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BERICHT/117: Tierwohl, Anbau und Ernährung - regional und pflanzlich ... (SB)


Vom Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.
Karl Marx - Das Kapital, Band III [1]



Bühne der Demonstration am Brandenburger Tor - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Wir haben es satt!" am 19. Januar 2019
Foto: © 2019 by Schattenblick

'"Essen ist politisch" - das betonen zu müssen läßt auf ein gesellschaftliches Bewußtsein schließen, dem die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln durch ein permanent erhältliches Angebot an Essen wie dessen individuelle Bezahlbarkeit gesichert erscheint. Das trifft jedoch für immer mehr Menschen nicht zu. Selbst in der reichen Bundesrepublik können sich einkommensarme Menschen nicht angemessen ernähren, und in anderen Teilen der Welt ist es weit schlimmer. Zwei Milliarden Menschen gelten als mangelernährt, und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) beziffert die Zahl der Hungernden für 2017 auf 821 Millionen Menschen, denen dauerhaft weniger als 2100 Kalorien täglich zur Verfügung stehen. Dem Bericht der Welthungerhilfe für 2018 ist zu entnehmen, daß 124 Millionen Menschen akut hungern, sprich vom Tod durch unzureichende Ernährung bedroht sind. Zwei Jahre zuvor waren es noch 80 Millionen, so daß von einer starken Zunahme der am stärksten unterversorgten Menschen ausgegangen werden muß. Zwar leben die meisten Hungernden in sogenannten Entwicklungsländern, aber selbst in den USA erhalten trotz der hochproduktiven Landwirtschaft des Landes bis zu 40 Millionen Menschen nicht genügend Nahrungsmittel, um gesund zu bleiben und immer satt zu werden.

Die Beseitigung des Hungers wird unter den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) der Vereinten Nationen, die im Rahmen der 1992 beschlossenen Agenda 21 bis 2030 verwirklicht werden sollen, nach der Beseitigung der Armut an zweiter Stelle genannt. Dabei nimmt der Hunger weiter zu, und es erscheint wenig wahrscheinlich, daß sich daran etwas ändert, solange aus machtpolitischen Gründen Kriege geführt werden, der Klimawandel die Bedingungen der Nahrungsmittelproduktion verschlechtert und die Landwirtschaft im kapitalistischen Weltsystem nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern an der Verwertbarkeit von Kapital orientiert ist. Um so bedeutsamer ist der Protest gegen dieses Ernährungsregime, der alljährlich in Berlin anläßlich der Grünen Woche, der größten Landwirtschaftsmesse der Welt, unter dem Motto "Wir haben es satt!" auf die Straße getragen wird.


Vor dem Haupteingang zur Grünen Woche - Foto: © 2019 by Schattenblick

Derweil auf dem Berliner Messegelände ...
Foto: © 2019 by Schattenblick

Dem breiten Aktionsbündnis gemäß, dessen Trägerkreis große Umweltorganisationen, Interessenverbände der ErzeugerInnen, entwicklungspolitische NGOs, Jugendinitiativen und Verbraucherverbände umfaßt und das von zahlreichen Akteuren in Politik und Gesellschaft unterstützt wird, läßt sich der politische Anspruch am repräsentativsten in einer Kritik an der Agrarindustrie zusammenfassen, die Anstoß nimmt an den unökologischen, Pflanzen wie Tieren schadenden, die bäuerliche Arbeits- und Lebenswelt beeinträchtigenden und die Qualität der Lebensmittel verschlechternden Auswirkungen der modernen Landwirtschaft. Dem zunehmend in transnational operierenden Großkonzernen organisierten System der industriellen Intensivlandwirtschaft wird das positive Bild eher kleinbäuerlicher Strukturen, in denen biologischer Landbau und eine artgerechte Tierhaltung unter Arbeitsbedingungen betrieben wird, die den BäuerInnen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung ermöglichen, entgegengehalten.

Angestrebt wird eine Agrarwende, in der eine schonenende, vielfältige und kleinteilige Wirtschaftsweise an die Stelle der mit Agrarchemie und Mineraldünger unter hohem Maschineneinsatz und Ressourcenverbrauch betriebenen Monokulturen und Mastställe treten soll. Für eine solche, in ihrer Notwendigkeit von der mehrheitlichen Vertretung der LandwirtInnen in der BRD, dem Deutschen Bauernverband (DBV) bestrittenen Agrarwende setzen sich nicht nur die BäuerInnen selbst ein, sondern es gibt immer mehr VerbraucherInnen, die sich an der Demo beteiligen. Der Wunsch, sich mit qualitativ hochwertigen und ökologisch nachhaltigen Lebensmitteln zu ernähren, hat auch bei diesen Interesse an den Problemen der Landwirtschaft und ihrer Bewältigung geweckt.


Treckeraufmarsch, Publikum vor Bühne - Fotos: © 2019 by Schattenblick Treckeraufmarsch, Publikum vor Bühne - Fotos: © 2019 by Schattenblick Treckeraufmarsch, Publikum vor Bühne - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Auf der Achse des deutschen Imperialismus Trecker für den Frieden
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Die seit 2011 unter wachsender Beteiligung stattfindende Demonstration kann inzwischen als alljährliches Treffen einer sozialen Bewegung verstanden werden, die kritisch mit der Ernährungsfrage befaßt ist und dabei ganz unterschiedliche Akzente setzt. Vergleichbar mit der Bewegung für Klimagerechtigkeit dominierten unter den 35.000 AktivistInnen, die, angeführt von 171 Treckern, am 19. Januar das Geschehen auf den Straßen rund ums Brandenburger Tor und im Berliner Regierungsviertel bestimmten, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene das Geschehen. Sie zeigten mit Transparenten und phantasievollen Verkleidungen, was ihnen am Herzen liegt, und brachten dies in lauten Sprechchören zu Gehör. Das in der alten BRD vorherrschende Bild meist sehr konservativer Landwirte, denen alle linken und emanzipatorischen Forderungen ein Greuel sind, wurde hier durch JungbäuerInnen widerlegt, die aus ihrer antifaschistischen und antirassistischen Gesinnung kein Hehl machten.

Die Stärke dieser sozialen Bewegung besteht auch darin, daß sie von PraktikerInnen getragen wird, die selbst Bauernhöfe betreiben, sich in Gemeinschaftsstrukturen wie die der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) kollektiv organisieren, als ernährungsbewußte Menschen Einkaufsgenossenschaften bilden, die mit ErzeugerInnen in ihrer Nähe vernetzt sind, oder als AktivistInnen der Klimagerechtigkeits- oder Tierrechtsbewegung für konkrete Ziele kämpfen, deren Verwirklichung gesellschaftliche Veränderungen erfordern, die sich nicht auf Verteilungsfragen beschränken lassen, sondern Macht- und Eigentumsfragen berühren. So heterogen diese Bewegung erscheint und so professionell ihre tonangebenden Akteure wirken, so vital und basisdemokratisch ist sie in einem Anliegen, das sich kaum auf den Wunsch nach besserem Essen beschränken läßt.

