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INTERVIEW/042: Rüstungswahn und Richtungswechsel - Regeln gut und Zeugnis falsch ... Jan van Aken im Gespräch (SB)


Global Day of Action on Military Spending (GDAMS)

Pressekonferenz zu den weltweiten Rüstungsausgaben, mit Schwerpunkt auf chemische Waffen, am 14. April 2014 im IALANA-Büro in Berlin

Jan van Aken für die Senkung von Militärausgaben und ein Exportverbot von Chemikalien an Staaten, die die UN-Chemiewaffenkonvention nicht ratifiziert haben



Bereits zum vierten Mal wurde in diesem Jahr am 14. April der Weltabrüstungstag [1] begangen. In 36 Ländern stellten rund 100 Organisationen 120 verschiedene Aktionen gegen Rüstungsausgaben auf die Beine. Eine davon fand in Berlin statt, organisiert von der IALANA [2], ines [3] und der VDW [4]. Diese hatten zu einer morgendlichen Pressekonferenz geladen, zu der der Träger des Alternativen Nobelpreises und C-Waffenexperte Paul F. Walker, der Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke Jan von Aken und Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, für Fragen der Medienvertreter zur Verfügung standen.

Die laut dem jüngsten SIPRI-Bericht [5] leicht gesunkenen Zahlen für Rüstungsausgaben des vergangenen Jahres bedeuten nicht, daß die realen Zahlen für Kriegführungsstrategien sinken, betonte IALANA-Geschäftsführer Reiner Braun in seiner Eröffnungsrede. Laut dem US Institute for Peace seien die Investitionszahlen in Rüstung weltweit um acht Prozent und die für Rüstungsforschung um fünf Prozent gestiegen. Die Dynamik der Rüstungsausgaben sei also ungebrochen.

Braun schlug unter anderem vor, daß die Vereinten Nationen wieder einmal eine Initiative für eine Weltabrüstungskonferenz ergreifen. Das habe es schon einmal in den achtziger Jahren gegeben und eine "große Ausstrahlungskraft" entfaltet, um eine "Abrüstungsdynamik am Ende des Kalten Kriegs vorzubereiten" und teilsweise auch in Gang zu setzen.

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Jan van Aken
Foto: © 2014 by Schattenblick

Im Anschluß an die Pressekonferenz stellte sich Jan van Aken, Stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke und Außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken, dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Schattenblick (SB): Welche Chancen geben Sie einem von den Vereinten Nationen geführten Abrüstungskonzept, wie es Reiner Braun vorgeschlagen hat?

Jan van Aken (JvA): Ich bin im Moment eher pessimistisch. Wir haben ja eine "Conference on disarmement", die seit zehn, vierzehn Jahren nichts auf die Reihe bekommt. Wir haben im Moment eine Weltsituation - oder in vielen großen Staaten auch eine nationale Situation -, in der Abrüstung überhaupt nicht vorkommt. Wir brauchen ja nur nach Deutschland zu schauen, das auf Platz 7 der weltweiten Militärausgaben steht.

SB: Nach Ihrem Redebeitrag am 9. April vor dem Bundestag zu urteilen, bei dem es um den militärischen Begleitschutz für die "Cape Ray" [6] ging, ist Ihnen die Enthaltung bei der Abstimmung nicht leicht gefallen. Jetzt ist zu lesen, daß sich die Amerikaner durch ihre eigenen Begleitschiffe sowieso ganz gut selbst schützen können, also eigentlich gar nicht auf die Fregatte der Bundesmarine angewiesen sind. Wäre das nicht ein schlagkräftiges Argument gegen den Einsatz gewesen, obschon dabei Chemiewaffen vernichtet werden sollen, was zu begrüßen ist?

JvA: Nein, das war mir natürlich vorher schon klar, daß die Amerikaner sich militärisch selbst schützen können. Das ist nichts Neues, und das habe ich auch immer gesagt. Wenn aber das Argument lautet, den Begleitschutz hätte auch Brasilien oder Südkorea machen können, das müsse Deutschland nicht machen, frage ich: Will ich denn, daß Brasilien oder Südkorea weiter militarisiert werden? Erst einmal gilt es für mich festzustellen, ob es überhaupt notwendig ist, das US-Schiff zu schützen. Da sage ich: Ja, es muß geschützt werden. Und dann gibt es für mich kein logisches Argument, warum es zumindest theoretisch nicht auch Deutschland sein könnte.

