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BERICHT/122: Klimarevolution - frühe Sorgen ... (SB)



Sanftheit erfindet ein erweitertes Jetzt. Wir sprechen über Sanftheit, erkennen sie an, tragen sie weiter, sammeln sie, erhoffen sie. Es ist der Name eines Gefühls, dessen Namen wir vergessen haben, das aus einer Zeit kommt, als die Menschheit noch nicht von den Elementen getrennt war, von den Tieren, dem Licht und den Geistern.
Anne Dufourmantelle - The Power of Gentleness: Meditations on the Risk of Living [1]

Wolken regnen auf mich nieder auf meinem Weg zum Hachmannplatz, wo an diesem Freitag, den 15. März, im Rahmen eines weltweiten Streiktags gegen Umweltzerstörung und für Klimagerechtigkeit einmal mehr eine Schülerdemo unter dem Label Fridays for Future stattfindet. Hamburg zeigt sich unterdessen von seiner ungemütlichen Seite. Windböen fegen über die Straßen und treiben den Regen bis unter die vorspringenden Dächer der Boutiquen und Einkaufsläden. Da ich fremd in Hamburg bin, kann ich den Hachmannplatz nicht finden, obwohl mir versichert wurde, daß er ganz in der Nähe sein soll. In meiner Not frage ich zwei ältere Damen nach den Weg und erfahre von ihnen, daß sie selbst den Hachmannplatz suchen und extra aus Eutin gekommen sind, um den Schülerprotest zu unterstützen. Eine von ihnen hält plötzlich ein kleines Transparent in die Höhe, worauf geschrieben steht: Omas for Future.

Daß sich die 16jährige Schwedin Greta Thunberg regelmäßig freitags vor das Stockholmer Parlamentsgebäude setzt und durch ihre Präsenz die Ignoranz der politischen Entscheidungsträger offen herausfordert, die den Klimawandel eher verwalten, als die notwendigen Schritte zur Klimarettung zu unternehmen, hat sie zweifelsohne zur Ikone der jugendlichen Klimabewegung gemacht. Der Authentizität ihres Anliegens tut dies jedoch keinen Abbruch. Vielmehr hat ihre stumme Anklage, mit der alles anfing, dafür gesorgt, daß der Protest vom Klassenzimmer auf die Straße gebracht wurde.

Die Dame neben mir hat ihr Handy aus der Tasche herausgekramt und die Adresse eingegeben. Der Hachmannplatz liegt unmittelbar vor dem Hauptbahnhof, erfahre ich, und ist nur einige Straßenzüge entfernt. Ich verabschiede mich und mache mich auf den Weg. Der Eingang zur Wandelhalle von der Kirchenallee her ist von Jugendlichen überlaufen. Schon von weitem blicke ich in ein Meer von Fahnen und Transparenten, deren Tenor eine eindeutige Sprache spricht. Freunde der Atomkraft und Kohleindustrie wird man hier gewiß nicht finden. In die Bilder und Texte auf den Plakaten haben sich virulente Zukunftsängste eingebrannt, die sich über die Köpfe der jungen Aktivistinnen und Aktivisten wie ein Damoklesschwert erheben. Welchen Unterschied macht es, ob radioaktive Verseuchung durch Kernkraftkatastrophen wie in Fukushima bzw. noch Jahrmillionen strahlende Berge von Atommüll, für die keine sichere Endlagerung vorhanden ist, oder die blindwütige Verschmutzung der Luft durch den rasanten Ausstoß von CO2-Emissionen und Feinstaub, was die Lungen verätzt und das Klima weiter anheizt, die Lebenswelten irreparabel zerstört und den Planeten in eine unbewohnbare Hölle verwandelt.


Transparente 'Klimastreik - Wir streiken für unsere Zukunft' und 'Eure Klimapolitik tötet' - Foto: © 2019 by Schattenblick

"Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!"
Foto: © 2019 by Schattenblick


Wenn das Privileg der Jugend zur Bedrohung wird ...

Auf den Transparenten werden, so könnte man meinen, überspannte Assoziationen von Weltuntergangsszenarien beschworen, aber die Realität hat die Science Fiction von gestern längst überholt: Die Erde brennt auf allen Breitengraden und die Polarkappen schmelzen in einer Geschwindigkeit, daß man es fast schon mit dem Auge verfolgen könnte. Was die Jugendlichen zu ihrem Protest antreibt, ist von Klimaforschern längst bestätigt worden, hat aufgehört eine unbestimmbare Angst zu sein. Ihr Aufruf an die Politik, die Klimaziele endlich umzusetzen, wie auch ihr Aufrütteln einer Gesellschaft, die die Konsequenzen einer fortgesetzten Umweltzerstörung zu verschlafen scheint, ist Ausdruck einer nur allzu berechtigten Sorge.