Zudem produziert sie einen beachtlichen Fundus an Schriften, die der theoretischen Auseinandersetzung mit den sozialen, politischen und ökologischen Fragen der industriellen wie ökologischen Landwirtschaft gewidmet sind. Es gibt viel zu wissen, das zeigte sich auch beim Erstellen dieses Textes. Konsultiert wurden dabei diverse Schriften, die den AktivistInnen meist kostenlos an den Ständen vor dem Brandenburger Tor zur Verfügung gestellt wurden. Exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu nennen sind vor allem der Kritische Agrarbericht, der jedes Jahr online wie in Buchform zur Grünen Woche erscheint und in gewisser Weise das Theorieorgan des Aktionsbündnisses "Wir haben es satt!" darstellt. Instruktiv und hilfreich sind auch die Ausgabe 2018-1 der Zeitschrift LUXEMBURG und die Nummer 1 der Zeitschrift maldekstra vom Oktober 2018, beide herausgegeben von der Rosa Luxemburg Stiftung. Gleiches gilt für die mit den Themen Fleischproduktion, Konzernstrukturen, Bodenbeschaffenheit und zuletzt EU-Agrarpolitik befaßten Atlanten, die gemeinsam von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem BUND und Le Monde Diplomatique herausgegeben werden. Die genannten Schriftenreihen stehen allesamt kostenlos zum Download bereit, so daß dem interessierten Einstieg in die Thematik viele Möglichkeiten offenstehen.


Auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor - Foto: © 2019 by Schattenblick

Bewegungsprominenz - Christoph Bautz und Tanja Busse
Foto: © 2019 by Schattenblick


Den EU-Agrarkapitalismus reformieren

Im Aufruf [2] zur diesjährigen "Wir haben es satt!"-Demonstration und in den Reden auf der Bühne direkt vor dem Brandenburger Tor wurde an die EU appelliert, das System der flächenabhängigen Direktzahlungen zugunsten einer die ökologischen und gesellschaftlichen Leistungen der ErzeugerInnen direkt honorierenden Vergabe der Agrarsubventionen aufzugeben. Mit rund 60 Milliarden Euro im Jahr umfassen die Fördermittel der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) den größten, 40 Prozent betragenden Einzelposten des EU-Haushaltes. Da derzeit über die Mittelvergabe für die nächste, von 2021 bis 2027 geltende Förderperiode beraten wird, war dieses Thema von vorrangiger Bedeutung. Kritisiert wird vor allem, daß Großbetriebe durch die Direktzahlungen bevorteilt werden und damit der Konzentrationsprozeß, bei dem immer mehr Land in immer weniger Hände gerät, unbehindert vonstatten geht.

Obwohl auch in der EU-Kommission eine ökologische und nachhaltige Bewirtschaftung der Böden befürwortet wird, stärken Flächenprämien eine intensive Landwirtschaft, die den exportstarken Agrarsektor der EU dominiert. 52 Prozent der Nutzfläche entfallen auf 3 Prozent der Betriebe, und dieser Konzentrationsprozeß, bei dem meist große Einheiten mit wenigen Arbeitskräften unter Verwendung von Agrarchemie bewirtschaftet werden, hat in den letzten 10 Jahren um 16 Prozent zugenommen. Die kleinsten, weniger als 10 Hektar Fläche bearbeitenden Betriebe in der EU hingegen sind häufig in ihrer Existenz bedroht. So gehörten von den Bauernhöfen, die zwischen 2003 und 2013 aufgeben mußten, 96 Prozent in diese Kategorie.


Plakat gegen Tiertransporte, EU-Repräsentation hinter dem Brandenburger Tor - Fotos: © 2019 by Schattenblick Plakat gegen Tiertransporte, EU-Repräsentation hinter dem Brandenburger Tor - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Adressatin massiver Kritik
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Wer weniger als 1 Hektar bewirtschaftet, kommt überhaupt nicht in den Genuß von Fördermitteln. Gerade in Osteuropa gab es viele derart kleine Höfe, wie das Beispiel Rumänien zeigt, wo 1,7 Millionen KleinbäuerInnen mit Subsistenzwirtschaft und dem Verkauf von Überschüssen überlebten. Ihre Verdrängung durch große Landinvestoren unter anderem aus der Bundesrepublik ist ein Grund dafür, daß zahlreiche WanderarbeiterInnen aus Rumänien heute unter miesen Bedingungen in den Schlachthöfen und auf den Feldern der EU schlecht entlohnte Arbeit verrichten. Dieser auch als ursprüngliche Akkumulation bekannte Prozeß der Proletarisierung, der am Anfang der kapitalistischen Entwicklung im 16. Jahrhundert stand, findet weiterhin statt, was die große Bedeutung der Landwirtschaft für den Lebenserwerb von Millionen Menschen allein in Europa, geschweige denn weltweit unterstreicht.

Zwar verfügt die Förderstruktur der GAP neben der ersten Säule, der die Vergabe der Flächenprämien zugeordnet ist, über eine zweite Säule, die der Entwicklung des ländlichen Raums dienen soll. Auf diese auch ökologischen Zwecken gewidmeten Fördermittel entfallen jedoch nur 25 Prozent des gesamten GAP-Budgets. Während die Flächenprämien der ersten Säule in der kommenden Förderperiode bis 2027 um 11 Prozent gekürzt werden, wird der ohnehin kleinere, für qualitative Zwecke ausgewiesene Betrag um 27 Prozent abnehmen. Auch damit wird den LandwirtInnen signalisiert, daß das Ziel einer hohen Flächenproduktivität weiterhin vor dem der nachhaltigen Bewirtschaftung des Bodens rangiert.


Transparent 'Eine Welt Ein Klima Eine Zukunft' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Blick aufs Ganze widerlegt alle nationalen Egoismen
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Externalisierung ökologischer Kosten im Nord-Süd-Gefälle

Die ökonomisch begründete Kritik an dieser Vergabepraxis betrifft die Externalisierung ökologischer Kosten bei den an der Größe der Fläche orientierten Direktzahlungen, macht dies doch eine nachhaltige, meist arbeitsintensivere Wirtschaftsweise noch weniger wettbewerbsfähig. Ähnlich der allgemeinen Industriepolitik werden in der industriell organisierten Landwirtschaft Kosten der Produktion externalisiert, deren Berücksichtigung bei der Preisbildung zu sehr viel teureren Nahrungsmitteln führte. Wenn die Belastung des Trinkwassers und der Atemluft durch die agrarindustrielle Produktionsweise die Gesundheit der Menschen schädigt, zu einer Degradation der Bodenqualität und zu Verlusten an die Biodiversität führt, den Grundwasserspiegel senkt und die Freisetzung von Treibhausgasen und Feinstaub zur Folge hat, dann sind das von allen Menschen unabhängig davon, ob sie diese Produkte konsumieren oder biologisch angebauten Nahrungsmittel den Vorzug geben, ob sie Tierprodukte nutzen oder nicht, zu tragende Kosten.