SB: Von außen betrachtet trägt dieser Einsatz den Beigeschmack, daß er das Militär weiter in die Mitte der Gesellschaft holen soll. Haben wir es hier bereits mit dem von Bundespräsident Joachim Gauck und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angekündigten stärkeren militärischen Engagement Deutschlands zu tun?

JvA: Ja, ganz klar, und deswegen hätte ich dem auch niemals zustimmen können. Auf gar keinen Fall. Denn es geht hier um eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Immer wenn es irgendwo da draußen ein Problem gibt, rufen die hier nach der Bundeswehr. Genauso verhält es sich bei den Chemiewaffen aus Syrien. Es fing ja ursprünglich mal damit an, daß die Bundeskanzlerin gesagt hat: Auf gar keinen Fall kommen die nach Deutschland. Wir werden uns nicht an der Vernichtung beteiligen. Davon sind sie, Gott sei Dank, abgerückt und übernehmen jetzt die Senfgas-Hydrolisate, schicken aber die Bundeswehr. Dem kann ich auf gar keinen Fall zustimmen.

SB: Sie sagten ebenfalls, sie befürchteten, daß der tödliche Einsatz von Giftgas am 21. August 2013 in Syrien [7] ohne deutsche Hilfe nicht möglich gewesen wäre. Welche Hinweise haben Sie darauf?

JvA: Die Süddeutsche hat ja vor einigen Wochen öffentlich gemacht, daß offenbar in den achtziger Jahren, bis in die neunziger Jahre hinein, deutsche Firmen ganze Giftgasfabriken an Syrien geliefert haben. So wie seinerzeit auch an Saddam Hussein in Irak. Deswegen geht man davon aus, daß möglicherweise selbst das Sarin, das am 21. August letzten Jahres bei Damaskus eingesetzt wurde, möglicherweise aus einer deutschen Fabrik stammt. Das halte ich sogar für sehr wahrscheinlich.

SB: Die Urheberschaft des Giftgaseinsatzes scheint nicht geklärt. Der US-Journalist Seymour Hersh vermutet, daß der türkische Geheimdienst den Anschlag in Syrien beging, um die Amerikaner in den Krieg zu ziehen. Wie beurteilen Sie Hershs Vermutung?

JvA: Also, was Seymour Hersh schreibt, hört sich erstmal völlig abstrus an. Dann muß man aber dazu sagen, daß er tatsächlich in den letzten Jahren oft abstruse Theorien hatte, die am Ende immer richtig waren. Deswegen nehme ich Hersh sehr, sehr ernst. Aber an dieser Geschichte stimmt vor allem eine Sache nicht: Woher soll das Sarin denn kommen? Er schreibt ja nicht, daß das Giftgas vom türkischen Geheimdienst, sondern daß es über die Türkei gekommen ist. Aber was soll die Quelle für das Sarin sein? Mir ist niemand auf der Welt bekannt, der in der Lage wäre, in solchen Mengen Sarin herzustellen. Wir reden hier über mehrere hundert Kilogramm. Deswegen halte ich es für am wahrscheinlichsten, daß es aus den Beständen der syrischen Armee stammt und entweder durch die Armee selbst oder durch Rebellen, die es erobert haben, eingesetzt wurde. Auch der türkische Geheimdienst kann nicht mal so eben mehrere hundert Kilogramm Sarin herstellen. Das würde mich sehr wundern.

SB: Was ist Ihr Eindruck als ehemaliger UN-Biowaffeninspektor, hat die Politik aus dem Fall "Curveball" [8] den Schluß gezogen, künftig nur noch gerichtsfeste Beweise zuzulassen, bevor sie Bezichtigungen ausspricht?

JvA: Nein, das ist doch überall das gleiche, daß Geheimdienstinformationen, wenn sie politisch in den Kram passen, plötzlich für bare Münze genommen werden. Wenn sie politisch nicht in den Kram passen, heißt es immer, es seien keine Fakten. Unter Geheimdienstlern ist völlig klar, daß eine einzelne menschliche Quelle überhaupt nicht verläßlich ist. Man weiß, daß in 90 Prozent der Fälle es keine korrekten Informationen sind, die von anderen Menschen gegeben werden, und deswegen wird das normalerweise nie akzeptiert. Aber bei "Curveball" paßte es politisch in den Kram und so etwas würde in Zukunft genauso benutzt.

