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BERICHT/013: Planspiel Stadtbereinigung - Mission marktgerechte Aufwertung (SB)


Internationale Bauausstellung in Hamburg-Wilhelmsburg eröffnet

Geschlossene Gesellschaft mit Zwischentönen


Transparent mit durchgestrichenen IBA-Springer - Foto: © 2013 by Schattenblick

"Sprung über die Elbe" fällt aus
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Internationale Bauausstellung (IBA) in Hamburg-Wilhelmsburg ist ein Ereignis angeblich öffentlichen Interesses, das sich über eine allzu kritische Berichterstattung nicht beklagen kann. Läßt man die Zeitungs- und Rundfunkberichte Revue passieren, die zur Eröffnung des Präsentationsjahres des die Elbinsel seit 2007 städtebaulich modernisierenden Projekts verfaßt wurden, so überwiegt der positive Tenor bei weitem. Zwar wird selten vergessen, auf die Ängste der in Wilhelmsburg lebenden Bevölkerung vor Mietsteigerungen und anderen Verdrängungseffekten hinzuweisen, doch erscheint dies als Marginalie in Anbetracht der vermeintlichen Errungenschaften, mit denen die IBA den Stadtteil beglückt. Der mehrheitlich positive Tenor kann allerdings nicht erstaunen, wenn man die hochgradige Interessensgleichrichtung zwischen den Initiatoren der Hamburger Stadtentwicklungspolitik und der die Hansestadt dominierenden Springerpresse als Forum des Besitzbürgertums wie der Sender des Norddeutschen Rundfunks als Verlautbarungsorgan der Hamburger Funktionseliten bedenkt.

Dennoch zeigen sich Risse im schönen Bild eines städtebaulichen Projekts, das sich nichts Geringeres auf die Fahnen geschrieben hat als die "Stadtentwicklung des 21. Jahrhunderts" modellhaft abzubilden. Die Kritik betrifft weniger die noch nicht vollendeten Bauwerke der Ausstellung oder ästhetische Verirrungen bei einigen repräsentativen Vorzeigestücken. Darüber zu räsonieren gehört zum feuilletonistischen Wellenschlag, der jeden Event dieser Größe begleitet, ohne an den fundamentalen gesellschaftlichen Eingriffen zu rühren, denen eine sprach- und gesichtslos gehaltene Bevölkerung ausgesetzt ist, die diese Intervention in ihr Leben erleidet. Zentraler Anlaß notwendigen Widerspruchs sind die Menschen, die von schlecht entlohnter Arbeit leben müssen oder aus der konventionellen Erwerbsarbeit gänzlich herausgefallen sind. Wo das Leben am Existenzminimum die Regel ist oder der Absturz auf dieses Elendsniveau droht, da schlagen kleine Veränderungen wie Mietpreissteigerungen oder Zwangsumzüge auf unmittelbar existenzbedrohende Weise durch.

Zu derartigen Veränderungen, zu denen es in Wilhelmsburg in bestimmten Quartieren wie dem Reiherstiegviertel flächendeckend kommt, gesellt sich eine Politik der Mittelvergabe, die ganz auf die Aufwertung des Stadtteils im Sinne des größeren Rahmens der "Wachsenden Stadt" und des dazu anberaumten "Sprungs über die Elbe" ausgerichtet ist. So beantwortet sich die naheliegende Frage, wieso die für IBA und igs eingesetzten Mittel nicht für eine sozial gerechte, weil dort, wo die Not am größten ist, ansetzende Aufbesserung der seit Jahren als "vernachlässigt" beschworenen Lebensverhältnisse Wilhelmsburgs ausgegeben wurden, durch eine Investitionslogik, in der das Weniger dem Mehr zwingend vorausgeht. Die Konzentration verfügbarer Mittel auf die Schaffung eines investitionsfreundlichen Umfelds nimmt der Behebung vorhandener Mißstände nicht nur aus budgetpolitischen Gründen die finanzielle Luft. Diese Vergabepolitik entspringt der Leitidee einer kreativen Zerstörung, die tief in vorhandene Strukturen eingreift, um die Energien einer Transformation zu entfachen, die als permanente Revolutionierung der Produktivkräfte essentiell für die Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften ist.