Die überproportionale Inanspruchnahme allen Menschen gleichberechtigt zur Verfügung stehender Ressourcen der Produktion ist ein Wettbewerbsvorteil, der zur nach wie vor bestehenden Exportorientierung der EU-Landwirtschaft beiträgt. Der vielfach kritisierten Praxis, lokale Märkte im globalen Süden mit billigen Produkten der hochproduktiven europäischen Landwirtschaft zu überschwemmen und einheimische ProduzentInnen aus dem Markt zu drängen, wurde 2015 mit dem Verbot direkter Exportsubventionen durch die WTO zwar ein Dämpfer versetzt, doch die bedingungslosen Direktzahlungen an die Landwirte wirken sich weiterhin wie indirekte Exportsubventionen aus.


Transparente mit Nord-Süd-Themen - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente mit Nord-Süd-Themen - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Die Zukunft der Landwirtschaft ist internationalistisch und kosmopolitisch
Fotos: © 2019 by Schattenblick<

Da zwischen 40 und 50 Prozent der Landfläche der EU und Deutschlands agrarisch bewirtschaftet werden, ist die Verfügbarkeit und Preisentwicklung von Ackerland ein wesentlicher Faktor der erschwinglichen Produktion von Nahrungsmitteln. Es handelt sich um ein knappes, nicht erweiterbares Gut, daher sind Landwirtschaftsflächen spätestens seit dem sprunghaften Anstieg der Getreidepreise 2007 und der kurz darauf eskalierenden Finanz- und Wirtschaftskrise zu einem beliebten Objekt von Kapitalanlagen geworden. Zwischen 2006 und 2015 ist der Kaufpreis für Ackerland in der Bundesrepublik um 120 Prozent gestiegen, so daß seine Bewirtschaftung schon aus diesem Grunde immer weniger kostendeckend sein kann. Um so mehr fällt die qualitative Bewirtschaftung des Bodens ins Gewicht respektive verschärft der Verzicht darauf, sie zu einem zentralen Kriterium der Mittelvergabe zu machen, die Konkurrenz zwischen den Landwirtschaftsbetrieben. Gleiches gilt für das drastische Preisgefälle für Ackerland innerhalb der EU. Wenn dieser Boden in den Niederlanden rund 20mal so teuer ist wie in Rumänien, dann liegt nahe, daß der Landerwerb im Südosten der EU nicht nur für die Agroindustrie, sondern auch Finanzinvestoren höchst attraktiv ist.

Während die Preissteigerungen beim Ackerland jungen BäuerInnen hierzulande das Leben schwermachen, selbst wenn sie das Land nur pachten, hat die Kommodifizierung des Bodens eine noch drastischere Nord-Süd-Dimension. Zum einen geht das sogenannte Landgrabbing von Staatsfonds aus, die im globalen Süden und dabei insbesondere in Afrika riesige Ländereien aufkaufen, um dort Getreide für die eigene Bevölkerung zu produzieren, obwohl die Menschen in den Anbaugebieten häufig nicht genug zu essen haben. Zum andern werden Landflächen, insbesondere wenn sie bewaldet sind, dem Nutzen der lokalen Bevölkerungen entzogen, indem sie als CO2-Senken zur klimapolitisch legitimierten Inwertsetzung im Rahmen des Handels mit Verschmutzungsrechten oder Biodiversitätszertifikaten genutzt werden. Zum dritten dienen die Investitionen von institutionellen Großanlegern wie Pensionsfonds dem materiellen Auskommen weiter Bevölkerungskreise im globalen Norden, die über eine kapitalgedeckte Alterssicherung verfügen.


Auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor - Foto: © 2019 by Schattenblick Auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor - Foto: © 2019 by Schattenblick

Internationale AktivistInnen berichten
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So findet auch eine großangelegte Externalisierung der Kosten sozialer Reproduktion vom globalen Norden in Richtung Süden statt. Obwohl die Menschen dort ohnehin ärmer sind und das Gros der Hungernden in äquatorialen Breitengraden lebt, wird mit klimapolitischen Mitteln wie dem Emissionshandel oder der Neoliberalisierung der Sozialsysteme die globale Ungleichheit vertieft. Gleiches gilt für die Patentierung von Feldfrüchten durch transnationale Konzerne, deren Sitz in der Regel in Nordamerika oder Westeuropa ist, die Durchsetzung genmodifizierter Saaten, die nur beim Kauf von Pestiziden vom gleichen Anbieter effiziente Erträge erbringen, oder eine Exportpolitik, die die Abhängigkeit der BäuerInnen in Afrika vergrößert, anstatt ihnen die Mittel an die Hand zu geben, selbstbestimmt zu wirtschaften.


Grafiken an Treckern und auf T-Shirt - Fotos: © 2019 by Schattenblick Grafiken an Treckern und auf T-Shirt - Fotos: © 2019 by Schattenblick Grafiken an Treckern und auf T-Shirt - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Antirassistisch auf allen Ebenen ...
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Ernährungssouveränität vs. Ernährungssicherheit

Eine wirksame Politisierung der Ernährungsfrage setzt mithin voraus, den Blick über den eigenen Tellerrand auf die sozialen und ökonomischen Faktoren gesellschaftlicher Verhältnisse zu richten. Wenn 10 Unternehmen 75 Prozent des Saatgutes weltweit kontrollieren und die von ihnen genetisch modifizierten Sorten als Monokulturen angebaut werden, die anfälliger für Dürren, Insektenbefall und eine Minderung des Nährstoffgehaltes sind, wenn 70 Prozent der Produktion agrochemischer Mittel auf 3 Weltkonzerne entfällt, wenn die 5 größten Einzelhandelsunternehmen der Bundesrepublik über 85 Prozent Marktanteil verfügen, hat man es mit monopolistischen Strukturen zu tun, die die Idee nachfrageorientierter Preisbildung dementieren. Hier handelt es sich um informelle Kartelle mit erheblichem Einfluß auf die politischen Agenturen der Nahrungsmittelproduktion, was verhindert, daß sich an der Vormacht von Partikularinteressen, die sich nicht nur in der unverändert die großen Akteure bevorteilenden Vergabepolitik der GAP abbildet, fast nichts ändert.

Die Folgen dieser vertikalen, immer mehr Produktionsstufen unter einem Dach versammelnden Konzentration unternehmerischer Entscheidungsgewalt gehen weit über Qualitätseinbußen in der täglichen Ernährung hinaus. So ist die transnationale Arbeitsteilung im Agrarsektor mit einem großen Verbrauch an fossiler Energie wie ansonsten vermeidbarer Verlusten beim Transport vom Acker zum Endverbrauch verbunden, die Marktmacht einzelner Akteure resultiert in Preisschwankungen am Weltmarkt, die kleine ProduzentInnen in die Pleite treiben, die Durchsetzung des am Weltmarkt gebildeten Preisniveaus verurteilt Millionen Menschen, die über keine Zahlungsfähigkeit verfügen und als Nachfrage dementsprechend unsichtbar bleiben, zu Mangelernährung und Hunger, und ökologisch widersinnige Produktionsweisen wie der Anbau von Feldfrüchten in wasserarmen Regionen für den Export in wasserreiche Teile der Welt werden begünstigt. Da liegt die fundamentale Kritik am kapitalistischen Verwertungsprinzip nahe und auf der Strecke jeder gründlichen Auseinandersetzung mit der Ernährungsfrage, was insbesondere für Linke von Interesse ist, denen traditionelle Mobilisierungsfelder verlorengegangen sind.


