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BERICHT/096: Klimacamp im Rheinland - auch Fleisch und Milch und Eier ... (2) (SB)


Somit müssen wir uns nicht nur die Frage stellen: "Wann haben wir angefangen, die anderen Tiere zu unterdrücken?", sondern auch: "Wann haben wir vergessen, dass wir Tiere sind?"
Marco Maurizi - Speziesismus und historischer Materialismus [1]


Obwohl mindestens 20 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die globale Tierproduktion entfallen und für eine Welternährung, die das Gros der Menschen in erster Linie mit pflanzlichen Nahrungsmitteln bestreitet, dementsprechend ineffizient ist, wird das Problem auf politischer Ebene eher vernachlässigt. Die fossile Energieproduktion und der mit Verbrennungsmotoren angetriebene Individualverkehr erhalten weit mehr Beachtung als die Tatsache, daß die Vernichtung der Wälder im globalen Süden vor allem der Erschließung neuer Anbaugebiete für Futtermittelpflanzen geschuldet ist. Die Okkupation des fruchtbaren Bodens für Zwecke der Tierproduktion und das damit einhergehende Problem der im Verhältnis zu pflanzlichen Nahrungsmitteln weit überproportionalen Belastung der trinkbaren Wasservorräte durch Gülle, andere Düngemittel und Herbizide ist vielen Menschen in ihrer bedrohlichen Dimension kaum bekannt. Das gilt auch für die Waldzerstörung, für die nicht nur Stickoxide aus Industrie und Verkehr verantwortlich sind, sondern vor allem Stickstoffemissionen aus der Landwirtschaft, die hierzulande zwei Drittel der Gesamtmenge dieser klimaschädlichen und waldzerstörenden Luftbestandteile ausmachen.

Das allein wäre Anlaß genug für eine grundlegende Umstellung der etablierten, von massiven Kapitalinteressen zu immer neuen Rekorden industriellen Outputs getriebenen Erzeugung von Tierprodukten. Das die eigene Existenz als stoffwechselabhängiges Lebewesen betreffende Leid der Milliarden zu diesem Zweck getöteten Tiere ist daher nicht nur ein weiterer Grund, aktiv zu werden, sondern genügt sich selbst. Eine vermeintlich ideale Welt mit glücklichen Tieren auf idyllischen Bauernhöfen bliebe dem immanenten Widerspruch des Schlachtens und anderer Formen fremdnütziger Ausbeutung autonomer Lebewesen verhaftet. Das Thema Massentierhaltung für die Klimadebatte zu öffnen bedeutet nicht notwendigerweise, für ein Ende der Tierausbeutung zu kämpfen. Zugleich kann die anwachsende Sensibilisierung für das Problem der Tierproduktion Übergänge zur Frage der eigenen Beteiligung am Geschäft des Schlachtens und Verbrauchens nichtmenschlicher Tiere schaffen.


Fahrraddemo vor landwirtschaftlichen Gebäuden - Foto: © 2017 by Schattenblick

Auf dem Weg zur nächsten Stätte konzentrierter Tierausbeutung Foto: © 2017 by Schattenblick

Im Rekordtempo Fleisch ansetzen und Eier legen - Produktionsfaktor Huhn

Mit der Beteiligung von Animal Climate Action am Klimacamp im Rheinland wurde der dort im Rahmen des Connecting Movements Camps verfolgten Verknüpfung verschiedener Kampffelder auch auf diesem Gebiet Rechnung getragen. Die Fahrraddemo zu Orten der Tierproduktion war ein guter Anlaß, sich die Organisation zwischen Flächenbeanspruchung und Produktionsstandorten in einer ohnehin agroindustriell verkümmerten Landschaft auf ganz körperliche Weise vor Augen zu führen. So führte die dritte Station der gemeinschaftlichen Tour durch die niederrheinische Region zu einer Ansammlung von Funktionsgebäuden in der Nähe von Glimbach, die aus einer Putenmastanlage, einer Hähnchenmastanlage und einer Biogasanlage besteht. Deren Aufbau erfolgte nicht ohne Widerstand der davon betroffenen Bevölkerung, die wie auch an anderen Standorten von Mastbetrieben mit Geruchsbelästigung, Grundwasserverschlechterung und einem erhöhten Verkehrsaufkommen konfrontiert ist.

