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STELLUNGNAHME/086: Wir sind besorgt - Statement der Ärztinnen und Ärzte aus dem Medhilfe Team Passau (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Nachricht vom 23.02.2016

Wir sind besorgt

Statement der Ärztinnen und Ärzte aus dem Medhilfe Team Passau


23.02.2016 - Passau - Pressenza Berlin. Wir sind eine Gruppe von Ärztinnen und Ärzten aus Passau und Umgebung, die sich seit September 2015 ehrenamtlich für die medizinische Versorgung von Flüchtlingen engagieren. Unser Kollege Raphaele Lindemann gab Ende Januar in seinem Facebook-Bericht [1] über die Situation in Erding ein klares Statement ab für Menschlichkeit und Fürsorgepflicht gegenüber notleidenden und vor Krieg flüchtenden Männern, Frauen und Kindern jeglicher Herkunft und Religion. Wir möchten uns klar hinter ihn stellen. Denn diese Werte sind nicht nur für uns Ärzte reserviert und verpflichtend, sondern für alle Menschen, die Teil dieses Landes und dieser Gesellschaft sind, und sich um unser christliches Abendland sorgen mögen.

Immer wenn wir am Passauer Bahnhof diese völlig erschöpften, fiebernden Kinder und Säuglinge behandeln und in die sorgenvollen Augen ihrer Eltern sehen, können wir eines nicht begreifen: Wie leicht lassen sich viele unserer Mitbürger von zweifelhaften Politikern beeinflussen und sich von skrupellosen Polemikern ihre Ängste in Ablehnung und blinden Fremdenhass verwandeln?

Wir sind sehr besorgt - aber nicht wegen der vielen Flüchtenden, die bei uns Schutz suchen. Wir sind besorgt, weil immer mehr Menschen in unserem Land sich von einer Welle der verbalen und tätlichen rechten Gewalt mitreißen lassen, ohne darüber nachzudenken, welche Werte sie dafür aufgeben. Wir sind besorgt, weil aus den düsteren Kapiteln der Geschichte unseres Landes leider scheinbar so viele ihre Lektion nicht gelernt haben. Wenn wir Grenzen verteidigen, indem wir uns den durch Krieg und Flucht geschwächten, von Verletzungen und Erfrierungen gezeichneten Menschen notfalls mit Mauern und Waffengewalt entgegen stellen, treten wir nicht nur Menschenrechte mit Füßen, sondern verleugnen alle unsere gesellschaftlich errungenen Werte, die die Basis friedlichen Zusammenlebens darstellen, und auch unser Grundgesetz, das mit der Würde des Menschen beginnt.

Eines ist klar: Die Menschen, die zu uns kommen, sind genauso unschuldig in diese Situation geraten wie wir selbst. Und offensichtlich sind Gut und Böse bei ihnen genauso verteilt wie bei uns selbst. Es obliegt nun unserer gemeinsamen Verantwortung, diese schwierige Zeit zu bewältigen und uns das Leben nicht gegenseitig schwer zu machen. Wie viel Wert hat eine Gesellschaft, die von Angst, Misstrauen und Feindseligkeit geprägt ist?

Es scheint eine einfache Lösung, Frau Merkel zum Sündenbock zu machen. Sie mag sich geirrt haben, was die erhoffte europäische Solidarität betrifft, aber sie hat in zwei Dingen vollkommen Recht: Erstens sind wir ein starkes Land mit starken Bürgern und können diese Krise daher bewältigen. Zweitens können wir, wenn wir uns nicht selbst verleumden wollen, den Flüchtlingszustrom ausschließlich durch kluge und gerechte Außenpolitik begrenzen.

Wir Ärztinnen und Ärzte von Medhilfe Passau fordern, dass nicht Wut und blinder Hass ausgerechnet gegen die Opfer einer jahrelang bestehenden internationalen Fehlpolitik gerichtet werden. Wir kämpfen weiterhin im Rahmen unserer Möglichkeiten für die Bewältigung der Flüchtlingskrise im Sinne "Wir können es schaffen". Wir sind der Meinung, dass nur mit gemeinsamen Kräften die Entstehung einer funktionierenden pluralistischen Gesellschaft mit einem gemeinsamen Werte- und Rechtsverständnis in unserem Land möglich ist und dies der einzige Weg für ein friedliches Zusammenleben in einer globalisierten Welt ist.


Anmerkung:
[1] https://www.facebook.com/raphaele.lindemann/posts/1129635500380936


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2016

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