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SERIE/066: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 28.01.2008 bis 31.01.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

28. Teil - 28.01.2008 bis 31.01.2008


28.1.08

Heute vormittag waren M.V., P.V. und Po. eine Stunde zu Besuch. Habe mich sehr gefreut und mich auch getraut, das Thema Lockerungen anzusprechen. Sie würden mich abholen! Peter hat lange über die Friedensbewegung geredet und über Rostock, die schwarzen Blöcke und so weiter. Für ihn ist die Demonstration eine Art Selbstzweck, finde ich, er wertet es als Erfolg, wenn kein Polizeikessel mitmarschiert. Ich sehe es eher umgedreht, sollen sie doch ruhig ihre Polizeieinsätze bezahlen. Außerdem, von den Demonstrationen lassen sich die Politiker sowieso nicht beeinflußen und die Form der "Latsch-Demos" hat sich eh überlebt. Blockaden bespielsweise, bei denen man mit relativ wenigen Leuten relativ viel Sand ins Getriebe werfen kann, sind mehr nach meinem Geschmack. Da gehen unsere Meinungen weit auseinander.

Heute haben sie bei der alten Frau, die immer mit ihrem Gehwägelchen auf dem Gang hin und her fährt, ein dichtes Gitter vor dem Fenster angebracht und so ihre Zelle in einen Bunker verwandelt. Ob vorübergehend oder dauerhaft weiss ich nicht. Daraufhin hat sie wieder randaliert wie gestern abend auch schon. Wie hat mein Reitlehrer früher immer gesagt. "Druck erzeugt in der Natur immer Gegendruck" und wie sagte der Anstaltsarzt neulich zu mir "Sie können uns nicht brechen, aber wir können sie brechen". Auch die alte Frau wollen sie brechen.


29.1.08

Heute Nacht haben sie die alte Frau mit ihrem Rollwägelchen in die Krankenabteilung gebracht. Sie hat von ungefähr 10 Uhr abends bis halb drei morgens herumrandaliert. Gestern hatten sie ihre Zelle ja zum Bunker "umgebaut", indem die ein entsprechendes Gitterblech vor ihrem Fenster angeschraubt hatten. Klar, dass sie immer mehr durchgedreht ist. Neulich hatte sie beim Strafappel trotzig zu Hrn. Z. gesagt: "Ich werde mich nicht ändern! Da können Sie Gift drauf nehmen". Ich mag solche Leute. Um halb drei dann Männerstimmen, was in mir sofort unheilvolle Erinnerungen an meine scherzhaften Erfahrungen mit diesen "Herren" weckte. Sie fing laut an zu singen: Erst "Heute blau, morgen blau und übermorgen dann schon wieder", hinterher "Eine Seefahrt, die ist lustig". Ihre Stimme war trotzig-verzweifelt und ich konnte sie gut verstehen. Offenbar ging sie dann aber freiwillig mit, man konnte ihren leiser werdenden Gesang nach und nach in der Ferne verhallen hören. Sie lässt sich nicht kleinkriegen und das bewundere ich an ihr.

Heute nacht träumte ich sehr intensiv, ich wäre zum Tode durch Erschiessen verurteilt worden. Es war total realistisch. Ich durfte bis zur Vollstreckung noch auf freien Fuß, machte natürlich Fluchtpläne, stand aber ständig unter Beobachtung. Trotz meiner Angst war ich froh, dass dann wenigstens alles vorbei sein würde. Leider war es nur ein Traum.

Es war vorhersehbar: Heute, einen Tag nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen wird von der Bundesregierung bekannt gegeben, dass die Nato um die Entsendung einer deutschen Eingreiftruppe nach Afghanistan "gebeten" hat, der man selbstverständlich nachkommen muß, um die "Friedensmission" (d.h. Massenmord, Folter, Besatzung) erfolgreich weiterführen zu können. Verdammte, verlogene Drecksäue! Warum läßt sich das deutsche Volk wieder einmal auf so sarkastische, infame und zynischen Weise verarschen? Parallel finden große Gedenkfeiern für die Opfer der Nazis statt - völlig gerechtfertigt - in denen die gleichen Politiker die wieder deutsche Mörder in alle Welt schicken mit belegter Stimme die Opfer ihrer Vorgänger betrauern. Wüssten diese Opfer, von denen ein Gutteil sterben mußte, weil es gegen Krieg und Militarismus eintrat, wie sie auch noch nach ihrem Tode missbraucht werden, würden sie sich wahrscheinlich im Grabe herumdrehen.

Heute nachmittag wurde ich zum Psychologen, Herrn S. zitiert. Hr. Z. hat ihm nahegelegt, mir ein Gespräch anzubieten. Ein sympathischer, offener Typ. Er meinte - durch die Blume - bei meiner weiteren Beurteilung würde berücksichtigt, ob ich mit den Mitarbeitern hier meine Taten aufarbeiten würde. Es könnte auch sein, dass mich der Richter, selbst wenn ich die Vollstrafe verbüßt hätte, unter Führungsaufsicht stellt. Wir haben offen miteinander geredet, letztlich habe ich aber gesagt, dass ich momentan an weiteren Gesprächen nicht interessiert bin und, wenn ich Bedarf habe, auf ihn zukomme. Ich liege nicht gerne auf dem Seziertisch.


30.1.

Um 10.00 wieder das vertraute Gesinge "Holladihi, Holladiho ..." von einer verzweifelten Stimme. Die alte Gehwägelchen-Frau ist wieder da. Sie war einen Tag auf der KA. Ich mag sie. Jetzt schreisingt sie schon fast eine Stunde. Irgenwann wird sie in die Psychatrie abgeschoben, fürchte ich.

31.01.08

Heute haben sie die alte Frau in die Psychiatrie nach Würzburg gebracht. So wirkt Isolationsfolter - wegsperren und totale Eintönigkeit. Sie können stolz auf sich sein. Schon vor Wochen hatte sie gesagt, dass sie das nicht mehr aushält. Jetzt, nachdem sie durchgedreht ist, haben sie ihr Gespräche angeboten, habe ich gehört.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2010