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BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)


Statt das Weiße Haus mit zehntausend Menschen einzukreisen könnten die Gewerkschaften dank ihrer Kapazität hunderttausend drumherum versammeln. Und du kannst darauf wetten, daß einige der Investitionen in die Infrastruktur, wie sie die Gewerkschaften fordern, (...) eine Menge Arbeitsplätze schaffen würden und gut für die Umwelt wären. [1]
Sean Sweeney, Koordinator der Trade Unions for Energy Democracy [2]


Globale Katastrophenszenarien vor Augen, drängt die Klimagerechtigkeitsbewegung auf den sofortigen Kohleausstieg in Deutschland. Sie trifft in der Lausitz und im Rheinischen Revier auf eine Arbeiterschaft, die mit gewerkschaftlicher Rückendeckung ihre Jobs vehement verteidigt. Das historische Auseinanderdriften von Umwelt- und Arbeiterbewegung kulminiert in diesem Konflikt, der die Züge unversöhnbarer Widersprüche anzunehmen scheint. Der Losung "No jobs on a dead planet" halten die Belegschaften der fossilistischen Industrie ihren Anspruch auf Lebensunterhalt entgegen, den sie durch die Klimaschützer bedroht sehen. Spannt man den Bogen weltweit, läßt sich der Zusammenhang zwischen den hiesigen Lebensverhältnissen und der fortgesetzten existenziellen Bedrohung und Vernichtung in den Ländern des globalen Südens als ein permanenter räuberischer Übergriff charakterisieren. Die lohnabhängig Beschäftigten in deutschen Unternehmen sind jedoch ihrerseits einem Zwangsverhältnis unterworfen, zumal der geschleifte Sozialstaat ein Leben jenseits des Verkaufs ihrer Arbeitskraft zum Absturz degradiert.

Diese ineinander verschränkten Widerspruchslagen, denen sich in Zeiten multipler Krisen diverse weitere hinzufügen ließen, bedürfen offensichtlich einer Auseinandersetzung, die noch nicht hinreichend geführt ist. Wenngleich als Konsens vorgehalten wird, daß mit dem Kohleausstieg eine Konversion einhergehe müsse, kann doch bislang von deren Inangriffnahme, geschweige denn einer fundierten Umsetzung keine Rede sein. So wenig Wunschdenken weiterhilft, so unverzichtbar mutet die Einbeziehung von Ansätzen an, die unter programmatischen Titeln wie "Ökosozialismus" oder "Klima und Klasse" vorschlagen, die beiden Stränge der Konfrontation mit drängenden menschheitsgeschichtlichen Problemlagen wieder zusammenzuführen.

Das fossile Zeitalter beenden!

Auf dem People's Climate Summit in Bonn befaßte sich die zweite Podiumsdiskussion am 4. November mit dem Thema "Leave it in the Ground: Das fossile Zeitalter beenden". Unter Moderation von Tadzio Müller (Rosa-Luxemburg-Stiftung/Ende Gelände) und Tetet Lauron (IBON International) referierten und diskutierten Charlotte Loreck (Oeko Institut/Prognos), Heather Milton-Lightening (Indigenous Climate Action aus Kanada), Sean Sweeney (Trade Unions for Energy Democracy) Philipp Litz (agora Energiewende) und Noelie Audidor (Gastivists).

Der Kontext ist bekannt: Da die Frage des Kohleausstiegs derzeit in Deutschland von zentraler Bedeutung ist, mag man es tragische Ironie nennen, daß COP 23 unter dem Vorsitz der Fidschis nur wenige Kilometer entfernt vom Braunkohletagebau im Rheinischen Revier veranstaltet wurde. Wenngleich Konsens hinsichtlich des Kohleausstiegs als solchem besteht oder zumindest als Lippenbekenntnis vorgehalten wird, sind Zeitpunkt und Vorgehensweise umstritten, was in gewissem Umfang selbst für die Klimagerechtigkeitsbewegung gilt.