Die Zeit läuft ihnen weg, und so transportieren keineswegs naive Metaphern wie die des Eisbären, der sich auf eine in der See treibende Eisscholle rettet, die kaum größer ist als er selbst, eine im Grunde simple Botschaft: Seine Zukunft endet mit dem Eis, die des Menschen mit dem Kollaps seiner Lebensgrundlagen. In einem Rückgriff auf die Erdgeschichte kommen auch die Dinosaurier zu Wort, die zwar von der Wucht eines Kometeneinschlags ausgelöscht wurden, aber als Menetekel, daß ihre Zeit abgelaufen war, als ihre Umwelt unterging, für das massenhafte Artensterben der Gegenwart stehen. Wird dem Klimatod und der Überhitzung der Atmosphäre nicht Einhalt geboten, wird auch der Mensch nur eine vorübergehende Erscheinung im Almanach der Evolution gewesen sein. Freilich finden sich auch klassische politische Botschaften auf den Transparenten wieder, die angesichts der ökologischen Dauerkrise einer sterbenden Welt die aktuellen Herausforderungen verschärft in den Blick rücken. So wird der Klassenkampf von unten als Klimakampf gegen die ressourcenverschlingende Profitgier multinationaler Konzerne propagiert und ein jahrhundertealter Kampf auf die Höhe der Herausforderungen gebracht, vor denen die von Kapitalismus und Klimawandel, um nur zwei krisenhafte Faktoren zu nennen, in die Zange genommenen Menschen heute stehen.

Ich mische mich unter die Jugendlichen, die in Gruppen zusammenstehen und in Diskussionen vertieft sind. Darunter Kinder, die nicht älter als zehn Jahre sind und symbolisch einen Schulranzen auf den Rücken tragen, obwohl in Hamburg gerade Schulferien sind. Der Vorwurf der Schulschwänzerei löst sich heute in Luft auf. Ich sehe hier jedoch auch viele Erwachsene, die sich dem Schülerprotest angeschlossen haben und Aufschriften tragen wie Parents for Future und Omas und Opas for Future. Der Aufstand der Jugend gegen das Verscherbeln ihrer Zukunft an Kapitalinteressen und einer dem Wirtschaftsstandort Deutschland explizit dienenden Staatsräson wird von Teilen der Bevölkerung durchaus mitgetragen. Diese haben offenbar erkannt, daß die Sonntagsreden der Politiker, die Skandale wie den Dieselbetrug gerne herunterreden, ansonsten aber die Generationen gegeneinander aufzuhetzen versuchen, indem die Sicherung von Arbeitsplätzen in der Energiewirtschaft eilfertig gegen die dringende sozialökologische Transformation der Gesellschaft aufgefahren wird, kaum mehr taugen als Lippenbekenntnisse in einer TV-Debatte. Passanten, die aus der Wandelhalle strömen, bleiben vor den Plakaten stehen und drücken ihren solidarischen Zuspruch durch nach oben zeigende Daumen aus. Eine Mutter mit Kind spricht die Demonstrierenden an und findet anerkennende Worte für ihren Protest. Wofür sie streiten, dient auch der Zukunft ihres eigenen Kindes. Später sehe ich sie nochmals mit dem Kindersitz voran den Protestzug begleiten.


Transparent 'Verkehrswende statt Weltende' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Zu Fuß statt mit dem Auto ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Menschenmenge auf dem Glockengießerwall vor der Kunsthalle - Foto: © 2019 by Schattenblick

... wird die Straße plötzlich lang und breit
Foto: © 2019 by Schattenblick


"Macht es wie wir: werdet erwachsen!"

Ich spreche eine junge Aktivistin an. Fiona ist zum zweiten Mal dabei. Aus ihrer Schulklasse sind nur wenige gekommen, aber aus ihrer Parallelklasse fast die Hälfte der Schüler. Sie erklärt mir, daß ihr Klassenlehrer sie zwar nicht aktiv unterstützt, der Schulleiter ihnen gegenüber jedoch geäußert habe, daß die Jugend generell viel politischer sein sollte. Sie selbst sei über die sozialen Netzwerke auf den Protest aufmerksam geworden und habe sich mit den Zielen der Schülerbewegung schnell anfreunden können. Daß einige Politiker auf die Schulpflicht pochen und Sanktionen androhen, findet sie bedauerlich, aber nicht weiter verwunderlich, weil sie in der Regel gerne Reden führen, aber ansonsten nichts verändern. Aus diesem Grund seien die Proteste in ihren Augen durchaus gerechtfertigt.

