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INTERVIEW/007: Michael Kellner über Auseinandersetzungen um die Nakba-Ausstellung in Köln (SB)


Palästina-Solidarität erregt die Gemüter

Interview in Köln am 28. Juni 2012

Michael Kellner engagiert sich seit langem für die Selbstbestimmung der Palästinenser und die Anerkennung ihrer Rechte durch Israel. Er war maßgeblich am Zustandekommen der Nakba-Ausstellung, die vom 11. bis 24. Juni 2012 im Allerweltshaus in Köln-Ehrenfeld zu sehen war, beteiligt und beantwortete dem Schattenblick einige Fragen zu den Kontroversen, zu denen es in ihrem Vorfeld gekommen war.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Michael Kellner
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Kellner, warum setzen Sie sich für die Rechte der Palästinenser ein?

Michael Kellner: Ein wichtiger Grund besteht darin, daß ich im Partnerschaftsverein Köln-Bethlehem bin, dem ersten Partnerschaftsverein mit einer palästinensischen Stadt überhaupt in Deutschland. Mein Engagement hat aber schon früher begonnen. 1999 bin ich mit einer Gruppe nach Palästina gefahren. Was ich da gesehen habe, hat mich sehr bewegt und seitdem nicht mehr losgelassen. Das ist der Hauptgrund.

SB: Die Nakba-Ausstellung dokumentiert die historische Vertreibung der Palästinenser und betrifft damit lediglich einen bestimmten Teil des Problems palästinensischer Unterdrückung.

MK: Ja, ein einseitiges Projekt, weil es die Situation der Palästinenser zur Zeit der Gründung des Staates Israel zeigt. Dieser Punkt wird immer wieder bemängelt, aber ich finde, jedes geschichtliche Thema verdient einen klaren Rahmen, und hier geht es eben um die Palästinenser.

SB: Seit wann gibt es die Nakba-Ausstellung?

MK: Seit 2008, und mittlerweile sind 83 Städte an der Nakba-Ausstellung beteiligt gewesen.

SB: Und das Konzept ist immer gleich geblieben?

MK: Ja. Die gleiche Ausstellung wird in verschiedenen Städten gezeigt. Im Augenblick findet sie in Braunschweig unter heftigen Protesten statt. Unsere Ausstellung hier in Köln ist nun in Haßloch zu sehen. Dort bei Neustadt an der Weinstraße geht es jedoch ganz ruhig zu.

SB: Wer tritt als Initiator auf?

MK: Es gibt einen Verein, der sich Flüchtlingskinder im Libanon e.V. nennt, und die maßgeblich Verantwortliche für Konzeption und Inhalt der Ausstellung ist Ingrid Rumpf. Sie hat uns auch hier in Köln tatkräftig unterstützt und kennt sich wirklich gut aus.

SB: Die Ausstellung geht also auf einen Initiator zurück, wird aber unter der Schirmherrschaft verschiedener Vereine oder Initiativen in den einzelnen Städten veranstaltet?

MK: Ja, gefördert wurde sie im wesentlichen vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ).

SB: Wie erklären Sie sich die heftigen Auseinandersetzungen, die immer wieder um die Nakba-Ausstellung entbrennen?

MK: Ganz allgemein hat es mit dem Schuldbewußtsein in Deutschland wegen der Shoah zu tun, und das zu Recht. Das war einfach schlimm, und viele Leute, die sich jetzt in Köln an der Nakba-Ausstellung beteiligten, haben damit angefangen, sich aus der geschichtlichen Situation der Judenvernichtung und des Versuchs der Ausrottung eines ganzen Volkes heraus um Israel zu kümmern. Das ist meines Erachtens der Hauptgrund.

In Köln gibt es vielleicht noch einen speziellen Grund wegen des NS-Dokumentationszentrums. Der EL-DE-Haus-Verein kümmert sich um das ehemalige Gestapo-Haus, das praktisch zu einem Museum geworden ist und in dessen Räumen auch das NS-Dokumentationszentrum der Stadt steht. Wenn man sich immer wieder mit Juden als Opfer beschäftigt, dann fällt es schwer sich vorzustellen, daß sie auch Täter sein können. In Israel sind sie aber auch Täter. Für manche scheint das unmöglich zu sein. Ich habe selber erfahren, wie schwer es Leuten zum Beispiel in der Diskussion im Friedensforum fällt, in diesem Punkt umzudenken. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Grund.