SB: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Reaktion unter anderem der Bundesregierung auf den Giftgasangriff in Damaskus, wo sogleich die syrische Regierung bezichtigt wurde, obwohl bis heute nicht geklärt ist, wer den Angriff durchgeführt hat?

JvA: Ich habe mir wirklich all diese Informationen genau angeschaut: Die Russen haben gleich behauptet, es waren auf jeden Fall die Rebellen, und haben angebliche Beweise vorgelegt. Kerry [9] hat dann behauptet, es war Assad [10], und hat da irgendwas vorgelegt. Das kann man alles vergessen. Es gibt überhaupt keinen fundierten Beleg für die eine oder andere Seite. Es kann Assad gewesen sein, es können die Rebellen gewesen sein. Ich sage das ausdrücklich: ich weiß wirklich nicht, wer es war. Aber die wissen es auch nicht! Und daß die Bundesregierung sich jetzt immer auf Assad festlegt, ist reine Politik. Das hat mit Fakten und Informationen überhaupt nichts zu tun, sondern da wird ein Schuldiger gesucht und gefunden und es wird nicht weiter darüber nachgedacht. Ich finde das komplett falsch.

SB: Ist die Bundesregierung nicht willens oder rechtlich nicht in der Lage, den Export von chemischen Grundstoffen für Chemiewaffen in Konfliktgebiete zu unterbinden?

JvA: Das ist jetzt natürlich ganz schwierig, weil man für ein Chemiewaffenprogramm sogenannte Dual-use-Güter braucht. Die kann man sowohl zivil als auch militärisch verwenden. Das ist somit etwas völlig anderes als Waffenexporte. Die sind natürlich schlecht, weil das Waffen sind und damit kann nur getötet werden. Mit Dual-use-Gütern können aber eben auch Medikamente oder Zahnpasta hergestellt werden. Deswegen finde ich es falsch zu sagen, Dual-use-Güter dürfen gar nicht mehr exportiert werden. Wir wollen ja auch, daß andere Länder in die Lage versetzt werden, selbst ihre Zahnpasta herzustellen. Deswegen muß man an diese Sache ganz anders rangehen als an Waffenexporte.

Mein erster Ansatzpunkt wäre zu sagen, daß ein Land, das die UN-Chemiewaffenkonvention nicht ratifiziert hat, auch keine Dual-use-Güter erhält. Da Syrien nicht Mitglied der Chemiewaffenkonvention war, hätte es alle chemischen Dual-use-Güter nicht bekommen dürfen. Ich finde es unfaßbar, daß bis zum Jahre 2011 noch die entsprechenden Chemikalien nach Syrien exportiert wurden, obwohl die nur einen Syntheseschritt weit weg von der Herstellung des Sarins waren. Hier in Deutschland waren alle darüber informiert, daß mit den Chemikalien Giftgas hergestellt wurde, und trotzdem wurde es geliefert.

Deshalb die klare Forderung: Keine Lieferung von Dual-use-Gütern an Länder, die die Konvention nicht ratifiziert haben. Und an andere Länder, das muß ich jetzt sagen, habe ich eigentlich kein Problem. Ländern, die auch die Inspekteure der OPCW [11] in ihre Chemieanlagen reinlassen, würde ich solche Dual-use-Güter liefern, solange ich nicht ernsthafte Hinweise auf ein illegales Programm habe.

SB: Vielen Dank, Herr von Aken, für das Gespräch.

Computergenerierte Darstellung von drei Lkws mit Aufbauten für ein Biowaffenlabor - Foto: PD-USGOV-STATE

"Am Ende hatte er dann aus dem Internet ein Fahrzeug der New Yorker Feuerwehr abgemalt, hatte einen Tanklastzug daraus gemacht und gesagt: 'So sehen die aus'. Alle waren begeistert ... Das Ganze hatte null Substanz, null Substanz." (Der ehemalige BND-Agent Norbert Juretzko über "Curveball")
Mit diesem fingierten "Beweis" trat der damalige US-Außenminister Colin Powell vor die UN-Vollversammlung und warb für einen Militärschlag gegen Saddam Hussein. Wie gerichtsfest sind die Beweise, mit denen heute Kriege vom Zaun gebrochen werden?
Foto: PD-USGOV-STATE


Fußnoten:

