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OFFENER BRIEF/082: Der Einsatz für Menschenrechte ist nicht antisemitisch (Jüdische Stimme)


Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. - 10. Januar 2019

Offener Brief: Der Einsatz für Menschenrechte ist nicht antisemitisch


In einem offenen Brief verurteilen mehr als 80 namhafte jüdische Wissenschaftler und Intellektuelle, darunter Noam Chomsky, Eva Illouz, Alfred Grosser, Moshe Zimmermann, Judith Butler und Micha Brumlik, die Anfeindungen gegen unseren Verein und rufen die deutsche Zivilgesellschaft auf, die freie Meinungsäußerung jener zu gewährleisten, die sich gegen die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wenden.

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Der Einsatz für Menschenrechte ist nicht antisemitisch

In den letzten Jahren haben die israelische Regierung und ihre Unterstützer versucht, die Debatte über die systematische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und die verheerenden Auswirkungen der seit 51 Jahren andauernden Besatzung zu unterbinden. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel und weltweit, die sich für die Menschenrechte der Palästinenser einsetzen, werden von israelischen Offiziellen in zynischer Weise als Feinde des Staates, Verräter und zunehmend als Antisemiten abgestempelt. Für kritisches Engagement bleibt immer weniger Raum.

Diese besorgniserregenden Entwicklungen sind auch an Deutschland nicht vorübergegangen. Wir unterstützen voll und ganz die Bemühungen der deutschen Zivilgesellschaft und Politik, alle heutigen Formen des Antisemitismus zu bekämpfen - ein bitter nötiges Anliegen angesichts des Aufstiegs nationalistischer Parteien und Bewegungen gerade einmal 73 Jahren nach der Überwindung des NS-Staats. Unter dem Vorwand des Schutzes jüdischen Lebens sind jedoch in dem Kontext Angriffe auf Organisationen und Personen, die sich mit den palästinensischen Bestrebungen nach Gleichheit und Befreiung solidarisch zeigen, inzwischen Alltag geworden. Die freie Rede in Bezug auf palästinensische Menschenrechte wird durch Forderungen, Diskussionen im öffentlichen Raum zu verbieten, durch öffentliche Verleumdungskampagnen und entsprechende Beschlüsse eingeschränkt.

Die Anfeindungen gegen die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost (Jüdische Stimme) sind bezeichnend für dieses um sich greifende Phänomen und haben uns veranlasst, unsere Sorge gemeinsam zum Ausdruck zu bringen. Die Gruppe, zu deren Mitgliedern auch kürzlich nach Deutschland eingewanderte Israelis gehören, hat immer eindeutig ihre Stimme für Frieden und Gerechtigkeit in Israel und Palästina erhoben und konsequent jegliche Form von Rassismus und Antisemitismus verurteilt, einschließlich solcher Fälle, in denen diese sich hinter einer Kritik an Israel verbargen. Dennoch schloss die Bank für Sozialwirtschaft unter dem Einfluss einer Verleumdungskampagne seitens rechter Journalisten und Organisationen 2016 das Konto der Gruppe, eine Entscheidung, die die Bank kurz darauf wieder zurücknahm.

Der Druck auf eine deutsche Bank mit dem Ziel, das Konto einer jüdischen Organisation zu schließen - erstmalig seit die Bundesrepublik an die Stelle des nationalsozialistischen Staates getreten ist - hat jedoch seither keineswegs nachgelassen. Kürzlich entschloss sich die Bank in Abstimmung mit dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein, eine Expertise über die Frage einzuholen, ob die Jüdische Stimme als "antisemitisch einzustufen" sei. Die deutsche Historikerin Dr. Juliane Wetzel übernahm die Aufgabe jenes Gutachten in Übereinstimmung mit der hochgradig politisierten und fragwürdigen Definition von Antisemitismus der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken (IHRA) zu erstellen. Dieses IHRA-Dokument kann gefährlich instrumentalisiert werden, um dem israelischen Staat Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen - Kritik, die für legitim und nötig erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet.

Dieses Vorgehen ist alarmierend: Repräsentanten des deutschen Staates, Finanzsektors und der Wissenschaft sind zusammengekommen, um gemeinsam ein Urteil darüber zu fällen, ob eine Gruppe von Juden und Israelis, darunter viele Nachkommen von Holocaust-Überlebenden, antisemitisch sei. Aus gutem Grund weigern sich Mitglieder der Jüdischen Stimme, bei einem solchen lächerlichen und schamlosen Unterfangen mitzuwirken.

