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SERIE/088: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - Redaktions-Kommentar (SB)


Das Gefängnistagebuch der Heide L.

Redaktions-Kommentar


Im Radio ein markiger deutscher Nato-General, der mit Inbrunst und alten Phrasen erklärt, warum unbedingt noch mehr Deutsche bei den Massenmördern der Nato in Afghanistan gebraucht werden. Allein gestern haben sie stolz die Ermordung von 50 Widerstandskämpfern bekannt gegeben. Da es "nur" Untermenschen der Taliban sind, regen sich wenige darüber auf. So wie damals, als es nur um Juden und Bolschewicken ging, die den Herrenmenschen im Weg standen. [1]

Mit diesen Sätzen, die an Aktualität nichts eingebüßt zu haben scheinen, endet das in dieser Serie [2] nun vollständig dokumentierte Gefängnistagebuch der Heide Luthardt. Der letzte Eintrag stammt vom 21. Juni 2008 und wurde von der Autorin irgendwann in den Stunden zwischen "Einschluß" (16.00 Uhr) und dem darauffolgenden Morgen, an dem sie tot in ihrer Zelle aufgefunden wurde, verfaßt. Wäre ihr Versuch, sich in dieser Nacht das Leben zu nehmen, wie so unzählige Male vorher abermals gescheitert, hätte sie sicherlich am darauffolgenden Tag ihre Tagebuchaufzeichnungen ebenso fortgesetzt wie ihre Bemühungen, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in einem letzten Akt der Auflehnung das ihr unerträgliche Leben zu beenden.

Aus ihren Aufzeichnungen läßt sich ohne jeden Zweifel herauslesen, daß ihr sogenannter Suizid keine spontan beschlossene Verzweiflungstat war, sondern ein Fanal, mit dem sie sich, ihre Würde und ihren bedingungslosen Wunsch nach Freiheit in einer Lebenslage zu wahren und zu verteidigen suchte, in der das institutionalisierte Grundverhältnis zwischen dem Gewaltmonopol des Staates und seinen Repressionsorganen einerseits und den Bürgern andererseits aufs Entlarvendste in Erscheinung tritt. Ihre Tagebucheintragungen, die selbstverständlich nichts anderes als ihre subjektiv erlebte Sicht widerzuspiegeln imstande sein können, ermöglichen gleichwohl interessierten Menschen, denen die Verhältnisse in bundesdeutschen Haftanstalten gänzlich unvertraut sind, Einblicke in die Zwangsläufigkeiten und Unausweichlichkeiten, mit denen sich Betroffene konfrontiert sehen selbst dann, wenn sie bis zu einem gewissen Grad, nämlich unter der Voraussetzung, seitens der JVA-Bediensteten mit einem Minimum an Respekt behandelt zu werden, mit diesen zu kooperieren bereit sind.

Die am Ende tödliche Dynamik, die die höchst ungleiche Auseinandersetzung zwischen einer Strafgefangenen und der Institution Gefängnis im Fall der Heide L. entfaltete, hätte, so darf nach der Lektüre ihrer eindringlichen Lebensgeschichte in der Haft vermutet werden, ungeachtet ihrer durch die unzähligen Selbsttötungsversuche nicht zu bezweifelnden Suizidabsicht an jeder Stelle, ja noch in der letzten Stunde, durchbrochen werden können, hätte sich ihr, womöglich sogar für die noch verbliebene Haftzeit, eine aus ihrer Sicht ebenso lebenswerte wie glaubwürdige Perspektive offenbart. Doch da sich die Haftbedingungen und gefängnisinternen Sanktionen, denen sie zusätzlich und in steigendem Maße ausgesetzt war, in ihrem Fall ungeachtet der bereits bekanntgewordenen Suizidgefahr noch aufs Dramatischste zugespitzt hatten, zog sich die Schlinge einer Institution, deren Zweck darin besteht, die straffällig gewordenen Menschen unterstellte tatsächliche, vermutete, durch die Umstände der Inhaftierung bestärkte oder womöglich sogar erst ausgelöste Unbotmäßigkeit zu brechen, buchstäblich zu.

Heide Luthardt war zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung nach allem, was über sie und ihr Leben inzwischen bekannt geworden und ihrem eigenen Tagebuch zu entnehmen ist, und bei aller Vorsicht, die angesichts derartiger Mutmaßungen generell zu berücksichtigen ist, keineswegs suizidgefährdet, schien dann jedoch recht bald die Möglichkeit in Betracht gezogen zu haben, sich dieser ihr schwer erträglichen Situation durch den Freitod zu entziehen. In dem ersten Brief, den sie am 30. November 2007 im Sicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt Aichach verfaßt hatte und in dem sie ihre am 23. Februar 2007 erfolgte Verhaftung schilderte, erwähnte sie aus naheliegenden Gründen den von ihr zu diesem Zeitpunkt längst gefaßten Entschluß mit keiner Silbe. Vielmehr bringt sie klar zum Ausdruck, daß sie sich anderen Menschen verständlich machen und über die Welt "drinnen" berichten wollte [3]:

Natürlich wusste ich, daß ich Straftaten begehe und natürlich beschämt mich der Gedanke, daß ich viele Reisende behindert und harmlose Schaffner und Fahrgäste in große Angst versetzt habe. Ich würde das niemals wiederholen wollen, aber wenigstens kann ich sagen, ich habe einmal den Versuch gemacht, drastisch aufzurütteln und war keine von denen, die immer wieder den Satz sagen, den ich am meisten hasse: "Da kann man sowieso nichts machen". Der Preis dafür ist hoch. Ich habe mein gesamtes Geld verloren, meinen Job und auf Jahre hinaus meine Freiheit. Zur Zeit sitze ich im Sicherheitstrakt der JVA Aichach.

