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SERIE/082: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 25.05.2008 bis 28.05.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

44. Teil - 25.05.2008 bis 28.05.2008


25.5.08

Heute wieder große Unruhe in der Kirche, Nervig, beim Rausgehen habe ich mich mit Kampflesbe "Al." gestritten und mich darüber geärgert. Auch hier funktioniert es - oben haben sie ihre Ruhe, wir hier unten zerfleischen uns gegenseitig. Auch sonst bin ich von allen, mit denen ich mich gut verstanden habe, isoliert - A.[*], C., neulich sagte jemand "Wenn man mit dir redet, schauen einen die Beamtinnen sofort komisch an." Und wer lässt sich hier drin schon gerne komisch von Beamtinnen anschauen?

[*] Sie machte leicht drohende Andeutungen, als ich spaßeshalber sagte, sie hätte oben in jeder Zelle ein Essensdepot. Sie würde schon herausfinden von wem diese Behauptungen stammen und es ergäbe sich vielleicht einmal eine Gelegenheit, dem Verursacher zu schaden. Meint sie damit mich?

Nachmittag hatten wir verlängerten Hofgang, haben viel Tischtennis gespielt. Es war sehr schwül und ich alles andere als in Hochform. Trotzdem, zu viert hat es Spaß gemacht. Sa. das "Es" hat mich wegen dem Stress mit Al. in der Kirche angesprochen und meinte, wenn etwas wäre, würde sie zu mir halten und mir helfen. Das hat mich wirklich gefreut. Nachmittags haben die meisten Frauen voll Begeisterung das Formel 1-Rennen in Monte Carlo angeschaut. Ich habe mich auch in den Aufenthaltsraum gesetzt, nicht, weil mich die Formel 1 interessiert, sondern wegen ihrer Begeisterung.


26.05.08

Heute hätten wir das erste Mal nach 4 Wochen wieder in die Arztsprechstunde gehen können, um 6.20 Uhr kam dann die Durchsage, daß auch dieser Termin entfällt, keine Ansage, wann der nächste sein wird. 4 Wochen lang war auch kein Bettwäschetausch mehr, mal sehen, ob wir heute in den Genuss kommen. Heute früh habe ich mich auch wieder mit Beamtin K., die ich eigentlich ganz gern mag, angezickt, weil ich 2 Schritte neben der Bürotür auf dem Gang stand.

Bei mir erreichen sie mit ihrer "harten Linie" genau das Gegenteil, obwohl ich selber totunglücklich dabei bin. Warum ist es nur so schwer, alles zu beenden?

Nachmittags habe ich meine "Junge Welt" nicht bekommen, dafür eröffnete mir B. L., daß mein Radio-Lora Report Nr. 25 [*] samt Begleitbrief kopiert und zu meiner Akte geheftet worden sei. Er war diesmal ziemlich politisch.

[*] Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
Der hier erwähnte Radio-Lora Report vom 25.05.2008 ist im Schattenblick
zu finden unter: Bürger und Gesellschaft -> Redaktion ->
SERIE/025: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 23. Brief - Neudeck 14

Vorm Einschluss habe ich X., die angeblich Nichte eines Bay. Spitzenpolitikers ist gefragt, ob das stimmt. Alles Quatsch und Gerüchte, sagte die. Keine Ahnung, ob es stimmt. Wem soll man hier drin glauben?

Heute war Fr. T. da, wir haben u.a. über Herrn F. gesprochen, sie mag ihn nicht und erzählte, er hätte durchaus auch schon Leute hängengelassen, die ihn privat gezahlt haben. Naja, wenn ich dann noch hier bin, werde ich ihn im Oktober anschreiben und fragen, ob er wirklich wie versprochen die Halbstrafe für mich beantragt. Mal sehen, ob und wie er reagiert.


27.05.08

Heute bei der Postausgabe fiel S. auf einmal Beamtin L. heulend um den Hals. Sie bekommt das erstemal Ausgang. Der bzw. das "Es" auch. Ich habe das Gefühl alle bekommen ihn - außer mir. Beim Büchertausch habe ich A. getroffen, sie war ganz "normal". Bin sehr froh darüber, denn ich mag sie und wir haben uns hier ja prima verstanden.


28.05.08

Heute morgen räumte S. den Müll zum Abtransport an die Spülzelle. "Sa." das "Es" lehnte leger an der Wand, in der Hand eine Kaffeetasse und schaute ihr zu. Sie "Eigentlich müsstest Du das machen, Du bist diese Woche mit der Spülzelle dran". "Es" rührte sich nicht. "Wie? Was ist denn, Schatzi?" Der kleine Macho, er verarscht sie alle und sie laufen ihm hinterher, arbeiten für ihn und stopfen ihn mit Essen voll.

Dann waren M.u.P. da, die Guten. Was für ein Genuß, endlich wieder mit "normalen" Menschen, die nicht hier involviert sind, zu reden. Mittags habe ich mir Tee von unten geholt, bin kurz neben dem Behälter stehen geblieben und habe ein paar Schluck getrunken, sofort kam Beamtin F. auf mich zu: ich bekomme eine Anzeige! Ich finde es nur noch lächerlich. Die anderen erzählten mir, Beamtin F. wäre mit Vorsicht zu genießen, sie ist wohl bekannt für "so etwas". Ja, es scheint so.

Mittag dann wieder einmal "Zellenfilze". Gefunden haben sie eine "Lithofalk" und eine Tablette Magensäurehemmer. Ein schweres Verbrechen! Außerdem ist es dreckig bei mir (stimmt) und ich hatte zu viele Zeitschriften. (Klar, wir sollen ja verblöden.) Nach der Kontrolle war mein Kugelschreiber verschwunden, was ich dann per Notruf bemängelt habe. Mal sehen, was passiert.

Die ganze Scheiße heute passt zum Wetter, es ist unglaublich heiß schwül und drückend, nach dem Federballspielen im Hof war ich wie aus dem Wasser gezogen.


Gefängnistagebuch von Heide Luthardt


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2010