Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → REDAKTION

SERIE/058: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 02.12.2007 bis 09.12.2007


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

20. Teil - 02.12.2007 bis 09.12.2007


2.12.07

Jetzt habe ich mich ein bißchen eingelebt und auch jemanden zum Federball und Tischtennisspielen gefunden. Schon mal was. Die Bunker-Atmosphäre hier finde ich schrecklich, wir haben auf dem Flur kein einziges Fenster zum Rausschauen. Viele sagen, diese Abteilung würde nicht mehr als Sicherheitstrakt genutzt, aber warum dann mehr und öfter abgeschlossene Türen, Videoüberwachung, seperater Hofgang? Alles absichtslos und zufällig? Ich traue dem Frieden nicht, aber, wie schon gesagt, man kann es auch als Kompliment nehmen. Heute habe ich zum ersten Mal den katholischen Gottesdienst besucht, über den viel geschimpft wird. Abgesehen davon, dass der Pfarrer sagte, die Kommunisten hätten sich angemaßt, Frieden schaffen zu wollen, was doch allein Gottes Aufgabe und Recht wäre, sagte er auch vieles, was mir gut gefallen hat. Auch die ganze katholische Zeremonie fand ich sehr interessant, auch wenn ich mir inmitten der teilweise wirklich tiefgläubigen Anwesenden etwas blasphemisch vorkam, weil ich das Ganze eher so betrachtete wie ein außenstehender Tourist Zeremonien in ihm fremden Ländern.


3.12.07

Früh gehe ich zum Sport für Untätige. Ist anstrengend, tut aber gut. Als wir anschließend die Matten in die Schränke tun, drängle ich mich an einer Mitgefangenen vorbei, sie beschwert sich und es geht hin und her. Ich bin superaggressiv aufgeladen. Die Bunkeratmosphäre auf der D 1 ohne Möglichkeit, in die Ferne zu sehen, macht mich verrückt. Da war es ja auf dem Zugang noch tausendmal besser, da war es wenigstens hell und lebendig, man konnte aus dem Fenster weit übers Land schauen - wenn auch etwas chaotisch. Ich habe eine Beamtin gefragt, ob ich einen Antrag auf Verlegung schreiben könne. Antwort: "Können sie, aber es wird nicht viel Sinn haben, die Abteilungen sind voll." Auf meinen Einwand, daß ja irgendwann einmal etwas frei werden wird: Schulterzucken. Meine Federballpartnerin, meinte neulich, wenn jemand berechtigterweise auf dem Sicherheitstrakt untergebracht wäre und dorthin gehört, dann ich. Sie glaubt nicht, dass sie mich da weglassen. Sie meint auch, ich wäre zäh. Stimmt, sonst wäre ich schon tot. Ich mache das, was ich immer mache, ich werde es trotzdem versuchen.

Hofgang bei ekligem Wetter, kalter Nieselregen. Ein LKW eines Rohrreinigungsunternehmens pumpt einen Gully aus. Ich schaue eine Weile zu, eine Beamtin sitzt am Hauseingang auf einem Stuhl und passt auf. Als der lärmende LKW ausgeschaltet wird, gehe ich hinter die Wagen und frage den Arbeiter, ob die Kanäle vergittert sind. Er schüttelt den Kopf. Interessant. In dem Moment steht die Beamtin schon hinter mir und sagt: "Gehen Sie weg, sonst gibt es Ärger."


