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INTERVIEW/078: Klimacamp trifft Degrowth - Der Feind meines Feindes ...    Antje Grothus im Gespräch (SB)


Anti-Kohle-Protest aus lokaler Sicht

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


Antje Grothus ist in der Bürgerinitative Buirer für Buir aktiv und war bei der Auftaktkundgebung der Demo "Kohleausstieg jetzt" anlässlich "Ende Gelände" Sprecherin für das "Bündnis gegen Braunkohle". Auf der Demonstration, die zur Unterstützung zur Massenaktion zivilen Ungehorsams Ende Gelände am 15. August in Immerath und an der Abbruchkante des Tagebaus Garzweiler stattfand, beantwortete die Aktivistin dem Schattenblick einige Fragen aus Sicht einer von der Braunkohleverstromung langfristig betroffenen Anwohnerin.


Auf Demo mit Plakat 'Leben statt Kohle' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Antje Grothus
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Grothus, heute ist sehr viel los in der Gegend. Wird der Protest von der lokalen Bevölkerung unterstützt oder gibt es auch viele, die das, was Sie machen, für Radau halten?

Antje Grothus (AG): Ich habe viele Menschen aus den Nachbardörfern gesehen, von denen ich weiß, daß die hier noch leben und unmittelbar betroffen sind, entweder von der Abbaggerung selbst oder weil sie absehbar Grubenrandgemeinde werden. Sicherlich gibt es auch viele Menschen, die sich mit RWE und den Folgen für die Region einfach arrangiert haben.

SB: Sie kamen im März in einem Beitrag des 3sat-Wissenschaftsmagazins Nano [1] zu Wort, in dem die Besetzung des Hambacher Forstes recht positiv dargestellt wurde. Nur wenige Tage vorher lief ein Beitrag auf Spiegel TV [2], wo die gleichen Personen in ein völlig anderes Licht gestellt wurden. Welche Erfahrung haben Sie persönlich mit den Aktivistinnen und Aktivisten von der Wiese und der Waldbesetzung gemacht?

AG: Ich habe viele gute Kontakte in den Wald und zur Wiese und muß sagen, daß ich es sehr schätze, mit welchen Mitteln die AktivistInnen dort leben. Das ist alles andere als leicht. Sie müssen jeden Tag unter sehr schweren Bedingungen Wasser heranschaffen. Wenn man ferner sieht, wie sie mit bloßen Händen Baumhäuser bauen, ist das schon großartig. Davor kann man eigentlich nur Hochachtung haben. Was die Berichte über Gewalt anbelangt, die von den Menschen auf Wiese und Wald ausgehen soll, bin ich sehr skeptisch. Denn ich weiß, daß Braunkohlegegner und Baunkohlekritiker hier bei uns in der Region gerne und häufig kriminalisiert werden. Dabei ist es egal, ob sie Besetzer sind oder einfach in Bürgerinitiativen arbeiten.


Demonstration zwischen Feldern - Foto: © 2015 by Schattenblick

Auf dem Weg von Immerath zum Garzweiler Tagebau
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Sie kommen aus dem Ort Buir, der nicht abgebaggert wird. Weshalb protestieren Sie dennoch aktiv gegen die Ausweitung des Hambacher Lochs?

AG: Es ist so, daß wir schon jetzt belastet sind, weil die Autobahn tagebaubedingt direkt an unseren Ortsrand verlegt wurde. Ich kann nachts nicht mehr bei offenem Fenster schlafen. RWE hat zwar eine neue Autobahn gebaut, aber keine Verantwortung für die Bürger und die Folgen für die Region übernommen. RWE will den Tagebau Hambach genau bis zu dieser Autobahn ausbaggern, das heißt für mich, daß ich in zwei Jahrzehnten an einem Tagebauloch leben soll. Damit kann ich angesichts der Auswirkungen, die das hat, einfach nicht einverstanden sein. Zudem ist der Hambacher Forst, quasi vor der Haustür, ein wunderbarer alter Wald, den man durch noch soviel Rekultivierung nicht wird ersetzen können. Um den Wald ist es wirklich schade, und ich finde, in unserem Jahrtausend noch für Braunkohle einen wundervollen Wald abzuholzen, ist in der Tat ewiggestrig.

