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INTERVIEW/010: La ZAD - Bündnisse und Differenzen (SB)


Interview mit Anne-Marie Chabod von ACIPA am 13. April 2013 in La ZAD



Anne-Marie Chabod ist Mitglied im Vorstand der Association Citoyenne Intercommunale des Populations concernées par le project d'Aéroport de Notre Dame des Landes (ACIPA), der aus drei gleichgestellten Präsidenten besteht. Die Bürgerinitiative verfolgt ihrer Vereinssatzung gemäß folgende Ziele: Widerstand gegen den Bau eines Flughafens in Notre-Dame-des-Landes zu leisten; ihre Mitglieder und die Bevölkerung der betroffenen Region darüber zu informieren; einen Beitrag zur Debatte über die Entwicklung des Flugverkehrs auf regionaler Ebene insbesondere aus dem Gesichtswinkel einer humanen Raum- und Landschaftsplanung zu leisten sowie die materiellen wie geistig-seelischen Interessen ihrer Mitglieder und der betroffenen Bevölkerung zu verteidigen; in einem allgemeinen Sinne im Interesse der Umwelt und einer harmonischen Raum- und Landschaftsplanung zu handeln sowie die Initiative der politischen Repräsentanten, die den Sinn des Flughafenprojekts anzweifeln, zu unterstützen und an deren Seite bis zur Aufgabe des Projekts zu kämpfen. Zur Zeit besteht ACIPA aus etwa 3500 Aktivistinnen und Aktivisten, die sich auf unterschiedliche Weise in die gemeinsame Arbeit einbringen. So verfügt die Bürgerinitiative über einen 18 Personen starken administrativen Rat und hat verschiedene Kommissionen zu den Bereichen Logistik und Aktionen, Mitglieder und Finanzen, Studien und Recht, Informationen und Kommunikation sowie Koordination eingerichtet. Auf ihrer Webseite[1] bietet ACIPA umfassendes Infomaterial, Video-Interviews, Video-Dokumentationen, Links zu Radio-Berichten und Pressebeiträgen, Texte von ZAD-Chansons u.v.a.m. an. Anläßlich der Aktion "Sème ta ZAD" [2] beantwortete Anne-Marie Chabod dem Schattenblick einige Fragen.

Beim Gespräch in einem Raum des besetzten Hofes Bellevue - Foto: © 2013 by Schattenblick

Anne-Marie Chabod
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Chabod, könnten Sie sich selbst und ACIPA sowie die Funktion, die Sie in dieser Organisation übernommen haben, einmal vorstellen?

Anne-Marie Chabod: Ich heiße Anne-Marie Chabod und bin Mitbegründerin von ACIPA. Wir haben diese Organisation im November 2000 ins Leben gerufen. Ich bin gleichzeitig Webmasterin und Co-Präsidentin.

SB: Wo liegt der Schwerpunkt der Arbeit von ACIPA in bezug auf den Flughafen?

AC: ACIPA bringt als Vereinigung Bürger zusammen, die sich gegen den Flughafen zur Wehr setzen. Als wir diese Arbeitsgemeinschaft gründeten, gab es bereits einen älteren Interessenverband, der jedoch allein der bäuerlichen Wirtschaft vorbehalten war. Die Personen, die vom Flughafenprojekt betroffen waren, aber mit Landwirtschaft nichts zu tun hatten, fühlten sich durch diesen nicht repräsentiert und konnten ihm auch nicht beitreten. Neun Leute hatten dann die Idee, eine eigene Organisation auf die Beine zu stellen. Dieses Projekt entwickelten wir im Jahr 2000. Im November des Jahres stand die Organisation. Zur ersten öffentlichen Versammlung im Dezember sind mehr als 300 Menschen gekommen. Das war ein sehr großer Erfolg, zumal wir von höchstens 50 Leuten ausgegangen waren und daher nur kleine Arbeitsgruppen organisiert hatten. Als dann so viele Menschen kamen, mußten wir die Versammlung völlig umkrempeln. Eine zahlenmäßig nicht allzu kleine Gruppe hat sich sofort bereiterklärt, gemeinsam gegen das gigantische Flughafenprojekt, das die Region, die Landschaft und die Landwirtschaft vollkommen zu zerstören droht, zu kämpfen.