Transparente und Ballons zum Insektensterben - Foto: © 2019 by Schattenblick Transparente und Ballons zum Insektensterben - Foto: © 2019 by Schattenblick Transparente und Ballons zum Insektensterben - Foto: © 2019 by Schattenblick

Kein Leben in agroindustriell verödeten Landschaften ...
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Eine Antwort der KritikerInnen der industriellen Landwirtschaft und ihrer monopolistischen Strukturen besteht darin, dem administrativen und paternalistischen Konzept der Ernährungssicherheit das Selbstorganisation und Kollektivität fördernde Konzept der Ernährungssouveränität entgegenzustellen. Die sich auf die Nyéléni-Erklärung in Mali 2007 und in Österreich 2011 berufende Bewegung für Ernährungssouveränität [3] strebt an, den Schritt vom Recht auf Nahrung zum Recht auf Nahrungsmittelproduktion zu vollziehen. Selbstbestimmte Ernährung als Prinzip kollektiver und geschlechtergerechter Lebensbewältigung wird heute von zahlreichen, weltweit aktiven NGOs wie La Via Campesina (LVC) zum Leitprinzip erhoben. Appelliert wird an dasjenige Drittel der weltweiten Erwerbsbevölkerung, das von der Arbeit auf dem Land lebt und nach den desaströsen Erfahrungen mit den transnationalen Multis der Agrarindustrie und den allein auf Output orientierten Strukturen der Grünen Revolution die Arbeits- und Lebenswirklichkeit auf dem Land wieder in die eigenen Hände zu bekommen.

Dabei geht es nicht nur darum, die Bedingungen der Arbeit und ihre Entlohnung zu verbessern, sondern einen anderen Umgang mit den gesellschaftlichen Naturverhältnissen zu entwickeln. Der Einsicht in die destruktiven Folgen der agroindustriellen Wirtschaftsweise gemäß geht es beim Prinzip der Ernährungssouveränität darum, daß die BäuerInnen selbst über Land, Wasser und Energie verfügen und sich unabhängig von genmanipuliertem Saatgut, Agrochemie und der industriellen Verarbeitung ihrer Erzeugnisse machen. Um der historischen wie fortgesetzten Vertreibung der Menschen von ihrem Land entgegenzutreten, stellen sie die Eigentumsfrage, die im Falle des Bodens damit beantwortet wird, daß es sich um ein Gemeingut handelt, das alle Menschen in gleichem Maße für ihren Lebenserhalt nutzen können sollen, anstatt durch einige wenige angeeignet und zum Verwertungsobjekt gemacht zu werden. Weil das Land nicht wie andere Güter vermehrbar sowie essentiell zum Erhalt jedes auf die Verstoffwechselung von Naturressourcen angewiesenen Lebens ist, kann es aus natur- wie menschenrechtlicher Sicht keine Ware sein.


Feministische Parolen an Treckern - Fotos: © 2019 by Schattenblick Feministische Parolen an Treckern - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Kampfansage für Geschlechtergerechtigkeit
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Im Extremfall bedingt das Privateigentum an fruchtbarem Land, daß Menschen die Nahrung zum Preis des Verlustes ihres Lebens vorenthalten wird. Wie in jeder historischen Revolution ist die Landfrage auch heute von zentraler Bedeutung, das beweist die Migration aus ländlichen Regionen in die überfüllten Megacities ebenso die Kämpfe zwischen landlosen BäuerInnen und GroßgrundbesitzerInnen. Nicht anders als in den Klassenkämpfen zwischen Arbeit und Kapital sind die KleinbäuerInnen in aller Welt darauf angewiesen, sich zusammenzuschließen, um der völligen Enteignung ihrer Lebensmöglichkeiten und der Auslöschung ihres tradierten Wissens um Pflanzen und Tiere entgegenzutreten, um anstelle dessen die schonende Bewirtschaftung des Bodens und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen zu praktizieren. Daß sie dabei feministische Prinzipien starkmachen, stellt die ganz Geschichte einer bäuerlichen Landwirtschaft in Frage, deren Arbeitsweisen und Eigentumsformen von maskulinem Dominanz- und Konkurrenzstreben geprägt waren und sind.


Transparent mit Feldfrüchten 'Hungry for Diversity' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ernährungssouveränität sichert Vielfalt der Feldfrüchte
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So geht es der Bewegung für Ernährungssouveränität keineswegs darum, einem antidemokratischen Populismus und fremdenfeindlichen Regionalismus das Wort zu reden, wie von der Blut-und-Boden-Ideologie des sogenannten Reichsnährstandes im NS propagiert. Neokolonialismus, Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Sexismus sind erklärte Hindernisse auf dem Weg zur Ernährungssouveränität, kann diese doch nur durch eine Umwälzung der herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse von unten erreicht werden. Die nationalistische Einbindung des Landvolkes durch die symbolpolitische Überhöhung von Tradition, Glauben und Familie hat stets ganz anderen Zwecken gedient, wie nicht zuletzt das Beispiel Hitlerdeutschlands zeigt. Es ging um die Sicherstellung einer Versorgung, mit Hilfe derer die Menschen als SoldatInnen und ArbeiterInnen für die Ziele der Herrschenden eingesetzt werden können, und nicht darum, die Menschen in ihrer Lebensführung autonom und immun gegen Entfremdung durch Lohnarbeit und Indoktrination zu machen.

Die langfristig geplante Vernichtung der Bevölkerung im westlichen Teil der Sowjetunion durch die deutschen Aggressoren wurde wesentlich durch eine Politik des systematischen Verhungernlassens erreicht. Der geplanten "Germanisierung" großer Teile Osteuropas mithilfe sogenannter Siedlerhöfe stand die einheimische Bevölkerung im Weg, und der direkteste Weg zu diesem Ziel bestand in ihrer Vernichtung durch Entzug von Nahrungsmitteln, durch Arbeit im Lager oder durch Ermordung. Wenn bei AfD und Pegida heute über "Umvolkung" geklagt wird, als existiere so etwas wie eine homogene Bevölkerung, die durch eine andere ersetzt werden könne, dann wird absichtsvoll vergessen, daß die "Umvolkung" der Nazis in der Sowjetunion zu den blutigsten Projekten eines rassistisch bestimmten Kolonialismus gehört, die es bislang gegeben hat.


Transparente zur Wachstumsproblematik - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente zur Wachstumsproblematik - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Zukunftsfrage Wachstumsumkehr
Fotos: © 2019 by Schattenblick


An der blutigen Front des Agrarkapitalismus

Nichts daraus gelernt, außer sich selbst als neofaschistischer Vollstrecker zu inszenieren, hat der Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro. Er will die indigenen Bevölkerungen in Amazonien der Vertreibung durch die großen Agrokonzerne des Landes und ausländische Investoren preisgeben. Dieser offene Anschlag auf Menschen, deren Lebens- und Wirtschaftsweise als bestes Mittel zum Erhalt der verbliebenen Regenwälder im globalen Süden wie der borealen Nadelwälder in nördlichen Regionen gilt, wird in den westlichen Metropolengesellschaften kaum kritisiert. Ganz im Gegenteil, große Investoren und Vermögensverwalter loben den brasilianischen Präsidenten für seine Bereitschaft, neoliberale Sozialkürzungen durchzusetzen und den Agrarmultis weiterhin Zugang zu den natürlichen Ressourcen des Landes zu gewähren.