SB: Zur Kölner Ausstellung ist es schon im Vorfeld zu Kontroversen gekommen. Könnten Sie dazu etwas sagen?

MK: Noch einmal ganz allgemein: Der Mythos Israel, ein Volk ohne Land für ein Land ohne Volk, wird durch die Nakba angekratzt, und das wollen viele Personen nicht. Hier in Köln lief die Geschichte so: Wir sind im Oktober 2011 zu zweit zu einem Pfarrer gegangen, der in Köln bekannt ist, und haben ihm erklärt, daß wir die Nakba-Ausstellung machen wollen. Er war sofort zur Mithilfe bereit. Kaum hatte sich jedoch die Nachricht verbreitet, kam auch schon der erste Verriß, und zwar interessanterweise aus dem EL-DE-Haus-Verein. Dessen stellvertretender Vorsitzende hat eine ziemlich diffamierende Kritik an der Ausstellung und an uns geübt. Wir haben uns dagegen gewehrt, und daraufhin wurde der stellvertretende Vorsitzende von den Mitgliedern des EL-DE-Haus-Vereins zurückgerufen.

Er hat schließlich um ein klärendes Gespräch gebeten, das die Sprecherin des Kölner Friedensforums und ich mit ihm geführt haben. Es war ein gutes Gespräch, und er hat sich entschuldigt. Im Anschluß daran schickte er noch eine Entschuldigung per Mail für die grobe Art, in der er uns behandelt hatte, aber in der Sache ist er bei der Kritik an der Ausstellung geblieben. Offensichtlich hatten auch Mitglieder des Presbyteriums der Innenstadt die Kritik in die Finger bekommen. Es wurde dann abgestimmt, ob der Pfarrer der Lutherkirche diese Ausstellung machen kann. Die Mehrheit der Mitglieder entschied sich dagegen, also konnte der Pfarrer diese Ausstellung nicht machen. Die Leute waren zufrieden und dachten, damit wäre die Geschichte zu Ende, aber wir haben weitergemacht.

Suraya Hoffmann, eine in Israel gebürtige Palästinenserin, die aber schon lange in Deutschland lebt, ist zum Allerweltshaus gegangen. Bald darauf haben wir mit dem Allerweltshaus einen Vertrag abgeschlossen. Das war uns wichtig, weil in Düsseldorf zweimal keine Verträge gemacht worden sind und die Ausstellung beide Male wieder abgesetzt worden ist. Wir hatten sie jetzt unter Dach und Fach, aber der Widerstand ging damit nur in die zweite Phase über. Zwei Leute polemisierten sehr heftig gegen die Ausstellung. Der eine war wiederum der stellvertretende Vorsitzende vom EL-DE-Haus-Verein, der andere, eigentlich ein kluger Mensch bei der Verwaltung, sitzt direkt beim Oberbürgermeister und ist dort für internationale Beziehungen und Partnerschaften verantwortlich. Ich kenne ihn gut, wir haben im Bethlehem-Verein viel mit ihm zusammengearbeitet. Sein Credo ist Trilateralität. Köln hat nicht nur Bethlehem als Partnerstadt, sondern auch Tel Aviv. Und er möchte, wie es auch vom verstorbenen Gründer des Städtepartnerschaftsvereins Köln-Bethlehem, Norbert Burger, gewollt ist, daß die engen Beziehungen zwischen Köln, Tel Aviv und Bethlehem bestehenbleiben.

