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INTERVIEW/009: Planspiel Stadtbereinigung - Den Anfängen wehren (SB)


Interview mit Jörg von der Kampagne "IBA? Nigs DA!" in Hamburg-Wilhelmsburg



Jörg ist aktiv in der Kampagne "IBA? Nigs DA! - Für eine soziale und selbstbestimmte Stadt" [1], die gegen die Austragung der Internationalen Bauaustellung (IBA) und der Internationalen Gartenschau (igs) 2013 in Hamburg-Wilhelmsburg protestiert. Anläßlich des Auftakts der Kampagne am 10. Februar 2013, die mit einem informativen Rundgang durch den Stadtteil eröffnet wurde, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Logo der Kampagne 'IBA? Nigs DA!' - Grafik: 'IBA? Nigs DA!' via http://ibanigsda.org/material/downloads/

Logo der Kampagne "IBA? Nigs DA! - Für eine soziale und selbstbestimmte Stadt"
Grafik: "IBA? Nigs DA!" via http://ibanigsda.org/material/downloads/

Schattenblick: Jörg, könntest du etwas über die Vernetzung der Kampagne und deine persönliche Beteiligung berichten?

Jörg: Ich engagiere mich in einer Einzelinitiative, die an dem Kampagnennetzwerk beteiligt ist. Es setzt sich aus verschiedenen Gruppierungen und Einzelpersonen dieses Stadtteils zusammen. Sie alle sind von den Machenschaften, die hier passieren, betroffen.

SB: Steht ihr auch mit Leuten über Wilhelmsburg hinaus in Kontakt, gibt es eine Zusammenarbeit mit Berliner Initiativen oder aus der Hamburger Innenstadt?

Jörg: Ja, es gibt natürlich das Recht-auf-Stadt-Netzwerk, in dem mein Verein ebenfalls Mitglied ist, wir stehen in Verbindung. In zwei Tagen gibt es ein Treffen in Hamburg, bei dem die Aktivitäten von IBA und igs im südlichen Elbbereich thematisiert werden. Da sind wir schon ganz gut vernetzt. Und wir bekommen Solidaritätsbekundungen aus Berlin.

SB: Wie schätzt du das Ausmaß der bereits vollzogenen baulichen und anderen Veränderungen des Stadtteils ein? Ist die Umgestaltung bereits so weit fortgeschritten, daß die Chance, im Sinne der betroffenen Bürger Änderungen herbeiführen zu können, noch gegeben ist?

Jörg: Das weiß letztlich niemand. Die Vermarktung muß aus Sicht des Unternehmens Hamburg weitergehen, da ist noch längst nicht das Ende neoliberaler Umtriebe erreicht. Wenn die Verkäufe nicht weiter durch einen hohen Werbeetat künstlich angefeuert werden würden, käme es ziemlich schnell zum Zerplatzen der Blase. Die Stadtoberen wissen, daß man sich solche Verluste nicht leisten kann. Und so werden enorme Anstrengungen getätigt, um die Blase auf keinen Fall zum Platzen zu bringen. Neue Werbestrategien müssen gefunden werden, mit denen man weitere Investoren heranholt.

SB: Wie stark ist hier der Widerstand gegen die Gentrifizierung? Hat er überhaupt eine Stimme, oder walzen die PR-Maschinerien dieser finanziell bestens ausgestatteten Institutionen alles nieder? Stoßt ihr in der Bevölkerung auf Resonanz?

Jörg: Immer mehr Bewohner dieses Stadtteils nehmen unseren Widerstand wahr. Das wurde bei unserem heutigen Rundgang deutlich, an dem auch sichtbar unautonome Leute interessiert teilgenommen haben, also nicht nur Leute aus der Szene, sondern auch der eine oder andere aus Bürgerinitiativen, die lange Zeit mitgespielt haben und bei den Beteiligungsformaten brav mit dabei waren, weil sie meinten, etwas zum Nutzen des Stadtteils tun zu können. Denn sie glaubten den Versprechungen von IBA und igs, daß die vielen baulichen Veränderungen ganz im Sinne des Stadtteils wie auch der Bewohner erfolgen würden.

Viele glaubten, die Neugestaltung eines Stadtteils habe automatisch überwiegend positive Veränderungen zur Folge. Nun sind Leute, die manches fehlinterpretiert haben, aufgewacht und sehen, daß die Investitionen größtenteils überhaupt nichts mit Wohnqualität zu tun haben. So mancher Bürger Wilhelmsburgs hatte sich engagiert und gute Vorschläge eingebracht. Doch die sind nicht umgesetzt worden, dafür wurden irgendwelche anderen Dinge, die hier niemand braucht, verwirklicht. Ich glaube, bei diesen Gruppen, die bisher bei IBA und igs mitgespielt haben, steht jetzt eine Neuorientierung bevor.