5.12.07

Gestern musste ich wieder in die Kleiderkammer, wo wohl die dumm-dreistesten Beamtinnen des ganzen Hauses Zuflucht gefunden haben. Die Armbanduhr, die Fr. T. besorgt hatte, ist angekommen, endlich. Ich bin unwahrscheinlich aggressiv, die Bunker-Atmosphäre hier macht mich verrückt, gestern beim Mittagessen wäre es fast zu einer Prügelei gekommen, ich erkenne mich selber nicht wieder. Und das nennen sie dann "Resozialisierung", dabei ist es Zerstörung. Ebenso nennen sie ihre Kriege "Friedensmissionen". Immer die gleichen Lügen. Gestern habe ich etliche Briefe an alle meine Gläubiger geschickt, deren Post mir von P.V. zugeschickt wurde. Ich habe nur eine Haftbestätigung geschickt und dazu geschrieben, daß ich weder Vermögen noch Einkommen habe. Sollen sie machen, was sie wollen. A. mit der ich öfter Federball oder Tischtennis spiele, ist hier wegen versuchtem Totschlag. Sie hat versucht ihre Mutter und ihre Schwiegermutter zu überfahren und beide verletzt. Auch hat sie offenbar massive Essstörungen, sie redet nur von Essen, obwohl sie schon x-mal mit dem Arzt gesprochen hat und der ihr alle mögliche Schonköste verordnet hat.

Wenn man hier drei Beamtinnen die gleiche Frage stellt, bekommt man oft drei verschiedene Antworten. Beispiel: Am Montag wollte ich mich und sie zum Tischtennis-Spielen am Freitag eintragen. 1. Beamtin: Kommen sie nachher wieder. Ich kam wieder: "Wir machen gerade die Post, wir rufen sie nachher ins Büro." Nichts. Abends ging ich dann, weil ich nich gerufen wurde, ins Büro: "Sie können sich nur freitag früh eintragen lassen. Mal sehen, was Freitag früh passiert.

Am Wochenende hat einer unserer Scharfmacher, [...] und Innenminister Schäuble verkündet: Wer Guantanamo nicht will, soll andere Vorschläge machen. Ein Vorschlag wäre, dass die Terroristen der USA und auch ihrer u.a. deutschen Vasallen bei ihren Bestrebungen, die Welt für westliche Bedürfnisse gleichzuschalten (eine alte deutsche Spezialität) keine Angriffskriege führen und keine souveränen Staaten besetzen. So schaffen Terroristen natürlich Terroristen. Ursache und Wirkung nennt man das, Herr Schäuble.


9.12.

Mit dem Tischtennis am Freitag hat es geklappt. Gott sei Dank, am Donnerstag habe ich den Miet-Fernseher bekommen und schalte ihn - entgegen meinen guten Vorsätze - viel zu oft an.

Die Bunker-Atmosphäre ist schrecklich, im Gegensatz zum Zugang kann man nicht mal am Fenster entspannen, es gibt nur eins zum rausschauen, im Aufenthaltsraum, wo ständig der Fernseher läuft. Es gibt hier eine Cliquenbildung, die Frauen, die in der Schneiderei arbeiten, belagern permanent die Küche, sie kochen und backen wirklich täglich und ich komme mir immer wie ein Störenfried vor, wenn ich mir mal Wasser heißmache. Auch mit der Schneiderei-Beamtin, Fr. J., habe ich überhaupt keinen Draht. Niemals würde ich dort arbeiten. M.u.P. waren jetzt schon 3 Wochen nicht da. Habe ich etwas falsch gemacht? Naja, Aichach liegt ja immerhin eine ganze Ecke von München weg, da kann man nicht mal eben mit dem Fahrrad hinfahren, vielleicht bin ich wieder zu ungeduldig.

Heute habe ich Mo. in der Kirche getroffen. Bei ihr waren 4 Verhandlungstage angesetzt, sie hatte nur einen, weil sie gleich alles zugegeben hat. 5 1/2 Jahre.

Zum Glück ist A., eine junge Frau mit Esstörung auf der D I. Sie spielt beim Hofgang immer Federball (wir haben Super-Schläger und einen Super-Ball) mit mir. Sie hat - soweit ich weiß, versucht ihre Mutter und Schwiegermutter zu überfahren, die Schwiegermutter ist jetzt querschnittsgelähmt. Noch ist sie in U-Haft. Habe wieder das starke Verlangen, einfach zu gehen. Ich kann hier nicht mehr jahrelang leben.


Mouseclick zum Zoomen

Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


*


Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2010