Ziel dieses Podiums konnte es natürlich nicht sein, einen einzig gültigen Lösungsweg zu ermitteln. Es ging vielmehr darum, die verschiedenen Positionen besser zu verstehen und zu diskutieren, auf welche Weise sie zusammenwirken könnten, um die Klimabewegung zu stärken und effektiver zu machen.


Auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Sean Sweeney
Foto: © 2017 by Schattenblick

Gewerkschaftliche Initiative für einen Brückenschlag

Das ursprüngliche Vorhaben, einen deutschen Gewerkschafter auf das Podium zu bringen, um mit ihm zweifellos kontrovers, aber womöglich in gewissem Umfang doch konstruktiv zu diskutieren, ließ sich leider nicht in die Tat umsetzen. Um so erfreulicher war die Anwesenheit Sean Sweeneys, der eine progressive gewerkschaftliche Position vorstellte, die einen anderen Ansatz als die etablierte Umwelt- und Klimabewegungen verfolgt. Er charakterisierte das Konzept einer fairen und gerechten Transition aus Sicht des globalen Projekts Trade Unions for Energy Democracy (TUED), dessen internationaler Koordinator er ist. Der Entwurf einer demokratischen Transition wurde in den 80er Jahren in den USA von einer progressiven Gewerkschaftsführung der Öl-, Chemie- und Atomkraftarbeiterschaft entwickelt. Sie wandte sich gegen die Produktion von gefährlichen Chemikalien und Atomwaffen, aber zugleich gegen die vermeintliche Zwangsläufigkeit, daß die Arbeiterinnen und Arbeiter bei Einstellung dieser Produktion ihre Jobs und damit den Unterhalt ihrer Familien verlieren müßten.

Die TUED sind der Auffassung, daß es keine wünschenswerte Transition geben kann, wenn es nicht gelingt, die Kontrolle über das globale Energiesystem zu erlangen, um es demokratisch zu organisieren und die fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen. Die Beschäftigten dürfen nicht vor die Wahl gestellt werden, entweder zu arbeiten und die Umwelt zu zerstören oder keinen Job zu haben. Vielmehr müssen sie gemeinsam mit ihren Repräsentanten dafür sorgen, daß ihre Stimme in dem unabdingbaren Prozeß der Umgestaltung gehört wird.

Sean Sweeney führte aus eigenem Erleben zwei Beispiele für die Konfrontation zwischen Klimabewegung und Arbeiterschaft der Braunkohleindustrie an. So wurde im vergangenen Jahr in der Lausitz eine Blockade durch Ende Gelände von einer Gruppe angegriffen, die auch Gewerkschaftsfahnen mitführte: "Ich war Kommunist, bevor ich Klimaaktivist wurde. Deshalb fand ich es schrecklich, von Gewerkschaftsgenossen angegriffen zu werden." Im Rheinland habe ihm ein Beschäftigter von RWE gesagt: "Den einzigen anderen Job, den ich bekommen könnte, wäre einer im Logistikzentrum von Amazon. Wir haben hier gute Jobs und Zusatzvergütungen, Amazon bietet nur Scheißjobs. Deshalb kämpfen wir natürlich für den Erhalt unserer Arbeitsplätze und gegen Leute, die sie abschaffen wollen." Für dieses Problem gebe es keine einfache Antwort. Die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder, mit denen er gesprochen habe, sei durchaus für den Umweltschutz, wolle aber andererseits die vergleichsweise guten Jobs nicht verlieren.

Aus Sicht des Referenten drängen sich in diesem Zusammenhang weiterführende Fragen auf: Warum keine gerechte Transition für deutsche Arbeiter der Solarindustrie, die zu Zehntausenden ihre Jobs verloren haben? Warum konzentrieren wir uns ausschließlich auf den Sektor der fossilen Energieträger? Jeder Arbeiter sollte von einer gerechten Transition profitieren. Es bedürfe einer anderen Arbeitsmarktpolitik, die für Schutz bei jedem Wechsel des Arbeitsplatzes sorgt. Es gebe keine gerechte Transition ohne soziale Transformation.