So wird dort, wo die Neue Mitte Wilhelmsburgs entstanden ist und demnächst die Internationale Gartenschau (igs) stattfindet, unter erheblichem Verlust an vorhandenen Naturbeständen und Nutzungsmöglichkeiten ein illustres Exempel an städtebaulicher Innovation statuiert, dem sich der einkommensarme, von der Möglichkeit des sozialen Aufstiegs weit entfernte Mensch nur auf eine Weise stellen kann. Er muß dieser Entwicklung ausweichen, weil er ihr weder finanziell noch sozial standhalten kann. Die im erlesenen Kreis der Spitzen aus hanseatischer Wirtschaft und Gesellschaft geplante Aufwertungsoffensive schafft die Voraussetzungen für das versprochene Mehr mit Hilfe einer Neuzusammensetzung der Bevölkerung, die als "sozialer Mix" klassenspezifisch definiert ist. Die ethnische Vielfalt Wilhelmsburgs erscheint eher als unerwünscht, wenn alles auf den Zuzug einer bessergestellten Klientel des Unternehmens Stadt abzielt. Diese muß nicht durchweg wohlhabend sein, um mit Hilfe ihrer professionellen Befähigung wie eines unerschütterlichen Selbstverständnisses als Marktsubjekt das soziale Umfeld für die Ansiedlung als zukunftssicher geltender Unternehmen zu bilden.

Baustellenblende mit Fassadenillustration - Foto: © 2013 by Schattenblick

Potemkinsche Bauausstellung
Foto: © 2013 by Schattenblick

Im Schatten des publizistischen Hochglanzes, der die schöne neue Welt der IBA überstrahlt, bleibt das Weniger in Form gesellschaftlicher Verlierer auf der Strecke eines sozialen Ausschlusses, der gesamtgesellschaftlich längst als dauerhafte Massenarmut zementiert ist und in der neoliberalen Stadtentwicklung in Form sozialräumlicher Verdrängungsprozesse seine dynamische Wirkung entfaltet. Dem wurde bei der feierlichen Eröffnung der Bauausstellung gemäß dem Mottos "IBA ist Ausnahmezustand" durch die polizeiliche Abschottung der Auftaktveranstaltung mit dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz am Wilhelmsburger Bürgerhaus Rechnung getragen. Rund tausend Polizisten nebst Sperrgittern, Räumpanzern und Wasserwerfern verhinderten das Vordringen des Protestes in direkte Sichtweite, so daß lediglich immer wieder aufbrandende Sprechchöre hörbar machten, wie lückenhaft das Akzeptanzmanagement der IBA noch ist.

Zudem wurde der Leitung der Bauausstellung am 23. März von 9 Uhr bis 22 ein Sondernutzungsrecht für ihre Veranstaltungsflächen zugestanden. Sie entschied sich dafür, keine parallele Veranstaltung zur Eröffnung auf dem Gelände, also auch keine Demo, zuzulassen. Begründet wurde die Maßnahme, der stadteigenen Kapitalgesellschaft IBA Hamburg GmbH mittelbare Verfügungsgewalt über einen Teil Wilhelmsburgs zu gewähren, mit der Angabe, die Eröffnungsfeier sei "eine Veranstaltung von herausragender bundesweiter und internationaler Bedeutung, die für das Ansehen der Freien und Hansestadt Hamburg sehr wichtig ist" [1]. In Anbetracht zu erwartender Proteste läßt die bislang betont partizipatorisch auftretende IBA die Bereitschaft erkennen, auch andere Saiten aufzuziehen, wenn ihre Gesprächsangebote, wie Geschäftsführer Uli Hellwig nicht müde wird zu betonen, durch die Gegnerinnen und Gegner nicht beantwortet würden. Wer weiß, wie paternalistisch Diskussionen unter dem Diktat angeblicher Sachzwänge ökonomischer und städtebaulicher Art geführt werden können, dem ist kaum zu verdenken, daß er den Mangel an konkreter demokratischer Aushandlung nicht durch eine Gesprächsbereitschaft legitimiert, die nicht auf Augenhöhe stattfinden kann, wenn nicht alle Seiten alle Karten auf den Tisch legen.

