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INTERVIEW/018: La ZAD - Besinnung und gesundes Leben (SB)


Interview mit Dominique Loquais aus dem Pays de Retz in der Bretagne am 13. April 2013 in La ZAD



Dominique Loquais stammt aus dem Ort Saint Hilaire de Chaléons, wo schon sein Vater einen Bauernhof besaß. 1973 kam er mit dem Kampf gegen die Erweiterung des Militärgeländes Larzac in Kontakt und verfaßte ein Chanson für den Widerstand, das auch heute noch nicht vergessen ist. Der umtriebige, heute 65jährige komponiert nicht nur nebenbei, spielt Gitarre, singt und schreibt Gedichte, er setzt sich auch engagiert für einen umfassenden Nuklearausstieg ein. Im Rahmen der seit dem 26. April 2007 an jedem Werktag von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr gehaltenen Mahnwache vor der WHO-Zentrale, bei der unter anderem gegen die Untätigkeit und Verschleierungstaktik der UN-Behörde in Zusammenhang mit der Atomkatastrophe von Tschernobyl und deren gesundheitlichen Folgen protestiert wird [1], zog er im Juli 2010 per Fahrrad nach Genf und bezog dort im August eine Woche lang Posten.[2] 2011 entstand ein neues Chanson, nachdem er sich mit einigen anderen Bürgern aus dem Pays de Retz dem Kampf gegen den Flughafen von Notre-Dame-des-Landes angeschlossen hatte, in dem er die Bürgerinnen und Bürger zum Widerstand aufruft. Im vergangenen August ist zudem ein von ihm verfaßtes Buch über Solarherde erschienen, die sich für europäische Breiten eignen. Auf dem von Abriß bedrohten und von Bauern wiederbesetzten Hof Bellevue beantwortete Dominique Loquais dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Dominique Loquais
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Könnten Sie sich unseren Lesern in Deutschland bitte kurz vorstellen und sagen, welche Position Sie in Bezug auf das Flughafenprojekt und den hier wieder aufgebauten Hof einnehmen?

Dominique Loquais: Für die deutschen Leser möchte ich mich als jemand vorstellen, der den Kampf durch die Praxis lernt, denn der Kampf um Notre-Dame-des-Landes, an dem ich mich beteilige, existiert schon sehr viel länger als ich dabei bin. Es ist eine umfassende Bewegung vom Menschen, die sich kennen, den Kontakt untereinander halten und aktiv werden. Das Interessante daran ist, daß man hier im Gegensatz zur heutigen Gesellschaft, die uns in extrem engen Kanälen individualisiert, wo jeder allein sehen muß, wie er klarkommt, Netzwerke bildet und sich im Namen der Erde zusammenschließt.

Ich engagiere mich seit etwa drei-, dreieinhalb Jahren in diesem Widerstand, weil ich selbst aus der Landwirtschaft komme. Die landwirtschaftlichen Fragen betreffen mich ganz direkt, und ich bin für die Probleme der Erde sensibilisiert, denn die Erde - unser Planet - braucht unsere Hilfe. Dem Planeten zu helfen heißt, daß man auch der Menschheit hilft, weil sie ja auf diesem Planeten lebt. Und man kann nur hoffen, daß es auch weiter so sein wird, weil die Menschen vielleicht gelernt haben werden, den Planeten zu respektieren. Denn darum ist es zur Zeit schlecht bestellt.

SB: Heute sind viele Menschen zur Feldbestellung, zur Aktion "Sème ta ZAD" in die Zone gekommen. Hier auf dem Hof Bellevue wird gerade in einem großen Ofen Brot gebacken.

DL: Wir sind sehr froh, den Ofen noch zu haben, denn dank des Einsatzes der Bauern, die hier aktiv geworden sind, wurde der Hof nicht zerstört. Den Ofen und das Brot kann man auch als Symbol für die Bewegung sehen: Für das Brot setzt man zunächst einen Gärprozeß in Gang, und dann kommt ein Zeitpunkt, an dem man diesen beendet und das Brot in den Ofen schiebt. Genauso steht es um die gesellschaftliche Bewegung Notre-Dame-des-Landes, und ich bin guter Hoffnung, daß wir unser Vorhaben erfolgreich abschließen werden und das dann gemeinsam feiern, wie jetzt das Feuer im Ofen. Die heutige Aktion, den Boden zu kultivieren heißt, der Erde ihre ganze Dimension wiederzugeben. Der Boden, die lebendige Erde ernährt und unterstützt uns; sie ist unsere Mutter. Daß der Mensch am Leben ist, verdankt er ihr, nicht dem Beton, nicht den Steinen. Man muß behutsam mit ihr umgehen, denn sie ist sehr empfindlich. Heute regnet es, also kann man sie nicht so bearbeiten, wie geplant, und muß bis morgen, übermorgen oder noch etwas länger warten, bis die Sonne wiederkommt.

Französische Radiosender befragen Loquais - Foto: © 2013 by Schattenblick

Reges Medieninteresse
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Glauben Sie, daß die Menschen, die auf dem Feld arbeiten und die Nahrungsmittel produzieren, ausreichend Einfluß haben auf die Politik und auf die Gesellschaft?