[1] GDAMS - Global Day of Action on Military Spending; z. Dt.: Welttag der Aktionen gegen Militärausgaben

[2] IALANA - International Association of Lawyers against Nuclear Arms; z. Dt.: Internationale Vereinigung von Rechtsanwälten gegen Nuklearwaffen

[3] ines - International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility; z. Dt.: Internationales Netzwerk von Ingenieuren und Wissenschaftlern für globale Verantwortung

[4] VDW - Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, in Engl.: Federation of German Scientists, FGS

[5] SIPRI - Stockholm International Peace Research Institute; z. Dt.: Internationales Friedensforschungsinstitut Stockholm

[6] "Cape Ray" ist ein US-Spezialschiff, auf dem die aus Syrien herausgeholten chemischen Waffen vernichtet werden sollen. Am 9. April 2014 beschloß der Bundestag die Entsendung der Fregatte "Augsburg" als Begleitschutz der "Cape Ray". Erstmals hat die Fraktion der Linkspartei nicht geschlossen gegen einen Einsatz der Bundeswehr im Ausland gestimmt. Fünf Mitglieder der Fraktion stimmten dafür, 18 enthielten sich und 35 stimmten dagegen.

[7] Am 21. August 2013 wurde in Ghuta, östlich von Damaskus, eine Reihe von Giftgasangriffen mit Sarin durchgeführt. Die genaue Zahl der Todesopfer ist unsicher, eine häufig kolportierte Zahl lautet, daß rund 1400 Menschen an dem Giftgas gestorben sind. Wer die Angriffe ausgeführt hat, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.

[8] "Curveball" ist das Pseudonym eines Deutschen irakischer Herkunft, der in Deutschland Asyl beantragte. Seine Aussagen über mutmaßliche mobile C-Waffenanlagen im Irak dienten den USA als Begründung für den Krieg gegen Saddam Hussein. In einem Interview mit dem Schattenblick sprach der ehemalige Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND) und Whistleblower Norbert Juretzko darüber, wie der BND den Informanten aufgebaut hat, um dem von der Politik geäußerten Anliegen, man möge einen Beweis für irakische Massenvernichtungswaffen erbringen, nachzukommen:

"Es gab eine Stelle für Befragungswesen in der Nähe von Nürnberg, die sind dann nach Zirndorf gefahren in ein Lager, in dem Menschen leben, die eingebürgert werden wollen. Dort gehen sie an die Karteikarten und sehen sie unter "Irak" durch. Irgendwann kommen sie auf einen Namen, bei dem "Chemiker" steht. Die Person holen sie sich für ein nettes Gespräch, es gibt ein kleines Abendessen. Dann fragen sie: "Sagen Sie, haben Sie denn schon einmal etwas davon gehört?" "Ja, weiß ich auch nicht, ich kann ja mal überlegen." "Wenn wir da etwas wissen könnten, das wäre natürlich toll. Wir helfen natürlich mit Ihrem Ausweis, wir wissen, Ihre Frau ist da, die holen wir jetzt erst einmal rüber." "Ja, ich denke darüber nach."

Dann fängt er an zu denken, und dann hat er gedacht. Jetzt gab es mehrere Treffen, die ich ausspare, denn deren Schilderung wäre eher eine Art kabarettistische Veranstaltung. Am Ende hatte er dann aus dem Internet ein Fahrzeug der New Yorker Feuerwehr abgemalt, hatte einen Tanklastzug daraus gemacht und gesagt: "So sehen die aus". Alle waren begeistert. Es wurden wunderbare Reisen nach Amerika gemacht, immer mit großem Bahnhof - "Wir haben die Quelle und wir wissen". Der Mann selber war schon zehn Jahre zuvor von seiner Firma, in der er Lippenstift und Lidschatten produziert hat, entlassen worden, weil er so ein windiger Vogel war. Die Ergebnisse wurden, wie bei der stillen Post, immer toller, man war wichtig, hatte plötzlich persönliches Zugangsrecht zum Kanzleramt. Gerhard Schröder war damals Bundeskanzler, man konnte persönlich vortragen und hatte natürlich jede Woche etwas Neues. Das Ganze hatte null Substanz, null Substanz."
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0042.html

[9] John Forbes Kerry, US-Außenminister.

[10] Baschar Hafiz al-Assad, Präsident von Syrien.

[11] OPCW - Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons; z. Dt.: Organisation für das Verbot chemischer Waffen.

18. April 2014