Besonders bedrohlich ist die politische Rechtsentwicklung in Brasilien für die AktivistInnen der Landlosenbewegung Movimento dos Sem Terra (MST). Aus den rund 4,5 Millionen Menschen, deren Lebenserwerb von Land abhängt, über das sie nicht verfügen, weil 1 Prozent der Bevölkerung über 50 Prozent des fruchtbaren Landes gehören, ist die MST mit 1,5 Millionen Mitgliedern als größte soziale Bewegung Lateinamerikas hervorgegangen. Ihre AktivistInnen besetzen ungenutztes Land und fordern die Enteignung von Großgrundbesitzern, denen sie die unrechtmäßige Aneignung des Bodens anlasten. Zudem kämpfen sie gegen ausbeuterische Bedingungen in der Landwirtschaft, die in einem Land, das heute der führende Exporteur von Rohrzucker und Rindfleisch ist und einen Großteil des in der Tiermast in der EU und China verwendeten Sojas anbaut, an frühkapitalistische Bedingungen erinnert.


Feministische Parolen auf rosa Transparenten - Fotos: © 2019 by Schattenblick Feministische Parolen auf rosa Transparenten - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Aufbruch gegen das Patriarchat weltweit
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MST hat bereits für 400.000 Familien Ackerland erstritten und gehört aufgrund des kollektiven Selbstverständnisses und der sozialrevolutionären Einstellung der Organisation [4] zu den erklärten Feinden Bolsonaros. Wie gefährlich es ist, unter diesen Bedingungen für eine sozial gerechte und ökologisch integre Landwirtschaft zu streiten, zeigt die Zahl der beim Kampf gegen die Umweltzerstörung durch Agrarmultis und Staatsregierungen weltweit ermordeten AktivistInnen. Sie lag 2017 mit 46 Opfern höher als die der gegen den fossilen Extraktivismus protestierenden Menschen, die bis dahin am meisten von Mordanschlägen bedroht waren.

Für in Deutschland lebende AktivistInnen der Ernährungssouveränität ist die prekäre Lage der MST auch deshalb von Belang, weil der Chemiekonzern Bayer seit der Übernahme von Monsanto und das Unternehmen BASF, an das aus kartellrechtlichen Gründen große Teile der Agrarchemie Monsantos verkauft werden mußten, an der agroindustriellen Bewirtschaftung Amazoniens beteiligt sind oder sein werden. Das Geschäft mit transgenen Soja- und Maispflanzen wie den dazugehörigen Herbiziden ist mitverantwortlich dafür, daß der Regenwald weiter gerodet wird und in den Anbauregionen immer wieder Agrargifte im Trinkwasser und in der Luft nachgewiesen werden. Laut der Umweltorganisation Germanwatch nahm die Sojaanbaufläche in Brasilien, Argentinien und Paraguay zwischen 2005 und 2014 um 40 Prozent oder 15,5 Millionen Hektar zu, was meist zu Lasten ökologisch wertvoller Savannen und Regenwälder ging. Bei über 90 Prozent der gentechnisch modifizierten Sojapflanzen wird das Herbizid Glyphosat eingesetzt, dessen Wirksamkeit allerdings mit der Zeit abnimmt, so daß heute oft dreimal so viel Glyphosat wie bei Einführung des Gen-Soja vor 20 Jahren eingesetzt werden muß. Die verfütterten Bohnen können denn auch mit möglicherweise gesundheitsschädlicher Wirkung durch das Spritzgift kontaminiert sein, so Germanwatch im November 2018 [5].


Transparente zu Klimawandel und Kohleausstieg - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente zu Klimawandel und Kohleausstieg - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente zu Klimawandel und Kohleausstieg - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Die Kohle in der Erde lassen schützt Böden und Natur
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Landwirtschaft und Klimawandel zusammengedacht

Mit den Futtermittelimporten aus Lateinamerika wird ein Tierverbrauch befeuert, der mit dem Anbau auf europäischen Flächen längst nicht mehr zu gewährleisten wäre. Die im "Wir haben es satt!"-Bündnis erhobene Forderung einer flächengebundenen Tierhaltung von maximal zwei Großvieheinheiten pro Hektar verhinderte nicht nur, daß für den europäischen Milch- und Fleischkonsum weiterhin die Regenwälder Amazoniens abgeholzt würden, sondern senkte auch die notorisch überhöhten Nitratwerte im Grundwasser hierzulande, verringerte die Feinstaubemissionen, die aus dem Ammoniak der ausgebrachten Gülle entstehen, und wäre aufgrund der Minderung der Emission von Treibhausgasen wie Methan, Lachgas oder Kohlenstoffdioxid in der Tierproduktion ein wichtiger Beitrag zum Erreichen der Klimaziele der EU und Bundesrepublik.

2018 rückte der seit langem bekannte Zusammenhang zwischen Tierverbrauch, ökologischer Zerstörung und Klimawandel erstmals ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit, und dort wird das Thema auch in Zukunft bleiben. Dem Einfluß der Landwirtschaft auf das Weltklima wurde auf dem COP 24 in Katowice weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt als noch ein Jahr zuvor beim COP 23 in Bonn. Die EAT-Lancet Commission on Healthy Diets for Sustainable Food Systems zieht in dem Bericht "Food in the anthropocene" [6] eine direkte Verbindung zwischen menschlicher Ernährung und dem Klimawandel. Dieser Zusammenhang wird in der Studie "The Global Syndemic of Obesity, Undernutrition, and Climate Change" [7] weiter vertieft. Eine bislang unveröffentlichte Studie des Max-Planck-Instituts (MPI) für Chemie, laut der Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft eine der Hauptquellen für die Feinstaubbildung seien, die sogar Einfluß aufs Wetter nehmen könne, schlug hohe Wellen. Als der Hurricane Florence im September einige US-Ostküstenstaaten heimsuchte, ertranken Tausende Schweine in ihren Ställen, und überlaufende Gülleseen bedrohten die Trinkwasserreservoirs. So erhielten die klimaschädlichen Auswirkungen sogenannter Concentrated Animal Feeding Operations (CAFOs) mehr öffentliche Aufmerksamkeit als zuvor [8].

Der durch seine Forschungen zu den Belastungsgrenzen des Planeten bekanntgewordene Wissenschaftler Johan Rockström, zur Zeit zusammen mit Ottmar Edenhofer Leiter des Potsdam-Institutes für Klimafolgenforschung, machte es beim WEF in Davos unter Verweis auf die Erkenntnisse der EAT-Lancet Commission praktisch offiziell: "Ich will das Ernährungsthema direkt in alle Klimaschutzmaßnahmen einbeziehen. Es reicht nicht, Energiesysteme CO2-frei zu machen, wir brauchen auch ein nachhaltiges Nahrungsmittelsystem." Die Dringlichkeit seines Anliegens wurde unterstrichen durch die Angabe [9], daß die Produktion von Nahrungsmitteln 40 Prozent der weltweiten Landfläche und 70 Prozent des Süßwassers in Anspruch nimmt und dabei 30 Prozent der Treibhausgase produziert.