Ohne die Infrastruktur der Mastbetriebe wären Großschlachthöfe wie etwa im niedersächsischen Wietze [2], wo das Unternehmen Rothkötter 430.000 Masthühner am Tag schlachtet, gar nicht zu betreiben. Rund 400 neue Mastbetriebe im Umkreis von 150 Kilometern müssen aufgebaut werden, um die Kosteneffizenz der Schlachtfabrik, ein Tier innerhalb von 15 Minuten automatisiert in ein Grillhuhn, einen Spieß mit Brustfleischstücken oder andere portionsgerechte Endprodukte zu verwandeln, zu realisieren. Bis zu 40.000 Tiere sind üblicherweise in einem Maststall untergebracht, wo sie nicht älter als 30 bis 40 Tage werden, wenn sie nicht an den ihnen züchterisch zugefügten Deformationen wie dem extremen Mißverhältnis von Brustfleisch und Knochenskelett oder der nicht mehr ausreichenden Tragfähigkeit ihrer Beine im Vorwege sterben. Um die haltungsbedingte Krankheitsanfälligkeit nicht seuchenhaft eskalieren zu lassen, müssen die Ställe nach dem Durchgang einer Hühnerpopulation mit großem Aufwand gereinigt werden. Der jüngst um das Biozid Fipronil entstandene Lebensmittelskandal [3 hat seinen Ursprung in diesem Problem, und daß ihm mit zwar illegalen, aber kostensenkenden Mitteln zu Leibe gerückt wird, ist einer von der nackten Ratio der Kapitalverwertung angetriebenen Landwirtschaft adäquat.


Fahrraddemo fährt abwärts - Foto: © 2017 by Schattenblick

Diese Pedale werden mit pflanzlicher Energie betrieben
Foto: © 2017 by Schattenblick

Woher stammen all die Masthühner, die auf besonders schnelles Fleischwachstum gezüchtet wurde? Die Eier sogenannter Legehennen, die in der Bundesrepublik auf über 40 Millionen Haltungsplätzen bis zu 320 Eier pro Tier im Jahr erzeugen, bis sie so ausgelaugt sind, daß ihre gequälten Körper zu Hühnersuppe oder Tierfutter verarbeitet werden, sind für den menschlichen Verzehr vorgesehen und ohnehin nicht für die Fortpflanzung geeignet. So entstehen bei der Aufzucht dieser Hennen rund 50 Millionen männliche Küken im Jahr als unerwünschtes Nebenprodukt. Sie werden in der Bundesrepublik nach dem Ausbrüten geschreddert oder vergast, weil sie keine Eier legen, aber auch für die Fleischmast als unökonomisch gelten, so daß ihnen selbst ein wenige Wochen währendes Leben unter den qualvollen Bedingungen der Fleischmast vorenthalten wird. Ein Vortrag, der unter anderem an einen Recherchebericht aus Masthühnerelterntieranlagen der Organisation Animal Rights Watch im März 2017 [4] anknüpfte, beleuchtete diesen nur wenig beachteten Aspekt der Tierausbeutung in der Bundesrepublik.

Um eine Degeneration des Erbgutes zu verhindern und den Wachstzumszielen der Fleischproduktion zu genügen, müssen Masthühner permanent in einem komplizierten Verfahren nachgezüchtet werden. In den dazu eingerichteten Betrieben werden weibliche und männliche Hühner in großen Gruppen gemeinsam gehalten. Die dadurch noch intensiver erfolgende Pickerei erzeugt bei den Tieren häufig blutende Wunden, die nicht eigens behandelt werden. Zugleich werden die Hennen, auch wenn sie verletzt sind, von den Hähnen immer wieder besprungen. Weil sie so oft wie möglich befruchtete Eier legen sollen, sind ihre Eileiter häufig entzündet.

Zudem werden die Elterntiere systematisch mangelernährt. Während Masthühner gerade daraufhin gezüchtet werden, kein Sättigungsgefühl zu verspüren, um in möglichst kurzer Zeit viel Fleisch anzusetzen, leben die Elterntiere weit länger als die 30 bis 40 Tage, in denen Masthühner schlachtreif werden. Um eine Legeperiode von bis zu 14 Monaten zu überdauern, ohne fett und träge zu werden, was ihre Reproduktionsleistung mindert und in der Kosten-Nutzen-Ratio der Elterntierzüchter eine kostenineffiziente Futterverschwendung darstellt, werden Elterntiere nur einmal am Tag gefüttert. 23 Stunden des Tages verspüren die genetisch auf hohe Fleischproduktion und damit permanenten Freßtrieb gezüchteten Hühner nagenden Hunger, zudem erhalten zu wenig zu trinken, um den Boden der Ställe so trocken zu halten, daß nicht noch mehr Krankheiten als ohnehin schon entstehen. Der ungestillte Hunger steigert die Aggressivität, die schon durch die Massenhaltung und die unterbrochene Weitergabe von Sozialverhalten durch die Eltern angeheizt wird, unter ihnen um ein weiteres.

