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MELDUNG/002: Wiener Asyl - Bürgerdruck und Hungerstreik (SB)


Unbeugsam - geflohene Menschen setzen ihre Proteste in Wien fort

Kontroverse öffentliche Debatte um die Flüchtlingspolitik Österreichs



Hätten sich Ende November nicht rund 500 Menschen, unter ihnen etwa einhundert aus anderen Ländern Geflohene, die in Österreich einen Asylantrag gestellt haben, von der Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen auf einen 35 Kilometer weiten Fußmarsch nach Wien aufgemacht, um dort ihren Protest öffentlich und auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen, wäre das Thema Asylpolitik in Österreich wohl bis heute nicht in die Schlagzeilen der nationalen wie internationalen Presse gelangt. Nach wie vor gibt es, gemessen an der in den dominierenden Medien üblicherweise vorherrschende Ignoranz, eine vergleichsweise große Resonanz, so daß die Prostestierenden den allerersten Aspekt ihrer Absichten, nämlich überhaupt in der Öffentlichkeit gehört und zur Kenntnis genommen zu werden, mit ihren von Entschlossenheit, aber auch Verzweiflung getragenen Aktionen bereits erreicht haben.

Dazu hat die Wiener Polizei - möglicherweise unbeabsichtigt - das Ihre beigetragen, hat doch die Räumung eines Zeltplatzes, den die Geflohenen auf dem Votivplatz nach ihrer Ankunft in Wien errichtet hatten, die Proteste weiter angeheizt und den Kreis der Organisationen und helfenden Menschen, die sich um die Flüchtlinge kümmern und sich mit ihren Forderungen solidarisch erklären, noch erweitert. Die wohl spektakulärste Form des Protestes, nämlich ein Hungerstreik, mit dem am 24. Dezember eine Gruppe der Geflohenen, die in der angrenzenden Votivkirche Aufnahme gefunden hatten, begonnen hatte, wird dazu beigetragen haben, daß dieses schon seit so langer Zeit bestehende und brisante Thema nun von vielen Medien aufgegriffen wird.

Nach der Räumung des Camps am 28. Dezember hat sich die Zahl der Menschen, die ihren Protest innerhalb der Kirche fortsetzen, auf etwa 40 erhöht, mindestens 14 von ihnen sollen sich noch immer im Hungerstreik befinden. Unmittelbar nach der polizeilichen Räumung sind die Hungerstreikenden in einen Durststreik übergetreten. "Wenn sie uns nicht zuhören, dann werden wir kein Wasser mehr trinken", hatte einer von ihnen gesagt [1]. Inzwischen nehmen die Streikenden wieder Tee zu sich, so daß eine unmittelbar lebensbedrohliche Situation zur Zeit nicht zu befürchten ist. Allerdings befinden sich die auf diese Weise unter Einsatz ihrer Gesundheit Protestierenden bereits in einem geschwächten Zustand, viele haben schon kollabiert. Sechs mußten am vergangenen Freitag und vier weitere am Samstag in ein Krankenhaus gebracht werden, konnten jedoch nach ambulanter Behandlung in die Kirche zurückkehren und ihren Hungerstreik dort fortsetzen.

Nach Angaben der Caritas wurden die Streikenden infolge der polizeilichen Räumung zusätzlich verunsichert und psychisch destabilisiert. Wie inzwischen zu vernehmen ist, sind sie dessenungeachtet entschlossen, den Protest solange fortzusetzen, bis auf ihre Forderungen eingegangen wird. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Zwar mangelt es den Geflohenen nicht an Fürsprechern, doch die Verantwortlichen sehen keinerlei Handlungsbedarf. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner lehnte ein persönliches Gespräch mit den Flüchtlingen ab, auch werde es im Asylwesen, das ihrer Meinung nach gut funktioniere, keine strukturellen Änderungen geben [2].