Schule ist für sie zwar wichtig, aber der Klimaschutz könne nicht warten. Einen Schultag ausfallen zu lassen, um dafür auf die Straße zu gehen, ist bei einem so wichtigen Thema aus ihrer Sicht auf ganzer Linie vertretbar. Wenn so viele Schüler immer wieder streiken und ihr Anliegen klar formulieren, müßten die Politiker irgendwann einsehen, daß der Klimastopp und die Einhaltung der 1,5-Gradzahl für die maximale Erderwärmung nicht länger hinausgezögert werden dürften. Darauf angesprochen, daß der FDP-Chef Christian Lindner die Schüler ermahnt, das Geschäft der Klimaregulation den Profis zu überlassen, erwidert sie, daß die Politiker bisher nichts getan hätten, um das Erreichen der Klimaziele zu gewährleisten, so daß die Schülerdemonstrationen als Anstoß dienen, damit sie endlich in die Gänge kommen. Daß Politiker und Institutionen ihren Protest für ihre eigenen Interessen vereinnahmen könnten, sieht sie dagegen gelassen, denn irgendwann, lächelt sie maliziös, werden wir wählen können, und dann hätten sich Politiker, die jetzt im Amt sind und über ihren Protest hinweggehen, selbst ins Bein geschossen. Die Jugendlichen würden dann eine Partei wählen, der sie ihr Klimaprogramm abkaufen.

Auch wäre sie bereit, über den reinen Protest auf der Straße hinaus ihre Lebensführung zu verändern. Daß man nicht lüftet, wenn die Heizung läuft, gehört für sie zum Minimalkonsens. Sie würde auch nicht mit einem Flugzeug fliegen, wenn es nicht unbedingt nötig wäre, und nur Waren im Supermarkt kaufen, die nicht von weither kommen, sondern regionale Produkte bevorzugen. Bei allem privaten Engagement, räumt sie zum Schluß ein, könnten Politiker mehr in der Sache bewegen als der Konsument, und daher werde der Streik der Schüler solange weitergehen, bis die Politik endlich ihren Kurs ändert.


Transparent 'March Now Or Swim Later' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Viel zu viel und viel zu wenig Wasser ...
Foto: © 2019 by Schattenblick


Lernen fürs Leben aus neokolonialistischen Gewaltverhältnissen

Ein Aufruf ertönt, sich am Ende des Hachmannplatzes für eine Kundgebung zu versammeln. Glücklicherweise hat sich der Regen inzwischen gelegt, auch wenn es weiterhin windig bleibt. Gelegentlich schaut sogar die Sonne durch die Wolken hindurch. Zunächst tritt eine kolumbianische Wissenschaftlerin auf, die sich erfreut zeigt über den massenhaften Straßenprotest und das Eintreten der Jugend gegen die Umweltzerstörung. In vielen Entwicklungsländern gäbe es weniger Bewußtsein für den Klimaschutz, selbst dann, wenn beispielsweise in ihrem Heimatland durch den Goldabbau Flüsse stark kontaminiert werden. Die weltweiten Ertragseinbußen des letzten Jahres in der Landwirtschaft, entweder durch anhaltende Dürren oder sintflutartige Regengüsse, hätten offengelegt, daß der Klimawandel in eine bedrohliche Phase eingetreten und nicht mehr hinwegzuleugnen sei.

Zum Schluß ihres kurzen Statements geht sie auf die agrarindustriellen Produktionsweisen ein, die eng verzahnt seien mit den Marktregularien und Handelsverträgen zwischen den Erzeugerstaaten und großen Lebensmittelkonzernen im Westen. Je niedriger der Handelspreis für Feldfrüchte, desto stärker müßten Bauern im Globalen Süden zur Ertragserweiterung auf Herbizide und Schädlingsbekämpfungsmittel zurückgreifen und die Böden mit Kunstdünger anreichern, was erhebliche Folgen für die Wasserqualität und den Erhalt der Ökosysteme hat. Aus ihrer Sicht ist der Konsument aufgrund seines Kaufverhaltens und seines Wunsches nach billigen Produkten daher ein Teil des Problems.