Wir wissen aber, daß die Palästinenser das nicht mehr wollen und sagen, es entspricht nicht mehr unserer Realität, nach Deutschland zu reisen und uns mit Israelis zu treffen. Das ist zwar schön und gut, aber kaum kommen wir zurück, ist die Situation wieder wie zuvor. Dieser Herr in der Verwaltung und der stellvertretende Vorsitzende des EL-DE-Hauses haben also weiterhin heftig gegen uns polemisiert. Es kam dann zu einem Gespräch mit dem Menschen bei der Verwaltung, dem Geschäftsführer der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und einem Mitglied der jüdischen Gemeinde. Wir sind nicht auf einen Nenner gekommen. Es blieb bei der Polemik, und obwohl sie eigentlich nichts gegen die Ausstellung als solche vorbringen konnten, denn die Fakten kann man einfach nicht bezweifeln, verlegten sie sich darauf zu monieren, was angeblich in der Ausstellung fehlt.

In der Folge kam es zur Gründung eines eigenen Arbeitskreises Israel-Palästina hier in Köln. Ich sage manchmal scherzhaft, Israel ohne Palästina, weil kein Palästinenser dabei ist und die Gründungserklärung dieses Arbeitskreises praktisch eine Erklärung gegen die Ausstellung war. Sie wurde verschiedenen Leuten vorgelegt, und interessanterweise waren es solche, die im Vorstand von bestimmten Vereinen sitzen, namentlich des Katholiken-Ausschusses, der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der Synagoge, des Katholischen Bildungswerks, der Karl-Rahner-Akademie, des El-De-Hauses und so weiter. Sie unterschreiben normalerweise dann auch mit ihrem Vorsitz.

Ich weiß aber ganz genau, daß der EL-DE-Haus-Verein selbst gesagt hat, wir unterschreiben nicht. Aber wenn der Vorsitzende mit "Peter Liebermann, Vorsitzender des EL-DE-Haus-Vereins" unterschreibt, entsteht natürlich der Eindruck, als würde der ganze Verein dahinterstehen. Das stimmt aber nicht. Ingrid Rumpf von der Ausstellung gab sehr schnell eine Gegendarstellung heraus. Was ich aber sehr schön fand, war, daß es auch von der anderen Seite eine Gegendarstellung gab, nämlich von dem früheren Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und früheren Ratsvorsitzenden der EKD, Manfred Kock. Der gehörte auch diesem Arbeitskreis an, hat aber nicht unterschrieben, sondern einen Brief an alle Mitglieder verschickt, in dem es am Schluß hieß, Leute, wenn ihr doch Versöhnung wollt, dann habt ihr hier eine Chance vertan, geht doch in die Ausstellung. Das war für uns eine Ermutigung. Kock gehört übrigens auch in dem Städtepartnerschaftsverein Köln-Bethlehem an, das heißt, er kennt die Situation in Palästina ganz gut.

Wir sind eigentlich überhaupt nicht abgeneigt, weitere Gespräche zu führen, und haben auch den Vorsitzenden des EL-DE-Hauses, der diese Erklärung unterschrieben hat, in der Finissage auf dem Podium gehabt, und zwar mit seinem früheren Stellvertreter. Die beiden sind befreundet. Der frühere Stellvertreter ist Historiker und steht zur Ausstellung. Das war eine sehr spannende Diskussion.

SB: Gibt es auch in der jüdischen Gemeinde Differenzen in der Parteinahme für oder gegen die Ausstellung?

MK: Nein, in der jüdischen Gemeinde eher nicht. Ich war sogar überrascht, daß die liberale Gemeinde eine ziemlich harte Erklärung gegen die Ausstellung abgegeben hat. Sie haben dabei einen Herrn zitiert, der auch eine heftige Kritik gegen uns verfaßt hat, die aber derart unter Niveau war, daß wir nicht auf sie eingegangen sind, worüber er sich auch beklagt hat. Er hat dann nochmal versucht, gegen uns vorzugehen, aber wir haben uns nicht darum gekümmert.

SB: Hat das Allerweltshaus, als sich Widerstand gegen die Ausstellung formierte, ebenfalls Probleme bekommen?