SB: Viele junge Aktivistinnen und Aktivisten kommen aus anderen Teilen Frankreichs. Wie ist das Verhältnis Ihrer Organisation zu ihnen und inwiefern stimmen Sie sich mit ihnen ab? Es heißt, daß es Differenzen über die Frage der Militanz und des Verhaltens gegenüber der Polizei gegeben haben soll.

AC: 2009 gab es das erste Klimacamp in Frankreich in Notre-Dame-des-Landes. Die Bauern haben die jungen Leute, die den Entschluß faßten, sich hier anzusiedeln, unterstützt. Im Anschluß an das Camp sind einige dieser jungen Leute dem Aufruf der Anwohner, Gebiete zu besetzen, die den Flughafenplanern bereits in die Hände gefallen waren, gefolgt. Wir versuchen, gute Arbeit zu leisten, was uns auch mit diesen jungen Leuten gelingt, die über den Kampf gegen den Flughafen hinaus einen umfassenderen Kampf gegen die Art und Weise führen, wie die Gesellschaft derzeit verwaltet und organisiert ist. Sie streben nach vollständiger Autonomie. In bezug auf ihre Ernährung und Wasserversorgung sind sie autonom. Sie bauen auch ihre Häuser selbst und versuchen, ein gemeinschaftliches Leben ohne Hierarchie zu organisieren. Das heißt, alle Entscheidungen werden in einer Vollversammlung getroffen, in der sich jeder zu Wort melden kann.

Die Art und Weise, wie die Gesellschaft heutzutage funktioniert, wird durch diese Gruppe junger Menschen grundsätzlich in Frage gestellt. Wir lernen von ihnen, sie lernen von uns. Es gelingt uns, in gutem Einvernehmen zusammenzuarbeiten. Wir haben nicht immer den gleichen Standpunkt. Ich bin eher an eine vertikale Struktur gewöhnt, in der man den Menschen vertraut, die bestimmte Aufgaben und Verantwortung übernommen haben und sich ihren Möglichkeiten entsprechend einsetzen. Man ist auf diese Weise effektiver, wenn man ohnehin nicht viel Zeit hat. Die jungen Leute lernen gleichzeitig, bestimmte Fragen auch in kleineren Gruppen zu entscheiden. Wir lernen von ihnen wiederum, mit mehr Menschen zu diskutieren und mehr Menschen in die Funktionen miteinzubeziehen. Das ist sehr vielfältig und für uns ungemein bereichernd. Aber hinsichtlich der Presse zum Beispiel sind wir nicht immer der gleichen Meinung. Manche sind partout gegen die Presse und wollen sich nicht mit Journalisten treffen. Andere öffnen sich, wieder andere akzeptieren es, aber maskieren sich das Gesicht. Es gibt eine große Bandbreite von Ansichten, wie man mit der Presse umgehen sollte.