Plakate mit etrinkendem Eisbär und 'Hurra die Welt geht unter' - Fotos: © 2019 by Schattenblick Plakate mit etrinkendem Eisbär und 'Hurra die Welt geht unter' - Fotos: © 2019 by Schattenblick

... machen im Endeffekt keinen Unterschied
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Als nächstes spricht ein Aktivist der Schülerbewegung über den inzwischen bekannten Tweet Christian Lindner, laut dem man von Kindern und Jugendlichen nicht erwarten könne, "dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis." Zudem hatte der Bundesvorsitzende der FDP erklärt, daß man Schulschwänzen nicht heiligsprechen dürfe. Nun fliegt ihm sein eigener Satz um die Ohren, denn der Aktivist gibt zu bedenken, daß die sogenannten Schulschwänzer im Moment die einzigen sind, die etwas unternehmen. Die Schüler würden zudem nicht schwänzen, sondern den Klimaprotest lediglich anders gestalten. Es gehe ihnen darum, von der Politik gehört und nicht wohlwollend ignoriert zu werden. Ohnehin solle, so der Aktivist, der FDP-Chef das Regieren und Twittern lieber Profis überlassen. In seiner restlichen Redezeit widmet er sich der Verkehrs- und Mobilitätswende und fordert, daß man den Fußgänger-, Radfahr- und öffentlichen Personennahverkehr zu Gunsten des motorisierten Individualverkehrs vorantreiben müsse, weil die Stadt der Zukunft nur eine Stadt der kurzen Wege sein könne, womit er ein stadtplanerisches Konzept aufgreift, das seit den 1980er Jahren diskutiert wird und im Zuge der Klima- und Treibhausgasdebatte auch Einzug ins Umweltbundesamt gefunden hat.

Schließlich spricht noch ein Vertreter von Scientists for Future, einer Initiative von Wissenschaftlern, die die Schülerproteste unterstützen und in ihnen ein berechtigtes basisdemokratisches Mittel zur Willensäußerung sehen. Streikende Schüler dürften durch das Insistieren auf die Schulpflicht und drohende Sanktionen nicht politisch entmündigt werden. Dem Redner zufolge sei es legitim, Regeln zu brechen, wenn die Politik versagt und internationale Absprachen wie das Pariser Klimaabkommen nicht ausreichend umgesetzt werden. Neben einer Schulpflicht gebe es auch eine Pflicht zur Verantwortung, denn wenn die Erde untergeht, würde dies auch die Menschheit nicht überleben.

Nach einem brausenden Applaus und dem Skandieren der Schülerparole "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut" formiert sich der Protestzug hinter dem Fronttransparent mit der Aufschrift "Verkehrswende statt Weltende". Nach offiziellen Angaben sollen sich bis zu 7000 Aktivistinnen und Aktivisten am Protestmarsch beteiligen, die Organisatoren sprechen gar von 10.000 Teilnehmern. Der lange Troß setzt sich langsam in Bewegung. Über den Glockengießerwall geht es in Richtung Lombardsbrücke. An der Spitze des Zuges kann man sein Ende nicht ausmachen.


Transparent 'Ich möchte meinen Enkelkindern nicht erklären, was Schmetterlinge waren!' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Vorgriff auf eine nahe Zukunft
Foto: © 2019 by Schattenblick


"Es ist so weit, internationaler Bildungsstreik!"

Und die Chöre sind weithin hörbar und ermüden nicht auf der langen Wegstrecke. Man spürt förmlich, wie Pulsschläge der Begeisterung von der Menge ausgehen und die Passanten auf den Gehsteigen derart elektrisieren, daß sie stehenbleiben, sich erstaunt umblicken und manche gar, wie von einer Flut mitgerissen, dem Protestzug folgen, als hätten sie nichts anderes zu erledigen. Jungen und Mädchen schreien sich fast heiser und erwecken auch ohne Schallverstärker den Eindruck einer niedergehenden Lawine. An den Wänden hinauf bricht sich das Echo ihrer Stimmen und stürzt als Crescendo von oben auf die Protestierenden herab. Man muß es miterlebt haben, um zu wissen, was es heißt, in einem Kokon aus lärmendem Getöse gefangen zu sein. Stimmbänder aus Stahl, so scheint mir, müssen diese Jugendlichen haben, und mein Respekt vor ihnen steigt mit jedem Schritt, den ich gehe.