MK: Ja, und das war sozusagen der dritte Akt. Davor hatten wir auch ein bißchen Angst, aber ich bewundere die Leute wirklich. Das Allerweltshaus hat mit uns den Vertrag gemacht und stand auch zur Ausstellung. Sie bekamen zunächst Druck von dem Verwaltungsbeamten, der beim Oberbürgermeister für internationale Beziehungen zuständig ist. Er hat sie ziemlich attackiert und gefragt, wie sie das machen könnten, die Leitung des Allerweltshauses ist aber standhaft geblieben. Offensichtlich hat sich der Beamte dann an die Staatskanzlei in Düsseldorf gewandt. Die Landesregierung ist auch an der Finanzierung des Allerweltshauses beteiligt. Von dort kam der Vorwurf, wie könnt ihr so eine Ausstellung in euren Räumen machen, wir finanzieren euch doch mit. Die Leitung des Allerweltshauses hat dann natürlich Angst gekriegt. Die Vorsitzenden haben uns mitgeteilt, daß sie sich zurückziehen, weil sie in der Öffentlichkeit nicht auf diese Weise kritisiert werden möchten, aber letzten Endes sind sie bei der Ausstellung geblieben. Dann gab es eine Wandlung in der Staatskanzlei, die sich offensichtlich mit der Ausstellung beschäftigt und zugestimmt hat, uns zu unterstützen. Daraufhin gab das Allerweltshaus noch einmal eine Erklärung ab, in der sie feststellten, daß die Ausstellung mit den Statuten des Allerweltshauses durchaus übereinstimmt.

Offenbar hat es dann von noch höherer Stelle Druck auf diejenigen gegeben, die in der Staatskanzlei saßen und jetzt das Allerweltshaus unterstützten. Über eine kleine Episode waren wir allerdings ziemlich wütend. Wir haben nämlich, und das zeigt unsere ganze Haltung in dieser Ausstellung, zwei Professoren vom PRIME-Institut eingeladen. Der israelische Professor aus Tel Aviv und der palästinensische Professor aus Bethlehem machen gemeinsam ein Schulbuchprojekt, in dem die israelischen und palästinensischen Narrative nebeneinandergestellt werden. Das ist eine tolle Geschichte. Ursprünglich sollte es ein einheitliches Geschichtsbuch werden, doch nach sechs Jahren, in denen sie mit israelischen und palästinensischen Lehrern zusammengearbeitet haben, stellten sie fest, daß sie das nicht zusammenbekommen. Also haben sie sich entschieden, die jeweilige Geschichtsauffassung nebeneinanderzustellen, damit jede Seite das Narrativ der anderen kennenlernt.

Wir haben bei der Staatskanzlei speziell für die Veranstaltung mit den beiden Professoren Gelder beantragt. Daraufhin hat die Staatskanzlei hier in Köln bei dem zuständigen Verwaltungsbeamten angerufen. Er hat darauf hingewiesen, daß es sich um eine Veranstaltung im Rahmen der Nakba-Ausstellung, die sie nicht unterstützen, handelt. Dann hat er ihnen jedoch vorgeschlagen, die Professoren selber nach Köln zu holen und die Gelder der Verwaltungsbehörde zur Verfügung zu stellen. Es war ursprünglich so vorgesehen, die Professoren im Herbst einzuladen, aber die Professoren hatten uns vorher mitgeteilt, daß sie gerne zur Ausstellung kommen wollten. Daraufhin hat dann wohl der zuständige Verwaltungsbeamte mit ihnen einen Termin zum Zeitpunkt der Ausstellung ausgemacht, der für uns ganz günstig war, denn der Termin mit den Professoren für die Veranstaltung der Stadt fiel auf den 21. Juni, wir aber hatten am 22. Juni die Veranstaltung mit den beiden Professoren geplant.

