinträchtigen. Die Schwachstellen der derzeitigen Regeln zum Schutz von Privatsphäre und Vertraulichkeit tragen zum Aufbau von Monopolen bei. Sie ermöglichen es monopolartigen Konzernen der Digitalwirtschaft, unaufhaltsam eine immer stärkere Position aufzubauen, in der innovative EU-Unternehmen nicht wettbewerbsfähig sind und in der die Bürgerinnen und Bürger der EU immer weniger Kontrolle über ihre private Kommunikation haben.

• Der bessere Schutz der Privatsphäre und Informationssicherheit bleibt ein zentrales Anliegen der Bürger auf der ganzen Welt. Sowohl die Eurobarometer-Umfrage zum Thema ePrivacy als auch die National Telecommunications and Information Administration des US-Handelsministeriums (NTIA) der Vereinigten Staaten verdeutlichen das. Die NTIA sprach von Datenschutz- und Sicherheitsbedenken, die 2016 nach einer großen Umfrage über die Einstellung der Verbraucher zu Diskussionen und Wirtschaftstätigkeiten zu einer "Abkühlung" führten.

Wir bitten Sie deshalb um Folgendes:

1. Stärken Sie den Rechtsrahmen für elektronische Kommunikation. Da immer mehr Kommunikationsdaten von digitalen Geräten übertragen, abgerufen, gespeichert und verarbeitet werden, ist es dringend erforderlich, die geltenden Vorschriften für die elektronische Kommunikation zu aktualisieren. Die derzeitigen Vorschriften stehen nicht im Einklang mit der Realität des Telekommunikationsmarktes. Als sie angenommen wurden, existierten die meisten der heute dominierenden Kommunikationstechnologien noch nicht einmal. Ein aktualisierter Rahmen wird den Unternehmen Rechtssicherheit bringen und das Vertrauen der Bürger in die Online-Kommunikation stärken.

2. Schützen Sie Privatsphäre und Wettbewerb. Die ePrivacy-Gesetzgebung ist das wichtigste Instrument für den Schutz des Rechts auf Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation im Online-Umfeld. Im Zeitalter der allgegenwärtigen Kommunikation muss die EU klare und vorhersehbare Regeln einführen, um Vertrauen zu schaffen und so Wettbewerb, Innovation, Privatsphäre und Datenschutz zu stärken. Die EU hat mit der ePrivacy-Verordnung die Chance, reflektiertere technische, soziale und ökonomische Maßstäbe zu setzen, als das Silicon Valley sie vorgegeben hat.

3. Sichern Sie die Privatsphäre durch Technikgestaltung und Voreinstellung: Der Schutz der Privatsphäre durch Technikgestaltung ("privacy by design") und Voreinstellungen ("privacy by default") sind zentrale EU-Grundsätze, die zur Umsetzung des Rechts auf Privatsphäre in der Praxis beitragen. Sie stellen sicher, dass der Datenschutz in neue Dienste integriert wird, was Innovation und Sicherheit fördert. Zudem gewährleisten die Grundsätze des Datenschutzes die notwendige Transparenz, damit sich Nutzer für oder gegen die Bereitstellung datenintensiverer Dienste entscheiden können.

4. Schützen Sie vor Tracking Walls: Das Europäische Parlament hat einen Schutz vor Tracking Walls vorgeschlagen, d.h. der Praxis, Nutzern den Zugang zu einer Website zu verweigern, es sei denn, sie stimmen der Verarbeitung personenbezogener Daten über Cookies (typischerweise Tracking für gezielte Werbung) zu, obwohl dies für die Erbringung der gewünschten Dienstleistung nicht erforderlich sind. Nach monatelangen Skandalen trägt diese Maßnahme dazu bei, den Internetnutzern wieder die Kontrolle über die Nutzung ihrer Daten für Werbezwecke zu geben.

5. Verhindern Sie Massenüberwachung und Vorratsdatenspeicherung: Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (CJEU) in den Rechtssachen Digital Rights Ireland (verbundene Rechtssachen C-293/12 und C-594/12) und Tele2 (verbundene Rechtssachen C-203/15 und C-698/15) muss eine Kommunikationsdatenspeicherung gezielt und darf nicht verdachtsunabhängig und anlasslos erfolgen (keine Vorratsdatenspeicherung). Wir bekräftigen, dass die ePrivacy-Gesetzgebung kein Strafverfolgungsinstrument ist und nicht als Instrument zur Erweiterung der polizeilichen Befugnisse und zur Aushebelung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verwendet werden sollte. Auch Befugnisse der Betreiber zur Kommunikationsdatenspeicherung für Sicherheitszwecke dürfen nicht zu einer anlasslosen, jeden Bürger treffenden "freiwilligen Vorratsdatenspeicherung" auf unbestimmte Zeit und ohne Zweckbindung ermächtigen

Aus all den oben genannten Gründen fordern wir Sie auf, im Rat der Europäischen Union darauf hinzuwirken, dass zeitnah Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament aufgenommen werden können. Das Ziel muss es sein, Anfang 2019 eine umfassende Reform der ePrivacy-Richtlinie zu verabschieden

Ihrer Antwort oder auch einem Austausch mit Ihnen sehen wir entgegen.

Mit freundlichen Grüßen

Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

Aktion Freiheit statt Angst e.V

Berufsverband der Datenschutzbeauftragten
Deutschlands (BvD) e.V.

Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler e. V.

Deutsche Vereinigung für Datenschutz e. V

DFJV Deutscher Fachjournalisten-Verband AG

dieDatenschützer Rhein Main

Digitalcourage e.V.

Digitale Gesellschaft e.V.

Fitug e.V.

Forum InformatikerInnen für Frieden und
gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V.

Internet Society, German Chapter e.V.
(ISOC.DE e.V.)

Komitee für Grundrechte und Demokratie

Netzwerk Datenschutzexpertise

Verbraucherzentrale Bundesverband

Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V


Der Offene Brief an die Bundesregierung im PDF-Format:
https://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/eprivacy-appell-altmeier.pdf

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Quelle:
Pressemitteilung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung vom 30.10.2018
E-Mail: presse@vorratsdatenspeicherung.de
Internet: www.vorratsdatenspeicherung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2018

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