Diese Möglichkeit wurde schon vertan, als die Entwicklung Hamburgs zum global wettbewerbsfähigen Unternehmen und zur Marke am Markt der Global Cities in dem in exklusiven Zirkeln vorbereiteten "Leitbild: Wachsende Staat" 2002 auf eine Weise konzeptionell verankert wurde, die nicht mehr als bloßer Vorschlag zur öffentlichen Diskussion, sondern weitgehend festgelegte Vorgehensweise für den praktischen Vollzug zu verstehen war. Das "Räumliche Leitbild", anhand dessen die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) 2007 die geplante "Neustrukturierung der Elbinseln" illustrierte, formiert die zum Umbau vorgesehenen Sektoren Wilhelmsburgs in einem großmaßstäblichen Übersichtsplan wie die Karrees einer klassischen Schlachtenordnung, während die Sicht aus der Vogelperspektive auf den Norder- und Süderelbe querenden "Sprung über die Elbe" nicht minder den herrschaftlichen Blick von den Kommandohöhen wirtschafts- und sozialstrategischer Raumplanung erkennen läßt. Zentraler Bezugspunkt der Hamburger Stadtentwicklung sind nicht die Sorgen und Nöte der irgendwo im weiten Panorama der Metropolregion Hamburg verlorenen Wilhelmsburginnen und Wilhelmsburger, es ist die zentrale Frage, "welche Angebote eine Großstadt im Zeitalter der Globalisierung bereit halten muss, um die Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität für ihre Einwohner, Unternehmen und Besucher im internationalen Vergleich zu bewahren und auszubauen" [2].

Allzu leicht tritt in der Diskussion über die Errungenschaften und Versäumnisse der IBA das Lokale so sehr in den Vordergrund, daß der bestimmende Charakter des globalen Rahmens, in dem die Stadtentwicklung verortet ist, außer Sicht gerät. Begreift man Hamburg als Standort im Wettbewerb miteinander konkurrierender Metropolregionen, dann wird klar, warum der soziale und subjektive Faktor, mit dem die Kritikerinnen und Kritiker der IBA und igs den Objektivität heischenden Charakter ökonomischer Sachzwänge kontern, staatlicherseits mit nicht geringem Aufwand unterdrückt wird. IBA und igs werden nicht umsonst als Ereignisse von internationalem Rang und weltweiter Ausstrahlung ausgewiesen und beworben. Bei weitem nicht so lautstark, aber dennoch unmißverständlich wird darauf hingewiesen, daß dieser Bezugsrahmen Produktivitäts- und Effizienzforderungen repräsentiert, denen gegenüber Widerstand zwecklos sei.

Aufmarsch der Polizei am Hochbunker - Foto: © 2013 by Schattenblick

Sicherheit in der neoliberalen Stadt
Foto: © 2013 by Schattenblick

Wortmeldungen aus Wilhelmsburg

So wehren sich die Menschen, die sich zur Eröffnung der IBA zu der vom Aktionsbündnis "IBA? Nigs DA! - Für eine soziale und selbstbestimmte Stadt" organisierten Demonstration bei eisiger Kälte am Hochbunker im Reiherstiegviertel einfanden, dagegen, daß am Ende einer langen Kette sozialökonomischer Wirkverhältnisse über ihren Kopf hinweg Tatsachen geschaffen werden. Wie die Gründe im einzelnen gelagert sind, die zum aktiven Protest veranlassen, erfuhr der Schattenblick bei einer kleinen, interessante Einblicke in die Konfliktlage vermittelnden Befragung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Demonstration.