SB: Die Bevölkerung hat sich sicherlich eine bessere Infrastruktur versprochen, vielleicht ein paar tolle Einkaufspassagen und schönere Landschaften. Was trägt jetzt dazu bei, daß die Wilhelmsburger vielleicht doch einen anderen Eindruck bekommen?

Jörg: Ich wüßte gar nicht, wo ich da anfangen soll. Da ist natürlich die Gartenschau ein ganz großes Thema. Wie wir auf dem Rundgang gesehen haben, stehen da jetzt Gebäude, das ist natürlich etwas anderes als Gartenschau und Park. Und vor allem ist das Gelände inzwischen abgezäunt. Hierdurch ist uns hier im Stadtteil Bewegungsraum genommen worden. Man kann da nicht mehr hin. Dieses Gelände wird keineswegs bürgerfreundlich umgestaltet. Dann stellt sich auch die Frage der Nachnutzung, die ist noch vollkommen offen. Es gibt weiterhin keine öffentlichen Gelder für den angeblich bald wieder öffentlich zugänglichen Park, wenn die Gartenschau vorbei ist. Natürlich wird sich das Unternehmen Hamburg Möglichkeiten ausdenken müssen, wie man so einen angeblich öffentlichen Raum bewirtschaftet. Wenn man dafür kein Geld aufwenden möchte, ist das naheliegendste, daß die Privatisierung der Flächen vorangetrieben wird und der Zaun in jedem Fall bleibt, um auch nach der Gartenschau weiterhin Eintritt verlangen zu können. Oder man findet Investoren, die erhebliche Summen zu zahlen bereit sind, wenn sie mit dem Gelände nach ihrem Gutdünken verfahren können.

SB: Wird die generelle Mietsteigerung, die in ganz Hamburg stattfindet, hier mit IBA und igs in Verbindung gebracht? Oder ist man der Ansicht, daß die Mieten ohnehin steigen, also die gezielte Aufwertung Wilhelmsburgs nicht dafür verantwortlich ist?

Jörg: Der finanzielle Druck ist allgegenwärtig, es handelt sich tatsächlich um ein gesamthamburgisches Phänomen, um ein Metropolen-Phänomen. Generell wächst natürlich bei den Bewohnern des Stadtteils hier der Druck vor allem bei denjenigen, die in einem anderen Stadtteil die Miete auch nicht mehr aufbringen können.

Die Gentrifizierung wird zudem medial angefeuert. Eine nicht unerhebliche Wirkung geht vom Springerschen Hamburger Abendblatt aus. Seit mehreren Jahren kann man jeden zweiten Tag lesen: Wilhelmsburg, alle Achtung, schau mal an, was da geht, hätten wir gar nicht gedacht. Und die Leser können gerne mal vorbeischauen. Seid auch mit dabei, nehmt Teil an der Neuerung. Und das glauben die Leute. Es gibt unheimlich viele Follower des Abendblatts, die machen, wie ihnen geheißen wird, und wollen jetzt hier wohnen, weil es ja hip ist. Weil sie das täglich in der Zeitung lesen, wie hip es hier ist, müssen sie hin. Eine solche Werbung erzeugt natürlich zusätzlichen Druck. Dazu kommt noch, daß das sogenannte Weltquartier vollkommen entmietet ist, wodurch ganz massiv Wohnraum verloren ging. Die Umstrukturierung des Bestandes erzeugt weiteren Druck, das tritt allzu deutlich zutage. Innerhalb von wenigen Jahren stiegen die Netto-Kaltmieten von durchschnittlich 3,50 Euro auf über zehn Euro. Und die IBA behauptet weiterhin, das sei Aufwertung ohne Verdrängung. Man muß dann nur die Augen fest genug zumachen, um das weiterhin glauben zu können.

SB: In welchem Verhältnis steht der sogenannte "Sprung über die Elbe" zu dieser Entwicklung? Besteht ein übergeordnetes politisches Interesse daran, Wilhelmsburg, Veddel oder auch Harburg durch den Ausbau entsprechender Infrastruktur näher an die Innenstadt anzubinden?

Jörg: Aus Sicht der Stadt geht es natürlich um den Verkauf sämtlicher städtischer Gebiete. Sogenannte No-go-Areas in der Stadt wirken störend, denn sie sind natürlich unverkäuflich. Das Unternehmen Hamburg ist motiviert, die hiesigen unverkäuflichen, weil wertlosen Gebiete aufzuwerten, um sie dann zu entsprechend höheren Preisen verkaufen zu können. Diese Herangehensweise entspricht den Wunschvorstellungen der hiesigen Bevölkerung, die ja auch das schlechte Image, das Wilhelmsburg früher hatte, nicht guthieß.

