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SERIE/010: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 8. Brief - Neudeck/Medien


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 8. Brief

10.2.2008

Neudeck/Medien


Am Morgen des 28. Februar schiebt mir das Hausmädchen, zusammen mit dem Kaffee, einige Zeitungsausschnitte durch die Kostklappe. Am 26. war die große Pressekonferenz im Polizeipräsidium, bei der die erfolgreiche Arbeit der Münchner Polizei gelobt und ihre jüngste Jagdtrophäe, nämlich ich, stolz präsentiert wurde. In allen Tageszeitungen stehen große Artikel mit Fotos, einzig die "Bild" hat mein Gesicht nicht unkenntlich gemacht und außerdem ein Foto von meiner Wohnung mit Straßenangabe gebracht. Ein Wunder, daß sie nicht auch noch die Hausnummer gedruckt haben. In fast jeder Schlagzeile kommen die Wörter "Bombenlegerin" und "Psychatrie" vor, in den Texten werde ich als völlig durchgeknallte Friedensaktivistin gehandelt, die wollte, daß die Münchner die gleiche Angst und Panik verspüren sollten wie die Menschen in den Kriegsgebieten des Nahen Ostens. Auch im Internetportal der Polizei steht es so. Tatsächlich gesagt habe ich, und so steht es auch wörtlich in meinem Vernehmungsprotokoll: "Es gibt so viele Menschen auf der Welt, besonders im Nahen Osten, die sich in keinster Weise gegen scharfe Bomben, die auch mit massiver deutscher Unterstützung fallen, wehren können. Dagegen sind Attrappen vergleichsweise harmlos. Vielleicht bekam mancher mal ein vages Gefühl dafür, was diese Gewalt bedeutet". Gemeint war damit, daß mancher vielleicht einmal darüber nachdenkt. Aber gut, es war sicherlich nicht besonders geschickt von mir formuliert und nun muss ich mit dem leben, was in meine Aussage hineininterpretiert wurde.

Auch ansonsten wird wild dahergeschrieben. In meinem Einzimmerappartment steht eine Schlafcouch, die ich abends aufgeklappt habe; geschrieben wird "Sie hatte nicht einmal ein Bett, sondern hat auf der Couch geschlafen", in der angeblich so seriösen "SZ" heißt es, ich wäre zweimal wegen Diebstahl verurteilt worden. Niemals in meinem ganzen Leben wurde ich eines Diebstahls auch nur beschuldigt. Wahr ist dagegen, daß ich zwei Geldstrafen wegen Sachbeschädigung bekommen habe. Ich wäre nach der Wende aus der DDR gekommen, in Wirklichkeit habe ich ca. 30 Jahre in Niedersachsen gelebt, bevor ich nach München umzog, usw. usw. Seitdem lese ich Zeitungen mit anderen Augen. In einer Extraspalte kommt noch der Polizeipsychologe zu Wort, der sich erschüttert darüber zeigt, daß ich Handschuhe benutzt und die Attrappen mit Desinfektionsmittel besprüht habe, um DNA-Material zu beseitigen. So etwas hätte er noch nicht erlebt. Was denkt er? Hätte ich bestrebt sein sollen, so viele Fingerabdrücke und DNA-Spuren wie möglich zu hinterlassen? Mir war klar, daß sie mich irgendwann erwischen, aber so einfach wollte ich es ihnen dann doch nicht machen.

Zu allem Überfluss werden auch noch meine Nachbarn interviewt und sagen das, was auch die meisten Nachbarn von Massenmördern und Kinderschändern sagen "Sie hat immer freundlich gegrüßt". Wenn ich dann daran denke, daß all das ja auch meine Bekannten und Noch-Kollegen lesen, bin ich in diesem Moment ganz froh, in der Versenkung verschwunden und unerreichbar zu sein.

Eine Weile hebe ich die Zeitungsberichte auf, irgendwann werfe ich sie weg. Es gibt Gefangene, die regelrechte Mappen angelegt haben und all die Artikel von Leuten sammeln, denen sie hier begegnet sind, auch wenn es gar keine Kontakte mit ihnen gab. Die wenigen Tageszeitungen, die es gibt sind heißbegehrt, wandern von Zelle zu Zelle und es ist oft genau festgelegt, wer von wem als nächster "beliefert" wird. Wenn der Letzte dann an der Reihe ist, sind die Nachrichten schon längst veraltet, werden aber trotzdem gerne gelesen. Sonst gibt es ja nicht viel, ein paar alte Bücher im Büro, meist Romane, dafür aber reichlich Bibeln und Religiöses. Man bemüht sich, die verlorenen Schäfchen wieder auf den rechten Weg zu treiben.

Außerdem können wir auf zwei Listen Bücher bestellen, teils aus Neudeck selbst, teil aus der Bibliothek in Stadelheim. 4 Stück sind erlaubt. Ich habe von 2 ½ Wochen welche angefordert. Wann sie kommen und wie viele auch tatsächlich verfügbar sind, weiß ich noch nicht. Bis dahin, herumsitzen, Zeit totschlagen, grübeln - und Tagebuch schreiben. Ich habe mir vorgenommen, es bis zu dem Tage zu führen, an dem ich den Alptraum Gefängnis verlasse.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2008