Sweeney wies darauf hin, daß es in den letzten Jahren zu einem Zusammenbruch in der Kohle- und Gasindustrie gekommen ist, der nichts mit der Umweltbewegung zu tun hat. Er ist die Folge des gebremsten Wachstums in China und der weltweiten Überproduktion von Öl, Gas und Kohle, was zu einem Preisverfall führte. In Nordamerika haben hunderttausend Arbeiter der Öl-, Gas- und Kohleindustrie deswegen ihren Job verloren, wobei die USA in Folge des exzessiven Frackings zum weltweit führenden Gasproduzenten noch vor Rußland aufgestiegen sind. Es geht also längst darum, überhaupt noch angemessene Arbeitsplätze für Menschen zu finden, die ihren Job verloren haben.

Aus Perspektive Tetet Laurons mutet die Vorstellung, man könne lokale Kontrolle über das Energiesystem erlangen, denn doch recht utopisch an. Es herrsche das Paradigma von Neoliberalismus, Extraktivismus und Profitsystem vor, die Regierungen setzten auf Austeritätsmaßnahmen und Privatisierung öffentlicher Leistungen. Offensichtlich sei die Problematik dieses Systems grundlegender und umfassender Natur.

Wie Sweeney zustimmt, gründet das kapitalistische System auf Wachstum, Akkumulation und Konsumtion. Wenn wir jedoch nicht eingreifen, haben wir binnen Jahrzehnten keinen bewohnbaren Planeten und keine Zivilisation mehr. Wie können wir diesen Eingriff herbeiführen? Wir brauchen eine schlüssige Strategie und müssen zuallererst fragen, wo die meisten Emissionen entstehen, welche die Umwelt vergiften, so daß im letzten Jahr sieben Millionen Menschen der Luftverschmutzung zum Opfer gefallen sind. Es handelt sich also nicht nur um eine Klimafrage, sondern zugleich um eine der Gesundheit im globalen Maßstab. Wenn Energie der entscheidende Sektor und Dekarbonisierung essentiell ist, wenn die Märkte völlig versagt haben, müssen wir den Kampf um das weltweite Energiesystem aufnehmen. Erst dann sei es möglich, eine gerechte Transition einzuleiten und die fossilen Energieträger durch erneuerbare zu ersetzen, basierend auf Wissenschaft, festgelegten Zielen und zeitlichen Abfolgen, so der Referent.

Daß dieses Unterfangen utopisch sei, will Sweeney nicht gelten lassen. Er verweist auf einen kürzlich erfolgten Besuch von 50 Gewerkschaftern ihres Projekts bei Jeremy Corbyn, der dem aufgeschlossen gegenüberstehe. Legt man den desolaten Zustand der Tories und Meinungsumfragen zugrunde, könnte Labour die nächste britische Regierung stellen, was noch vor einem Jahr unvorstellbar anmuten mochte. Das Programm der Labour Party sieht die Rekommunalisierung des Energiesystems, die Einhaltung der Klimaziele und den Ausbau der Erneuerbaren vor. Auf die Frage, wie dies umgesetzt werden soll, habe die zuständige Ministerin des Schattenkabinetts erwidert, man wisse im Grunde nicht, wie das zu bewerkstelligen sei, und setze auf die Unterstützung der Gewerkschafter. Demnach zeichne sich mit Blick auf eine praktische Umsetzung durchaus eine Öffnung in der britischen Politik, und wie er meine, auch in anderen Teilen der Welt ab, so der Referent.