Freilich hatten wir inzwischen schon mit Liat Rosenberg von Zochrot einen Ersatz geholt. Zochrot heißt Erinnern. Das ist eine Initiative, die in Israel um Verständnis für die Nakba der Palästinenser wirbt. So stellen sie zum Beispiel Namensschilder ehemaliger palästinensischer Dörfer auf. Wir hatten dann am 22. Juni die Veranstaltung mit den beiden Professoren und Zochrot zusammengelegt. Es war eine gelungene Veranstaltung. Wir waren natürlich jetzt froh, daß die Stadt die Gelder erhalten hat und somit für die Reisekosten der beiden Professoren aufgekommen ist. Das war gut, aber mir mißfiel, daß sich der Verwaltungsbeamte nachher brüstete, das wäre schon immer geplant gewesen und er habe uns damit einen großen Dienst erwiesen. Denn dieser Gegensatz, einerseits die Professoren herzuholen und andererseits die Ausstellung zu bekämpfen, zu der die Professoren wollten, geht nicht zusammen. Letzten Endes war die Ausstellung ein großer Erfolg und alle Begleitveranstaltungen waren brechend voll. Wir haben viel positive Resonanz bekommen. Am vergangenen Dienstag war sogar der palästinensische Botschafter aus Berlin da und hat sich ins Buch eingetragen. Allerdings war er leicht irritiert über den Widerstand gegen die Ausstellung hier in Köln von bestimmten Seiten.

Michael Kellner und SB-Redakteur - Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Gespräch mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Sie haben die Ausstellung mitgestaltet, die Reaktion des Publikums erlebt und mußten die Erfahrung machen, wie aus der Darstellung eines historischen Ereignisses ein derartiges Politikum wurde. Welches Resümee würden sie aus alledem ziehen?

MK: Die meisten Leute kannten das Wort Nakba überhaupt nicht und waren daher interessiert und auch berührt von dem, was sie da gelesen hatten. Ich habe eigentlich nur einmal eine Stimme vernommen, in der durchaus antisemitische Tendenzen mitklangen, sonst überhaupt nicht, eher Verständnis für das Leid der Palästinenser. Ich fand es interessant, daß viele Leute das eine durchaus vom anderen zu trennen wissen. Das eine ist der Holocaust, den wir verbrochen haben und der nicht vergessen werden soll. Als Erinnerung und Mahnung bleibt er eine wichtige Aufgabe. Das andere ist das Leid der Palästinenser, und das haben wir ebenfalls mitverursacht. Letztlich bluten die Palästinenser für das, was wir hier angerichtet haben. Das konnten die Leute gut auseinanderhalten und waren daher überrascht, wieviel Informationen die Ausstellung zu geben hatte und auch wie sachlich sie war. Manche wunderten sich, daß in der Ausstellung überhaupt nicht geurteilt wird. Es waren auch jüngere Besucher da, aber in der Mehrzahl haben ältere Leute die Veranstaltungen besucht.

SB: Sie sind Mitglied in der Partei Die Linke und gehörten in der letzten Wahlperiode dem Rat der Stadt Köln an. Wie stellt es sich für Sie dar, daß die Palästina-Solidarität und die bloße Thematisierung des Nahostkonflikts auch in der Linkspartei quer durch die Reihen kontrovers behandelt wird?

MK: Sehr kontrovers sogar. Hier in Köln kam ich mit dem Thema überhaupt nicht an. Ich hatte vor, im Zusammenhang mit dem Vorstand der Linken Norman Paech einzuladen, der damals noch in Berlin im Bundestag war, aber es wurde mir nicht erlaubt. Es hieß, nein, wir müssen erst drei interne Veranstaltungen zu dem Thema Palästina-Israel machen, und die erste davon ist der Antisemitismus der Linken. Da wußte ich Bescheid. Es gibt durchaus interessierte Leute in der Partei wie Annette Groth, die ja auch mit dem Schiff nach Gaza gefahren ist, und den Vorsitzenden im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Ramallah, der jetzt allerdings nach Ägypten geht. Er hat das Ruder in der Stiftung ein bißchen herumgerissen. Vorher war es ganz furchtbar. Man kann eigentlich sagen, daß die Mehrheit der Linken mit dem Thema nichts zu tun haben will. Hier in Köln bin ich aber vom Fraktionsvorsitzenden unterstützt worden, der mich von der letzten Ratsperiode her gut kennt und mich auch gebeten hat, einen Aufsatz für eine Zeitung und dann noch für die Ratszeitung zu schreiben, die im Rat verteilt wird. Aber es stimmt schon, das Thema ist in der Linken total kontrovers und schwer einzubringen.