Für uns von ACIPA war immer klar, daß die Presse uns eine Öffentlichkeit verschafft, die wir brauchen, um unsere Argumente bekannt zu machen und die Gründe darzulegen, warum wir gegen das Flughafenprojekt kämpfen. Es geht uns dabei nicht um eine prinzipielle Opposition. Wir sind dagegen, weil es bereits einen Flughafen in Nantes gibt, der ausgebaut werden könnte, und die politische Bereitschaft fehlt, die Möglichkeit eines Ausbaus des vorhandenen Flughafens auch nur in Betracht zu ziehen. Es gibt hier Feuchtgebiete, die absolut schutzwürdig sind. Eigentlich müßte die Feuchtgebietslandschaft um Notre-Dame-des-Landes den Status eines Naturschutzgebietes erhalten und nicht Schauplatz eines Flughafenprojekts sein. Paradoxerweise ist es so, daß diese Zone durch das Flughafenprojekt bisher relativ unberührt geblieben ist, weil die seit 50 Jahren existierende Planung andere Eingriffe weitgehend ausschließt. Andernorts wurden in dieser Zeit alle Hecken beseitigt und riesige Anbauflächen geschaffen. Aufgrund des geplanten Flughafens jedoch hat man die Parzellen so klein gelassen, wie sie waren. Die Hecken sind nicht ausgerissen worden und der Wald wurde nicht abgeholzt. Hier gibt es eine wirklich bemerkenswerte biologische Vielfalt seltener Arten - Lurche, Insekten, Vögel, Blumen und Pflanzen. Diese reiche Naturlandschaft gibt es seit 50 Jahren.

SB: Der Widerstand hat neue Entwicklungen ermöglicht, bei denen Menschen zusammenkommen, etwas gemeinsam aufbauen und sich selbst organisieren. Haben Sie den Eindruck, daß der sozialökologische Aktivismus unmittelbare Auswirkungen auf die Alteingesessenen in der Region hat, daß sie sich weiterentwickeln, weil andere Menschen hierherkommen und einen internationalen Kampf gegen den Flughafen führen?

AC: Der Kampf gegen das Flughafenprojekt hat ungeheuer vieles eröffnet. Ich persönlich habe von Anfang an gegen den Flughafen gekämpft, weil man uns eingeredet hatte, der vorhandene Flughafen sei überlastet. Von meinem Büro aus, direkt neben dem Flughafen, konnte ich sehen, wie die Flugzeuge abhoben. Es gab nicht viele Abflüge. Ich wußte daher, daß man uns Unsinn erzählte. Ich fing an nachzudenken, weil hier etwas nicht stimmte. Man öffnet sich dabei für Neues.

Landwirtschaft ist eigentlich nicht mein Wissensgebiet. Dennoch habe ich vieles über Ökologie, das Rechtswesen, über Naturschutz und Naturforschung herausgefunden. Das waren völlig neue Erkenntnisse für mich. Ich habe auch etwas über die Funktion von Institutionen gelernt. Bis dahin war ich immer davon ausgegangen, daß die Institutionen dafür da sind, den Menschen zu helfen, und daß die gewählten Politiker immer das Richtige tun. Dann habe ich die öffentlichen Debatten erlebt. Eigentlich sollte in diesen Anhörungen darüber diskutiert und entschieden werden, ob man den Flughafen wirklich braucht und dieses Projekt unumgänglich ist. Tatsächlich hat man aber unter dem Gesichtspunkt, daß der Bau von Notre-Dame-des-Landes eigentlich schon beschlossene Sache ist, nur darüber gesprochen, ob eine Nord-, Süd- oder eine andere Piste für den Flughafen erforderlich ist. Trotz widerstreitender Expertenmeinungen ist man dabei geblieben, daß der Flughafen in Nantes überlastet sei. Eine Studie kommt allerdings zu dem Ergebnis, daß der Flughafen derzeit keineswegs überlastet ist. Dennoch gelangte die öffentliche Anhörung zu dem Schluß, daß das Flughafenprojekt notwendig sei. So ging das von Anhörung zu Anhörung weiter. Die meisten Gutachten sprachen sich gegen das Projekt aus, aber dennoch behaupteten die Politiker unbeirrt, daß es sich um eine gute Sache handeln würde.

Vor kurzem hat die Dialogkommission die Entscheidung getroffen, daß man weitermachen werde. Damit wurde das Projekt bestätigt. Doch zu dieser Entscheidung gab es nie eine Alternative. Diese Kommission war von vornherein auf das Projekt festgelegt. Daß vielleicht stichhaltige Gründe wie die ausführlich untersuchte Frage der Bedarfskapazität und die Möglichkeit, den bestehenden Flughafen auszubauen, dagegensprechen, wurde gar nicht erwogen.