Dieser Haltung widerspricht unter anderem die Caritas. Zu behaupten, alles sei gut, wie dies derzeit die Politik tue, ließe sich mit den Fakten nicht belegen, so Caritas-Sprecher Klaus Schwertner [3]. Am Montag erklärte Caritas-Präsident Franz Küberl gegenüber "Kathpress", die Sorgen der Flüchtlinge in der Votivkirche würden zum großen Teil mit den Forderungen übereinstimmen, die von der Caritas, der Diakonie und weiteren Hilfsorganisationen schon seit langem erhoben werden. Küberl unterstrich, daß bei der Ortswahl der Unterbringung berücksichtigt werden sollte, daß die Flüchtlinge Zugang zu Bildung, Deutschkursen und medizinischer Versorgung erhalten müßten. Sie sollten nicht länger isoliert untergebracht werden, sondern die Möglichkeit haben, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. Schon im Sommer hätte sich die Caritas für eine zügige Anhebung der Grundversorgungsleistungen ausgesprochen. Es sei nun an der Regierung, die Situation der Flüchtlinge in der Votivkirche zu entschärfen und ein Grundmaß an Lebensperspektive anzubieten [4].

Am Sonntag äußerte sich Christoph Pinter, der Wiener Büroleiter des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), in ähnlicher Weise und riet zu einer Kommunikation zu so wichtigen Themen wie dem Arbeitsmarktzugang, Unterbringungsfragen und den Problemen mit Dolmetschern [3]. Pinter begrüßte es ausdrücklich, daß es Asylbewerber wie die seit fast zwei Wochen in der Votivkirche ausharrenden Flüchtlinge gäbe, die sich selbst artikulieren und ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen wollen. Den Protesten steht er positiv gegenüber. Konkret bemängelt das UNHCR an der Asyl- und Flüchtlingspolitik Österreichs, daß die Betroffenen keinen effektiven Zugang zum Arbeitsmarkt hätten, sondern lediglich in Saisonbranchen beschäftigt werden könnten, worunter laut WienHeute.at befristete Beschäftigungsbewilligungen für Saison- und Erntearbeiten oder geringfügig entschädigte Hilfstätigkeiten in der Grundversorgung zu verstehen sind. [4]

Die neue oberste Ordensschwester Österreichs, Beatrix Mayrhofer, lud die Innenministerin zu einem direkten Besuch in der Votivkirche ein, um mit den dort kampierenden Flüchtlingen persönlich zu sprechen. "Es kann nicht sein", so Mayrhofer am Sonntag, nachdem sie am Tag zuvor selbst mit den Hungerstreikenden in der Votivkirche gesprochen hatte, "dass Menschen mitten in Wien um ihr Leben fürchten müssen, während nur einige hundert Meter weiter Silvester gefeiert und auf ein hoffnungsfrohes neues Jahr angestoßen wird." [3] Mit der von ihr aufgeworfenen Frage, ob die polizeiliche Räumung dem Zweck gedient habe, den Wien-Touristen den Anblick von so viel Elend zu ersparen [3], steht die Geistliche keineswegs allein.

Zahlreiche Organisationen stellen unterdessen die Rechtmäßigkeit dieses Polizeieinsatzes in Frage. Die Wiener Grünen machten geltend, daß das Zeltlager von der Behörde genehmigt worden sei und daß die Stadtverwaltung einen Abriß gar nicht gefordert habe. Dem hält die Polizei durch Polizeipräsident Gerhard Pürstl entgegen: "Selbstverständlich hat die Landespolizeidirektion Wien die Vorgangsweise vor dem Einsatz mit der Wiener Stadtverwaltung besprochen und beim Abbau des Lagers im Einvernehmen mit der Stadt gehandelt." [5] Klaus-Werner Lobo, der Menschenrechtssprecher der Grünen, erklärte gegenüber dem "Standard", daß nun ein Anwalt prüfen werde, ob dieses Vorgehen rechtmäßig war [5].

Volksanwältin Terezija Stoisits hat unterdessen eine Prüfung rechtlicher Schritte gegen die polizeiliche Räumung des Camps am 28. Dezember angekündigt, weshalb Zeugen und Zeuginnen aufgerufen sind, Wahrnehmungsberichte, Filme und Fotos an die Volksanwaltschaft, eine aus drei Personen bestehende und zur Kontrolle der öffentlichen Verwaltung eingerichtete österreichische Institution, zu schicken (post@volksanwaltschaft.at). In Wien scheint mittlerweile so etwas wie ein Streit darüber entbrannt zu sein, wer für diesen auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht höchst umstrittenen Einsatz eigentlich verantwortlich ist. So scheint unklar zu sein, bei wem die rechtliche und politische Verantwortung für diesen Polizeieinsatz tatsächlich liegt. Laut Grünen-Chefin Eva Glawischnig ist das Innenministerium verantwortlich, dort wiederum wurde an die Polizei verwiesen. Ausdrückliche Rückendeckung für die Räumung erhielt die Polizei derweil vom Innenministerium. Nichts zu tun, so hieß es dort, wäre Amtsmißbrauch gewesen.