Zum Ende einer Legeperiode nimmt die Legeleistung ab. Die sinkende Rentabilität führt zum Schlachten der Tiere, doch zuvor sind bereits jede sechste Henne und jeder dritte Hahn aufgrund von Verletzungen oder Krankheiten verendet. Wenn sie nicht in tagelanger Agonie vor sich hin vegetieren, wird ihnen einfach der Kopf umgedreht, wenn das Prozedere mit den dafür vorgesehenen Betäubungsstäben zu aufwendig erscheint. Wie in allen anderen Bereichen der Fleisch- und Eierproduktion verfügt das einzelne Huhn nicht einmal formal über eine Individualexistenz - in der Regel wird die Produktivität der Tiere nicht anhand ihrer Zahl, sondern in Gewichtseinheiten und entsprechenden Verbrauchsparametern berechnet.


Biogasanlage hinter Ackerfeld - Foto: © 2017 by Schattenblick

Was nicht mehr zum Himmel stinkt, muß nicht erstrebenswert sein
Foto: © 2017 by Schattenblick

Von besonderer Relevanz für die Klimadebatte ist nicht nur die Einspeisung von fast 20 Prozent der Ackerfläche der Bundesrepublik in die Produktion von Strom oder Agrosprit, sondern auch die Produktion sogenannter Biomasse, wie sie im Fall der Anlage bei Glimbach durch die Biogasproduktion als integrales Modul der Tierproduktion erfolgt. Was auf den ersten Blick als sinnvolle Verwendung ohnehin anfallender Abfallprodukte erscheint, wird durch die Subventionierung der Maßnahmen gegen den Klimawandel zu einem mit öffentlichen Mitteln bewirtschafteten Produktionsfaktor eigener Art. Immer häufiger siegt der Tank über den Teller, was angesichts der wachsenden Zahl hungernder Menschen in der Welt die Aggressivität einer Mobilitätskultur belegt, deren Räder auch über Leichen für den wirtschaftlichen Erfolg des Standortes Deutschland rollen sollen.

So sinnvoll die politisch bestimmte Subventionierung erneuerbarer Energie auch sein mag, so zeitigt sie im Fall von Biomasse, ohnehin der klimatechnisch ungünstigste Energieträger unter den Erneuerbaren, häufig völlig kontraproduktive Ergebnisse. Angeblich grüner Strom aus Wäldern, die in den USA oder an der afrikanischen Westküste eingeschlagen werden, um mit großem Transportaufwand in auf Holzverbrennung umgerüsteten Kohlekraftwerken in der EU verheizt zu werden, füllt vor allem die Kassen von Energiekonzernen, die sich überlegen müssen, wie sie ohne Verluste aus der Kohle aussteigen können. So betreibt Innogy, die grüne Sparte von RWE, in den USA das nach eigenen Angaben größte Holzpelletwerk der Welt. Laut der US-amerikanischen Initiative Dogwood Alliance sollen dafür auch Hölzer aus ökologisch bedrohten Hartholz-Feuchtwaldgebieten verwendet werden [5]. Stellt man am Ende die Frage danach, wofür der dabei erzeugte Strom verwendet wird, wird vollends deutlich, daß der grüne Kapitalismus die Naturzerstörung lediglich verlagert, aber nicht beendet.


Versammlung vor Abdeckerei - Fotos: © 2017 by Schattenblick Versammlung vor Abdeckerei - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Aufklärung am Ort des Geschehens
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Nicht mehr den Tiger, sondern Schwein und Rind im Tank

So wandern auch die Körpersubstanzen geschlachteter Tiere in den Tank und in die Stromproduktion, wie die Aktivistinnen und Aktivisten der Fahraddemo beim nächsten Halt an einem Tierkörperbeseitungsbetrieb bei Linnich erfahren konnten. Abdeckereien lagen schon früher außerhalb der Ortschaften, und die dort arbeitenden Menschen waren mit einem ähnlichen Stigma wie Totengräber oder Henker belastet. Auch dieses von außen unauffällige Betriebsgebäude liegt am Ende einer Straße. Während des Vortrages über Sinn und Zweck der Anlage, der auf dem Vorplatz gehalten wird, fahren mehrfach weiße Transporter heran, die den Betrieb mit Tierkadavern beliefern. Schon das illustriert die durchweg hohen Zahlen sogenannter Nutztiere, die im Normalfall ihrer Verwertung in großer Zahl an Krankheiten oder Verletzungen verenden.