Als jüdische und israelische Akademiker und Intellektuelle, die dem Kampf gegen Antisemitismus und alle Formen von Rassismus verpflichtet sind, verurteilen wir die laufende Kampagne, die darauf abzielt, die Jüdische Stimme und ihre Mitglieder zum Schweigen zu bringen, unabhängig davon, ob wir mit allen ihren Positionen übereinstimmen oder nicht.

Wir rufen die deutsche Zivilgesellschaft dazu auf, Antisemitismus unnachgiebig zu bekämpfen und dabei klar zu unterscheiden zwischen Kritik am Staat Israel, so hart sie auch ausfallen mag, und Antisemitismus. Wir fordern sie weiter dazu auf, die freie Meinungsäußerung jener zu gewährleisten, die sich gegen die israelische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wenden und auf der Beendigung dieses Zustands bestehen.

Wir stehen ein für Menschenrechte.

Unsere Solidarität gilt der Jüdischen Stimme.



Prof. Gadi Algazy, Historian, Tel Aviv University

Prof. Gil Anidjar, Department of Religion, Department of Middle Eastern, South Asian, and African Studies, Columbia University, New York

Avigail Arnheim, Director of The Felicia Blumenthal Music Center Association and International Music Festival Tell Aviv

Dr. Yuval Ayalon, Department of History, Philosophy and Judaic Studies, The Open University of Israel

Dr. Tamar Amar-Dahl, Historian, Berlin

Prof. Outi Bat-El, Department of Linguistics, Tel-Aviv University

Dr. Shaul Bar-Haim, Sociology Department, University of Essex

Dr. Moshe Behar, Arabic & Middle Eastern Studies, School of Arts, Languages & Cultures The University of Manchester

Prof. Zvi Ben-Dor, Department of History, NYU

Smadar Ben-Natan, adv., PhD Candidate Tel-Aviv University, Visiting Scholar, UC Berkeley

Dr. Ayelet Ben-Yishai, Chair, Department of English, University of Haifa

Prof. Dr. Gabriele Bergers, Department of Oncology, University of Leuven

Prof. Jerome Bourdon, Department of Communication, Tel Aviv University

Prof. Daniel Boyarin, Taubman Professor of Talmudic Culture, UC Berkeley

Prof. Judith Butler, Comperative Literature and Program for Clinical theory, UC Berkeley

Assistant Prof. Samuel Hayim Brody, Religious Studies, University of Kansas

Prof. emeritus José Brunner, Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, The Buchmann Faculty of Law, Tel Aviv University

Prof. emeritus Dr. Micha Brumlik, Fritz Bauer Institut, FfM

Prof. Rabbi Aryeh Cohen, American Jewish University

Prof. emeritus Noam Chomsky, MIT, Laureate Professor, University of Arizona

Prof. Yossi Dahan, Law Prof. and head of the human rights program, College of Law & Business, Ramat Gan, Israel

Prof. emerita Sidra DeKoven Ezrahi, Comparative Literature, Hebrew University, Jerusalem

Prof. David Enoch, Department of Philosophy and Law, Hebrew University, Jerusalem

Prof. emeritus Gideon Freudenthal, Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas, Tel Aviv University

Prof. Alon Friedman, MD, PhD, Denis Chair in Epilepsy Research, Department of Neuroscience and Paediatrics, Faculty of Medicine, Dalhousie University, Halifax, NS

Prof. Katharina Galor, Jewish Studies, Brown University, USA

Dr. Amira Gelblum, Historian, Open University, Israel

Prof. Rachel Giora, Department of Linguistics, Tel-Aviv University

Prof. Amos Goldberg, Former Chair of the Jewish History and Contemporary Jewry Department, Hebrew University, Jerusalem

Prof. Dr. Alfred Grosser, Germany

Associate Prof. Ran Greenstein, Sociology Department, University of the Witwatersrand, Johannesburg, South Africa

Prof. Heidi Grunebaum, Centre for Humanities Research, University of the Western Cape,

South Africa

Dr. Ilana Hammerman, Writer and Editor, Jerusalem

Prof. Susannah Heschel, Eli Black Professor of Jewish Studies, Dartmouth College Hanover, USA

Prof. Hanan Hever, Department of Comparative Literature and Jewish Studies, Yale University

Prof. Eva Illouz, Department of Sociology and Anthropology, Hebrew University, Jerusalem

Dr. Anne Karpf, Reader at London Metropolitan University

Prof. Hannah Kasher, Department of Jewish Thought, Bar-Ilan University

Prof. emeritus Michael Keren, Department of Economics, Hebrew University, Jerusalem