Am Samstagnachmittag ist es aus Protest gegen die Räumung zu einer Demonstration in der Wiener Innenstadt gekommen, an der den Veranstaltern zufolge rund tausend Menschen teilgenommen haben. Ein großes Polizeiaufgebot hat die friedliche Demonstration durch die Wiener Innenstadt begleitet. "No boarder, no nation, stop deportation", riefen die Demonstrierenden. Die Genfer Flüchtlingskonvention stehe über der Campingverordnung, war auf einem der mitgeführten Transparente zu lesen. Zur Erläuterung: Mit Verstößen gegen die Kampierverordnung wurde die Räumung von der Polizei begründet. So hatte es nach Polizeiangaben 19 Anzeigen nach dieser Verordnung und fünf wegen sonstiger Verwaltungsübertretungen gegeben, zwei Personen waren nach dem Fremdenpolizeigesetz festgenommen worden.

Wie auf dem Flüchtlingsprotest-Blog Refugeecampvienna.noblogs.org [6] am Montag gemeldet wurde, befinden sich die beiden festgenommenen Flüchtlinge inzwischen wieder auf freiem Fuß. Das Presseteam sprach in diesem Zusammenhang von einem "unverhältnismäßigen und vor allem völlig unnötigen Kriminalisierungsversuch durch die Wiener Polizei", der auch auf dieser Ebene erfolglos geblieben sei [6]. Für Mittwoch, den 2. Januar 2013 - bzw., wie es in Österreich heißt, den 2. Jänner - wurde in Wien bereits zu einer weiteren Demonstration aufgerufen seitens der Bewegung der Flüchtlinge. In dem Aufruf hieß es: "Wir lassen uns nicht spalten! Solidarität mit den Hungerstreikenden! You cannot silence us!" [7]

Fußnoten:

[1] Nach Räumung: Asylwerber gehen in Durststreik, "Die Presse", 29.12.2012
http://diepresse.com/home/panorama/wien/1327816/Nach-Raeumung_Asylwerber-gehen-in-Durststreik?_vl_backlink=/home/panorama/wien/index.do

[2] Politik verteidigt Camp-Räumung, von Anna Thalhammer, WienHeute.at, 30.12.2012
http://www.heute.at/news/oesterreich/wien/art23652,839592

[3] Votivkirche: UNHCR fordert Dialog, ORF, 30.12.2012
http://wien.orf.at/news/stories/2565117/

[4] Küberl: Votivkirchen-Forderungen sind Kernanliegen der Caritas, OTS, 31.12.2012
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20121231_OTS0013/kueberl-votivkirchen-forderungen-sind-kernanliegen-der-caritas

[5] Votiv-Lager war angemeldet. War Räumung des Protest-Camps illegal? WienHeute.at, 30.12.2012
http://www.heute.at/news/oesterreich/wien/art23652,839405

[6] Volksanwaltschaft schreitet wegen Räumung ein und überprüft - Fotos, Videos und Berichte gesucht! Gemeinsames Vorgehen gegen Strafen wegen Anti- Campingverordnung! Beide festgenommenen Aktivisten wieder frei! Presseteam von Refugeecampvienna, 31.12.2012
https://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2012/12/31/volksanwaltschaft-schreitet-wegen-raumung-ein-und-uberpruft-fotos-videos-und-berichte-gesucht/

[7] 2. Jänner, 16 Uhr, Demo: You cannot silence us! Die Refugee-Proteste gehen weiter! Presseteam, 1.1.2012
http://refugeecampvienna.noblogs.org/

Weitere Informationen in der Wiener Tagespresse und bei
http://refugeecampvienna.noblogs.org/

1. Januar 2013