SB: Es gab auch Kontroversen um den Aachener Friedenspreis. Hat sich das bis nach Köln ausgewirkt und Sie vielleicht persönlich betroffen?

MK: Ja, es gab hier eine Kontroverse um Walter Hermann wegen der Kölner Klagemauer. Ich bin aus verschiedenen Gründen kein Freund von ihm und nicht unbedingt nur wegen dieser Mauer, sondern auch weil er die Musiker, die in seine Nähe kommen, immer abkanzelt. Das finde ich ganz unschön. Er hat aber auch Karikaturen veröffentlicht, die ich nicht gut finde. Als wir mit dem Bethlehem-Verein vor anderthalb Jahren nach Bethlehem gegangen sind, gab es vorher einen heftigen Brief gegen Walter Hermann. Ich gehöre auch dem Kölner Friedensforum an, und wir haben uns dagegen gewehrt, daß Walter Hermann pauschal als Antisemit bezeichnet wird. Aber die Karikatur, auf der ein Israeli ein palästinensisches Kind ißt, haben wir verurteilt. Doch das war schon längst Schnee von gestern, weil er sie zurückgezogen hatte, und deswegen fanden wir es nicht gut, weiter gegen ihn vorzugehen. Die Stadt war jedoch darauf erpicht, ganz schnell eine Resolution gegen ihn herauszugeben und sie dann nach Tel Aviv mitzunehmen. Denn der Oberbürgermeister ist nicht nur mit uns nach Bethlehem gekommen, sondern er ist nach Tel Aviv weitergereist und konnte dort die Erklärung aus der Tasche ziehen. Dagegen haben wir uns mit dem Friedensforum, das ja auch die Ausstellung unterstützt hat, gewehrt.

Im Friedensforum haben wir auch mit der Arbeiterfotografie die Gespräche abgebrochen, weil wir nicht der Meinung sind, daß es günstig ist, sich mit Ahmedinejad fotografieren zu lassen. Sie kamen am Anfang immer wieder zu uns und legten uns irgendwelche Resolutionen vor, die wir unterschreiben sollten. Wir haben gesagt, daß wir so nicht arbeiten. Wir besprechen Sachen, und wenn wir eine Resolution machen wollen, dann wird sie von einem entworfen und hin und her diskutiert, bis alle damit einverstanden sind. Aber einfach zu sagen, ihr müßt die Boykott-Kampagne mitmachen oder ihr müßt jetzt alle für einen Staat und nicht mehr für zwei Staaten sein - so kann man nicht arbeiten. Über die Einstaaten- oder Zweistaatenlösung müssen die Palästinenser ohnehin selbst entscheiden.

Im Vorfeld gab es durchaus Schwierigkeiten, aber wir haben uns schließlich einvernehmlich darauf geeinigt - was gar nicht so einfach war, aber letztlich ganz toll lief -, daß wir weder die Arbeiterfotografie noch Walter Herrmann um Unterstützung für die Ausstellung bitten. Ich bin davon überzeugt, wenn wir sie offiziell gefragt und sie dann auf dem Flyer gestanden hätten, wäre das für viele ein Argument gewesen, uns gleich in Grund und Boden zu stampfen. Also haben wir es nicht gemacht. Die Arbeiterfotografie hat trotzdem fotografiert und auch einen guten Artikel geschrieben.

Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, um auf etwas anderes hinzuweisen. Jedes Jahr im Herbst wird in Köln im Rahmen der Aktion "Ein Buch für die Stadt" ein bestimmtes Werk ausgewählt. Für 2012 wurde das Buch "Thymian und Steine" von Sumaya Farhat-Naser ausgesucht. Ich kenne sie persönlich. Wir haben sie ein paarmal besucht. Sie ist eine bemerkenswerte Person, die mit israelischen und palästinensischen Frauen gearbeitet und beide Gruppen nach einem Jahr zusammengeführt hat. Das geht jetzt nicht mehr, aber sie ist weiterhin mit dem Thema Frieden und Mediation an vielen Schulen unterwegs. Das Buch ist 1997 erschienen und überaus lesenswert.