So verenden bis zu 18 Prozent der Legehennen in Massentierhaltung schon vor der aufgrund abnehmender Eierleistung erfolgenden Endverwertung im Schlachthof. Obwohl Masthühner ein noch viel kürzeres Leben fristen als jene 14 Monate, die einem eierlegenden Huhn üblicherweise zugestanden werden, sind Verlustraten von 5 Prozent bei eine Mastdauer von 5 bis 6 Wochen üblich. So verenden in einem Stall mit 40.000 Tiere bis zu 500 Masthühner pro Woche, was den regelmäßigen Abtransport ihrer Kadaver erfordert.

Bei Kälbern liegt die Verlustrate zwischen 10 und 20 Prozent bei Geburt und während der ersten Wochen, bei Ferkeln werden 15 Prozent Verlust von vornherein einkalkuliert, zumal die hochgezüchteten Sauen heute mehr Ferkel gebären, als sie säugen können, was zu dem berüchtigten Totschlagen der Ferkel im Stall führt. Landwirtschaftlich genutzte Tiere werden Produktionsfaktoren eben nur so lange tierärztlich versorgt und am Leben gelassen, wie es sich rechnet.

Die Tierentsorgungsndustrie ist aufgrund der von ihr ausgehenden Gefahr, daß mit Keimen und Giftstoffen kontaminiertes Fleisch in Umlauf gerät, hochgradig reguliert. Anders als bei der Verwendung sogenannter Schlachtnebenprodukte, die für menschlichen Verzehr freigegeben werden und auch als Tierfutter und als Rohstoffe für Kosmetika Verwendung finden, werden die in Abdeckereien gewonnenen Fette und Eiweiße lediglich für die Energieerzeugung oder Treibstoffproduktion eingesetzt. Auch werden tierische Materialien geringen Risikos als technische Fette für industrielle Anwendungen oder als Rohstoff für Reinigungsmittel eingesetzt. Seit längerem in der Diskussion ist die Wiederzulassung der Verfütterung tierischer Proteine an sogenannte Haus- und Nutztiere, die seit BSE-Krise verboten ist.


Halt der Fahrraddemo und Schild 'Tierproduktion stoppen, Klima retten' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ein alles andere als beschaulicher Ausflug
Foto: © 2017 by Schattenblick

Auf der letzten Station in Ameln wurde auf dem zentralen Platz des Ortes ein veganes Mittagsmahl verspeist, das die selbstorganisierte Küche des Klimacamps eigens herantransportiert hatte. "Tierproduktion heißt: Klimawandel, Landraub, Ausbeutung" - das Verständnis für das Motto der Fahrraddemo ist bei den 75 Aktivistinnen und Aktivisten, die sich an der Rundreise durch die niederrheinische Agrarlandschaft beteiligten, zweifellos gewachsen. Der praktische Nutzen derartiger Aktionen, nicht nur Widerstand gegen die untersuchten Praktiken zu demonstrieren, sondern auch das eigene Interesse an der Durchdringung komplexer Verfügungs- und Herrschaftsverhältnisse zu schüren, zeigt, daß es Mittel und Wege gibt, die häufig aufgestellte Forderung nach mehr allgemeiner Aufklärung über gesellschaftliche Zwangsverhältnisse in die Tat umzusetzen.


Fahrraddemo auf Landstraße mit Polizeibegleitung - Foto: © 2017 by Schattenblick

Auf der Sonnenseite der Straße ...
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Dem Schlachten ein Ende setzen. Marxismus und Tierbefreiung, S. 8
http://www.tierrechtsgruppe-zh.ch/wp-content/files/Marxismus_und_Tierbefreiung_Antidot.pdf

[2] BERICHT/002: Den größten Geflügelschlachthof Europas verhindern ... BI Wietze und Feldbesetzer (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0002.html

[3] RAUB/1123: "Aber was ist mit den Hühnern?" (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1123.html

[4] https://www.ariwa.org/aktivitaeten/aufgedeckt/recherchearchiv/1381-2017-03-28-15-14-47.html

[5] Kahlschlag für Stromkonzerne - Peter Gerhardt und Michael Gerhardt
http://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2017/KAB_2017_216_217_Gerhardt_Gehardt.pdf


25. September 2017


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