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INTERVIEW/085: Klimacamp trifft Degrowth - Der Schaden geht weit, die Wunde sitzt tief ...    Eckardt Heukamp im Gespräch (SB)


Der Bagger kommt - Die Landwirte gehen als letzte

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015


Der Landwirt Eckardt Heukamp wohnte zum Zeitpunkt des Gesprächs noch in dem weitgehend verlassenen Ort Borschemich und bewirtschaftet Flächen bei Lützerath, das künftig ebenfalls dem Braunkohletagebau zum Opfer fallen soll. Dort fand auf einem seiner Grundstücke das diesjährige Klimacamp statt. Der Schattenblick nahm die Gelegenheit gerne wahr, ihm einige Fragen zu den gravierenden Folgen der Vernichtung gewachsener Landschaften und der Vertreibung der ansässigen Bevölkerung wie auch seiner persönlichen Perspektive und zum Klimacamp zu stellen.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Eckardt Heukamp
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Eckardt, wir sitzen hier im diesjährigen Klimacamp zusammen, das auf deinem Grundstück aufgebaut und durchgeführt werden durfte. Ursprünglich war ein anderer Standort nicht weit von hier geplant, doch dann wurde das Camp hierher verlegt. Wie kam es denn, daß es bei dir stattfindet?

Eckardt Heukamp (EH): Ich habe mich relativ kurzfristig dafür entschieden, das Klimacamp auf meinem Grundstück durchführen zu lassen.

SB: Wurdest du schon vor etwas längerer Zeit angesprochen und hattest du zunächst Bedenken?

EH: Ich bin vorher schon mehrfach gefragt worden. Im April dieses Jahres hat hier bereits ein Camp der BUND-Jugend stattgefunden. Bedenken hatte ich wegen des Klimacamps selber nicht, sondern wegen möglicher Konsequenzen für mich. Man muß immer bedenken, daß es RWE nicht gerne sieht, wenn ich hier auf dem Grundstück so eine Veranstaltung zulasse. Das ist sicherlich auch klar.

SB: Wie man sehen kann, wirkt der Ort hier schon recht verlassen. Viele Häuser sind offenbar nicht mehr bewohnt, und man trifft nur wenige Menschen auf der Straße.

EH: In diesem Ort hier, in Lützerath, lebt heute vielleicht noch die Hälfte der früheren Einwohnerschaft, die anderen Leute sind schon weg. Meistens sind es die Mieter, aber nicht nur die, die gegangen sind, denn sobald die Häuser verkauft sind, müssen die Mieter wegziehen. In Borschemich, wo ich jetzt noch wohne, sind vielleicht fünf Prozent der ursprünglichen Einwohner bislang geblieben. Der Rest ist weg und schon umgesiedelt.

SB: Warum sind die wenigen Menschen bislang hiergeblieben? Wollen sie auf keinen Fall weggehen oder haben sie gar nicht die Möglichkeit, sich anderswo niederzulassen?

EH: Es sind zum größten Teil Landwirte, Mieter eher vereinzelt, die noch geblieben sind. Die Landwirte sind eigentlich immer die letzten, die gehen. Erst wenn ihre Flächen in Anspruch genommen, also abgebaggert werden, wird RWE mit den Landwirten einig zum Verkauf. Was die anderen Leute und die normalen Wohnhäuser betrifft, wird das schon früher geregelt, daß die Leute wegziehen. Bei den Landwirten ist es meist so, daß sie erst ganz zum Schluß weggehen.

SB: Entsprechen die Flächen, die ersatzweise angeboten werden, von ihrer Größe und Qualität her dem ursprünglichen Besitz der Landwirte?

EH: Die neuen Flächen, die rekultivierten Flächen, die RWE anbietet, sind mit den alten Flächen nicht ganz vergleichbar. Es wird neues Land aufgeschüttet, das hinsichtlich der Bodenpunkte [1], also der Qualität, und auch in der Bearbeitung in der Regel schlechter als die ursprünglichen Flächen ist.

SB: Heißt das, daß Landwirte, die sich über Jahre und möglicherweise Generationen eine Existenz aufgebaut haben, ihren Neuanfang unter erheblich schlechteren Voraussetzungen wagen müssen?

EH: RWE gleicht den Nachteil insofern aus, als den Landwirten etwas größere Flächen angeboten und die Bodenpunktnachteile aufgerechnet werden. Man muß aber bedenken, daß die Bewirtschaftungserschwernis ja nicht nur ein, fünf oder zehn Jahre besteht, sondern noch viel länger bleibt. Die Böden sind bei RWE zwar aufgedüngt, und die Ertragsfähigkeit ist auch gegeben, das ist nicht das Problem, das haben sie schon gemacht. Aber man trägt als Landwirt immer ein Restrisiko, weil man nie genau weiß, ob die Böden fehlerfrei aufgeschüttet worden sind. In der jüngsten Vergangenheit haben sie die Fehler wohl nicht mehr gemacht, aber früher, am Anfang der Rekultivierung, sind massive Fehler gemacht worden, unter denen die betroffenen Landwirte erheblich zu leiden haben.