Ein Aktivist von den Engagierten Wilhelmsburgern, die als Initiative gegen die Verlegung der Reichsstraße seit vier Jahren für eine anwohnerfreundlichere Verkehrsgestaltung streiten, hat sich zur Demo aufgemacht, weil die IBA in jüngster Zeit ihre Position geändert habe und nun für den Bau einer Stadtautobahn votiere. Zudem kritisiert er die selbstherrliche Politik des Hamburger Senats, der die aufwendigen Bemühungen seiner Initiative, auf konstruktive Weise zu einer Lösung des Verkehrsproblems beizutragen, letztlich schlicht übergehe.

Was die Zukunft des Stadtteils betrifft, so zeigt sich der Wilhelmsburger überzeugt davon, daß der befürchtete Verdrängungsprozeß stattfinden werde. Bei seiner Arbeit im Gesundheitswesen könne er täglich erleben, wie sehr die Menschen von materiellen Sorgen getrieben würden, die sich mit den hochpreisigen Wohnangeboten, die im Rahmen der IBA entständen, nicht in Deckung bringen ließen. Zudem kritisiert der im Reiherstiegviertel aufgewachsene Aktivist, daß zugunsten der igs 8000 von 20.000 Bäumen gefällt worden wären, um einen Park zu schaffen, den er mit den Worten "Ritter-Sport-Park - praktisch, quadratisch, gut" karikiert. Man habe Bäume gefällt und statt dessen kleine Büsche gepflanzt.

Ein anderer alteingesessener Wilhelmsburger beklagt das Steigen der Mieten und die Veränderung des Kiezlebens durch neue Läden, die einem eher begüterten Publikum vorbehalten wären. Die Bevölkerung habe sich bereits jetzt deutlich verändert. Die Baumaßnahmen hätten die Lebensqualität beeinträchtigt und viele Tiere, die in den Parks lebten, verscheucht. Ansonsten herrsche große Lethargie vor, die Leute hätten andere Probleme, als gegen die IBA auf die Straße zu gehen, zudem hätte man ihnen viel versprochen, was sie durch offene Gegnerschaft nicht gefährden wollten.

Ein Bewohner des Reiherstiegsviertels gibt an, daß er die Entwicklung seit Jahren ganz genau verfolge. Auch er habe anfangs Hoffnung gehabt, daß die Veränderungen für die Bewohner des Stadtteils von Vorteil wären, doch habe sich sein Eindruck von der IBA deutlich zum negativen verändert. Es kristallisiere sich immer mehr heraus, daß die Bauausstellung nicht für die Einwohner gedacht sei. So werde eine Wohnung im IBA-Projekt Woodcube für 440.000 Euro angeboten, was sich der gemeine Wilhelmsburger einfach nicht leisten könne.

Ein seit 1976 in Wilhelmsburg lebender Migrant bringt die Entwicklung schlicht auf den Punkt, daß die Menschen hier auf moderne Art und Weise vertrieben würden. Viele Häuser würden seit Jahren nicht mehr renoviert, das gelte auch für seine 64 Quadratmeter große Wohnung, für die er 650 Euro zahle, ohne daß die Risse in den Wänden repariert würden.

Eine seit 1965 in Wilhelmsburg lebende Frau erregt sich darüber, daß man ihr die Bürgerrechte durch die Bannmeile am Ort der IBA-Eröffnung genommen habe. Sie verweist auf den privatwirtschaftlichen Charakter der stadteigenen IBA, der mit dafür sorge, daß sozialer Wohnungsbau zur Nebensache werde und statt dessen eine Gentrifizierung hoch drei stattfinde. Der Innenstadt Wilhelmsburgs werde die Seele genommen, die Einwohner würden verdrängt, doch die Leute bekämen ihr Hinterteil nicht hoch, um sich dagegen zu wehren.

