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SERIE/051: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 11.09.2007 bis 24.09.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

13. Teil - 11.09.2007 bis 24.09.2007


11.9.07

Heute war Frau T. da. M.+P. kümmern sich um die Wohnung, offenbar spielt aber die GWG nicht mit, weil sie mit Untermietern superschlechte Erfahrungen gemacht haben. Die MAPC-Leute würden notfalls aber auch meine Sachen unterstellen. Naja, wir werden sehen. Sie fing auch wieder damit an, dass Herr F. mich nicht gut verteidigt hätte. Ich habe ihr aber gesagt, dass ich sein Plädoyer gut fand und dass er genau das ausgedrückt hat, was mich (was den politischen Teil meiner Aktionen betrifft) bewegt hat.

Habe heute Unmengen Lebensmittel beim Einkauf bestellt und fühle mich selber total schizophren, weil ich es heute nacht wieder versuchen will.


15.9.07

Am Mittwoch waren M. und P. da. Herr F. hat immer noch nicht wegen der Schlüssel zurückgerufen, die GWG will keine Untervermietung, P. war ziemlich sauer, meinte auch, ich hätte mich bei der Verhandlung sehr schlecht dargestellt. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass man sich bei den Anklagepunkten und Taten schwerlich gut darstellen könnte und so haben wir ein bißchen herumgestritten. Hr. F. meinte ja, ich hätte es gut und das bestmögliche aus der verfahrenen Sache gemacht. Warum kümmert er sich nicht um die Wohnungsschlüssel, die ja noch bei ihm liegen. P. meinte vorwurfsvoll, die selber nicht gerade reichen MAPC-Mitglieder würden evtl. sammeln, um die Miete für Oktober zu bezahlen. Mir ist mittlerweile alles egal, sollen sie halt die Wohnung auflösen.

Habe mir neulich die Strafvollzugsordnung aus dem Büro geholt wegen Aichach. Es gibt einen Paragraph 18, der Gefangenen die Einzel-Unterbringung garantiert, aber natürlich, in einer Fußnote einen Verweis auf einen anderen Paragraphen: "wenn die bauliche Situation es zulässt". Natürlich, der Staat schafft sich überall Hintertürchen und Schlupflöcher und ich hasse ihn immer mehr. Auch die Anti-Islamisten-Hatz und Terror-Panikmache läuft wieder auf Hochtouren. Angeblich wird alle paar Wochen ein riesengroßer Terroranschlag (natürlich von bösen Islamisten) in allerletzter Minute von der heldenhaften Polizei verhindert. Da lacht das Herz von Schäuble, Jung, Merkel und Co. Für wie blöd halten sie uns eigentlich? Nun ja, es gibt genug, die es glauben und so wird der Angstpegel der Bevölkerung immer schön hochgehalten.

Gestern nacht habe ich es wieder probiert - wieder erfolglos. Ich habe überhaupt keine Kraft mehr. Also heute abend ein neuer Versuch.


17.9.07

Es funktioniert einfach nicht, so wie ich es gedacht habe. Jeder Tag wird unerträglicher. Ich werde es weiterprobieren. Diese Woche müsste ja die Haftbeschwerde entschieden werden. Die Chancen sind schlecht aber vielleicht geschieht ein Wunder.


20.9.07

Habe seit gestern wieder eine Nierenentzündung, zwischen 38 und 39 Grad Fieber. Heute hat mir der Arzt Antibiotika gegeben, ich schlafe unheimlich viel. Ich ertrage das nicht noch 2 Jahre. Ich bin leer, müde und hoffnungslos. Warum bin ich nur zu feige, den letzten Schritt zu tun. Angst vor Schmerzen. Ja. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.


22.9.07

Körperlich geht es mir dank der Antibiotika besser. Ich will noch warten, bis der Bescheid der Haftbeschwerde da ist. Strahlendes Herbstwetter und wir sind heute (Samstag) wieder 22 1/2 Stunden weggesperrt. Noch nie habe ich diesen Staat so sehr gehaßt wie jetzt. Was haben die Deutschen sich gewählt? Einen paranoiden Innenminister, einen kriegsgeilen "Verteidigungsminister", der seit langem öffentlich verkündet, dass ihn Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (dass im übrigen deutschen Kriegsambitionen niemals im Wege stand) nicht interessieren. Und das Volk läuft wieder wie eine große Schafherde dahin, wohin die Treiber es haben wollen: Totale Überwachung im Inneren; Angriffskriege (genannt Friedensmissionen) im Äußeren. So darf (muss) wieder einmal am deutschen Wesen der Teil der Welt genesen, der sich dem Imperium der Nato-Staaten nicht unterordnet. Sie (gerade die Deutschen) haben in 70 Jahren nicht, absolut nichts gelernt. Und sie sind geil auf Macht, Energieressourcen, Rohstoffe, neue Märkte. Und hier: bloss wegsperren, verblöden. Tür zu, die Beamten wollen nicht belästigt werden, friss oder stirb. Entweder du überlebst irgendwie (verdummt sowieso), oder du hängst Dich auf, uns doch egal. Nur störe unsere Ruhe nicht. Resozialisierung, was ist das denn?

Übrigens war vor einigen Tagen Fr. S. (Sozialarbeiterin des Hauses) bei mir, sie hatte im März einen Antrag auf Wohngeldübernahme durch das Sozialamt gestellt und nach ihren Äußerungen ging ich davon aus, alles wäre damit i. O. Jetzt sagte sie mir so nebenher, dass der zuständige Bearbeiter sich überhaupt nicht darum gekümmert hat. Dass erfahre ich nach 7 Monaten! zufällig. Fr. S. hat offenbar überhaupt nicht mehr nachgefragt. Wahrscheinlich ist das Geld weiterhin von meinem Konto abgebucht worden und ich habe jetzt auch noch 2000 Euro Schulden bei der Bank. Ich fühle mich von allen nur noch verarscht.


24.9.07

Habe nichts bzgl. der Haftbeschwerde gehört. Lt. Hrn. F. hätte sie ja innerhalb 14 Tagen, d.h. bis 21.9. entschieden sein müssen. Fr. S. war mittags da, meinte, sie kommt nach der Poesie-Gruppe wieder. Nichts da. Sie verarschen uns hier alle. Heute war es unglaublich aggressiv hier. A. kam vom Gericht wieder, wo sie als Zeugin aussagen sollte, ist dort dann auf eine andere Zeugin losgegangen und hat sie geschlagen. Kaum war sie hier, schon hat sie sich mit einer anderen Gefangenen angelegt. Auch ich selber bin super aggressiv und könnte platzen.

Spätestens am Sonnabend werde ich es wieder versuchen. Was soll das alles noch?

Auch bei der Poesiegruppe heute war ich genervt. Brauchen sie ihren gütigen und beschützenden Gott ist es der, ohne dessen Wille angeblich kein Sperling vom Dach fällt, brauchen sie ihren Gott, der für nichts verantwortlich ist, ist es der, der den Menschen die Erde übergeben hat und das, was sie tun, ist außerhalb seiner Verantwortung. So hat man immer den passenden Gott in der Schublade. Wie praktisch.

Übrigens: jetzt, nach dem 1. Oktoberfest-Wochenende hat man in einem Müllcontainer an der Theresienwiese eine erstochene Frau gefunden. Und: Jetzt bin ich genau 7 Monate hier. Es reicht.


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2010