SB: Wie ist deine aktuelle Situation als Landwirt beschaffen? Welche Auswirkungen hat die näherrückende Grube beispielsweise auf die Bewässerung deiner Felder?

EH: Die Grundwasserabsenkung macht sich bei einigen Früchten bemerkbar, bei anderen Früchten merkt man das nicht, weil bei ihnen der Niederschlag entscheidend ist, was also an Regen fällt. Die Grundwasserabsenkung ist generell hier in der Gegend ein Problem, weil durch die Sümpfungsmaßnahmen von RWE das Grundwasser sehr stark abgesunken ist.

SB: Mußt du für deine Bewässerung zusätzliche Maßnahmen ergreifen, die früher nicht erforderlich waren?

EH: Wenn ich mit einem Brunnen bewässern wollte, müßte er tiefer gegraben werden. Denn wenn der Brunnen beispielsweise auf 60 Meter ausgelegt ist, aber der Grundwasserspiegel auf 70 oder 80 Meter absinkt, dann reicht der Brunnen natürlich nicht mehr aus.

SB: Hast du denn einen Brunnen hier auf dem Grundstück?

EH: Nein. Das darf man auch so einfach nicht mehr, das war früher so. Jetzt ist es in der Regel nicht mehr erlaubt.

SB: Wie haben sich deine landwirtschaftlichen Flächen durch die näherrückende Grube verändert?

EH: Die Flächen, die ich hatte und immer noch habe, sind fast komplett durch Bohrleitungs- und Brunnenmaßnahmen in Anspruch genommen worden. RWE muß im Zuge der Sümpfungsmaßnahmen Brunnen anlegen, um das Wasser abzupumpen, damit die Kohleabbaugrube nicht langsam vollsickert. Dadurch sind erhebliche Einflußnahmen bei den Parzellen gegeben, die dann teilweise zwar entschädigt werden, das muß RWE natürlich machen, aber trotzdem ist der Mehraufwand, den man hat, erheblich. Hinzu kommt der ganze Ärger, weil das Land dort, wo Brunnen gelegt werden, weg ist. Das wird zwar ausgeglichen, aber da, wo Rohrleitungen gelegt werden, hat man mehrjährig Probleme. Auch die werden in gewissem Umfang ausgeglichen, aber ein erheblicher Mehraufwand bleibt.

SB: Was wird aus den Landwirten und anderen Leuten, die hier wegziehen müssen? Wo gehen sie hin und wie ergeht es ihnen dort?

EH: Das ist unterschiedlich, einige gehen an die neu ausgewiesenen Standorte wie zum Beispiel Neu-Immerath, Neu-Lützerath oder Neu-Borschemich, aber es siedeln längst nicht alle Leute um. Hier aus dem Dorf ist jemand ganz woanders hin gezogen, weil er nicht an den neuen Standort gehen wollte. Bei manchen Leuten sind natürlich die finanziellen Möglichkeiten begrenzt, sich an diesen Standorten niederzulassen, weil sie da ja neu bauen müssen.

SB: Bekommen die Menschen von RWE eine Entschädigung oder einen Kredit, um sich etwas Neues aufzubauen?

EH: Die Flächen und Häuser werden entschädigt.

SB: Hast du noch Kontakt mit Leuten, die weggezogen sind und erzählen, wie es ihnen geht?

EH: An den neuen Standorten noch nicht, aber ich kenne jemanden, der bald umzieht. Ein bißchen Kontakt hat man schon, es ist eben Licht und Schatten: Einige meinen, wir gewöhnen uns daran, andere sagen natürlich, der neue Ort ist nicht schön, weil die gewachsene Struktur in diesen Orten fehlt. Es gibt keine Bäume, die ja erst noch von klein auf wachsen müssen. Wenn man das in Borschemich und Immerath sieht, wenn man den alten Friedhof sieht, die Kirche mit allem drumherum, wo die ganzen Waldanlagen sind, ist das natürlich nicht mehr in der Form an den neuen Standorten vorhanden.

SB: Du hattest vorhin erzählt, wie sich im Laufe der Jahre die Dorfstruktur und das Dorfleben verändert haben, so daß immer weniger davon vorhanden ist. Was passiert, wenn immer mehr Leute wegziehen?