Dieser angestrebten energiepolitischen Wende steht allerdings das Primat des privaten Sektors entgegen, auf den die Regierungen setzen. Auch in Deutschland dominiert eine neoliberale, marktgestützte und profitgetriebenen Wirtschaftweise, und die Politik nimmt in Kauf, daß die Reduzierung der Emissionen verfehlt wird. Sie verordnet weiterhin den gescheiterten Ansatz, die Erneuerbaren über Marktmechanismen und Anreize zu fördern, räumt aber gleichzeitig ein, daß die bislang erreichte Verringerung der klimaschädlichen Emissionen nicht in Einklang mit den international vereinbarten Klimazielen steht. Sweeney plädiert für die klare und deutliche Botschaft, die Regierung müsse zur Seite treten und ermöglichen, daß der Energiesektor unter lokale Kontrolle gestellt wird. Die angesprochenen neoliberalen Vorstellungen finde man überall, auch in der Umweltbewegung und selbst in Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung. Es gelte den Kampf aufzunehmen, um wirksame Ideen und Perspektiven zu entwickeln, wie eine gerechte Transition durchgeführt werden kann, und dies entsprechend zu organisieren.


Auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tadzio Müller
Foto: © 2017 by Schattenblick

Emissionsschleuder Mobilität

Tadzio Müller erweiterte den Blick auf die deutschen Verhältnisse unter Verweis auf die relativ geringe Größe des Braunkohlesektors. Als die Solarenergie einbrach, gingen von rund 100.000 Arbeitsplätzen 90.000 verloren. Demgegenüber wäre der Verlust von Arbeitsplätzen in der Braunkohle sehr viel geringer. Dieses Problem sei in Deutschland vergleichsweise leichter zu lösen als das der Mobilität und der Autoindustrie. Diese ist nicht vollständig privatisiert, sondern ein staatlich-privates Konglomerat, wie sich in der Diesel-Affäre einmal mehr gezeigt habe. Der Automobilsektor ist die Basis der IG Metall, der größten und stärksten Einzelgewerkschaft. Und die Autoindustrie habe noch nicht einmal angefangen, eine Umstellung einzuleiten, sei es auf Elektromobilität oder eine Terminierung der Verbrennungsmotoren.

Daß angesichts einer spezifischen Einbindung der Gewerkschaften die Situation in Deutschland besonders vertrackt sei, räumte auch der Referent ein. Er erinnerte jedoch daran, daß die International Transport Workers Federation bereits vor sechs Jahren auf ihrem Kongreß den Klimawandel diskutiert hat. Wenngleich sie 5,3 Millionen Arbeiter in diesem Sektor repräsentiere, habe sie sich damals das Ziel gesetzt, den Personen- und Güterverkehr zu reduzieren. Auf diese Weise lasse sich nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern auch die Lebensqualität verbessern. Die Emissionen des Transportsektors sind der am schnellsten wachsende Anteil von Emissionen weltweit, was auch für Europa gilt. Im letzten Jahr wurden weltweit 90 Millionen neue Fahrzeuge verkauft, 25 Prozent mehr als 2011, viele davon in sich entwickelten Märkten auch des globalen Südens. Die Bedeutung der Mobilität und eine Infrastruktur, die einen Verkehr auf Grundlage der Verbrennung fossiler Energieträger favorisiere, der preislich relativ billig gehalten wird, erfordere eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit technischen Fragen und politischen Ansätzen, so der Referent. Wie können wir ein öffentliches System für den Massentransport ausbauen, und läßt sich dieser mit Elektrofahrzeugen betreiben, die mit Strom aus erneuerbaren Energien gespeist werden?


Auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tetet Lauron
Foto: © 2017 by Schattenblick

Keine Allianz ohne materielle Grundlage

Was aber den Kohleausstieg betrifft, habe die Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland große Probleme, mit den Arbeitern der Kohleindustrie ins Gespräch zu kommen. Die Gespräche, die er geführt habe, stimmten ihn pessimistisch, was die Möglichkeiten betrifft, eine Allianz mit den Beschäftigten in diesem Sektor herbeizuführen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen fehle dieser Allianz eine materielle Grundlage, so Sweeney.