Einen Kilometer vom Flughafen Nantes entfernt verläuft eine Straßenbahnlinie, sie reicht aber nicht bis an den Flughafen heran. Es hat seit Jahren keine Bemühungen gegeben, den bestehenden Flughafen an den öffentlichen Nahverkehr anzubinden. Man hat das eine oder andere getan, aber nichts wirklich Entscheidendes, weil man sich immer gesagt hat: Das ist nicht so schlimm, weil man den Flughafen nach Notre-Dame-des-Landes verlegen wird. Man hat die ganze Zeit über nichts unternommen, um den bestehenden Flughafen zu modernisieren, weil er ohnehin aufgegeben werden sollte. Nebenher hat man Untersuchungen in Auftrag gegeben und Umfragen gestartet, damit alles seinen geregelten Lauf nimmt, aber das hatte eher etwas von einer Gruppenpsychotherapie. Am Ende hieß es dann, wir müssen einen neuen Flughafen bekommen. Die Dialogkommission verfuhr praktisch nach dem selben Muster.

SB: Befaßt sich ACIPA auch mit den Plänen der Regierung für die gesamte Atlantikregion? Dort ist offensichtlich nicht nur der neue Flughafen geplant, sondern im Rahmen eines Innovationsprogramms zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Regionen wird die umfassende Entwicklung der Wirtschaft und Industrie im sogenannten 'Grand Ouest', also der Bretagne und Loire-Atlantique mit Nantes und Saint Nazaires als Metropolregion, angestrebt.

AC: Ich persönlich nicht, aber ich habe davon gehört. Wir haben derzeit in der Tat das Problem, daß die Metropolen in Konkurrenz zueinander stehen, statt zusammenzuarbeiten. Das heißt, man will große Metropolregionen schaffen wie Nantes, Paris und Südfrankreich. Daher greift man schnell auf die ländliche Umgebung zu.

Um auf das Thema Flughafen zurückzukommen: Es gibt einen Flughafen in Nantes und einen in Saint Nazaires nur 50 Kilometer entfernt. Es gibt darüber hinaus einen Flughafen in Angers, der zwar klein ist, aber nur ungefähr 80 Kilometer entfernt liegt. Ferner gibt es einen Flughafen in Rennes in 100 Kilometer Entfernung. 180 Kilometer entfernt ist der Flughafen von Vanne. Alles in allem gibt es in der ganzen Region West etwa ein Dutzend Flughäfen. In einem Umkreis von 100 Kilometern existieren vier Flughäfen und zwei Flugplätze. Aber es gibt keine Studie mit dem Ziel, sie zwecks Optimierung zu vernetzen. Im Moment starten zur gleichen Zeit je ein Flugzeug von Rennes und eines von Nantes in Richtung Lyon. Warum sollte man das nicht verbinden können? Beispielsweise, indem die Flugzeuge von Rennes und Nantes im Abstand von einer Stunde aufbrechen. Es macht doch keinen Sinn, wenn zwei Flugzeuge jeweils halb leer nach Lyon fliegen. Das ist Konkurrenz statt Zusammenarbeit.

Transparent am besetzten Hof Bellevue - Foto: © 2013 by Schattenblick

"Für den Schutz der Landschaft von Notre Dame des Landes"
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Wieviele Menschen engagieren sich in Ihrer Organisation und wie sind sie in den breiteren Widerstand gegen den Flughafen eingebunden?