Die Demonstrantin aus St. Pauli-Süd war nach Wilhelmsburg gekommen, weil sie dort die Fortsetzung einer Entwicklung befürchtet, die in der Schanze vor 30 Jahren und in St. Pauli vor 5 Jahren begonnen hätte. Dies betreffe die ganze Stadt, deren Regierung mit Elbphilharmonie und Niedrigenergiehaus, mit IBA und igs sozialfeindliche Ziele verfolge. Plötzlich koste es Geld, um den öffentlichen Park zu besuchen, die Mieten würden teurer und Menschen mit nichtdeutschem Nachnamen würden bei der Wohnungsvergabe den kürzeren ziehen. Den Stadtteil schick machen unter dem Deckmäntelchen der Nachhaltigkeit und dabei Bäume fällen oder ein funktionsfähiges Schwimmbad abzureißen, ohne daß das neue fertig wäre, fordere zum Widerstand heraus. Was früher ein weißer Fleck auf der Landkarte gewesen sein soll, werde jetzt urbar gemacht im Namen der Stadtentwicklung, was ein wenig so wirke, als ob um 18.00 Uhr am Bürgerhaus Kolumbus vor Anker gehe.

Ein älteres Ehepaar bezeichnet die IBA als vom Senat eingesetzten Aufwertungsapparat, der die Ausgründung städtischer Aktivitäten in privatwirtschaftlicher Form betreibe, um den Weg in die Privatisierung öffentlicher Aufgaben zu ebnen. Als Rentner mit geringem Einkommen wohnten sie selbst in dem IBA-Projekt Open House, in das 900.000 Euro öffentlicher Mittel investiert worden wären, um es zu einem Musterbeispiel für nachhaltiges Wohnen zu machen. Allerdings wäre der Anspruch der IBA, damit ein Vorbild für den Bau von Sozialwohnungen errichtet zu haben, etwas übertrieben, wohnten dort doch auch viele gutverdienende Menschen. Die normalen Einkommensgrenzen dürften von einigen Bewohnern weit überschritten werden, und die drei Flügel des Gebäudes wirkten ein wenig wie ein Mikrokosmos der neoliberalen Gesellschaft - ein Flügel beherberge Sozialwohnungen für Familien mit Kindern, die an Berechtigungsscheine gebunden sind, der zweite ein Wohnprojekt für den Mittelstand und der dritte Flügel bestehe aus Eigentumswohnungen.

Ein Demonstrant aus dem Hamburger Ortsteil Bramfeld will gegen die Verwandlung Wilhelmsburgs in ein Symbol der Aufwertung protestieren, weil er selbst unter stark steigenden Mieten zu leiden habe. Er zahle für zweieinhalb Zimmer fast 900 Euro warm, was den Rest des verfügbaren Einkommens dementsprechend schmälere.

Eine seit langem im Reiherstiegviertel lebende Wilhelmsburgerin empört sich über den Aufmarsch der Polizei, die in ihren Augen durchsetzen, daß sie und viele andere Bewohner des Viertels Mieterhöhungen ohne Ende zu erleiden hätten. Sie selbst arbeite mit Senioren und wisse von diesen, daß viele ihre Miete nicht mehr bezahlen könnten oder eben an anderen lebenswichtigen Dingen sparen müßten.

Ein Demonstrant berichtet, daß er aufgrund der Kernsanierung seiner Mietwohnung im sogenannten Weltquartier ausziehen mußte. Da er von seiner neuen, teureren Wohnung nicht mehr wie zuvor zu Fuß zur Arbeit gehen könne, seien ihm durch den Umzug monatliche Mehrkosten in Höhe von 150 Euro entstanden. Er werde nicht mehr zurück in seine alte Wohnung ziehen, weil er die Kosten für den neuerlichen Umzug und die höhere Miete nicht tragen könne. Seiner Schätzung nach würde etwa die Hälfte der Nachbarn, die ebenfalls ihre Wohnung räumen mußten, eine Rückkehr in Betracht ziehen, während die andere Hälfte in ihren Ausweichquartieren bleiben würde.