SB: Wie wird der Widerstand in die lokale Politik übersetzt? Für wie hoch schätzen Sie den Anteil derjenigen Menschen, die wie Sie denken und für entsprechende Ergebnisse an der Wahlurne sorgen?

AG: Die Menschen im Rheinischen Braunkohlerevier haben jahrelang erlebt, wieviel Macht RWE ausübt. Es fängt schon damit an, daß man im Kindergarten Butterbrotkisten mit RWE-Werbeaufdruck bekommt, oder als Schüler ein Praktikum dort machen kann bzw. aus RWE-Heften lernen muß, wie toll RWE in der Energiewende ist. Von daher sind viele Menschen hier nur geringfügig RWE-kritisch unterwegs. Ich will die Politiker nicht verallgemeinern, da gibt es solche und solche, aber ich denke schon, daß die Politiker wieder Bürger-Lobbyisten und nicht Industrie- und Energieunternehmenslobbyisten sein sollten, was sie aber heute weitgehend sind. Natürlich ist es wichtig, die Stimme bei der Wahl abzugeben, aber wenn man bei uns in der Region sieht, wie häufig die Politiker mit RWE unter einer Decke stecken, dann ist das schon ziemlich heftig. So gibt es zum Beispiel Landräte, die im Aufsichtsrat von RWE sitzen und gleichzeitig Dienstherr der Polizei sind. Das ist schon ein weitreichender Interessenskonflikt.

SB: Der Landrat des Kreises Düren, Wolfgang Spelthahn, ist allerdings vor wenigen Tagen aus dem RWE-Aufsichtsrat ausgeschieden. Könnte sein Rücktritt damit zusammenhängen, daß ihm angelastet wurde, in seinem Amt zu sehr die Interessen von RWE vertreten zu haben?

AG: Ja, durchaus möglich, aber es könnte auch damit zusammenhängen, daß RWE jetzt umstrukturiert und sich als Unternehmen verschlanken will. In Zuge dessen sind weniger Aufsichtsräte nötig. Gut möglich, daß Herr Spelthahn dieser innerbetrieblichen Rationalisierung zum Opfer gefallen ist, aber das kann ich nicht beurteilen, darüber könnte ich bestenfalls spekulieren.

SB: Gibt es konkrete Pläne oder Wünsche in der Bevölkerung für die Zeit, wenn die Braunkohle in dieser Region einmal ausgebaggert ist, auch in Hinsicht auf Arbeitsplätze?

AG: Es gibt ja schon jetzt gar nicht mehr so viele Arbeitsplätze bei RWE. Der Konzern baut seit Jahrzehnten Arbeitsplätze ab und nicht erst seit gestern oder heute. Natürlich würde ich persönlich auf die erneuerbaren Energien setzen, da gibt es auch Kompetenzen bei uns in der Region. Aber es bieten sich auch andere Möglichkeiten an wie zum Beispiel über die Exzellenz-Universität in Aachen. Die alten Braunkohlekraftwerke könnte man auch für andere Dinge nutzen. Eine Ansiedlung von Logistikzentren ist beispielsweise im Gespräch. Es gibt genug helle Köpfe in der Region, um das umsetzen zu können. Wichtig wäre nur, es ohne RWE zu machen, damit diese Strukturen endlich aufgebrochen werden.

SB: Frau Grothus, vielen Dank für das Gespräch.


Friedhof, Dom, Garagen - Foto: © 2015 by Schattenblick Friedhof, Dom, Garagen - Foto: © 2015 by Schattenblick Friedhof, Dom, Garagen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Verlassenes Immerath
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=50370

[2] https://www.youtube.com/watch?v=GAm7QIyG-pM


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28. August 2015


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