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INTERVIEW/099: Das Anti-TTIP-Bündnis - Konsens ...    Nelly Grotefendt im Gespräch (SB)


Breites Bündnis im Widerstand gestärkt

Interview auf der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz in Kassel am 27. Februar 2016


Bisweilen bietet es sich an, bei der Berichterstattung über eine Tagung entgegen der chronologischen Abfolge am Ende zu beginnen. Um unseren Leserinnen und Lesern frühzeitig einen Eindruck zu vermitteln, wie der Verlauf der TTIP Strategie- und Aktionskonferenz seitens der Veranstalterinnen wahrgenommen wurde, folgt an dieser Stelle ein Gespräch mit der Organisatorin Nelly Grotefendt.

Nelly Grotefendt ist Referentin für Internationale Handelspolitik des Forums Umwelt und Entwicklung in Berlin sowie Koordinatorin des Bündnisses TTIP unfairhandelbar. Unmittelbar nach Abschluß der Konferenz in Kassel erklärte sie sich trotz ihrer umfassenden Anforderungen als Organisatorin und Podiumsteilnehmerin bereit, dem Schattenblick in einem ersten Resümee einige Fragen zu beantworten.


Bei der Organisation der Konferenz - Foto: © 2016 by Schattenblick

Nelly Grotefendt
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Nelly, wie seid ihr auf die Idee gekommen, die Konferenz durchzuführen? Wie lange habt ihr sie vorbereitet und wie viele Leute waren daran beteiligt?

Nelly Grotefendt (NG): Im letzten Jahr reifte kurz vor der Sommerpause unser Entschluß, diese Konferenz vorzubereiten und durchzuführen. Wir waren der Auffassung, daß in dieser Phase der Auseinandersetzungen mit TTIP eine Aktion erforderlich sei, die die Beteiligten aus den vielen verschiedenen Organisationen und Initiativen enger zusammenführt und miteinander ins Gespräch bringt. Wir haben die Konferenz ungefähr ein halbes Jahr vorbereitet, die Räumlichkeiten gesucht, die Panelistinnen angefragt und die Workshops ausgeschrieben. Unser Ansatz war dabei, nicht so viel vorzugeben, sondern das Strategietreffen aus der Bewegung heraus zu gestalten. Wir haben gemeinsam mit dem Förderkreis von TTIP unfairhandelbar eine Struktur kreiert, die den Rahmen schuf, innerhalb dessen die vielfältigen Themen und Interessen ihren angemessenen Platz fanden. Der Förderkreis ging aus dem zivilgesellschaftlichen Bündnis TTIP unfairhandelbar hervor, in dem die Mitgliedsorganisationen vertreten sind. Unter Leitung der Koordinatorin von TTIP unfairhandelbar, also von mir, und einem Kollegen ging es dann die letzten zweieinhalb Monate in die heiße Phase.

SB: Wie habt ihr in der Planungsphase eure Entscheidungen gefällt? Seid ihr nach einem Konsens- oder einem Mehrheitsprinzip vorgegangen und gab es Kontroversen um Inhalte oder Gestaltung der Konferenz?

NG: Es gab schon einige Kontroversen, die wir aber in vielen Gesprächen lösen konnten. Wir sind ein sehr enger Kreis und vertraut, miteinander zu arbeiten. Jede Gegenstimme wurde gehört, und dann versuchten wir, einen Kompromiß zu finden, mit dem alle Beteiligten einverstanden waren.

SB: Gab es Personen oder Gruppierungen, die von vornherein nicht beteiligt oder im Zuge der Vorbereitung ausgeschlossen wurden?

NG: Nein. Alle, die sich gemeldet hatten und mitmachen wollten, waren bis zum Ende dabei.

SB: Im Programm war ursprünglich das Seattle to Brussels Network (S2B) angekündigt. Wie kam es dazu, daß von dieser Organisation niemand in Kassel vertreten war?