Ein Demonstrant, der im benachbarten Stadtteil Harburg wohnt, empört sich darüber, daß die Mittel, die in die Bauausstellung fließen, nicht dafür eingesetzt werden, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Ihm gehe es um Daseinsvorsorge, doch in der Gesellschaft werde ein Kampf ums Dasein geführt, der auf eine Darwinisierung und Barbarisierung hoch drei hinauslaufe. Zwar seien die Mieten in Harburg im Vergleich zu Eppendorf und Eimsbüttel noch erträglich, doch auch in seinem Stadtteil kündige sich bereits die kommende Aufwertungsoffensive an. Harburg liege hinsichtlich des vorhandenen Leerstands an Gebäuden an der Spitze von ganz Hamburg, was ein Skandal in Anbetracht der Wohnungsnot sei.

Plakate zur Zusammenarbeit zwischen Kunst und IBA - Foto: © 2013 by Schattenblick Plakate zur Zusammenarbeit zwischen Kunst und IBA - Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Kunst des Opportunismus
Foto: © 2013 by Schattenblick

Mit ihren plakatierten Wortmeldungen kommentieren eine Künstlerin und ein Künstler die Auswirkungen, die die Entwicklung in Wilhelmsburg auf Kunst und Kultur gehabt habe. So sei seit 2006 klar, daß die IBA ein von oben geführtes Gentrifizierungsprojekt sei. Es habe relativ früh im Vorfeld der Bauausstellung eine kritische Diskussion über diese Entwicklung eingesetzt, und es sei genug Zeit dafür gewesen, sich mit den Vorgängen vertraut zu machen. Das habe allerdings viele Künstlerinnen und Künstler mit linksaktivistischem Anspruch nicht daran gehindert, sich an Projekten der IBA zu beteiligen. Daran sei viel Kritik geäußert worden, und der darüber geführte Streit habe zu einer regelrechten Spaltung der Kunstszene geführt.

So sei die öffentliche Kulturförderung regelrecht für die IBA instrumentalisiert worden, indem die verfügbaren Mittel, die nun andernorts fehlten, nach Wilhelmsburg geflossen wären. Zwar habe es Versuche gegeben, eine solidarische Haltung gegen die IBA durchzusetzen, wie sie etwa auch bei der Mobilisierung gegen das militaristische Maritime Museum in der Hafencity 2005 und 2006 zustandegekommen sei. Im Falle der IBA sei das jedoch gescheitert, weil sich zu viele Künstlerinnen und Künstler für die Bauausstellung hätten einspannen lassen. Auch Kampnagel mache mit, nachdem sich das Kunstprojekt bereits an der City-Marketing-Kampagne "Wir nennen es Hamburg" beteiligt habe.

Dennoch habe die in Wilhelmsburg ansässige Kulturszene nicht besonders davon profitiert, da die IBA auch Kulturschaffende mit internationalem Ruf eingekauft habe, die mit den Strukturen im Stadtteil überhaupt nicht vertraut waren. Während diese ihre Projekte realisiert hätten, seien die Wilhelmsburger Künstlerinnen und Künstler meist leer ausgegangen. Nun, da die zugunsten der IBA eingesetzte Kulturförderung langsam auslaufe und etwa das kuratierte Elbinsel-Sommerprogramm vorüber sei, wollten sich viele Leute, die die Akzeptanz der IBA mit ihrer Kunst unterstützt hätten, wieder kritisch positionieren. Der Wind hätte sich gedreht, und so sei es nun wieder angesagt, sich gegen die IBA zu stellen. Es sei jedoch zu spät zu versuchen, die IBA mit künstlerischen Mitteln zu delegitimieren. Jetzt sei eher die Zeit für Demonstrationen und kritische Führungen angebrochen, lautete das Fazit dieser beiden Gentrifizierungsgegner.