AC: Wir kämpfen an mehreren Fronten. Einmal auf der rechtlichen Seite, indem wir gegen alle Entscheidungen, die man anfechten konnte, Beschwerde eingelegt haben. Ein Beispiel dazu: Wir sind jetzt auf der Farm Bellevue. Dieser Bauernhof ist wiederbesetzt worden, gehört aber Vinci. Der Bauer, in dessen Besitz er ursprünglich war, ist weggezogen, weil er aufhört. Am gleichen Tag sind Bauern in dieses Haus gezogen, um zu verhindern, daß der Hof zerstört wird. Denn dieses Schicksal sollte ihn innerhalb von zwei Tagen nach der Abreise des Bauern ereilen. Zehn Personen erklären nun offiziell, hier zu wohnen. Das hat zur Folge, daß der Staat verpflichtet ist, ein Räumungsverfahren anzustrengen. Der Hof konnte daher nicht zerstört werden. Es gibt ein Gerichtsurteil, das die Leute auffordert, den Platz zu räumen. Wenn sie nicht gehen, wird eine Geldstrafe von 50 Euro pro Tag verhängt. Die Leute verlassen den Hof, aber acht andere kommen und erklären: Jetzt sind wir die neuen Bewohner. Das gerichtliche Verfahren beginnt wieder von vorn. Erfolgt ein Räumungsbeschluß, gehen sie und neun andere Personen ziehen ein. Nur ist es dann etwas anders, denn sie besetzen nicht das Wohnhaus, sondern ein landwirtschaftliches Gebäude. Wieder muß ein Räumungsverfahren angestrengt werden. Das sind die Mittel der juristischen Guerilla.

Außerdem haben wir Einspruchsverfahren gegen öffentliche Erklärungen, die auf falschen Zahlen beruhen, angestrengt. So wurden Berechnungsfehler in den veröffentlichten Angaben entdeckt. Der Präfekt, der sich mit den Akten der öffentlichen Umfrage beschäftigt hatte - der Vertreter des Staates also -, hat bei Vinci, dem Inhaber der Konzession, eine Stellung angenommen. Zwar hat er die Minimalfrist eingehalten, aber daß er dann zu Vinci gewechselt ist, wirft natürlich Fragen auf. Ich weiß nicht, ob so etwas auch in Deutschland vorkommt. In den USA passiert es häufiger, daß Personen, die für den Staat arbeiten, dann einen Posten bei einem großen multinationalen Unternehmen bekommen. Solange man im Staatsdienst ist, sorgt man dafür, daß es für die Unternehmen, die dich einstellen könnten, gut läuft. Natürlich ist alles legal, aber man kommt doch ins Grübeln.

Feld am Wegesrand - Foto: © 2013 by Schattenblick

Eine Region voller kostbarer Wasserressourcen
Foto: © 2013 by Schattenblick

Hier gibt es ein großes Feuchtgebiet. Sobald die Genehmigung für Arbeiten in dem Feuchtgebiet erteilt wird, werden wir darauf klagen, diese Arbeiten einzustellen. Wir haben ein Petitionsverfahren bei der Europäischen Kommission und beim Europäischen Parlament angestrengt, und zwar, bevor der Schaden eingetreten ist. Wenn man das im nachhinein macht, läßt sich nur noch konstatieren, daß Schaden entstanden ist. Die Kommissionspräsidentin erklärte, dies sei einer der seltenen Fälle, in denen sie vorher zu Rate gezogen wurden und daß man daher sehr genau hinsehen werde. Es liegt nun am französischen Staat, seine Antwort einzureichen. Das sollte in dieser Woche erfolgen. Dann wird die Petitionskommission die Antwort prüfen und möglicherweise ein Untersuchungsverfahren einleiten.