Prof. Brian Klug, Faculty of Philosophy, University of Oxford

Prof. Francesca Klug, Visiting Professor at LSE Human Rights

Dr. Hagar Kotef, SOAS, University of London

Prof. Chana Kronfeld, Hebrew and Comparative Literature, University of California, Berkeley

Nitzan Lebovic, Associate Professor of History, Apter Chair of Holocaust Studies and Ethical Values, Lehigh University, PA, USA

Prof. Gerardo Leibner, Historian, Tel Aviv University

Dr. Gal Levy, Democracy Studies, Open University, Israel

Dr. Andre Levy, Sociology and Anthropology, Ben Gurion University

Ruchama Marton, MD, Founder and Honorary President of Physicians for Human Rights - Israel

Dr. Anat Matar, The Dept. of Philosophy, Tel Aviv University

Rela Mazali, Author, Independent Scholar, Activist.

Dr. Gilad Melzer, Culture Studies, Beit Berl College

Prof. emeritus Everett Mendelsohn, History of Science, Harvard University

Prof. emeritus Paul Mendes-Flohr, Jewish Studies, Hebrew University, Jerusalem

Prof. Isaac (Yanni) Nevo, Department of Philosophy, Ben Gurion University

Dr. Amos Noy, Culture Studies, Jerusalem

Orly Noy, Writer, Journalist and Translator, Jerusalem

Atalia Omer, Associate Professor of Religion, Conflict and Peace Studies at the Kroc Institute for International Peace Studies at the University of Notre Dame

Prof. Adi Ophir, Tel Aviv University

Maayan Padan, Gender Program, Ben-Gurion University

Prof. emerita Benita Parry, English and comparative literature University of Warwick, UK

Prof. Steven Robins, Department of Sociology and Social Anthropology, Stellenbosch University, South Africa

Prof. Jacqueline Rose, Humanities and Co-Director, Birkbeck Institute for the Humanities, Birkbeck University of London

Prof. Jonathan Rosenhead, Department of Management, London School of Economics

Prof. Ishay Rosen-Zvi, Department of Jewish Philosophie and Talmud, Tel Aviv University

Prof. Michael Rothberg, English, Comparative Literature, and Holocaust Studies, UCLA

Dr. Sara Roy, Center for Middle Eastern Studies, Harvard University

Prof. emeritus Donald Sassoon, Comparative European History, School of History

Queen Mary, University of London

Dr. Kobi Snitz, Department of Neurobiology, Weizmann Institut, Rehovot

Professor Lynne Segal, Birkbeck College, The University of London

Dr. Itamar Shachar, Marie Curie Post-doctoral Fellow, Department of Anthropology, University of Amsterdam

Professor Avi Shlaim, St. Anthony College, The University of Oxford

Dr. Marcos Silber, Chairman Department of Jewish History, University of Haifa

Prof. Michael Steinberg, Department of History, Brown University

Lior Sternfeld, Assistant Professor of History and Jewish Studies, Penn State University

Prof. Adam Sutcliffe, European History, Department of History, King's College London

Ilana Sumka, Founder, The Center for Jewish Nonviolence

Associate Professor Moshik Temkin, History and Public Policy, Harvard

Dr. Anya Topolski, Associate Professor Ethics and Political Philosophy, Radboud Universiteit, Nijmegen

Dr. Nadia Valman, English Department, Queen Mary, University of London

Prof. Dr. Dr. Roy Wagner, Department of Humanities, Social and Political Sciences, ETH Zürich

Dr. Elian Weizman, lecturer in Middle East politics, Department of Politics and International Studies, SOAS, University of London

Rebecca Vilkomerson, Jewish Voice for Peace, USA

Dr. Yair Wallach, Israeli Studies, SOAS, University of London

Dr. Noga Wolff, Political Sciences, College for Academic Studies, Or Yehuda, Israel

Prof. Haim Yacobi, Development Planing Unit, University College London

Prof. emeritus Moshe Zimmermann, Koebner Minerva Center for German History, Hebrew University, Jerusalem

Prof. emeritus Moshe Zuckermann, Tel Aviv University

Institutional affiliation provided for identification purposes only

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Quelle:
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Haus der Demokratie und Menschenrechte
c/o Internationale Liga für Menschenrechte e.V.
Greifswalder Straße 4, 0405 Berlin
Fax: +49 (0)30 396 21 47
E-Mail: mail@juedische-stimme.de
Internet: https://www.juedische-stimme.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2019

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