Fronttransparent der Kampagne 'IBA? Nigs DA!' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Kampfansage an den IBA-Springer
Foto: © 2013 by Schattenblick

Öffentlich-rechtliche Deutungshoheit

Mit gut 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war die am Hochbunker im Reiherstiegviertel startende Demonstration gut besucht. Vielleicht zu gut in den Augen der Polizei, die den Zug mit einem Seitenspalier flankierte und an seinem Anfang wie Ende zahlreiche Einsatzkräfte postiert hatte. Da das IBA-Gelände zur demonstrationsfreien Zone erklärt worden war und von starken Polizeikräften gegen ein Vordringen des Protestes auf den Ort des Geschehens abgesichert wurde, besuchten viele Demonstrantinnen und Demonstranten die Eröffnungsfeierlichkeiten als Privatpersonen. Daß sie sich dennoch nicht davon abhalten ließen, ihrer Meinung über die IBA lautstark mit Sprechchören und Trommeln Gehör zu verschaffen, führte letztlich dazu, daß die Staatsgewalt in Form von mehreren Zügen Bereitschaftspolizei aufmarschierte und die Protestierenden zum Teil unter Einsatz von Gewalt aus dem Wälderhaus und vom IBA-Gelände vertrieb.

Einen anschaulichen Eindruck vom Geschehen vermittelt ein Beitrag der TV-Sendung Hamburg Journal des NDR zur Eröffnung der Ausstellung [3]. Daß es sich laut dem Moderator der Sendung bei den gut sichtbaren Demonstrantinnen und Demonstranten um "eine ganz kleine Gruppe von 30, keine repräsentative Gruppe" handelte, sollte wohl den Eindruck vermitteln, daß sich der Widerstand gegen die IBA auf eine kleine Randgruppe beschränke, der man aufgrund ihrer geringen Zahl keine besondere Bedeutung zumessen müsse. Denkt man hingegen an die große Zahl von Menschen, die sich trotz eisiger Kälte zur Demonstration aufgemacht haben und an den ihnen von Passanten gezollten Beifall, so bleibt es eine opportunistische Mutmaßung, dem Protest jeglichen repräsentativen Charakter abzusprechen.

Im Interview mit dem NDR erweckte IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg einmal mehr den Eindruck, die Argumente der Kritikerinnen und Kritiker seien hergeholt und entbehrten jeder vernünftigen Grundlage. Er verstehe "nicht, warum man gegen die Bildungs-Offensive hier demonstriert, warum man gegen Arbeit und Beschäftigung demonstriert, warum man gegen bessere Parks und Wohnflächen demonstriert." Nun ist weder die Zukunft der projektgebundenen Bildungs-Offensive geklärt, noch haben die dafür getroffenen Maßnahmen zu einer grundlegenden Verbesserung der desolaten Lage der Schulen geführt, wie der Hilferuf von 14 Wilhelmsburger Schulleitern an den Hamburger Bildungssenator im November 2012 [4] belegt. Zudem wirkt sich die angestrebte Neuzusammensetzung der Bevölkerung des Stadtteils auch sozial selektiv auf die bildungspolitische Entwicklung aus. Der Zuzug sozial bessergestellter Familien wird nur gelingen, wenn diese ihre Kinder nicht in Schulen unterbringen müssen, dessen hochgradiger Anteil an migrantischen Schülerinnen und Schülern sich vermeintlich negativ auf deren Karrierechancen auswirkt.