Diesen Gedanken griff Tetet Lauron auf, indem sie berichtete, daß auf den Philippinen eine Konversion der Jeepneys, jener umgebauten Fahrzeuge, die massenhaft als Transportmittel genutzt werden, ein vieldiskutiertes Thema sei. Angesichts des Klimawandels hat die Regierung ein Verbot von Jeepneys mit Verbrennungsmotoren binnen drei Jahren verfügt. Nun komme es zu einer Allianz zwischen den Fahrern der Jeepneys und der Umweltbewegung, aber auch der Frauen- und der Arbeiterbewegung. Sie alle seien im informellen Sektor angesiedelt, auf den Philippinen seien zahllose Menschen durch Armut verbunden: "Wir leben alle prekär, weshalb eine Allianz für uns viel leichter zu schließen ist." Die Frage der materiellen Verhältnisse sollte ihres Erachtens in solche Überlegungen einbezogen werden.

Ein aufschlußreiches Beispiel aus Südafrika brachte Sean Sweeney zur Sprache. Dort hat der nationale Stromerzeuger Askom Anfang des Jahres fünf Kohlekraftwerke geschlossen, wovon 40.000 Arbeiter betroffen sind. Die Gewerkschaften riefen zu einem Streik für den Erhalt der Arbeitsplätze auf, stellten sich dann aber die Frage, mit welcher Stoßrichtung dieser Kampf geführt werden sollte. Die Gewerkschaft der Grubenarbeiter bezeichnete die Erneuerbaren als das Problem, da diese das System zerstörten. Der Gewerkschaftsverband erklärte jedoch, daß die Kraftwerke nicht geschlossen werden sollten, er aber andererseits die Erneuerbaren unterstütze. Zwei Gewerkschaften erklärten sogar, daß sie die Jobs der Arbeiter verteidigten, jedoch den gesamten Energiesektor in kommunalen Besitz überführen wollten. Der nationale Stromversorger solle reformiert und demokratisiert, die privaten Anbieter sollten durch öffentliche Produzenten erneuerbarer Energie ersetzt werden. Wie hat die Umweltbewegung darauf reagiert? Sie begrüßte die Schließung der Kohlekraftwerke als einen Schritt in die richtige Richtung, ignorierte aber völlig die Frage, was mit den Menschen passieren soll, die dadurch ihren Job verlieren. Sie werden vom Arbeitgeber einfach auf die Straße geworfen, sofern es nicht gelingt, die Schließung der Kraftwerke mit einer Politik zu verbinden, die eine Rückführung des Energiesektors in lokale Kontrolle anstrebt. Erst dann sei ein sozialer Prozeß hin zu einer umfassenden nationalen Kampagne für eine gerechte Transition möglich, so der Referent: "Wir dürfen nicht allein die Schließung von fossilen Kraftwerken feiern, sondern müssen das Potential für eine soziale Bewegung nutzen, welche die Kontrolle über den Energiesektor einfordert, um ihn umzuwandeln.

Im Zuge der leider viel zu kurz gekommenen Diskussion unter Beteiligung des Publikums kam unter anderem zur Sprache, daß Manfred Maresch (IG BCE) einen Kohleausstieg binnen drei Jahren für möglich halte, sofern einige Voraussetzungen erfüllt seien. Zeige dieses Beispiel nicht, daß ein Gespräch mit der Gewerkschaft und vielleicht sogar gemeinsame Lösungen möglich seien? Ein weiterer Diskussionsteilnehmer hakte mit der Frage nach, welche Position Ende Gelände hinsichtlich der Arbeitsplätze in der Kohleindustrie einnehme und wie im Verbund mit gewerkschaftlichen Forderungen eine Konversion herbeigeführt werden könnte.