SB: Sobald eine Nakba-Ausstellung gezeigt wird, steht die Forderung im Raum, daß die Positionen der Kritiker publik gemacht werden. Haben Sie sich darauf eingelassen?

MK: Ja, wir haben uns darauf eingelassen. Am Eingang vor dem Allerweltshaus stand ein Tisch, auf dem lagen die beiden Erklärungen vom Allerweltshaus, die von vielen Kritikern unterzeichnete Erklärung des Arbeitskreises Israel-Palästina, der Brief von Manfred Kock an die Mitglieder des Arbeitskreises, ein Brief von der liberalen Gemeinde und eine ausführliche Stellungnahme zu den einzelnen Kritikpunkten von der Ausstellungsmacherin Ingrid Rumpf. All das war für die Besucher verfügbar.

SB: Wenn Ausstellungen zum Thema Israel stattfinden, wird dann auf gleiche Weise versucht, Gegenpositionen der Palästinenser zu präsentieren?

MK: Es findet ja jedes Jahr hier in Köln am Rudolfplatz eine große Feier zur Gründung des Staates Israels statt. Die ist genauso einseitig wie diese Ausstellung. Das können sie ruhig machen, aber da ist von Nakba natürlich keine Rede. Es wäre jetzt krampfhaft, wenn wir hingehen und protestieren "Hier ist keine Rede von Nakba" - das machen wir nicht. Die gleiche Geschichte haben wir jetzt hier erlebt, und das fand ich unfair und auch nicht gut. Man muß sich auf das Narrativ eines Menschen einlassen, egal, ob es einem paßt oder nicht. Der Arbeitskreis hat schon angekündigt, eine alternative Ausstellung im Allerweltshaus zu organisieren. Je nachdem, wie sie ausgerichtet ist und falls Sachen ganz falsch dargestellt werden, könnte ich mir vorstellen, daß wir eine Erklärung dazu abgeben. Aber unser Anliegen ist jetzt, mit den Leuten, die diese Erklärung unterschrieben haben, ins Gespräch zu kommen.

Ich habe zum Beispiel schon mit Herrn Wacker gesprochen, der für die Karl-Rahner-Akademie unterschrieben hat, und mit Renate Canisius, die für die Kölnische Gesellschaft für Christlich Jüdische Zusammenarbeit hier in Köln unterschrieben hat, geredet. Es geht uns ja nicht darum, die Leute zu verteufeln, vielmehr sind wir überzeugt, daß sie es nicht besser wissen. Vor allen Dingen wollen wir ihnen klarmachen, daß die Nakba-Ausstellung nicht nur Vergangenheit ist. Nakba findet immer noch statt. Wer heute nach Palästina kommt, der erlebt, wenn er durch die Checkpoints geht, wie die Palästinenser behandelt werden.

Der Siedlungsbau ist ein anderes Thema. Ich war jetzt mit dem Bethlehem-Verein zum vierten Mal in der Schule Talitakumi in Beit Jala. Das ist eine evangelische Schule, die interessanterweise genau im Grenzbereich liegt. Die Grenzmauer geht jetzt an dem Gebäude vorbei. Lange Zeit haben sie hinter dem Schulhof eine Lücke gehabt, damit die Schüler nicht durch den Checkpoint mußten, sondern heimlich durch das Loch hindurchgehen konnten. Die Mehrheit der Schüler sind palästinensische Kinder. Es gibt bei den Palästinensern auch viele Christen, aber die Schüler sind nicht alle christlich. Von dieser Schule aus hat man einen sehr schönen Blick über die Siedlerstraße auf die Hügel. Da hat mir der alte Lehrer noch einmal die ganzen Hügel gezeigt. Ich weiß noch, als ich 1999 da war, waren noch mehrere Hügel grün bewachsen. Jetzt waren alle Hügel Steinwüsten voller Siedlungen. Dem Alten kamen richtig die Tränen. Es ist wirklich furchtbar, wenn man sieht, wie die Palästinenser immer mehr abgedrängt werden. Und die Siedler sind mittlerweile auch militärisch ausgerüstet. Das Militär steht hinter ihnen. Heute ist es längst nicht mehr so, daß alle Orthodoxen das Militär meiden, sondern nur eine bestimmte kleine Gruppe. Viele der Siedler gehen heute zum Militär und bekleiden schon über 50 Prozent der höheren Ränge. Von daher gibt es eine perfekte Zusammenarbeit zwischen Siedlungen und Militär. Und wenn man sieht, was heute passiert, und Jerusalem ist das beste Beispiel dafür, dann kann man nur sagen, die Palästinenser werden mit Nachdruck mehr und mehr aus Israel vertrieben.