Auf juristischem Gebiet läuft unser Widerstand auf allen Ebenen. Auf der untersten Ebene finden die Räumungsverfahren statt, und wir helfen den Leuten, die enteignet wurden. Wir arbeiten auch auf europäischer Ebene mit juristischen Aktionen. Daneben gibt es noch die Mobilisierungskampagnen. So organisieren wir mehr oder weniger spektakuläre Demonstrationen wie zum Beispiel Tracto-vélos[3]. Wir haben zunächst in der Region eine Rundfahrt veranstaltet, und im folgenden Jahr sind wir mit Traktoren und Fahrrädern von hier bis nach Paris gefahren und haben die Leute unterwegs aufgeklärt. Bei unserer Ankunft in Paris gab es eine große Abschlußdemonstration, in der wir über unseren Kampf gegen den Flughafen informiert und erklärt haben, warum das Projekt weder Hand noch Fuß hat. Darüber hinaus stecken wir enorm viel Arbeit in Informationsveranstaltungen, in denen wir über Mobilität sprechen und darüber, daß Menschen immer weitere Verkehrswege in Kauf nehmen müssen, um zur Arbeit zu gelangen.

SB: Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit den französischen Medien gemacht? Werden die Geschehnisse in La ZAD in der Presse angemessen reflektiert oder haben Sie den Eindruck, daß das Flughafenprojekt im Sinne der Staatsräson behandelt wird?

AC: Die Medien haben erst im November bzw. Dezember, als die Räumungen durchgeführt wurden, damit begonnen, sich wirklich mit dem Flughafen zu befassen. Wir bedauern es, daß sich die Mehrheit der Medien in erster Linie für das Spektakuläre daran interessiert. Neben verschiedenen anderen Dingen eben auch für junge Mädchen, die von Zuhause ausgerissen und nach La ZAD gekommen sind. Mit den grundlegenden Fragen setzten sich nur sehr wenige Medien auseinander. Dieser Trend ist jedoch allgemeiner Art, gerät doch zumeist das Sensationelle in die Schlagzeilen, während die wichtigen und ernsthaften Debatten an den Rand gedrängt werden.

Gerade heute morgen strahlte zum Beispiel ein großer öffentlicher Radiosender eine umfassende Debatte zur Berichterstattung über Notre-Dame-des-Landes aus. Bezeichnenderweise wurde die ganze juristische Arbeit und die Informationsarbeit, die wir geleistet haben, in dem Beitrag mit keinem Wort erwähnt. Sie haben nur über La ZAD gesprochen und über die Beziehungen der Medien zu La ZAD, auch über die schwierigen Beziehungen der Medien zu La ZAD. Damit wird jedoch nur ein kleiner Teil der Leute repräsentiert. In La ZAD gibt es viele Menschen, die auf die Medien zugehen und verstanden haben, wie wichtig eine öffentliche Debatte zum Thema Flughafen ist. Aber das bleibt ein bißchen problematisch. Ich denke, daß es in Zukunft einmal zu untersuchen sein wird, in der Journalistenausbildung vielleicht, wie man dieses Thema, den Kampf gegen den Flughafenneubau, nur anhand eines kleinen Teils beleuchtet hat, eines wichtigen Teils zwar, aber sehr beschränkt auf einen Zeitraum und einen bestimmten geographischen Sektor.

SB: Der Konzern Vinci hat eine Public Private Partnership mit dem französischen Staat geschlossen. Das Unternehmen baut und betreibt nicht nur Flughäfen, sondern auch Autobahnen, Gefängnisse und weitere öffentliche Einrichtungen. Wie ist Ihre Meinung dazu, daß ein multinationaler Konzern wichtige öffentliche Infrastruktureinrichtungen unter seine ökonomische Kontrolle bringt?

