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SERIE/030: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 28. Brief - Weihnachten Aichach


Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 28. Brief

Dezember 2007

Weihnachten JVA Aichach


Mein erstes Weihnachten in Aichach. Daran, daß es nach dem Willen des hohen Gerichts nicht mein letztes sein soll, darf ich gar nicht denken.

Ich bin weder religiös noch gehöre ich irgendeiner Glaubensgemeinschaft an, trotzdem hat dieses Fest, das ja die Wiedergeburt des Lichtes symbolisiert, auch für mich eine Bedeutung. Außerdem, ich bin hier eingesperrt und kann mich all dem, was in meinem Umfeld vor sich geht, nur begrenzt entziehen, ob ich will oder nicht.

Circa zwei Wochen vor Heiligabend wurde gefragt, ob wir Gefangene uns gemeinsam zusammensetzen wollen - alle stimmten zu, außer mir. Ich bin nicht freiwillig hier, das enge Zusammenleben belastet mich schon genug und außer einem bisschen Smalltalk auf dem Flur habe ich wenig Kontakt und suche auch keinen. Mit den meisten hier habe ich eh nicht die gleiche "Wellenlänge".

Neulich fragte mich eine Sozialarbeiterin, ob ich mich schon eingelebt hätte. Nein, habe ich nicht. Ich habe mich nicht damit abgefunden, daß ich von Wärtern wie ein wildes Tier in einen vergitterten Käfig gesperrt werde. Ich werde es nicht und ich will es auch garnicht. Immer wieder frage ich mich, was sie damit erreichen wollen. Dass hier drin jemand "besser" wird, kann niemand glauben, der seine fünf Sinne beieinander hat. Sollen wir so abgeschreckt werden, daß wir "draußen" schon Angst bekommen, wenn wir eine Uniform nur sehen? Sollen wir durch Isolation und Eintönigkeit so dumm und stumpf gemacht werden, wie sie sich ideale Untertanen vorstellen?

Zurück zu Weihnachten. Wochenlang wurden von den Häftlingen mit Hingabe von früh um sieben bis zum abendlichen "Einschluß" Plätzchen und Kuchen in rauhen Mengen gebacken. Diejenigen Strafvollzugs-Anhänger, für die die 3-K-Ideologie (Kirche, Küche und Kinder) das Idealbild der Frau darstellt, wären bei diesem Anblick hocherfreut gewesen. Sorgsam und liebevoll wurde der Weihnachtsbaum und das Geländer des Flures geschmückt, was ich rührend und sogar irgendwie beneidenswert fand. Die meisten haben sich damit abgefunden, daß sie soundso lange hier sein werden und machen das vermeintlich Beste daraus. Ich kann so nicht sein und niemals werde ich die Gitterstäbe, hinter denen ich gefangengehalten werde, auch noch selber schmücken. Mir ist hier nicht nach feiern zumute. Bin ich so gefühlskalt und asozial oder sind die anderen so angepasst und gefühlsduselig? Naja, jedenfalls würde wohl keiner von uns mit dem anderen tauschen wollen.

Heiligabend war lange "Aufschluss", von acht Uhr morgens bis 19.30 Uhr abends, nur mittags waren wir für eine halbe Stunde eingeschlossen, es gab Weißwürste mit zwei Brezeln. Meine ersten Brezeln seit zehn Monaten! Dann wieder "Aufschluss", aber was heißt das? Ein bisschen auf dem Gang herumlaufen, bis zum nächsten Gitter und wieder zurück, in den Aufenthaltsraum gehen, in dem meistens der Fernseher dröhnt oder in der Küche werkeln, wenn einem das etwas gibt. Das war's.