Ob die einheimische Bevölkerung tatsächlich auf neue Arbeitsplätze hoffen kann, die sie nicht dazu verurteilt, prekären Service-Jobs im Niedriglohnsektor nachzugehen, darf bezweifelt werden. Eine wesentliche Absicht der Aufwertungsoffensive besteht in der Ansiedlung von Unternehmen aus dem Bereich innovativer Schlüsseltechnologien, deren Personalbedarf nur sehr bedingt vor Ort befriedigt werden kann. Zweifellos wurde nicht gegen Arbeit und Beschäftigung per se demonstriert, sondern gegen eine qualitative Transformation des Stadtteils, die nicht dazu gedacht ist, den Aufwuchs des Arbeitsmarkts von unten aus zu organisieren. Die dafür angeblich zuständige Agenda 2010 wiederum verwaltet den Mangel mit repressive Mitteln, anstatt ihn zu beheben.

Auch waren bessere Parks und Wohnflächen nicht Gegenstand des Protests, sondern die Bevormundung der Menschen durch eine Stadtentwicklung, die ganz andere Ziele hat als die Lebensqualität dort zu steigern, wo die Not am größten ist. Die stadtplanerischen Vorzeigeprojekte der IBA und igs sollen den Wildwuchs gewachsener Lebensverhältnisse beseitigen, um besser kontrollierbare Faktoren marktwirtschaftlicher Rentabilität an deren Stelle zu setzen. Hellweg gestand gegenüber dem NDR durchaus ein, daß es "irgendwann" einmal zu Mietpreissteigerungen käme, doch das sei "nun mal so in der Marktwirtschaft". Wenn man das angebliche Ansinnen, dagegen zu demonstrieren, "daß man gerade hier in so einem vernachlässigten Stadtteil etwas Gutes tut", zu Ende denke, dann hieße das, daß man nur "in den Wohlhabenden-Quartieren etwas machen" könne, während in Wilhelmsburg "alles beim alten" bliebe. Sollte das das politische Ziel der Demonstranten sein, "dann tun sie mir leid" [3], so Hellwig abschließend gegenüber dem NDR. Nimmt man den IBA-Chef beim Wort, dann beruht der von ihm beklagte Mangel an Gesprächsbereitschaft unter den IBA-Kritikerinnen und -Kritikern wohl auf beiderseitiger Ablehnung.

Ablehnung schlägt dem Protest auch aus einigen Kommentaren lokaler Webseiten entgegen. Das dort zu vernehmende Argument, hier trieben vor allem nicht im Stadtteil ansässige Politaktivisten ihr Unwesen, unterschlägt zum einen, daß IBA und igs alles andere als Ergebnisse lokaler Selbstorganisation sind, und verkennt zum andern, daß das Programm der Hamburger Stadtentwicklung von vornherein darauf angelegt ist, den Rahmen kleinteiliger Lokalität zu sprengen. Das Unternehmen Stadt wird den Bedingungen einer Weltmarktkonkurrenz ausgesetzt, die soziale Widerstände und ortsspezifische Entwicklungsblockaden durch den angeblich unabdinglichen Sachzwang überwinden soll, effizientere Verfahren und gewinnträchtigere Ziele kapitalistischer Verwertung durchzusetzen. Ohne dieses Vorhaben auf den Imperativ urbaner Transformationslogik anzuwenden, laut dem die Stadt neuer Methoden und Praktiken der sozialen Verwaltung, der infrastrukturellen Organisation, der unternehmerischen Freiheit, des Sicherheitsmanagements und der Bevölkerungspolitik bedürfe, wird dem Stress- und Schockcharakter der dazu eingesetzten Mittel unnötig viel Angriffsfläche geboten.

Polizeikolonnen vor Mietshäusern - Foto: © 2013 by Schattenblick

Arbeiterviertel im Ausnahmezustand
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:
[1] http://www.wilhelmsburgonline.de/2013/03/iba-festgelande-bleibt-protestfreie-zone/

[2] http://www.hamburg.de/contentblob/155068/data/raeumliches-leitbild.pdf

[3] http://www.ndr.de/ratgeber/reise/urlaubsregionen/hamburg/ibaeroeffnung103.html

[4] http://www.iba-hamburg.de/fileadmin/Newsletter_BOE/2012/04_2012/BOE-04_link1__Brief_der_Schulleiter.pdf

1. April 2013