AC: Das ist ein wirkliches Problem. Die Autobahnen waren bis vor kurzem noch öffentlich. Dann wurden sie zu einem lächerlich niedrigen Preis in private Hand gegeben. Ich kann mir nicht erklären, welches Interesse der Staat daran hatte, außer vielleicht, um einem Kumpel einen Gefallen zu tun. Ursprünglich sollten die Autofahrer für die Finanzierung des Verkehrsnetzes aufkommen. Es hieß, wir machen eine Maut, und wenn die Autobahnen bezahlt sind, stehen sie wieder kostenlos zur Verfügung. Das bedeutet, daß die Leute, die die Autobahnen benutzten, sie auch bezahlt haben. Nach und nach ist so eine Menge Geld zusammengekommen, aber dann hat der Staat die Autobahnlizenzen an Vinci, aber auch an andere, wie Cofiroute zum Beispiel, verkauft. Und plötzlich wurden die Autobahnen immer teurer. Der Preis der vielbefahrenen Autobahnen ist enorm gestiegen, während die Streckenabschnitte, die seltener benutzt werden, nicht verteuert werden. Auf's Ganze gesehen bleibt man so in der Marge. In Frankreich ist das eine lukrative private Einkommensquelle. Und jetzt steht kein öffentliches Geld mehr zur Verfügung, aber die Unternehmen machen Milliardengewinne mit den Autobahnen; und sie sind dabei, dasselbe mit den Flughäfen zu machen, weil der vorherrschende Ultraliberalismus sich sehr wenig um die wirklichen Bedürfnisse der Menschen schert und statt dessen dafür sorgt, daß die großen multinationalen Unternehmen den großen Reibach machen. Natürlich wird man erklären, daß man damit Arbeitsplätze schafft. Das ist auch nicht falsch, Aber der Staat kommt dennoch nicht auf seine Kosten, weil die Verträge immer zum Vorteil der privaten Unternehmen ausfallen. Auch im Fall Notre-Dame-des-Landes ist es so. An den Vertragsverhandlungen waren nur Leute beteiligt, die das Projekt unbedingt durchsetzen wollten und ein Interesse daran hatten, diese inakzeptablen Konditionen festzuschreiben. Der Vertrag ist so verfaßt, daß man ihn einhalten muß, weil es genauso teuer ist, ihn wieder aufzukündigen. Das ist doch nicht normal.

SB: Wie wird der Widerstand von ACIPA weitergehen?

AC: Wir machen weiter, bis das Projekt fallengelassen wird. Wir werden als Organisation nicht mithelfen, das Projekt zu verbessern. Wir wollen es nicht, weil es nichts nützt und zerstörerisch ist. Den Ackerboden kann man besser verwenden. In Frankreich schwindet der verfügbare Ackerboden alle sieben Jahre um einen bestimmten Prozentsatz. In Loire-Atlantique entspricht dieser Wert schon nach vier Jahren der Fläche eines ganzen Départements. Ich habe nichts dagegen, daß man Nahrungsmittel beispielsweise aus China importiert, aber ich glaube nicht, daß das eine zukunftsträchtige Lösung ist. Wir müssen die landwirtschaftlichen Flächen in Frankreich schützen. Agrarland ist viel billiger als Bauland. Skandalös in diesem Fall ist, daß das Land hier zum Preis für landwirtschaftliche Flächen gekauft wurde, um einen Flughafen darauf zu errichten. Das ist nicht richtig, denn es bedeutet, daß die Bauern, die vom Enteignungsverfahren betroffen waren, nur gegen den Verkaufspreis protestieren konnten. Ihnen wurde dann ein höherer Preis zuerkannt, weil der Richter gegen Vinci geurteilt hat, daß der Konzern das Land zu billig ersteht.

Das Projekt berührt viele Bereiche: die Landwirtschaft, die Umwelt, die Wirtschaft und die Billiganbieter, die nur aufgrund staatlicher Subventionen überleben können. Welche Auswirkungen hat PeakOil auf den Luftverkehr? Gibt es in 50 Jahren noch soviele Flugzeuge? Wer kann das sagen? Das Thema Landschafts- und Raumordnung ist sinnbildlich für alle Fragen, die man sich stellen sollte, wenn man wissen will, wie die Welt beschaffen ist.

ACIPA-Transparent auf dem Hof Bellevue - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://acipa.free.fr/index.htm

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0014.html

[3] Tracto-vélos - Demonstrationstouren per Traktor und Fahrrad über unterschiedlich lange Strecken

25. April 2013