In diesem Zusammenhang ist auch der typische Hamburger Stadtplan erwähnenswert. Auf diesem hört die Stadt an der Norderelbe auf. Und Wilhelmsburg liegt unter dem Kartenschnitt und ist typischerweise irgendwo auf Beiblatt 36/IIIb in einem anderen Maßstab abgebildet, so daß der Stadtteil aus Sicht nördlich der Elbe tatsächlich eine nicht wahrgenommene Zone ist, zu der mensch einfach keinen Bezug hat, weil das Kartenbild im Kopf nicht vorhanden ist. Hier wurde durchaus die Forderung erhoben, das Image dieses Stadtteils zu verbessern, damit Wilhelmsburg als gleichberechtigter Bestandteil der Stadt angesehen wird.

Diese Wünsche kommen dem Hamburger Senat natürlich gelegen, denn er möchte diesen Stadtteil, in dem Grund und Boden mehrheitlich der Stadt gehören, verkaufen. Der tatsächliche Grund, warum einst verrufene Stadtteile baulich aufgewertet wurden, liegt darin, daß die Grundstücke und Häuser in einem überdurchschnittlichen Maße der Stadt gehören. Und wenn städtische Immobilien in einem gefühlten Haufen Scheiße stehen, dann sind sie eben nicht verkäuflich. Und dann muß man, platt gesagt, Scheiße zu Gold erklären, um den Verkauf in Gang zu bringen.

SB: Wie empfinden die hier lebenden Menschen die soziale Stigmatisierung, laut der in Wilhelmsburg gewalttätige Gangs junger Migranten ihr Unwesen treiben, aus eigener Perspektive?

Jörg: Im deutschen Paralleluniversum Wilhelmsburgs wurde es ja durchaus so erlebt, daß sich Deutsche hier im eigenen Stadtteil immer fremder gefühlt haben, weil sie die Menschen auf der Straße nicht mehr verstehen und die ganzen bekannten Tante-Emma-Läden nicht mehr da sind oder türkische Läden dort eröffnet worden sind. Diese Entwicklung hat es hier tatsächlich gegeben. Andererseits war das aber durchaus immer ein sehr friedlicher Stadtteil. Die Paralleluniversen, die es hier gab, haben im wesentlichen friedlich nebeneinander gelebt. Es gab teilweise innerhalb dieser Paralleluniversen auch mal Zoff, aber es hat hier nie, zumindest nicht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zwischenethnische Auseinandersetzungen ernsthafter Natur gegeben.

SB: Kann man die negative Darstellung Wilhelmsburgs also eher als Medienphänomen bezeichnen?

Jörg: Die typischen TV-Szenen kennt jeder. Wenn der NDR mal wieder ein paar entsprechende Bilder benötigt, bekommt irgend so eine Gang einen Zwanziger in die Hand gedrückt, und die schmeißen dann ein paar Bierflaschen auf den Busbahnhof. Diese Szene wird gefilmt und im TV ausgestrahlt. Auf diese Weise bedient man Vorurteile.

SB: Stimmt es, daß die Leiterin des Bürgerhauses die Zusammenarbeit mit der IBA aufgekündigt hat?

Jörg: Leider ist das nicht ganz so, wie es den Anschein hat. Das Bürgerhaus ist immer noch IBA-Partner und lebt auch von der IBA, da finden Veranstaltungen in großer Zahl statt. Gekündigt wurde lediglich die Zusammenarbeit in Kulturdingen, weil es ganz verschiedene Vorstellungen gibt, wie Kultur sein sollte oder wofür Kultur gut sei. Die IBA hatte sich zunächst auf ein Kulturformat, das über 2013 hinausgehen soll, festgelegt, IBA-Förderung inbegriffen. Doch die Beteiligten wollten nachhaltigere Kulturprojekte, auch über das Jahr 2013 hinaus. Erst hatte sich die IBA wohl darauf eingelassen, doch dann ist den Verantwortlichen aufgefallen, daß sie nach 2013 gar keinen Auftrag mehr haben. Daraufhin haben sie die Förderung dieses Projekts wieder gekündigt. Das kam nicht gut an, und da ist einigen die Galle übergelaufen.

SB: Jörg, vielen Dank für das Gespräch.

Flyer mit Demo-Aufruf - Grafik: 'IBA? Nigs DA!' via http://ibanigsda.org/material/downloads/ Flyer mit Demo-Aufruf - Grafik: 'IBA? Nigs DA!' via http://ibanigsda.org/material/downloads/

Aufruf zur Demonstration anläßlich der IBA-Eröffnung
Grafik: "IBA? Nigs DA!" via http://ibanigsda.org/material/downloads/

Fußnote:

[1] http://ibanigsda.org/

Zur Stadtentwicklung am Beispiel Hamburg-Wilhelmsburgs siehe auch:
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0012.html

21. März 2013