Auf dem Neuen Jungfernsteg, nahe am Hotel Vier Jahreszeiten, bleibt die Kolonne plötzlich stehen. Ich kann keine Ursache für den Stillstand erkennen und blicke verwundert in die Runde, bis ich mitbekomme, daß der nachrückende Troß noch nicht aufgeschlossen hat. Ich trete an die Uferpromenade und werfe einen Blick auf die Lombardsbrücke und noch ein ganzes Stück dahinter zurück. Dort oben am gegenüberliegenden Wall wälzt sich ein kilometerlanger Wurm aus Tausenden Körpern die Anhöhe herab und will nicht enden. Nach einer geraumen Weile ergeht die Weisung zum Weitergehen. Am Gänsemarkt vereinigt sich der Schülertroß mit den anderen Demonstrationszügen, die an diesem Tag unterwegs waren, zu einer großen Kundgebung und einer gemeinsamen Demonstration.


Bild mit zwei Dinos vor tropischer Landschaft 'Dad, when will we get to Canada? This is Canada!'- Foto: © 2019 by Schattenblick

Wohin flüchten auf der einen Welt?
Foto: © 2019 by Schattenblick

Der zentrale Platz an der Ecke Dammtorstraße und Valentinskamp ist gerammelt voll, nur das Lessing-Denkmal erhebt sich über die Menge der Anwesenden wie eine Insel der Unberührtheit, bis auch sie bestiegen und mit Transparenten bestückt wird. Der Aufklärer Lessing wäre, lebte er noch, beglückt über den Schüler- und Bürgerprotest. Auf der Dammtorstraße ruht der Haupttroß, verstärkt durch die Züge der Antifa Altona Ost, der BUNDjugend, von CampusGrün, Ende Gelände, Extinction Rebellion, Gegenstrom, Grüne Jugend, Hambi Soli und der Systemoppositionellen Atomkraft Nein Danke, und lauscht den Kundgebungen der einzelnen Initiativen. Die neu eingefügten Parolen auf Banner und Transparenten in dem integrierten Protestzug haben mehr Biß und eine schärfere Programmatik, weil sie offenbar im Kampf gegen die Monopolmacht der Konzerne über die Jahre gestählt wurden, aber das politische Ziel ist das gleiche: die Erde vor dem Ruin kapitalgestützter Verwertungsinteressen und Neokolonialismen zu schützen, für die ein Baum nur dann Wert hat, wenn er Platz für Palmölplantagen macht.

Es geht auf den Abend zu, und die Kälte kriecht unter meine Jacke, aber von alledem lassen sich die Jugendlichen nicht beeindrucken. Ich kann den Vorwurf, erhoben von Teilen der Medien und sich in ihrer Schwadronierlust gefallenden Politikern, die streikenden Schüler seien nur Faulenzer, nicht verstehen. Was ich heute gesehen habe an Engagement und Durchhaltevermögen, verdient nicht nur Anerkennung, sondern höchsten Respekt. Junge Menschen, die mit soviel Elan für eine Sache einstehen, die im Grunde keinen Aufschub duldet, und dennoch oft gegen Windmühlen streiten, gegen Besserwisserei und Häme, und sich gleichwohl nicht von ihrem Protest abbringen lassen, haben dieser Gesellschaft lange genug gefehlt. Es muß kein Feuer vom Himmel regnen, um ihre Entschlossenheit zu erkennen, ein Blick in ihre Gesichter genügt. Was sich hier gegen die Beharrlichkeit der politischen Eliten wendet, die sich gerne hinter Verträgen verstecken, Verschiebebahnhof spielen und mit Versprechungen jonglieren, als gäbe es keine Klimakatastrophe zu fürchten, ist eine Welt im Aufbruch, initiiert von jungen Menschen, die inmitten von Gesellschaften, die den letzten Warnruf eines sterbenden Planeten nicht hören wollen, schneller als sonst erwachsen werden mußten. Manche nennen es Schülerprotest.

(wird fortgesetzt)


Transparente zum Thema des Zeitdrucks - Fotos: © 2019 by Schattenblick Transparente zum Thema des Zeitdrucks - Fotos: © 2019 by Schattenblick

"Streik in der Schule, Streik in der Fabrik, das ist unsere Antwort, auf eure Politik!"
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Fußnote:


[1] Anne Dufourmantelle, The Power of Gentleness: Meditations on the Risk of Living, New York, 2018, S. 10.
entnommen aus: Drucilla Cornell - Rosa Luxemburgs sozialistischer Feminismus
http://www.rosalux-nyc.org/wp-content/files_mf/rosaasfeminist_drucillacornell_deufinal.pdf


Berichte und Interview zur Hamburger Demonstration Klimarevolution im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT

BERICHT/120: Klimarevolution - es geht um mehr ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0120.html

BERICHT/121: Klimarevolution - auch politisch und sozial ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0121.html


22. März 2019


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