So viel zu meiner Vorgeschichte, der Alten. Die Neue, von der ich von Zeit zu Zeit berichten will, begann am 23.2. mit meiner Verhaftung und dem Abstieg in die Welt der deutschen bzw. bayrischen Gefängnisse, die sich von der Welt "draußen" so sehr unterscheidet wie die Erde vom Mond.

Drei Monate zuvor, am 30. August 2007, dem Tag der Urteilsverkündung, hatte sie die gegen sie verhängte Strafe von drei Jahren und neun Monaten als ihr Todesurteil bezeichnet [4] und wenige Tage später, am 5. September 2007, ihrem Tagebuch anvertraut [5]:

Niemals lasse ich mich noch weitere 2 Jahre wegsperren und noch mehr verblöden. Und da sagen sie, die Todesstrafe sei abgeschafft. Sie töten nicht die Körper, sie töten "nur" Geist und Seele, so wie ihre Angriffskriege "nur" Friedensmissionen, Folterungen "nur" verschärfte oder auch Rettungs-Befragungen sind und der totale Überwachungsstaat "nur" der Freiheit dient.

Gleichwohl keimte, wenn auch nur für ein paar Stunden, "wieder ein Hoffnungsfunke in mir auf" [5], wie sie notierte, nachdem ihr Anwalt erklärt hatte, Haftbeschwerde einzulegen. Der Funke erlosch alsbald, zwei Wochen später kam die auch von ihr erwartete Ablehnung des Landgerichts. In der Justizvollzugsanstalt Aichach, in die sie im November 2007 verlegt worden war, spitzte sich die Haftsituation entgegen ihrer Hoffnungen und Erwartungen abermals zu. Der Sicherheitstrakt, in dem sie untergebracht wurde, angeblich, weil nur dort Einzelzellen verfügbar waren, war wie ein Bunker und gewährte weder Tageslicht noch einen Blick über die Dächer. Ihr Antrag, auf Normalstation (mit Tageslicht) verlegt zu werden, wurde von der Gefängnisverwaltung abgelehnt. Ihr von der Anstalt als "renitent" ausgelegtes Verhalten rührte nicht zuletzt daher, daß sie ihr verbotene Flure und Etagen betreten hatte, nur um den so sehnlich vermißten Blick nach draußen erheischen zu können.

Am 15. Juni 2008, eine Woche vor ihrem Tod, stellte Heide Luthardt ihre Sicht der Dinge noch einmal klar anläßlich ihrer mit Mitgefangenen, die ihre Haltung nicht hatten verstehen können, geführten Gespräche. Diese Sätze sollen an dieser Stelle, da sie selbst, so widersprüchlich dies erscheinen mag, durch ihre Tat mitten aus ihrem Schaffen gerissen wurde, die Bemühungen, anhand der Schilderung ihrer persönlichen Geschichte und Überzeugungen politisch Stellung zu nehmen, zum Abschluß dieser Serie und zu ihrem Gedenken noch einmal auf den Punkt bringen [6]:

Mittags beim Aufschluß und Hofgang wieder Debatte mit meinen "Artgenossen" sprich Mithäftlingen, die nicht verstehen können, daß ich mich nicht füge. Ich würde mir doch nur selber schaden. Das weiß ich. Wie soll ich es ihnen erklären, das ich niemals Befehle und Anordnungen akzeptieren werde, nur weil sie von jemandem kommen, der eine Uniform trägt? Eine Uniform von einem Staat, den ich nicht mehr respektiere. Wie soll ich ihnen erklären, dass ich wenigstens ab und zu den Blick über die Dächer auf den Wald in der Ferne brauche, dass ich ein Minimum an Bewegungsfreiheit haben muss? Wie erklärt ein Vogel, dass er in Wind, Luft und Weite fliegen muss, auch wenn er es im Käfig doch "gut" hat, wie manche glauben. Wie erklärt ein Tiger, dass er durch den Dschungel streifen muss und nicht in einem vermeintlich für ihn "bequemen" Zoo leben will?

Heide Luthardt

Heide Luthardt


Anmerkungen:

[1] Schattenblick -> INFOPOOL -> BÜRGER/GESELLSCHAFT -> REDAKTION:
SERIE/087: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 19.06.2008 bis 21.06.2008

[2] Schattenblick -> INFOPOOL -> BÜRGER/GESELLSCHAFT -> REDAKTION:
SERIE/001 bis SERIE/037: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L.
SERIE/038 bis SERIE/087: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

[3] Schattenblick -> INFOPOOL -> BÜRGER/GESELLSCHAFT -> REDAKTION:
SERIE/003: Die tödliche Kriminalisierung der Heide L. - 1. Brief - Anfang

[4] Schattenblick -> INFOPOOL -> BÜRGER/GESELLSCHAFT -> REDAKTION:
SERIE/049: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 25.08.2007 bis 03.09.2007

[5] Schattenblick -> INFOPOOL -> BÜRGER/GESELLSCHAFT -> REDAKTION:
SERIE/050: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 04.09.2007 bis 10.09.2007

[6] Schattenblick -> INFOPOOL -> BÜRGER/GESELLSCHAFT -> REDAKTION:
SERIE/085: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 12.06.2008 bis 15.06.2008

13. März 2010