EH: Wenn die Leute aus der alten Dorfgemeinschaft nicht mehr an den neuen Standort mit umziehen, dann ist natürlich die Dorfgemeinschaft nicht mehr so wie früher vorhanden. Bei einigen wie in Neu-Borschemich ist sie, glaube ich, noch relativ gut erhalten geblieben, auch weil sie vorher intakt war. Bei Immerath weiß ich es nicht genau, da habe ich nur gehört, daß es nicht mehr so toll ist. Da nur die Hälfte der Einwohner an den neuen Standort umgezogen ist, ist es natürlich nicht mehr so wie in der Vergangenheit. Das habe ich vom Hörensagen mitbekommen, weil ich selber noch nicht umgesiedelt bin.

SB: Es gibt viele Menschen in der Region, die direkt oder indirekt über Arbeitsplätze oder Zahlungen, die RWE an die Gemeinden macht, eingebunden sind und sagen, das ist doch gut für uns. Was für ein Klima wird da geschaffen, daß viele Leute auf RWE nichts kommen lassen, weil der Konzern ja dieses und jenes finanziert?

EH: Das ist individuell sehr verschieden, das kann ich nicht insgesamt beurteilen, weil man jeden einzelnen Fall sehen muß. Ich habe anfangs mit dem Enteignungsverfahren Probleme gehabt, nachher hat man sich gütlich geeinigt. Es gibt Leute, die zufrieden sind, andere sind es nicht. Das ist wie immer im Leben so eine persönliche Sichtweise. Ob es sich wirklich so verhält, wie die Leute sagen, kann ich nicht beurteilen. Es gibt natürlich auch Leute, die bei RWE angestellt sind, und daß die eine andere Sichtweise haben, ist verständlich.

SB: Wie du berichtet hast, mußt du im September dein Wohnhaus in Borschemich verlassen. Hast du schon eine Perspektive, wo du dann hingehst und wie das werden soll?

EH: Ich werde hierher nach Lützerath ziehen, wo ich meine landwirtschaftlichen Flächen habe, muß das aber vorbereiten. Da ich das ja schon vor einem Jahr wußte, kann man es RWE nicht anlasten. Das ist meine Angelegenheit, weil ich es selber organisieren und hinbekommen muß.

SB: Sind die Flächen, die du ab September bewirtschaftest, immer noch dieselben wie bisher?

EH: Die landwirtschaftlichen Flächen sind noch geblieben, sie sind bisher nicht abgebaggert. Sie werden allerdings durch Brunnen und Rohrleitungsmaßnahmen beeinträchtigt, aber ich kann sie vorerst noch nutzen. Das Ende kommt erst im nächsten Schritt, wenn ich hier ganz wegziehen muß. Aber die Beeinträchtigung kann man überall hier in der Umgebung sehen. Je näher die Grube rückt, um so mehr Brunnen werden gesetzt, um das Wasser abzupumpen. Das ist natürlich ein erheblicher Eingriff.

SB: Wie lange kannst du deine Flächen hier noch behalten, bis sie schließlich abgebaggert werden?

EH: Lützerath bleibt nur noch vorübergehend bestehen, weil es 2019 auch bergbaulich in Anspruch genommen wird. Hier wird auch abgebaggert, zumindest nach dem jetzigen Stand.

SB: Das bedeutet für dich also, daß du nur für einige Jahre eine Perspektive hast, aber danach noch einmal ganz neu überlegen mußt, wie es weitergehen soll?

EH: Ja. Ich muß mir in den nächsten Jahren neu überlegen, wo meine endgültige Standortfindung mit dem Wohnhaus wie auch dem landwirtschaftlichen Betrieb sein soll.

SB: Gegenwärtig sind ungefähr 1300 Menschen hier im Klimacamp versammelt, und es werden täglich mehr. Wie erlebst du das? Es ist ja dein Grund und Boden, auf dem so viele Leute zusammenkommen, die du zunächst gar nicht kennst.

EH: Ich finde es sehr positiv, daß sich so viele Leute gegen die Klimaerwärmung engagieren und sich damit auch gegen den Abbau von Braunkohle hier in dieser Region einsetzen und dafür mobilisieren. Sie kommen ja von nah und fern, aus Berlin und Süddeutschland, aus Holland und sogar aus Spanien, wie ich gehört habe. Das gefällt mir sehr gut.

SB: Eckardt, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:


[1] Als Ackerzahl, auch Ackerwertzahl oder Bodenpunkte, wird ein Index bezeichnet, der die Qualität einer Ackerfläche bemißt. Sie wird ausgehend von der Bodenzahl durch Zu- und Abschläge auf Grund von Faktoren wie Klima oder ausgewählter Landschaftsmerkmale wie z. B. Hangneigung und Waldschatten ermittelt, insofern diese von den Standardwerten abweichen.


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18. September 2015


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