Transparente für Kohleausstieg und gegen Herrschaft - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente für Kohleausstieg und gegen Herrschaft - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente für Kohleausstieg und gegen Herrschaft - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Im Endeffekt eine Machtfrage ...
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Die Häufung der Nachrichten über die negativen Auswirkungen der Landwirtschaft und Tierindustrie auf Umwelt und Klima hat bewirkt, daß neben Energie und Verkehr nun auch dieser Sektor gesellschaftlicher Produktion genannt wird, wenn es um die größten Quellen klimaschädlicher Emissionen geht. Daß das Bewußtsein für die besondere Bedeutung des intensiven Anbaus und der Verfütterung von Feldfrüchten für den Klimawandel auf breiter Ebene wächst, ist auch der Demo "Wir haben es satt!" zu verdanken, wo zahlreiche Transparente auf das Problem hinwiesen. Da alle Menschen durch ihre Ernährung Anteil daran haben, macht es wenig Sinn, pauschal mit dem Finger auf die Landwirtschaft zu zeigen. Die BäuerInnen, die nach wie vor konventionelle Produktionsweisen vertreten, haben nicht ganz unrecht damit, daß ihnen der Schwarze Peter zugeschoben wird, obwohl sie doch eine essentielle gesellschaftliche Leistung erbringen.

Doch damit ist es nicht getan, wie auch der nur wenig Resonanz unter den BäuerInnen findende Versuch, unter dem Motto "Wir machen euch satt!" eine Gegenbewegung zum Aktionsbündnis der KritikerInnen in Gang zu setzen, belegt. Den Blick auf den qualitativen Gehalt der landwirtschaftlichen Nahrungsmittelerzeugung zu richten, anstatt eine vor allem quantitative, mit massiven Mitteln der Agrarlobby politisch abgesicherte Wirtschaftsweise durchzusetzen, ist aus vielerlei Gründen notwendig und wird durch die anwachsende Bedeutung des Klimadiskurses unterstrichen. So rangiert der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgasemissionen in der EU nach Energie und Verkehr mit 10 bis 15 Prozent auf dem dritten Platz der Treiber des Klimawandels. Gut ein Drittel der Emissionen stammt direkt aus dem Boden und dem Einsatz von Düngemitteln, die unter Verwendung fossiler Energieträger wie Erdöl und Erdgas hergestellt und auch bei der Tierfütterung zu Buche schlagen. Knapp zwei Drittel stammen aus der Tierhaltung selbst, davon entfallen drei Viertel auf die Methanemissionen von Wiederkäuern, und für ein Viertel zeichnet die Ausbringung von Mist und Gülle auf den Feldern verantwortlich.

Dementsprechend wichtig sind die Forderungen der kritischen BäuerInnen, die Stickstoffeinträge in der Landwirtschaft zu verringern und mehr für die Kohlenstoffbindung in den Böden zu tun. Vorgeschlagen wird dazu unter anderem eine ständige Bodenbedeckung durch Mulch, der Schutz von Dauergrünland, der verstärkte Anbau von Leguminosen zur stärkeren Bindung von Stickstoff im Boden und die Nutzung von Zwischenfrüchten und Agroforstsystemen. Für die AnhängerInnen einer Lebensweise ohne Tierkonsum ist insbesondere der biovegane Landbau interessant, der beansprucht, mit einem denkbaren Minimum an Schädigung nichtmenschlicher Tiere in der Landwirtschaft auszukommen [10]. Derartige unter dem Stichwort Agrarökologie [11] versammelte Anbaumethoden stehen im Mittelpunkt einer globalen Agrarwende, die den Anspruch verfolgt, genügend Nahrungsmittel für alle Menschen zur Verfügung zu stellen und dies auch so nachhaltig zu tun, daß die Ernteerträge dauerhaft gesichert sind. Insbesondere letzteres ist die Stärke des agrarökologischen Biolandbaus, der in der Bundesrepublik auf 8 Prozent der Ackerfläche und 20 Prozent der Flächen für den Obstanbau durchgeführt wird.


Plakate mit Kritik am humanen Töten - Foto: © 2019 by Schattenblick

Wenn Wahrheit befreite, wäre die Welt eine andere ...
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Tierverbrauch reduzieren ... aus vielen Gründen

Für eine angemessene, d.h. den Erhalt der Gesundheit und des Wohlbefindens sichernde Ernährung aller Menschen hat insbesondere die Frage Bedeutung, wie groß der Anteil von Fleisch- Milch- und Eierprodukten daran sein soll. Da es ein Mehrfaches der in der Tierproduktion verstoffwechselten Pflanzen bedarf, um zum gleichen kalorischen Ergebnis beim individuellen Konsum zu gelangen, liegt auf der Hand, daß mit der Minderung des Verbrauchs von Tierprodukten mehr pflanzliche Nahrungsmittel für die menschliche Ernährung zur Verfügung stehen. Zur Zeit soll etwa ein Drittel aller angebauten Feldfrüchte für die Fütterung sogenannter Nutztiere verwendet werden. So schlägt Rockström vor, die durchschnittlich pro Person in Deutschland verbrauchte Menge von 170 Gramm Fleisch pro Tag drastisch zu reduzieren. Der Konsum von rotem Fleisch solle bei maximal 14 Gramm pro Tag liegen, während schon ein Hamburger zwischen 125 und 150 Gramm enthält. Der Verbrauch von Milchprodukten sollte 250 Gramm am Tag nicht übersteigen, zudem sollten nicht mehr als ein bis zwei Eier pro Woche verzehrt werden. Die dadurch entstehende Lücke sollte durch Gemüse, Obst und Nüsse aufgefüllt werden, so dieser exemplarische Vorschlag für eine klimagerechte Ernährungsumstellung [12].


Schilder gegen sogenanntes humanes Töten - Foto: © 2019 by Schattenblick

Artgerechtes Schlachten ein Widerspruch in sich ...
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Werbung für die mobile Schlachtbox - Fotos: © 2019 by Schattenblick Werbung für die mobile Schlachtbox - Fotos: © 2019 by Schattenblick

... oder eine Frage des kleineren Übels?
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Hochgradig problematisch ist auch der erhebliche Verbrauch von Trinkwasser in der Tierproduktion, aber auch bei einigen pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Mandeln, Avocados oder Kakaobohnen. Angesichts der Zunahme klimawandelbedingter Dürren steht das große Ausmaß an virtuellem Wasser, das in Lebensmitteln steckt, die zum Teil von einem Kontinent in den anderen transportiert werden, in direktem Zusammenhang mit der Not von Milliarden Menschen, die nicht über genügend sauberes Trinkwasser für sich und erst Recht nicht zur künstlichen Bewässerung ihrer Äcker verfügen. Erschwert wird die Bekämpfung des Welthungers durch die Verwendung von Lebensmitteln zur Produktion von Agrotreibstoffen, Biomasse und anderen nicht der Ernährung dienenden Zwecken, die weltweit rund ein Sechstel aller Nahrungsmittelpflanzen betreffen. Teller oder Tank - es gibt wohl kein bezeichnenderes Bild für den kapitalistischen Charakter eines Verwertungsinteresses, dem vollständig gleichgültig ist, ob der Brennwert der Pflanzen Mägen füllt oder Maschinen antreibt.

