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SERIE/081: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 18.05.2008 bis 22.05.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

43. Teil - 18.05.2008 bis 22.05.2008


18.5.08

In den letzten zwei Tagen habe ich mit G. Federball gespielt, je eine ganze Stunde. Es hat mir gut getan. Gestern habe ich anschließend die Spülzelle geputzt, davor hatte ich Küchenwoche, Gott sei Dank, jetzt ist es erstmal vorbei mit der Putzerei.

Gestern hat es S. tatsächlich geschafft, Beamtin L. zu erweichen und sie durfte einer Bekannten, die auf der D I im Bunker sitzt, ein Stück Kuchen geben. Donnerwetter! Heute morgen regnet es, Mist, gerade an dem Tag, an dem wir verlängerten Hofgang haben.

Als ich heute vom Kath. Gottesdienst zurückkam, war wieder einmal eine Führung im "Menschenzoo Aichach". Sogar Hr. Z. war dabei. Die Leute gingen durchs EG, ich stand auf der D I am Geländer. Unten stand Beamtin L. mit Herrn Z.. Sie rief mir zu, ich solle meine Zelle zumachen. Ich "Freiwillig?" "Ja". Ich: "Mal sehen". Natürlich machte ich nicht zu, blieb in der Tür stehen und beobachtete die Besucher. Ich empfand Hass und Verachtung für sie, die sich am Sonntagmorgen vor dem Frühschoppen mal anschauten, wie der Abschaum so lebt. Lebt? Dann kam Beamtin L. hoch, erstaunlicherweise ziemlich freundlich. "Sie sollten doch zumachen". "Ich brauchte etwas frische Luft" meinte ich. "Tschüß". Tür zu.

Heute mittag haben wir bei vollem Regen Federball gespielt, der verlängerte Hofgang fiel im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Nachmittags mussten wir zu einer Krisensitzung im Aufenthaltsraum antreten. Zwei relativ "Neue" sind auf dem Gang, ältere Damen, das erstemal im Gefängnis und vorher nicht in U-Haft. Die eine legt größten Wert darauf, daß sie vorher noch nie im Gefängnis war, irgendjemand soll das behauptet haben, die andere (meine Federballpartnerin) unterstellte ausgerechnet der wirklich unaggressiven Mn., sie hätte sie bedroht und kam so rüber, als ob sie glaube, sie stände auf einem höheren Niveau als die anderen. Ich sagte nur, und meine das auch wirklich, es wäre eine Katastrophe, wenn sich hier 2 Lager aufbauen würden. Beamtin L. schwärmt von der angenehmen DI Gang, wogegen ich heftig protestierte. Mit den Leuten hier habe ich ja überhaupt keine Probleme, mit der Bunker-Gang schon.

Interessant war, dass jemand von der Küchen-Gang bemerkte, es wäre gut, daß wir eine "Leitung" bzw. Vorgesetzte, d.h. Beamtinnen haben. Diese Sklavenseelen, für mich sind die Beamtinnen diejenigen, die mich hier gefangenhalten, beobachten, bewerten und verwalten. Naja, wenn R. aus der Küchen-Gang sogar auf ihr Drittel verzichtet hat und freiwillig hierbleibt, spricht das Bände. Sie haben ihr Sklaven- und ich mein Eselsgen.


19.5.08

Heute morgen wurde ich überraschend zum Friseur gerufen, endlich wieder ein vernünftiger Haarschnitt, gleich mittags habe ich mir dann eine Blondierung verpasst. Es gab einige blöde Kommentare der Küchenmafia, aber egal, mir gefällt es supergut. Beamtin L. ist momentan verdächtig freundlich zu mir, ich bemühe mich, korrekt, aber distanziert zu bleiben. Heute war Wäschetausch, schon wieder ohne Bettwäsche, das letzte Mal haben wir die vor 4 Wochen neu bekommen. Auch haben diesen Monat nur einmal (eine einzige) Möglichkeit, in die Sprechstunde beim Arzt zu gehen. Sparprogramm.


20.5.08

Heute morgen gab es Milch und ein Stückchen Melone, die von Beamtin L. verteilt wurde. Ich war die letzte in der Schlange, bekam ein winziges Stück und sagte: "Die kleinste". Mit diesem typisch schleimigen Lächeln erwiderte sie "Die sind alle gleich". "Glaub ich nicht". Ich ging und als ich gerade an der Treppenhaus-Tür war rief die Sau: "Wer will noch Melone? Nachschlag. Nein, danke.

Morgen geht B. heim, die 5 Jahre hier gesessen hat. Sie hat ihren Mann umgebracht, ich glaube erstochen und hat "ihr Drittel" bekommen. Gestern war ihre Abschiedsfeier. Ich war nicht eingeladen, aber sie hat mir ein Stück Kuchen gebracht. Nett. Heute morgen erzählte sie mir, daß sie von dem Lärmpegel hier auch unendlich genervt ist. Also geht es nicht nur mir so. Es ist eines ihrer Folterinstrumente, wenn sie wollten könnten sie statt der Netze auch undurchsichtige Planen als "Zwischendecken" einziehen, dann würde das Geschrei automatisch weniger werden. Wenn sie wollten.

Im Kunstkurs habe ich an meinem Deutschland-Kriegsbild weitergearbeitet. Es sind Frauen vom C-Flügel dabei, fürchterliche Typen, fett und mit groben Gesichtern, die während des Kurses darüber gesprochen haben, wer auf ihrer Abteilung es verdient hätte, mal zusammengeschlagen zu werden. B. erzählte mir später, die absolute Hardcore-Abteilung hier im Haus ist die C3. Seit heute nachmittags habe ich einen neuen Nachbarn. Sa., das mitten in der Geschlechtsumwandlung steckende "es", oben Mann, unten Frau. Es hatte in seiner alten Zelle auf der anderen Seite des Ganges abends ständig lautstarke Unterhaltungen mit anderen Frauen geführt um zu flirten und mit ihnen anzubändeln. Jetzt haben sie ihn bzw. "es" strafversetzt, sehr zu seinem Leidwesen.


21.5.08

Heute Mittag, als ich mir unten eine Tasse Tee holte und kurz mit V., die ich aus Neudeck kenne, sprach, kam Beamtin L. auf mich zu und meinte wieder einmal, ich bekäme eine Anzeige. Ob es die letzte Warnung war oder ob sie tatsächlich schon eine geschrieben hat - keine Ahnung, ist mir auch irgendwie egal. Andere können den ganzen Tag herumplärren, Musik aufdrehen, Türen knallen und überall herumlaufen - kein Problem. B., die heute ging, meinte "Du machst nichts Schlimmes, aber irgendwie gehst du denen gegen den Strich". Ja, ganz offensichtlich.


22.5.08

Gestern abend geübt, leider trotz roter Streifen wieder ohne Erfolg. Nachts hatte ich schreckliche Alpträume, ich war ohne Fahrkarte unterwegs, ob auf Schiff oder Bahn weiß ich nicht mehr. Dann in der Uni-Klinik im Nebenraum von Hrn. M., hörte wie er zu jemand anders irgendetwas von "Fr. Psycho-Luthardt" oder so ähnlich sagte. Die ganze Zeit über hatte ich unterschwellig ein zutiefst verzweifeltes Gefühl.


Gefängnistagebuch von Heide Luthardt


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2010