In der Zeitung vom 24.12. las ich einen Artikel, in dem die bayerische Justizministerin Fr. Merk (CSU) der Öffentlichkeit verkündete, daß die inhaftierten Frauen in der JVA Aichach sich zu Weihnachten selbst Enten braten dürfen. So solle ihnen bewiesen werden, daß sie nicht "abgeschrieben" wären, wenn sie den Willen zeigen, die Gesetze zu achten. Was Frau Merk zu erwähnen vergaß war, daß auch hier das eherne Gesetz der deutschen Wirtschaft gilt und nur die Gefangenen das großherzige Angebot nutzen können, die genügend Geld haben, sich ihre Enten zu kaufen. Die anderen gucken - wie "draußen" auch, im wahrsten Sinne des Wortes "in die Röhre" - eine sinnige Lektion in Sachen "Wiedereingliederung in die Gesellschaft". Am Nachmittag setzten sich die Frauen im Aufenthaltsraum zum Kaffeeklatsch zusammen und ließen sich ihr Gebäck schmecken. Früher habe ich ein paarmal gelesen, es würde nirgendwo so gutbürgerlich gefeiert wie im Gefängnis. Stimmt! Ich habe nur einmal kurz in den Raum hineingeschaut, drehte dann aber - ohne Bedauern - gleich wieder ab.

Später gab es zwei Gottesdienste, erst einen katholischen, hinterher der evangelische, ich entschied mich, zum letzteren zu gehen. Obwohl wir hier auf katholischem Hoheitsgebiet sind, ist generell der evangelische Gottesdienst wesentlich besser besucht. Ich denke, es liegt daran, dass dort ein Chor singt, ab und zu auch weltliche Lieder und einige nur deshalb kommen, um Bekannte und Freunde aus anderen Abteilungen zu treffen und ein bisschen zu ratschen. Ich gehe, ehrlich gesagt, ja auch nur wegen der Abwechslung hin, und um aus der Zelle herauszukommen, respektiere aber den religiösen Hintergrund sehr.

Als wir die Kirche betraten, hing noch Weihrauchduft in der Luft und wie immer stellten sich Beamtinnen, die stets auf uns aufpassen, an die seitlichen Aufgänge neben die Sitzreihen. Während des Gottesdienstes war es laut und unruhig, Gelächter und Gepolter durch absichtlich oder versehentlich fallengelassene Gesangbücher. In mir kam keine feierliche Stimmung auf. Jedes mal, wenn der Gefangenenchor ein Lied beendete, wurde laut geklatscht und als zum Schluss die Weihnachtsbotschaft in verschiedenen Sprachen von Frauen aus den jeweiligen Ländern vorgetragen wurde, gab es Gejohle und Gepfeife wie bei einem Popkonzert. Dachte ich kleinkariert und intolerant, als ich mir wünschte, diese Vorstellung nicht besucht zu haben? Jedenfalls war ich froh, als wir wieder in unsere Abteilung zurückgebracht wurden. Auf den Weg zwischen Kirche und Gefangenentrakt muss man ein kurzes Stück im Freien laufen. Ich ging ca. 10 m neben dem Weg auf dem Rasen entlang, wurde aber sofort zurückgepfiffen. Alles, was von der Herde abweicht, ist ihnen nicht geheuer.

Später holte ich mir Tee vom Flur unter uns, zwei junge Frauen stellten sich dicht neben mich, knutschten intensivst und demonstrativ. Ich ignorierte sie, unterhielt mich kurz mit einer Bekannten. Als ich später wieder zurückging, sah ich die beiden engstumschlungen im Treppenhaus stehen. "Frohe Weihnachten", "Danke, gleichfalls". Vor dem Einschluss gab es an diesem Abend ein unwahrscheinliches Geschrei, Gepfeife und Geplärre auf den Gängen, viel mehr als normalerweise und wenn ich nicht gewusst hätte, dass es eigentlich nicht möglich sein kann, hätte ich gewettet, dass etliche "einen im Tee" haben.

Am nächsten Tag ging ich - zum Vergleich - früh in den katholischen Gottesdienst, in dem ich mich wesentlich wohler als gestern fühlte. Die Stimmung war ernsthafter, getragener und feierlicher - einfach mehr mein Ding. Jedem das seine.

So war Weihnachten 2007 in Gefangenschaft - mit meinen Augen gesehen. Draußen hätte ich an den Feiertagen lange Wald- und Wiesenspaziergänge in der Dämmerung gemacht, zugesehen, wie die Lichter in den Häusern angehen, abends ein Glas Wein getrunken und lange mit Familie und Freunden telefoniert. Ja, hätte - nichts davon konnte ich hier tun. Strafhaft nennt man das.


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Quelle: Copyright by Heide Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2008