SB: Wie beurteilen Sie die allgemeine Debattenkultur in der Bundesrepublik? Wie ist Ihre subjektive Einschätzung dazu, wie das Thema in der Öffentlichkeit behandelt wird?

MK: Meiner Meinung nach gibt es eine Veränderung und durchaus auch ein Gefälle. Von den normalen Leuten, die sich Filme und Nachrichten anschauen, wissen eigentlich sehr viele Bescheid und stellen sich eher auf die Seite derjenigen in Israel-Palästina, deren Menschenrechte verletzt werden und deren Völkerrecht mißachtet wird. Ganz deutlich wurde das beim Film "Gelobtes Land", der vor kurzem auf Arte lief. Die Leserbriefe dazu waren eigentlich alle positiv sensibilisiert in Hinblick auf das Leid der Palästinenser. Aber ab einer bestimmten politischen Ebene ist es immer noch so, daß man sich eher auf die Seite der Israelis stellt. Typisch ist diese Geschichte mit Steinmeier. Er war in Hebron und sagte etwas, das keinem gefallen hat. Er hat es nachher wieder zurückgenommen. Ich habe das Gefühl, daß man es sich ab einer bestimmten Ebene nicht mit Israel verderben möchte.

Das ist das eine, aber es gibt auch eine andere Entwicklung. Köln war die erste Stadt, die mit einer palästinensischen Stadt eine Partnerschaft geschlossen hat. Mittlerweile gibt es auch eine zwischen Bergisch-Gladbach und Beit Jala, Xanten ist eine Partnerschaft mit Beit Sahour eingegangen. Langsam kommen immer mehr Städte dazu. Das heißt, auch da findet eine Wandlung statt. Palästina ist stärker in den Fokus der Leute gerückt. In Bergisch-Gladbach habe ich beobachtet, wie das lief. Dort hatten sie einen recht fortschrittlichen SPD-Politiker, der sich aber auf das Thema nicht einlassen wollte. Aber der Druck von unten wurde immer größer. Also haben sie einfach weitergemacht und sind Beziehungen zu Israel und Palästina eingegangen. Als dann ein CDU-Politiker zuständig war, kam eine tolle Zusammenarbeit zustande. Jetzt will die Stadt auch noch mit einer israelischen Stadt eine Partnerschaft schließen. Es geht also voran. Ich habe das Gefühl, daß vom WDR und auch von ARTE zunehmend kritische Sendungen ausgestrahlt werden. Das finde ich gut. Gerade weil die Nakba anhält, muß man diesen Staat kritisieren. Israel macht im völkerrechtlichen Sinne einfach, was es will.

SB: Herr Kellner, vielen Dank für das Gespräch.

Fußnoten:
Bericht über die Kölner Nakba-Ausstellung im Schattenblick siehe http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0007.html

Die kontroversen Stellungnahmen zur Ausstellung sind verfügbar unter http://www.friedensbildungswerk.de/html/berichte.html#nakbaBerichte

Café Stanton - Namenspate St. Anton - Foto: © 2012 by Schattenblick

Café Stanton bei der Antoniterkirche in der Kölner Schildergasse Foto: © 2012 by Schattenblick

29. Juli 2012