Dieser Frage nahm sich Tadzio Müller an, wobei er betonte, daß er kein Sprecher von Ende Gelände mehr sei, aber aus seiner Sicht darauf antworten wolle. Wie er hervorhob, verfügen die deutschen Arbeiter über die einflußreichste Repräsentation weltweit. Die IG BCE sei politisch außerordentlich gut vernetzt, insbesondere mit der Sozialdemokratie. Ende Gelände müsse nicht die Interessen der Arbeiter vertreten, zumal er die Idee, einen Autoarbeiter in Wolfsburg oder einen Arbeiter im Tagebau verteidigen zu müssen, anmaßend finde. Das könnten sie selber sehr viel wirksamer tun. Ende Gelände gebe hingegen jenen eine Stimme, die nicht im politischen System Deutschlands vertreten sind. Die Stimmen der Menschen, die in Bangladesch, auf den Philippinen und anderswo auf der Welt ertrinken, werden in der deutschen Politik nicht gehört. Er bestreite die Forderungen deutscher Arbeiter keineswegs, wende sich aber gegen eine unglaublich national fokussierte Debatte.

Sean Sweeney rundete seine Ausführungen mit einer Bilanz ab. Nach seinen Worten ist es technisch ohne weiteres möglich, Wind und Sonne massenhaft zu nutzen. Es gibt Probleme mit der Speicherung und dem Transport des Stroms, zudem Probleme bei der Verteilung, die sich jedoch mittels einer Rückführung auf die lokale Ebene lösen lassen. Die Potentiale existierender regenerativer Technologien werden jedoch nicht ausgeschöpft, weil es sich um ein ungeplantes, chaotisches System handelt. Eine Energieform wendet sich gegen die andere, es geht um Privilegien, nicht um eine gemeinsame Strategie. Was künftige Technologien betrifft, wissen wir heute nichts darüber. Wir können nur hoffen, daß angenehme Überraschungen darunter sind. Wir kommen in jedem Fall nicht darum herum, den Energieverbrauch im Transportsektor, bei der Stromerzeugung, bei Gebäuden und anderswo deutlich zu senken. Und wir müssen diese Reduzierung mit einer Dekarbonisierung verbinden. Zudem gilt es, Technologien und Wissen zu teilen, Open Sources und Sharing Technologies zu fördern.

Abschließend war es abermals Tetet Lauron vorbehalten, dem Kelch zuversichtlicher Perspektiven einen Wermutstropfen beizufügen. Wenn erneuerbare Energien weithin befürwortet werden, stellt sich für Menschen im globalen Süden die Frage, wer diese Technologie und ihre Anwendung kontrolliert. Es kann nicht darum gehen, lediglich ein Unternehmen gegen das andere auszutauschen. Selbst wenn wir 100 Prozent Erneuerbare hätten, heißt das noch nicht, daß das dem Wohle aller diene. Zum einen ändert sich für arme Menschen kaum etwas, wenn sie weiterhin dafür bezahlen müssen. Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Preis im weiteren Sinne, der für die Erneuerbaren zu zahlen ist. Wenn Europäer ihren Lebensstil beibehalten und in Autos herumfahren, die mit Agrotreibstoff betankt werden, und dafür in indonesische Palmölplantagen investiert wird, stellt sich für die Menschen in Indonesien die Frage, was daran gut für sie sein soll. Sie werden von ihrem Land vertrieben, die Produktion von Nahrungsmitteln wird eingeschränkt, das Militär rückt in die Gemeinden ein: "Wir sind Gewalt ausgesetzt!" So blieb zum Ende dieses Abschnitts der Podiumsdiskussion die Machtfrage - oftmals ein blinder Blick der Klimabewegung - zumindest nicht unerwähnt.


Abschlußrunde auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Sean Sweeney, Charlotte Loreck, Tetet Lauron, Philipp Litz, Noelie Audi-Dor,
Heather Milton-Lightening, Tadzio Müller
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://wiki.p2pfoundation.net/Sean_Sweeney_on_Extending_Union_and_Labor_Solidarity_with_the_Environment

[2] http://unionsforenergydemocracy.org


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)


29. November 2017


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