Schließlich gilt es, das große Maß an weggeworfenen und verdorbenen Nahrungsmitteln zu reduzieren. Auch dafür haben die VerfechterInnen einer Agrarwende gute Argumente. Direktere Beziehungen zwischen ProduzentInnen und VerbraucherInnen stärken bedarfsorientierte und gemeinschaftliche Verbrauchsformen, während die im Einzelhandel übliche Orientierung an Convenience Food für Kleinfamilien- oder Einzelperson-Haushalte mit langen Transportwegen, der energieintensiven Aufrechterhaltung durchgängiger Kühlketten, viel Verpackungsmaterial und Verlusten durch den nur bedingt kalkulierbaren Absatz einhergeht. All diese Effekte verstärken sich bei leichtverderblichen Produkten, also insbesondere Fleisch, Fisch, Eiern und Milch. Hinzu kommt die vor allem für die Massentierhaltung relevante Entstehung antibiotikaresistenter Keime, die in Gewässern im Umfeld großer Schlachtereien und Mastbetriebe nachgewiesen werden und ein gesundheitspolitisches Problem ersten Ranges darstellen.


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Wer es noch nicht weiß ...
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... dem wird mit Nachdruck ....
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Transparente zu Haustieren und Schlachtvieh - Foto: © 2019 by Schattenblick Transparente zu Haustieren und Schlachtvieh - Foto: © 2019 by Schattenblick

... Bescheid gegeben
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Streitfall Tierausbeutung

Wie es dem einzelnen Rind, Schwein oder Huhn in seiner strikt nach Kosten-Nutzen-Kalkulation befristeten Lebensspanne, die unter natürlichen Bedingungen ein Mehrfaches dessen betrüge, auch ergehen mag, es lernt nichts anderes kennen als das Joch ausschließlicher Fremdbestimmung. "Das Tier" ist keine Sache, wie das Neutrum schon sprachlich unterstellt, sondern verfügt über ein sensibles Sensorium, über Gefühle und Erinnerungsvermögen. Ist dem sogenannten Nutzvieh in seiner schon sprachlich vollzogenen Bestimmung, ausschließlich Objekt fremder Interessen zu sein, durch das Prädikat "Tierwohl" überhaupt gedient, wenn das Problem seines Verbrauchs dadurch relativiert und unsichtbar gemacht wird?

Der Gefühlswelt von Menschen, die unter dem Siegel der Leidensminderung einen höheren Preis entrichten, um mit größerem Genuß zu essen, zumindest scheint damit geholfen zu sein. Die am unzureichenden Charakter des Tierwohllabels geübte Kritik verbleibt im Rahmen der Rechnung, doch etwas mehr Kosten bei der Produktion von Fleisch, Milch und Eiern in Kauf zu nehmen, um einen im Gesamtergebnis größeren Nutzen zu schaffen, der moralische Erwägungen als Kriterium des Tierverbrauchs anerkennt. Gesellt sich dazu die Erkenntnis, daß ein unter weniger qualvollen Bedingungen gehaltenes und getötetes Tier auch aufgrund physiologischer Kriterien besser mundet [13], dann empfiehlt sich der Kauf von Tierprodukten, die auf Biohöfen hergestellt wurden, um so mehr. Die von TierbefreierInnen und TierrechtlerInnen häufig vertretene Position, die Subjektivität nichtmenschlicher Tiere anzuerkennen, anstatt sie zu bemitleiden und ihre Schmerzen lediglich zu mindern, macht denn auch einen Unterschied ums Ganze aus. Ist die Welt im Schlachthof und auf dem Teller scheinbar in Ordnung, bedarf es der grundlegenden Auseinandersetzung mit den zerstörerischen Folgen menschlicher Stoffwechselsprozesse und Produktionsweisen um so weniger, denn die steht bei Tierkonsum wie Welthunger im Vordergrund der Frage, wie es denn anders gehen könnte.


DemonstrantInnen im veganen Block - Fotos: © 2019 by Schattenblick DemonstrantInnen im veganen Block - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Go vegan ... vom Tierschutz zur Tierbefreiung
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Die Umsteuerung in Richtung weniger Tierprodukte und mehr pflanzliche Nahrung mag klima- und umweltpolitisch Konsens sein, doch ist die grundlegende Debatte um den ethischen Charakter der Frage der Tierausbeutung damit kaum berührt. Für die AktivistInnen der Tierbefreiungs- und Tierrechtsbewegung können weniger grausame Haltungsbedingungen und vermeintlich weniger schmerzhafte Schlachtungen keine Alternative sein, verbleibt das jeweilige "Nutztier" doch in einer Objektbeziehung, die es praktisch zu einem Produktionsfaktor oder Gegenstand degradiert. In der Debatte um das staatliche Tierwohllabel wird dies ganz deutlich - zum einen genügt es nicht einmal den Ansprüchen von TierschützerInnen, deren Eigeninteresse am Tierverbrauch mit sich bringt, die Vergrößerung von Käfigen, die Minderung schmerzhafter Prozeduren und eine etwas längere Lebenszeit des sogenannten Schlachtviehs zu fordern. Zum andern ist der Versuch, das Geschäft der Mastställe und Schlachtfabriken zu sichern, indem VerbraucherInnen suggeriert wird, mit einem etwas höheren Preis auch etwas für das subjektive Empfinden der erstandenen Mahlzeit getan zu haben, so durchsichtig, daß das Abfeiern der neuen Kennzeichnung durch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner [14] nur noch grotesk wirkt. Zudem bringt die Bepreisung des moralisch bestimmten Einkaufens einen für den grünen Kapitalismus spezifischen Klassenwiderspruch hervor - nur Besserverdienende können sich das gute Gewissen leisten, das voraussetzt, etwas mehr Geld für etwas weniger Schmerzen auf der Seite der Produktion auszugeben.


Plakate zur Tierbefreiung und zum Matriarchat - Fotos: © 2019 by Schattenblick Plakate zur Tierbefreiung und zum Matriarchat - Fotos: © 2019 by Schattenblick Plakate zur Tierbefreiung und zum Matriarchat - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Platz schaffen zwischen Himmel und Hölle ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Die VeganerInnen, die sich an der "Wir haben es satt!"-Demo mit einem eigenen Block beteiligten und deren geschätzte Zahl irgendwo zwischen 300 und 1000 lag, vertreten die kompromißlose Position, das Maximum dessen zu tun, was dem auf die tägliche Zufuhr von Nahrung angewiesenen Menschen möglich ist, um Tierleid und Tierausbeutung zu mindern. Da dies das Privileg einer Gesellschaft darstellt, die wohlhabend genug ist, um Nahrungsmittel aller Art zu erschwinglichen Preisen verfügbar zu machen, kämen nur die wenigsten VeganerInnen auf den Gedanken, gleiches von Menschen im globalen Süden zu verlangen, die fast nur von Getreide leben müssen und glücklich sein können, wenn ihr Überleben mit einem gelegentlichen Stück Fleisch oder einer Kanne Milch gesichert werden kann. Auf einer Demonstration, die von BäuerInnen dominiert wird, von denen die meisten die biologische Tierhaltung unterstützen, die vollständige Abkehr vom Tierverbrauch zu fordern ist dennoch nicht ohne Konfliktpotential.