DL: Die Nahrungsmittel werden heute häufig von großen Agrarunternehmen produziert, denen es bei ihren Produkten in erster Linie darauf ankommt, daß sie sich verkaufen lassen. Es ist ihnen völlig gleichgültig, ob das, was sie produzieren, für den Verbraucher auch gesund ist. Dabei hängt unser Gesundheitszustand ganz wesentlich von unserer Ernährung ab. Was sie interessiert ist, ihre Produkte zu verkaufen und deshalb sollen diese ansprechend aussehen und den Verbraucher anziehen. Es ist ihnen egal, ob die Lebensmittel zu einer unausgewogenen Ernährung und zu Mangelerscheinungen führen. Dabei weiß man heute sehr genau - Beispiel USA und Fastfood -, daß es an einer unausgewogenen Ernährung liegen kann, wenn man sehr dick ist. Ich kenne das aus eigener Erfahrung, weil ich vor einiger Zeit selbst gesundheitliche Probleme, Herzprobleme, hatte, die nach Meinung der Ärzte auf einen ernährungsbedingten Mangel zurückzuführen waren. Ich habe sie im Kern durch eine gründliche Korrektur und Umstellung meiner Ernährung in den Griff bekommen. Eineinhalb bis zwei Jahre hat es gedauert, bis sich mein Gesundheitszustand sichtlich verbessert hat. Normalerweise profitiert die klassische Medizin davon, indem sie Medikamente verschreibt, die ich aus meiner Sicht nur als palliativ bezeichnen kann, die also die Symptome des Ungleichgewichts unterdrücken, aber nicht heilen. Und so kommt es, daß sich die Menschheit heute in einem sehr schlechten Gesundheitszustand befindet. Es gibt nicht nur die Menschen, die nichts zu essen haben, sondern auch jene, die etwas zu essen haben, aber Nahrung zu sich nehmen, die völlig unausgewogen ist.

SB: Was meinen Sie zu den jungen Leuten, die heute keine Fleischprodukte mehr essen wollen, die sich vegan ernähren?

DL: Da liegt nicht das Problem. Die Frage ist nicht, ob man grundsätzlich Fleisch oder nur vegetarisch ißt. Ein kleines bißchen Fleisch macht unsere Ernährung ausgewogen, denn manchmal genügt eine rein vegetarische Ernährung nicht. Bei bestimmten Leuten mag es reichen, weil die Menschen nicht alle gleich sind, aber ich kenne persönlich viele Vegetarier, die unter Mangelerscheinungen leiden, weil sie kein Fleisch essen. Ich habe kein Problem damit, eine Pflanze zu ernten, um sie zu kochen, oder ein Tier zu töten, das in den Kochtopf wandert. Da liegt für mich nicht das Problem. Das Problem besteht meiner Meinung nach darin, daß die Tiere heutzutage im Stall und nicht im Freiland gehalten werden und daß der Fokus der Zucht auf übermäßigem Fleischansatz liegt.

SB: Was denken Sie über die Zukunft der Menschheit, eine Milliarde Menschen haben nicht genug zu essen. Wie ist ihre Vision, wie könnte es gelingen, daß jeder satt wird?

DL: Die Erde ist eigentlich grundsätzlich in der Lage, alle gleichermaßen zu ernähren. Aber es ist ganz sicher nicht die Gentechnik, mit der man das besser gewährleisten kann. Erforderlich ist eine Regionalisierung in dem Sinne, daß Anbau und Produktion in der näheren Umgebung des jeweiligen Wohnortes stattfinden. So können sich die Menschen an Ort und Stelle mit dem Nötigen versorgen, und man verbraucht kein Benzin für den Transport. Das Problem ist doch, daß man in vielen Ländern die Menschen sogar daran gehindert hat, so zu wirtschaften, genauso wie heute die Landwirte. Man zwingt sie, für die Molkerei zu produzieren oder für den Handel und nicht der Idee zu folgen, daß diese Produkte vor Ort verbraucht werden und dem Wohlergehen derjenigen dienen könnten, die sich im direkten Umfeld befinden. Die Erde ist in der Lage, alle ihre Bewohner zu ernähren, wenn man von dieser beschränkten Geographie ausgeht. Also muß man Zirkel und Netzwerke entwickeln, die gewährleisten, daß die Menschen sich versorgen können, ohne weit laufen zu müssen, um Nahrung zu finden. Statt dessen wird für den Verkauf produziert, und um zu verkaufen, wird der Transport nötig. Das ist ein intermediärer Handel, der nie endet. Die Produkte werden immer teurer, und in der Folge leidet die Menschheit an Hunger.

SB: Monsieur Loquais, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

Ofen auf Bellevue und zum Backen vorbereitete Brotlaibe - Foto: © 2013 by Schattenblick Ofen auf Bellevue und zum Backen vorbereitete Brotlaibe - Foto: © 2013 by Schattenblick

Säen, Ernten, Backen in La ZAD
Foto: © 2013 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] www.independentwho.org
IndependentWHO - gegründet im April 2001 von den folgenden Organisationen: Enfants de Tchernobyl Bélarus, PSR/IPPNW, PHM - People's Health Movement, CRIIRAD, Réseau Sortir du nucléaire, Brut de Béton Production, ContrAtom, Sortir du Nucléaire - Loire et Vilaine. Ziel: Die Weltgesundheitsorganisation soll ihrer Verpflichtung nachkommen, von radioaktiver Kontamination betroffene Bevölkerungen zu schützen.

[2] Website von Saint Hilaire de Chaléons, August 2010
http://www.saint-hilaire-de-chaleons.fr/?Un-Chaleonnais-a-velo-a-Geneve

[3] Demonstration und Frühjahrsaktion "Sème ta ZAD" (Säe deine ZAD) zur Bestellung der Felder in der umkämpften Zone am 13.4.2013


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17. Mai 2013