NG: Unsere Konferenz in Kassel fand unmittelbar im Anschluß an die Verhandlungsrunde zu TTIP in Brüssel statt, wo ebenfalls ein großes zivilgesellschaftliches Treffen durchgeführt wurde. Der S2B-Koordinator wollte auch hierher kommen, mußte dann aber leider wegen einer Erkrankung absagen.

SB: Was die Altersstruktur der Strategiekonferenz betrifft, war hier überwiegend eine etwas ältere Generation vertreten, was sicher auch mit der komplexen Thematik und der persönlichen Erfahrung zusammenhängt. Welche Möglichkeiten seht ihr, noch mehr jüngere Menschen anzusprechen, wie sie beispielsweise in der Degrowth- und Klimabewegung engagiert sind?

NG: Ich sehe da sehr gute Chancen insbesondere bei den Jugendsparten der einzelnen Umweltverbände. Dort gibt es schon sehr viele aktive Gruppen mit einem Altersdurchschnitt zwischen zwölf und 25 Jahren, die ein enormes Bedürfnis haben, sich zu vernetzen. Aus diesem Grund haben wir ganz gezielt in der Workshop-Phase 2 ein Angebot für die Jugendverbände eingeplant, das auch sehr gut aufgenommen wurde. Ich habe im Anschluß an den Workshop mit einem der Referenten gesprochen, der begeistert von der großen Nachfrage war, über so eine Plattform ins Gespräch miteinander zu kommen und sich als Akteur im Programm zu artikulieren. Ich denke, das sendet ein Signal, und wir sind sehr stolz darauf, so eine breite Bewegung zu sein, die meines Erachtens weiter wachsen wird. Wir haben gerade richtig angefangen, in Schwung zu kommen, und es wird weitergehen.

SB: Siehst du die Gefahr, daß die Breite der Bewegung auf Kosten linker Positionen gehen könnte oder, wie es ja mehrfach kritisch anklang, eine Sozialdemokratisierung stattfinden könnte?

NG: Diese Gefahr sehe ich eigentlich nicht. Wir kämpfen zwar für sogenannte sozialdemokratische Werte, weil wir diese nicht in der Politik repräsentiert sehen. Wir sind jedoch ein breites Spektrum aus verschiedenen Akteuren, und ich denke, das wird auch so bleiben, da spielen linke Positionen eine ganz entscheidende Rolle.

SB: Du hattest angesprochen, daß über TTIP hinaus noch sehr viel mehr politische Fragen anstehen. Welche wären aus deiner Sicht vorrangig zu nennen?

NG: Ganz aktuell brennt natürlich das Flüchtlingsthema. Flucht, Vertreibung, Krieg und Armut sind gegenwärtig zentrale Themen in unserer Gesellschaft, die angegangen werden müssen, zumal unsere verfehlte Wirtschaftspolitik auch eine Fluchtursache ist.

SB: Du bist als Organisatorin der Konferenz unablässig von allen Seiten angefragt. Darf ich dich abschließend um ein erstes persönliches Resümee bitten?

NG: Ich bin positiv überrascht, denn die Konferenz hat meine Erwartungen übertroffen. Unsere Hoffnungen haben sich voll und ganz erfüllt, da die hier versammelten Leute große Lust hatten, noch mehr wissen wollten und sich weiter engagieren möchten. Es besteht ein großer Bedarf in der Bewegung, miteinander zu sprechen, sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Genau das war das Ziel dieser Konferenz, und ich bin sehr zufrieden, daß wir es erreicht haben. Ich kann abschließend sagen, daß wir gerne auf diese Weise weitermachen möchten.

SB: Nelly, vielen Dank für das Gespräch.


Vor TTIP-Plakat - Foto: © 2016 by Schattenblick

Zugewandt und engagiert - Organisatorin bei der Arbeit
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnote:


[1] http://www.ttip-unfairhandelbar.de/


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