So bestätigte die Aktivistin von Berlin vegan, der Gruppe, die den veganen Block initiiert hatte, gegenüber dem SB, daß es ihnen durchaus darum gehe, in ihrem Sinne Einfluß auf die KritikerInnen der konventionellen Landwirtschaft zu nehmen. Es sei gerade auf dieser Demo wichtig, daß VeganerInnen Präsenz zeigen, um auf diese Alternative im Umgang mit den aus Landwirtschaft und Ernährung resultierenden Problemen hinzuweisen. Auch wenn dieser Streitfall längst nicht ausgestanden sein dürfte, kann die Breite des Aktionsbündnisses auch in dieser Hinsicht als Erfolg gewertet werden, selbst wenn die AktivistInnen der Tierbefreiungs- und Tierrechtsbewegung im organisatorischen Kern der Bewegung kaum vertreten zu sein scheinen.


Greenpeace-Block, Ferkel-Installation Tierschutzbund - Fotos: © 2019 by Schattenblick Greenpeace-Block, Ferkel-Installation Tierschutzbund - Fotos: © 2019 by Schattenblick Greenpeace-Block, Ferkel-Installation Tierschutzbund - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Kämpft das Schwein für ein erfülltes Dasein als Wurst und Speck?
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Kapitalismuskritik bringt die Agrarwende voran

Zu der im Diskurs um eine Agrarwende erhobenen Forderung nach einer Bepreisung von Nahrungsmitteln, die bei Berücksichtung der externalisierten Kosten in der Regel höher sein müßte als bisher, wird die Rechnung ohne den Wirt gemacht, wenn diese Kosten auf die VerbraucherInnen umgelastet werden. Schon die Geschichte der europäischen Landwirtschaftspolitik zeigt, daß die angestrebte Verfügbarkeit billiger Lebensmittel immer auch eine Subventionierung des Industriekapitals darstellte, das einen höheren Teil der unbezahlten Arbeitskraft an Mehrwert in Anspruch nehmen konnte, wenn die Lebenshaltungskosten zur Reproduktion der Lohnabhängigen niedrig waren. Die Auftrennung der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft in eine Sphäre der Produktion und der Reproduktion bringt ein hierarchisches Verhältnis hervor, soll letztere doch die Verfügbarkeit menschlicher Arbeit garantieren. Es ist also der Produktion geschuldet und kein an und für sich wertfreier Zweck, mithilfe von Lohnarbeit das individuelle Überleben zu sichern. Das dadurch bestimmte Lohnniveau orientiert sich dementsprechend nicht an den Bedürfnissen der ArbeiterInnen - oder der ökologischen und sozialen Kriterien des Mensch-Natur-Stoffwechsels - sondern der Sicherung einer unternehmerischen Mehrwertrate, die Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit für Staaten und Gesellschaften sichert, die das kapitalistische Weltsystem in aggressiv ausgetragener Konkurrenz in immer größere Schwierigkeiten bringen.

Die Aussage, die VerbraucherInnen müßten eben tiefer in die Tasche greifen, um vollwertige Nahrungsmittel zu erstehen, ist zudem ein Eingeständnis dessen, daß es historisch zu Qualitätsverlusten auf breiter Front gekommen ist. Was heute als biologisch angebautes und hergestelltes Lebensmittel beworben wird, entspricht dem Normalfall einer Zeit, in der es noch keine Agrarchemie und industrielle Verarbeitungsweise gab. Wie im Fall der heiß diskutierten Grenzwerte, die stets eine Relativierung der Gesundheit der Menschen darstellen, kann die krankmachende Qualitätsminderung von Nahrungsmitteln nicht allein den jeweiligen Unternehmen angelastet werden, die sie herstellen. Sie agieren in einem politökonomischen Gesamtzusammenhang, in dem die Kosten der sozialen Reproduktion direkte Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit nationaler Unternehmen am Weltmarkt und auf Wachstumsraten haben.

Vor dem Hintergrund einer Klimapolitik, in der über die Einführung fiskalischer Instrumente wie einer CO2-Kopfsteuer debattiert wird, kann die Politisierung der Ernährung nicht ohne Kritik der Verwertungsbedingungen erfolgen, die die materiellen Voraussetzungen gesellschaftlicher Reproduktion bestimmen. Ernährungssouveränität ist auch in dieser Hinsicht ein Schlüssel zur Bewältigung der Abhängigkeit von einer Arbeitsgesellschaft, deren Preis- und Lohnniveaus im Extremfall über Leben und Tod entscheiden. Die in Berlin Präsenz zeigenden AktivistInnen für eine Agrarwende könnten noch mehr Einfluß erlangen, wenn sie die gesellschaftlichen Naturverhältnisse auch in ihrer politökonomischen Dimension hinterfragten. Die Bedeutung dieser sozialen Bewegung kann eigentlich nur wachsen - mit der Beschleunigung des Klimawandels wird die Frage der Ernährung auch in den hochproduktiven Gesellschaften des globalen Nordens zu einem zentralen gesellschaftlichen Kampffeld werden.


Transparent 'Just Feed Don't Eat' - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Alternativen zum finalen Verbrauch ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Plakat 'Pigs Not Pork, Cows Not Beef, Chickens Not Poultry, Lives Not Products!' - Foto: © 2019 by Schattenblick

... fangen schon bei der Sprache an ...
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Transparent 'Lasst die Tiere leben e.V. Lebenshöfe bei Berlin' - Foto: © 2019 by Schattenblick

... und hören mit Lebenshöfen nicht auf
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 25, "Das Kapital", Bd. III, Sechster Abschnitt, S. 781 - 789, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1983
http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_781.htm

[2] https://www.wir-haben-es-satt.de/informieren/aufruf/

[3] http://nyeleni.de/wp-content/uploads/2019/01/Nyeleni.de-Selbstverst%C3%A4ndnis.pdf

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0363.html

[5] https://germanwatch.org/de/15913

[6] https://hubs.ly/H0gcxY90

[7] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/pola1339.html

[8] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1156.html

[9] http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=78417

[10] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trin0034.html

[11] https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/broschuere-agraroekologie.pdf

[12] https://www.3sat.de/page/?source=/nano/gesellschaft/199025/index.html

[13] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1110.html

[14] https://veganinfo.blog/2019/02/07/schweinesystem/?fbclid=IwAR29r210Ei5OHNarw78NhW_w8Z-UBqWmjjo-Qt-F9UX4yPTkrZnkqgOYflc


11. Februar 2019


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